Bauernkrieg: »Was verbindet uns mit 1525? Doch eher Niederlagen und Leid«

Seit dem Sommer 1524 erheben sich in einem Gebiet von Süddeutschland bis ins heutige Thüringen Bauern gegen ihre Landesherren. Sie fordern die Festschreibung von Rechten, eine Verringerung der erdrückenden Abgabenlast und zum Teil sogar die Abschaffung der Leibeigenschaft. Befeuert wird der Aufstand durch die Ideen der Reformation.
Riesige so genannte Bauernhaufen mit Tausenden von Aufständischen formieren sich. Sie sind zwar nicht militärisch trainiert, besitzen aber Waffen, da sie von ihren Herren in Kriegszeiten zur Landfolge verpflichtet sind. Es sind also keine mit Dreschflegeln und Mistgabeln bewaffneten, chaotisch umherziehenden Gruppen, wie es das Klischee nahelegt. Trotzdem kommt es zu Klosterplünderungen, teils zum Zweck der Selbstversorgung, teils weil gerade die Mönche, die »Wasser predigen und Wein trinken«, verhasst sind.
Blutig waren diese Plünderungen fast nie, sie »wateten mehr durch Wein als durch Blut«, wie es der Historiker Gerd Schwerhoff von der TU Dresden bei einem Vortrag ausdrückte. Dennoch prägte sich für Jahrhunderte das Bild der Sieger ein. Denn die Fürsten, die in diesem Aufbegehren eine Gefahr für die bestehende Ordnung sahen, formierten schlagkräftige Söldnerheere. In offenen Feldschlachten hatten die Bauern keine Chance. »Bauernjagen« wurde zum geflügelten Wort für die Massaker an den oft fliehenden Menschen. Schätzungen gehen von rund 75 000 Toten aus, auf Seiten der Fürsten sollen es oft nur eine Hand voll gewesen sein.
So auch heute vor 500 Jahren, am 15. Mai 1525. Bei der Schlacht im thüringischen Frankenhausen fallen mindestens 5000 Bauern, während ihre Gegner angeblich nur sechs Tote zu beklagen hatten. Thomas Müntzer, der einflussreiche Feldprediger der Bauern, wird knapp zwei Wochen später hingerichtet.
In seinem 500. Jubiläumsjahr ist der Bauernkrieg präsent wie nie. Die Verkaufsregale der Buchläden füllen sich mit Neuerscheinungen. Mehrere große Landesausstellungen widmen sich dem Thema, flankiert von unzähligen Presseartikeln und Rezensionen, von Vorträgen, Tagungen und Konferenzen. Außerdem wurden und werden dieses Jahr mehr als ein halbes Dutzend neuer Denkmale eingeweiht, unter anderem in Weingarten, Böblingen und Mühlhausen.
Aber warum brennt das Thema so? Zum 450. Jubiläum standen die Feierlichkeiten ganz im Zeichen des Ost-West-Konflikts, erklärt Gerd Schwerhoff im Interview. Doch was sieht man heute im Bauernkrieg?
Herr Schwerhoff, Sie haben zu Hexerei, Hexenverfolgung, Wirtshäusern und Blasphemie geforscht. Wie kamen Sie zum Bauernkrieg?
Der Bauernkrieg hat mich immer schon beschäftigt als eine besonders eindrucksvolle Form des Protestes, der von den Herrschenden schnell kriminalisiert wurde. Insofern ist der Bauernkrieg Teil der politischen Kriminalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit, auch wenn darin eine sehr einseitige Bewertung aus der Sicht der Herrschenden steckt.
Zunächst dominierte in der Erinnerung das Bild der Sieger, der gerechten Fürsten, über die »wilden« Bauern. Dann aber scheint sich etwas fundamental geändert zu haben. Sie sehen im Bauernkrieg gar ein »zentrales Paradigma für die Konstituierung des jeweiligen Geschichtsbildes«. Was ist geschehen?
