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Ökologie: Invasion der Ameisen

Begünstigt durch den menschengemachten Klimawandel dringen invasive Ameisen in Europa vor. Sie schädigen die Umwelt und die Infrastruktur und werden mitunter sogar zur Gesundheitsgefahr. Ihre Bekämpfung gelingt mehr schlecht als recht.
Eine Gruppe von Ameisen umgibt eine geflügelte Ameise auf einer unebenen, steinigen Oberfläche. Die Ameisen sind in verschiedenen Positionen und scheinen miteinander zu interagieren. Einige tragen kleine, weiße Objekte, möglicherweise Eier. Die Szene ist in natürlichem Licht aufgenommen, was die Details der Ameisen und der Oberfläche hervorhebt.
Tapinoma magnum, die Große Drüsenameise, breitet sich in Europa immer weiter aus. Die klimatische Erwärmung ermöglicht ihr den Marsch nach Norden. Invasive Ameisenspezies wie sie verursachen enorme Schäden.

Sie unterhöhlen Gehwegplatten, fressen Strom- und Internetleitungen an, dringen in Häuser ein und machen Kinderspielplätze unbenutzbar: Ameisen der Spezies Tapinoma magnum, die aus Nordafrika und dem westlichen Mittelmeerraum stammen, sind für viele Einwohner Kehls zu einem erheblichen Alltagsproblem geworden. Die Stadt am Oberrhein zwischen Karlsruhe und Freiburg sieht sich mit einer regelrechten Invasion der Sechsbeiner konfrontiert. Im Juli 2023 haben Biologen die Spezies erstmals auf dem Stadtgebiet identifiziert. Inzwischen gibt es über ganz Kehl verteilt drei Superkolonien, die jeweils aus zahlreichen Königinnen und Millionen von Tieren bestehen.

Tapinoma magnum, die Große Drüsenameise, ist schwarz, einige Millimeter lang und ähnelt den heimischen Schwarzen Wegameisen. Doch bei diesen stehen sich einzelne Kolonien feindselig gegenüber – was sich in unterschiedlichen Körpergerüchen manifestiert –, bekämpfen einander und halten sich dadurch gegenseitig in Schach. Tapinoma magnum hingegen weist einen gemeinsamen Körpergeruch auf; zerquetscht riechen die Insekten für uns nach ranziger Butter. Die Kolonien der Spezies stehen untereinander im Austausch und sind verbündet. Und während Schwarze Wegameisen in begrenzten Territorien meist nur auf einer einspurigen Straße unterwegs sind, erstrecken sich die mehrspurigen Highways der Großen Drüsenameise über breite Flächen.

»Das ist nicht einfach nur eine Ameise, die man mit Hausmitteln wie Backpulver oder Essig wieder loswird«, sagt Annette Lipowsky, Sprecherin der Stadtverwaltung Kehl. »Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger können teils ihre Gärten nicht mehr nutzen, haben erhebliche Sanierungskosten und sorgen sich, dass der Wert ihrer Häuser sinkt.« Da Kehl außerdem noch zu den Hotspots für die Asiatische Tigermücke gehört, die sich seit einiger Zeit in Deutschland ausbreitet und Krankheiten übertragen kann, ist die Stadt gleich mehrfach von invasiven Arten geplagt, wie Lipowsky erläutert.

Einschleppung über Pflanzenkübel

Gartencenter, die Pflanzen aus südlichen Ländern verkaufen, stehen im Verdacht, die Ausbreitung der Großen Drüsenameise zu beschleunigen. Im Erdreich der Pflanzgefäße sind mitunter Königinnen invasiver Ameisen versteckt. Mit voranschreitender Klimaerwärmung kommen in Deutschland zunehmend mediterrane Pflanzen wie Olivenbäume in Mode, was deren Absatz ankurbelt. »Auch unsere dritte Superkolonie ist dadurch entstanden, dass jemand leider die falschen Pflanzen im Garten eingegraben hat«, schildert Lipowsky.

In Medienberichten ist mitunter von der »Kehler Ameise« die Rede, und Kehl wird als Epizentrum dargestellt, von dem aus sich die invasive Art verbreite. »Das ist Quatsch«, betont Gerhard Heller, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Ameisenschutzwarte. Der Verein hat sich dem Schutz heimischer Waldameisen verschrieben. Heller hat bereits im Jahr 2009 erstmals das Auftreten von Tapinoma magnum in Deutschland dokumentiert. Damals spürte er die Spezies nahe einem Pflanzenhandel in Ingelheim am Rhein auf und beschrieb sie wissenschaftlich. Die neuen Fundorte seither seien durch Verschleppung der Tiere hinzugekommen. »Hochzeitsflug, anschließende Dispersion und selbstständige Koloniegründungen begatteter Weibchen wurden bisher nicht beobachtet«, erläutert Heller.

