Astronomie: "Den Menschen erklären, wie die Raumfahrt ihren Alltag verbessert"
Pascale Ehrenfreund, 55, leitet seit August das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Astrophysikerin und Molekularbiologin war zuvor Präsidentin des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Professorin für internationale Raumfahrtpolitik an der George Washington University. Im "Spektrum.de"-Interview erklärt sie, wieso sie noch mal studiert und schließlich von der Forschung in die Wissenschaftsbürokratie gewechselt hat und wo die größten Herausforderungen ihres neuen Jobs liegen.
Sie waren eine erfolgreiche, viel zitierte Astrobiologin. Jetzt leiten Sie seit fast sechs Monaten das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), eine der größten Forschungseinrichtungen Europas. Was treibt eine renommierte Forscherin in die Wissenschaftsbürokratie?
Ich hatte schon früh in meiner Karriere mit Raumfahrtmissionen zu tun und dabei oft das Gefühl, dass Wissenschaftler nicht richtig gehört werden und dass politische Entscheidungen auf Basis lückenhafter Informationen fallen.
Sie wollten sich das nicht länger gefallen lassen?
Ich wollte mitreden, beraten und gestalten. Also habe ich noch einmal studiert, Management und Leadership, mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. In Amerika habe ich dann Raumfahrtpolitik gelehrt – und dort zudem sehr viel gelernt.
Was machen die Amerikaner anders? Was machen sie besser?
In den USA ist man stets im Austausch mit Politikern, dieser Dialog ist extrem dynamisch. Genau das müssen wir in Deutschland noch verbessern. Politiker sind äußerst beschäftigt und haben mit sehr vielen Dingen zu tun. Man darf ihnen nicht einfach nur sagen: Wir brauchen mehr Geld. Man muss ihnen vielmehr kontinuierlich vermitteln, was wir Tolles leisten, was der Nutzen unserer Arbeit ist.
Fühlen Sie sich als Wissenschaftslobbyistin?
Lobbyist klingt immer so negativ. Es geht vor allem darum, Themen in die Köpfe der Politiker zu bringen – am besten so lange, bis sie glauben, es waren ihre eigenen Ideen (lacht).
In den kommenden Monaten dürften Sie viel Gelegenheit dazu haben. Deutschland war jahrelang Europas größter Unterstützer der Internationalen Raumstation ISS. Jetzt, wo die Entscheidung ansteht, ob die Station über das Jahr 2020 hinaus finanziert werden soll, will das Bundeswirtschaftsministerium plötzlich eine Kosten-Nutzen-Analyse. Ein Richtungswechsel?
Nein. Ich sehe auch das nicht negativ, sondern pragmatisch. Schließlich zeigt unsere Analyse, dass die Forschung auf der ISS wichtig ist und neue Impulse setzt. Aber man muss der Politik auch das Recht einräumen, sich eine derartige Studie vorlegen zu lassen, bevor eine Entscheidung getroffen und viel Geld ausgegeben wird. Das bedeutet nicht, dass man sich aus der ISS zurückzieht.
Auch der zweite Teil der europäisch-russischen "ExoMars"-Mission, die 2018 einen Rover auf dem Mars absetzen soll, gilt als Sorgenkind.
Sagen wir so: Im Dezember, bei der nächsten Ministerratskonferenz der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA, wird es sicherlich Diskussionen über dieses Thema geben.
Wo liegen die Schwierigkeiten?
Werden alle Instrumente rechtzeitig fertig? Wie sieht die finanzielle Lage aus? Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit mit Russland, das sich in der Raumfahrt gerade neu ausrichtet?
Der verdammte Zwang zu Kooperationen?
Nein, überhaupt nicht. Internationale Zusammenarbeit ist wichtig, und wir sind gut vernetzt. Denn nur so lassen sich große Missionen realisieren. Aber gerade bei Marslandungen sind die Europäer sehr abhängig von Partnern. Vielleicht sollten wir uns in Europa einmal überlegen, ob wir nicht selbst die nötigen Landetechnologien entwickeln könnten. Über die Grundlagen verfügen wir durchaus.
Sie waren mit eigenen Experimenten auf der ISS vertreten, Sie haben Instrumente für "ExoMars" 2018 entwickelt. Ist das von Vorteil, oder schmerzt es umso mehr, wenn die Projekte nun wackeln?
Bei den anstehenden Diskussionen hilft es natürlich, dass man sämtliche Details kennt und dass einem niemand etwas vormachen kann. Aber die Entscheidungen, die wir in Deutschland zu "ExoMars" und zur ISS fällen müssen, dürfen selbstverständlich nicht von meinen wissenschaftlichen Vorlieben abhängen. Sie müssen sich an den Interessen der ESA-Mitgliedsstaaten orientieren.
Sie sollen beim DLR "neue Impulse" setzen, so der Auftrag aus dem Wirtschaftsministerium anlässlich Ihres Amtsantritts. Wo liegt die größte Baustelle?
Was das DLR wirklich auszeichnet, ist die enorme Breite unserer Arbeit – nicht nur über die einzelnen Fachbereiche und Institute hinweg, sondern auch von der Grundlagenforschung bis hin zur Produktentwicklung. Andere Organisationen sind oft auf Basis- oder angewandte Forschung spezialisiert. Wir decken alles ab, mit einer zum Teil einzigartigen Infrastruktur. Gerade an diesen Schnittstellen liegen aber oft Innovations- und Synergiepotenziale. Diese müssen wir noch stärker nutzen als in der Vergangenheit.
Das klingt abstrakt. Wie kann so etwas in der Praxis aussehen?