Der Umschwung begann etwa ab dem Zeitalter der Französischen Revolution. Insbesondere im 19. Jahrhundert, im Zuge der Nationalstaatsbildung und des nationalstaatlichen Gedenkens, wurde der Bauernkrieg mehr und mehr heroisiert. Die Bauern wurden zu Vorfahren derjenigen, die die deutsche Einheit vorangetrieben und für die Freiheit gekämpft haben. Dieser rote Faden ist im Grunde genommen bis heute erkennbar, wenn auch mit sehr markanten Unterschieden.
Mit welchen denn?
Sowohl der Nationalsozialismus als auch die offiziöse Geschichtsschreibung der DDR haben sich damit gebrüstet, verwirklicht zu haben, was die Bauern 1525 erstrebt hatten. Vor allem die DDR hat sich sehr stark identifikatorisch mit dem Bauernkrieg in Beziehung gesetzt: Damals, so die Propaganda in der DDR, sind die Bauern im Bauernkrieg niedergeschlagen worden, heute haben sie mit dem Arbeiter- und Bauernstaat den Sieg davongetragen. Gerade weil Thüringen ein Zentrum war, bildete der Bauernkrieg einen unglaublich starken, ja, historischen Identitätspunkt für die DDR.
Und heute?
Heute steht das Gedenken sehr stark im Zeichen der Erinnerung an Freiheitsstreben und den Beginn der Menschenrechte. In diesem Sinn werden jedenfalls die Zwölf Artikel von Memmingen verstanden, jene weit verbreitete Flugschrift mit den Forderungen der Bauern, die zum Beispiel das Ende der Leibeigenschaft verlangten. Völlig falsch ist das nicht, aber doch sehr stark davon geprägt, was wir in dieser Aufstandsbewegung sehen wollen und zu finden hoffen. Deswegen versuche ich, auch andere Perspektiven zur Geltung zu bringen.
Was sollte man Ihrer Meinung nach im Bauernkrieg sehen?
Na ja, es stellt sich doch die Frage: Was sind unsere aktuellen Erfahrungen, vor deren Hintergrund wir auf 1525 zurückschauen? Der damalige Bundespräsident Johannes Rau hat im Jahr 2000 in Memmingen die Zwölf Artikel als Vorreiter von Freiheit und Menschenrechten gepriesen. Das war wenige Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989. Die Zeit war geprägt von der optimistischen Zuversicht, das Erbe der 1525er werde jetzt global in Erfüllung gehen.
Heute, im Jahr 2025, sehen wir uns mitten in einer Zeit multipler Krisen. Mit 1525 verbinden uns vor diesem Hintergrund vielleicht eher die Erfahrungen von Niederlagen und menschlichem Leid. Schauen Sie nur auf die Freiheitsbewegungen, die in den letzten Jahren rund um den Globus ebenso blutig wie erfolgreich bekämpft wurden. Wenn Frank-Walter Steinmeier jetzt bei seiner Rede in Memmingen sehr ähnliche Worte findet wie sein Vorgänger vor 25 Jahren, erscheint mir das doch sehr wohlfeil.
»Niederlagen und menschliches Leid« ist allerdings nicht gerade der Tenor, unter dem die Jubiläumsfeierlichkeiten stehen. Wie hat sich die Erinnerungskultur gewandelt?
Vor allem hat sie sich im Zeichen der medialen Multiplikation stark ausgeweitet. Wir haben heute eine unglaubliche Breite an Formen der Erinnerung. Das reicht vom Reenactment von Schlachten oder Bauernhaufen und Mittelaltermärkten bis hin zu filmischen und multimedial verbreiteten künstlerischen Aneignungen und übersteigt noch mal das, was wir zum Beispiel 1975 beim 450. Bauernkriegsjubiläum hatten. Vor 50 Jahren stand das Jubiläum stark im Zeichen des Ost-West-Gegensatzes. In der DDR gab es öffentliche Festtage, öffentliches Gedenken, auch Ausstellungen. Im Westen wurde der Bauernkrieg nur regional erinnert und gefeiert. Aber die Erinnerungskultur war damals durch den Systemgegensatz sehr intensiv gesteigert, und ich hätte nicht gedacht, dass wir das im Jahr 2025, was die pure massenmediale Aufmerksamkeit angeht, noch mal toppen würden. Gegenwärtig sieht es so aus, als sei gerade das doch der Fall. Ich bin durchaus überrascht davon, wie intensiv diese Welle von Jubiläumsgedenken ist.