In Deutschland gilt Tapinoma magnum mittlerweile in mehreren Regionen Baden-Württembergs sowie in Rheinland-Pfalz, Hessen und neuerdings Sachsen als nachgewiesen. Kehl ist einfach nur als erste Kommune mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit gegangen. In der Schweiz gibt es sogar Gemeinden, die schon seit mehr als zehn Jahren einen Abwehrkampf gegen die invasive Ameisenspezies führen. Wissenschaftler der Naturkundemuseen von Stuttgart und Karlsruhe entwickeln derzeit ein Computertool, mit dem deutschlandweit Stadtverwaltungen das Risiko eines Befalls ermitteln können.

Klimawandel begünstigt Zuzug invasiver Ameisenarten

Die Große Drüsenameise ist wiederum nur eine von vielen nichtheimischen Ameisenarten, die sich hierzulande breitmachen. Die Neuankömmlinge stammen aus dem Mittelmeerraum, Afrika, Asien, Südamerika. Sie gelangen mit Erdreich, Containerschiffen, Reisegepäck und auf vielen weiteren Wegen nach Europa. Begünstigt wird ihr Vormarsch von Süd nach Nord vor allem durch ein stetig wärmer werdendes Klima. Auch die in Mode gekommene private Ameisenhaltung kann Probleme verursachen, wenn aus der Ferne gelieferte Tiere ihren Terrarien entkommen.

Rund 120 heimische Ameisenspezies gibt es in Deutschland, die bekannteste ist die streng geschützte Rote Waldameise. Dem stehen 60 nichtheimische Arten gegenüber, die es laut einer Analyse des Bundesamts für Naturschutz (BfN) bereits mindestens einmal nach Deutschland geschafft haben – manche schon vor Jahrzehnten. Bei vielen dieser Spezies verlor sich die Spur aber später wieder, etwa weil sie den Winter nicht überstanden. Bei vier Arten – neben der Großen Drüsenameise sind das die Dickkopfameise (Pheidole palliluda), die Vergessene Wegameise (Lasius neglectus) und eine Wanderameise namens Hypoponera punctatissima – geht das BfN von einem dauerhaften Vorkommen in der hiesigen freien Natur aus. Weitere 17 Arten leben nur im direkten Umfeld von Häusern.

»In Deutschland gibt es in der freien Natur und in Städten inzwischen 28 nichtheimische Ameisenarten, die etabliert sind«Elizabeta Briski, Biologin

Ein deutsch-tschechisches Wissenschaftlerteam kommt in einer aktuellen Studie auf noch höhere Zahlen. »In Deutschland gibt es in der freien Natur und in Städten inzwischen 28 nichtheimische Ameisenarten, die etabliert sind«, sagt Elizabeta Briski, die am Forschungszentrum Geomar in Kiel die Arbeitsgruppe »Invasionsökologie« leitet und im April 2025 eine umfassende Bestandsaufnahme gebietsfremder Tier- und Pflanzenspezies publiziert hat. Die zusätzlichen Arten auf ihrer Liste umfassen beispielsweise die Pharaonenameise (Monomorium pharaonis), die Kleine Feuerameise (Wasmannia auropunctata) sowie die Argentinische Ameise (Linepithema humile). Letztere hat entlang der Mittelmeerküste eine mindestens 6000 Kilometer lange Superkolonie etabliert.

Wie gefährlich ist Tapinoma magnum?

Gemeinsam haben viele der Neuankömmlinge, dass sie vom Menschen gestörte Lebensräume besiedeln – etwa landwirtschaftliche Monokulturen, Parkanlagen oder Siedlungen – und sich in kooperationsfreudigen Superkolonien schnell und weiträumig vermehren können. Manche der neuen Arten sind relativ harmlos, andere hingegen eine Gefahr für Mensch und Natur. »Als invasiv werden Arten dann eingestuft, wenn sie erheblichen Schaden in der Umwelt anrichten, den menschlichen Alltag einschränken oder sogar zur Gesundheitsgefahr werden«, sagt der Ameisenforscher Mattia Menchetti vom Berliner Museum für Naturkunde.