Beim elektrischen Fliegen können wir die Energie- mit der Luftfahrtforschung verbinden, bei der Entwicklung von Rotorblättern für Windräder können Erfahrungen aus der Fliegerei einfließen. Wir identifizieren gerade mit einer neuen Arbeitsgruppe weitere Bereiche, in denen wir interdisziplinärer arbeiten können. Und wir schauen, was an finanziellen Mitteln dafür nötig ist.
In den USA mischen derweil private Raketenbauer wie SpaceX mit Gründergeist, Wagniskapital und flachen Hierarchien den Raumfahrtmarkt auf. Müsste das nicht ein Vorbild für Deutschland, für Europa sein?
Ich glaube, dass viele Europäer gerade neidvoll nach Amerika blicken. Allerdings sind in die neuen Firmen auch viele staatliche Mittel geflossen; so ganz von allein geht das nicht. Zudem gibt es in den USA eine vollkommen andere Ideologie der Risikobereitschaft, die wir nicht einfach übersetzen oder gar kopieren können. Wir müssen vielmehr unser eigenes System finden.
Wie könnte das aussehen?
Es gibt keine Patentlösung. Wir machen uns aber auf jeden Fall Gedanken, was wir in Europa leisten können. So wie in anderen europäischen Ländern hat auch unser Bundeswirtschaftsministerium eine Studie zur Kommerzialisierung in der Raumfahrt in Auftrag gegeben. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass wir künftig risikoreichere Forschung besser finanzieren und Firmen unterstützen.
Ihre beiden Vorgänger an der DLR-Spitze waren Ingenieure, lang gediente Hochschuldirektoren, Männer. Sie sind Astrobiologin, kommen aus dem Ausland, sind eine Frau …
Also wirklich. Ich arbeite seit 25 Jahren in der Raumfahrt, mir kann kaum jemand etwas erzählen, was ich nicht in kurzer Zeit nachprüfen kann. Dafür habe ich meine Kontakte auf der ganzen Welt. Ich bin in Labors aufgewachsen und habe eine Organisation zur Forschungsförderung geleitet.
Das klingt fast wie eine Verteidigungsrede. Müssen Sie sich für Ihre Wahl oft rechtfertigen?
Niemals, nein! Das ist noch nie vorgekommen. Mich zu wählen, so denke ich, war eine durchdachte Entscheidung. Die Kombination aus exzellenter Forschung, Kenntnis der Raumfahrtpolitik und Wissenschaftsförderung, die ich vorweisen kann, findet man nicht so oft.
Aber haben Frauen in der deutschen Raumfahrt nicht noch immer eine Sonderstellung?
Sicherlich: Die Luft- und Raumfahrt ist männerdominiert. Selbst im DLR haben wir lediglich eine Institutsdirektorin und eine Standortleiterin. Für mich gab es aber nie etwas anderes, deswegen ist das für mich schon fast natürlich. Ich gehe in einen Raum und sage: Meine Herren …
Das klingt nicht so, als würde Frauenförderung ganz oben auf Ihrer Agenda stehen.
Stimmt nicht. Das Thema ist direkt bei mir und meinem Stellvertreter angesiedelt. Die Probleme können wir als DLR aber nicht allein lösen, da muss früher angesetzt werden: in der Schule und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ganze System muss besser funktionieren.
In einem Essay für die Fachzeitschrift "Astrobiology" (PDF) haben Sie einmal geschrieben, Sie verspürten einen starken Drang, sich der medialen Aufmerksamkeit zu entziehen. Sind Sie medienscheu?
Nein, den Satz habe ich geschrieben, als ich in der Politikberatung gearbeitet habe. Da bleibt man besser unsichtbar. Arbeitet man hingegen an der Spitze einer Organisation wie dem DLR, muss man auch bereit sein, im Vordergrund zu stehen. Das ist kein Problem für mich. Aber es stimmt, dass ich stets versuche, Dinge im Hintergrund strategisch gut aufzubauen.
Ihre Astronauten sind Stars in den sozialen Medien, Ihr Vorgänger hat gebloggt, jetzt twittert er auch noch. Sind das Vorbilder für Sie?
In den vergangenen Monaten fehlte mir für so etwas schlichtweg die Zeit. Aber bloggen will ich in Zukunft auf jeden Fall, twittern wohl nicht. Einen direkten Kontakt zu mir halte ich ohnehin für gar nicht so wichtig, weil ich nur eine Person unter vielen bin. Wir haben 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im DLR, die mit der Bevölkerung kommunizieren und den Kontakt suchen sollten. An dem Punkt müssen wir noch viel mehr ansetzen und den Menschen erklären, warum wir Wissenschaft betreiben, was für sie wichtig ist und wie die Raumfahrt, aber auch die anderen Forschungsbereiche des DLR ihren Alltag verbessern können.
Sie wollen den praktischen Nutzen der Raumfahrt wieder mehr in den Vordergrund stellen?
Die Erkundung ferner Welten ist sicherlich wichtig – allein schon, weil sie die Menschen fasziniert und die internationale Zusammenarbeit festigt. Wir befinden uns derzeit allerdings in einer Situation, in der terrestrische Probleme wie Migration und Klimawandel in den Vordergrund rücken. Als DLR können wir dabei viele Dinge beisteuern, um die Situation zu studieren, zu überwachen, zu verbessern – egal ob mit Erdbeobachtung, Kommunikation oder Navigation. Ich glaube, vielen Menschen ist das gar nicht bewusst, und ich weiß nicht einmal, ob es allen Politikern bewusst ist. Da müssen wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten.
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