Es werden gleich mehrere neue Bauernkriegsdenkmäler eingeweiht und große Sonderausstellungen eröffnet. Wie sehen Sie diese üppige Gedenk- und Denkmalkultur?
Die Ausstellungen sind fachlich grundiert, das erfreut das Historikerherz natürlich. Die Denkmalkultur sehe ich schon zwiespältiger. Das sich darin manifestierende Bedürfnis, die Bestrebungen der Aufständischen sichtbar zu machen und ihnen wenigstens im Nachhinein Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, erscheint mir äußerst legitim. Aber was im Einzelnen passiert, sehe ich eher skeptisch. In Mühlhausen in Thüringen steht beispielsweise jetzt ein großes Denkmal nach einem Entwurf von Albrecht Dürer. Für meine Begriffe steckt dahinter ein gewisses Missverständnis.
Weil sich die Kunstgeschichte bis heute nicht darüber einig ist, was Dürer damit eigentlich aussagen wollte – und ob er sich nicht in Wahrheit über die Bauern lustig machte?
Dürer veröffentlichte die Skizze in einem geometrischen Traktat. Sie ist dort ein völliger Fremdkörper. Hält man sich an den Wortlaut der Abbildung, dann handelt es sich ja um ein Siegesdenkmal über die Bauern. Die Bildsprache drückt dagegen eher Mitgefühl aus. Wegen solcher ganz bewusst eingesetzten Ambiguitäten glaube ich, dass Dürer eine Verwirklichung seines Entwurfs eigentlich ausgeschlossen hatte. Ein sieben Meter hohes Denkmal hinzustellen, das nie zur Verwirklichung bestimmt gewesen ist – das ist schon eine zwiespältige Angelegenheit.
Noch ein Beispiel: In Weingarten entsteht zurzeit ein Denkmal, das einige Zeilen aus dem Weingartener Vertrag zitiert, wo von Frieden, Ruhe und Ordnung die Rede ist. Der Vertrag an sich ist durchaus gedenkwürdig, weil er den Aufständischen einen straflosen Ausstieg aus ihrem Tun ermöglichte. Doch die meisten ihrer Ziele wurden nicht verwirklicht, und der Wortlaut des Vertrags diffamiert den Aufstand auch in der zitierten Passage als böswillig und widerrechtlich. Insofern ist auch diese Denkmalvariante kaum überzeugend. Überhaupt sehe ich die Tendenz, für alle Ereignisse ein Denkmal aufzurichten, ein bisschen skeptisch.
Böblingen, Frankenhausen oder Leipheim sind Schauplätze verheerender Niederlagen der Aufständischen. Gerade dort wird heute intensiv an 1525 erinnert. Hat der Bauernkrieg etwas von einem Trauma, einer Urkatastrophe, auf der alle nachfolgenden gescheiterten Revolutionen fußten?
Das halte ich für eine anachronistische Vorstellung, obwohl es zum Teil so dargestellt wird. Gerade gibt es ein neues Buch von Peter Seibert, »Die Niederschlagung des Bauernkriegs 1525: Beginn einer deutschen Gewaltgeschichte«. Darin formuliert er eine Art Sonderwegsthese, wonach sich von der Niederschlagung des Bauernkriegs bis zum Faschismus eine Spur der Gewalt durch die deutsche Geschichte zieht.
Was stört Sie an dieser Sichtweise?