Invasive Ameisenspezies können heimische Insekten verdrängen, seltene Vögel in ihren Nestern angreifen oder Weidetiere anfallen. Sie machen Schwimmbäder und Parks unbenutzbar und lösen, wie in Kehl, Stromausfälle aus, wenn sie Verteilerkästen beschädigen. Tapinoma magnum ist in einem Punkt aber vergleichsweise ungefährlich: Sie zwickt Menschen zur Verteidigung höchstens mit ihren Mandibeln. Andere invasive Arten verhalten sich teils äußerst aggressiv – und können ihren Opfern manchmal mit ihren Stacheln potente Gifte injizieren. In den USA, wo sich eingewanderte Ameisenspezies schon seit Längerem ausbreiten, kommen jedes Jahr tausende Menschen wegen Stichen in Notfallambulanzen. Der Kampf gegen die Invasoren kostet dort viele Milliarden Dollar pro Jahr.

Blüht Europa und Deutschland nun dasselbe?

Wie groß und zugleich noch unerforscht das Risiko ist, zeigt ein Fund vom August 2024. Auf die Plattform iNaturalist, die Wissenschaftler und Naturliebhaber nutzen, um ihre Beobachtungen zu teilen, lud ein Biologiestudent der Universität Hohenheim das Bild eines weltweit gefürchteten Insekts hoch. Die Asiatische Nadelameise (Brachyponera chinensis) gilt wegen ihres schmerzhaften, allergieauslösenden Stichs in den USA schon länger als »Risiko für die öffentliche Gesundheit«. Der Student hatte sie im Zoo und botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart gesichtet. Zuvor war die Spezies erst zweimal nachweislich in der EU beobachtet worden: 2020 in Neapel und 2023 am Comer See. Dass der Biologiestudent an gleich zwei Stellen mehrere Tiere fand, darunter eine tote Königin, deutet darauf hin, dass es sich um eine dort bereits etablierte Population handeln könnte.

Gefürchtete Nadelameisen in Deutschland gesichtet

Wellen hat dieser Fund bisher erstaunlicherweise nicht geschlagen. Die zuständigen Institutionen winken ab. Das Management der Wilhelma erklärte auf Nachfrage: »Uns ist ein Vorkommen der Art bei uns bislang nicht bekannt – ausschließen können wir es natürlich nicht.« Das baden-württembergische Umweltministerium teilte mit, nachdem es den Eintrag bei iNaturalist zur Verfügung gestellt bekommen hatte: »Unserer Fachabteilung liegen zu dem Fund keine Informationen vor.« Das Ministerium verwies auf einen Ameisenexperten des Naturkundemuseums in Karlsruhe.

Asiatische Nadelameisen | Wegen ihres schmerzhaften, allergieauslösenden Stichs ist die Asiatische Nadelameise (Brachyponera chinensis) weltweit gefürchtet. Das Bild zeigt einige Exemplare dieser Spezies nebst zahlreichen Puppen. Auch in Deutschland wurden die Tiere schon gesichtet.

Der Experte wiederum antwortete auf Anfrage von Spektrum, der Hohenheimer Student habe ihn schon im zurückliegenden Jahr über den Fund der Spezies Brachyponera chinensis informiert, er habe sich aber nicht weiter darum kümmern können. »Wie groß ihr invasives Potenzial ist, lässt sich noch schwer abschätzen, sie würde in Mitteleuropa aber ein ganz neues Ameisenelement darstellen, nämlich eine ziemlich große Stachelameise, die einen schmerzhaften Stich austeilen kann«, schrieb der Experte. Man müsse »die weitere Entwicklung abwarten, ob sich die Art bei uns etablieren kann«.

Die EU-Kommission hat die Asiatische Nadelameise in die höchste Gefahrenklasse invasiver Arten aufgenommen

Doch spätestens seit dem 18. Juli 2025 ist Abwarten schon aus rechtlichen Gründen keine Option mehr. An diesem Tag hat die EU-Kommission in Brüssel Brachyponera chinensisin die höchste Gefahrenklasse invasiver Arten aufgenommen: Auf die sogenannte »Unionsliste« kommen nur die bedrohlichsten unter den geschätzt 12 000 gebietsfremden Arten in Europa. Das sind jene, die das Potenzial haben, sich in mehr als zwei Mitgliedsstaaten auszubreiten und die »nach vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Biodiversität oder die damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen haben und zudem nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Wirtschaft haben können«. In dieser höchsten Gefahrenklasse befinden sich nach den jüngsten Ergänzungen nun 63 Tierarten, darunter die Asiatische Nadelameise.