Sie ignoriert Jahrzehnte neuer Forschung darüber, wie widerständig die Untertanen in den Jahrhunderten nach dem Bauernkrieg waren, wie viele Möglichkeiten sie hatten, ihren Protest auszudrücken, und wie viel gerichtlicher Austrag ihrer Konflikte ihnen durchaus auch zugestanden wurde. Das war keine demokratische Gesellschaft, sondern sie blieb feudal, aber nicht ohne Partizipations- und Protestmöglichkeiten des gemeinen Mannes. Den Bauernkrieg gerade in seiner Monumentalität nur zu heroisieren, ist schief; ihn als Beginn einer deutschen Untertanenmentalität zu sehen, wäre aber ganz falsch.
Wer von Traumatisierung redet, unterstellt, dass dieses Massensterben über Generationen auf die Menschen gewirkt hat. Jede Pestwelle im 16. Jahrhundert konnte in einer einzelnen Stadt tausende Tote fordern, dazu gab es Hungersnöte, Krieg und Klimakatastrophen. Beim Dreißigjährigen Krieg könnte man allein schon auf Grund seiner Dauer viel eher von einer nachhaltigen Traumatisierung sprechen. Beim Bauernkrieg wäre ich da vorsichtig.
Sie würden ihn also auch nicht in eine Reihe stellen mit Revolutionen wie der von 1848?
Revolutionen wie die von 1848 hatten einen ganz anderen historischen, weil nationalen, Kontext als der Bauernkrieg. Erinnerungspolitisch wurde der Bauernkrieg aber im Vormärz und während der Revolution so zentral wie noch nie, weil die 48er die Aufständischen von 1525 als Vorläufer und Vorbilder für ihren Freiheitskampf ansahen.
Sollte man den Bauernkrieg dann eher als Beginn oder erstes Zeichen der Freiheitsbewegung in Deutschland sehen?
Als Beginn auf keinen Fall, eher als eine Stufe, denn Freiheitsbestrebungen gab es seit dem Mittelalter bereits mannigfaltige, ob in den Städten oder innerhalb des Adels. »Frei sein von der Leibeigenschaft«, diese prominente Forderung in den Zwölf Artikeln übte fraglos eine große Faszination auf die damaligen Menschen aus, und meine Kollegin Lyndal Roper interpretiert in ihrem neuen Buch den Bauernkrieg vor allem als Kampf »Für die Freiheit«. Freiheit war jedoch damals ebenso wie heute ein Schlagwort, das für sehr verschiedene Interessen und Standpunkte in Anspruch genommen wurde – und bis heute wird. Klar kann man mit Bundespräsident Steinmeier die Freiheitsbewegung der deutschen Bauern als unser demokratisches Vorbild beschlagnahmen, aber zwingend ist das nicht. Auch Populisten oder Verschwörungstheoretiker werden sich nicht scheuen, die Bauern als Vorbild für ihre Freiheitskämpfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie gegen eine angebliche Meinungsdiktatur zu Felde ziehen. Insofern hat der Freiheitsbegriff etwas sehr Beliebiges.
Auch einige Teilnehmer bei den Bauernprotesten 2024 haben einen Bezug zum Bauernkrieg hergestellt. Ist der Bauernkrieg damit Teil der Protestkultur in Deutschland?
Seit Langem wird der Bauernkrieg von immer wieder neuen Generationen von Protestierern neu entdeckt, würde ich sagen. Das war in den 1980er Jahren so, das ist in der Gegenwart ebenso. Sucht man nach Verbindungen zwischen 1525 und 2025, so könnte man bei aller Vorsicht vielleicht formulieren, dass es damals wie heute einen Kampf im Zeichen der Selbstbestimmung beziehungsweise gegen Außen- und Fremdbestimmung war. Wenn die Bauern heute sagen, der Kampf gegen den Wegfall von Agrardieselsubventionen sei vergleichbar mit dem Kampf der Bauern gegen die Leibeigenschaft, dann liegen zwischen beiden Phänomenen in der Sache natürlich Welten. Was aber vielleicht vergleichbar erscheint, ist das Gefühl, anonymen, großen Mächten hilflos ausgeliefert zu sein und mehr Selbstbestimmung erstreiten zu wollen. Aber brauchen die Protestierer den Bauernkrieg, um ihre Anliegen zu legitimieren? Das glaube ich eher nicht.
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