Lebensgefährlich bei einem von 100 Stichen

Seit dem 7. August ist Deutschland deshalb per EU-Gesetz verpflichtet, die EU-Kommission unverzüglich über das Auftreten der Spezies zu informieren. Was aber noch nicht geschehen ist: Laut dem Bundesamt für Naturschutz gab es bisher keine Meldung von Ameisenarten, die auf der Unionsliste stehen, nach Brüssel. Innerhalb von drei Monaten sind Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die auf eine »vollständige und dauerhafte Beseitigung der Population der betreffenden invasiven gebietsfremden Arten« zielen. Da es sich bisher um einen Einzelfund handelt, bestünde eventuell sogar die Chance, die Art wieder auszurotten. Aber nur, wenn die Wilhelma und das Ministerium umgehend reagieren.

Dass die Asiatische Nadelameise das Potenzial hat, sich in Deutschland auszubreiten, geht aus einer Risikoanalyse im Auftrag der Europäischen Kommission sowie einer Modellierung französischer Wissenschaftler hervor. Zwar haben in den asiatischen Ursprungsregionen der Spezies die Menschen gelernt, mit dem Risiko zu leben. Banal ist das aber nicht: Einer Regionalstudie mit 327 Teilnehmern aus Südkorea zufolge kann jeder 100. Stich zu einem lebensbedrohlichen allergischen Schock führen. Laut einer Studie aus den USA, wo diese Ameisen seit 70 Jahren vorkommen und inzwischen in mindestens 17 Bundesstaaten verbreitet sind, leidet jede zwölfte gestochene Person unter größeren, schmerzhaften Schwellungen mit Symptomen, die zwischen 3 und 14 Tage lang andauern.

Wie schleppend Behörden manchmal agieren, selbst wenn es zu größeren Komplikationen mit Ameisen kommt, hat Mattia Menchetti in seinem Heimatland Italien erlebt. Ende 2022 haben er und seine Kollegen auf Fotos, die ihnen aus Sizilien zugespielt worden waren, die bekannteste und weltweit gefürchtetste invasive Ameise erkannt: die Rote Feuerameise (Solenopsis invicta), die ursprünglich in Südamerika heimisch war. Ihren Namen haben die Insekten daher, dass sich ihre Stiche, die sie jeweils bis zu achtmal pfeilschnell in einem kreisförmigen Muster setzen, wie eine Verbrennung anfühlen können. 40 Prozent der US-Amerikaner, die wegen eines Insektenstichs die Notaufnahme aufsuchten, hatten es mit dieser Art zu tun bekommen.

Steht der Einmarsch der Roten Feuerameisen bevor?

Menchetti und sein Team wiesen in einer Studie nach, dass es sich bei der Population auf Sizilien nicht um eine einzelne Kolonie handelte, sondern die Rote Feuerameise sich dort bereits seit vielen Jahren an zahlreichen Orten entlang eines 20 Kilometer langen Küstenstreifens eingenistet haben muss. Es war der erste Nachweis etablierter Kolonien dieser Spezies auf dem Gebiet der EU. Das machte damals weltweit Schlagzeilen, unter anderem weil die Fachleute eine Analyse mitlieferten, wonach schon heute weite Teile Europas als Lebensraum der Roten Feuerameise geeignet sind und sich das potenzielle Verbreitungsgebiet der Tiere mit fortschreitender Klimaerwärmung deutlich vergrößert, auch in Deutschland.

Rote Feuerameise | Die bekannteste und gefürchtetste invasive Ameisenspezies ist Solenopsis invicta, die Rote Feuerameise. Ihre Stiche fühlen sich an wie eine Verbrennung; zahlreiche Menschen kommen damit in die ärztliche Notaufnahme. Die Tiere haben bereits den Sprung nach Sizilien geschafft und breiten sich dort langsam aus; Gegenmaßnahmen liefen nur sehr zögerlich an.

Doch von politischer Seite gab es nahezu keine Reaktion darauf. Behörden in Rom und Sizilien stritten erst über Zuständigkeiten, dann über die Frage, ob Pestizide zum Einsatz kommen dürfen. Dass es für ganz Europa katastrophale Folgen haben könnte, wenn Rote Feuerameisen sich von Sizilien aus gen Norden verbreiten, geriet dabei aus dem Blick.

»Die italienischen Behörden haben wertvolle Zeit verloren, diese gefährliche Art einzudämmen«Mattia Menchetti, Ameisenforscher

Menchetti findet das unentschuldbar: »Die italienischen Behörden haben wertvolle Zeit verloren, diese gefährliche Art einzudämmen«, sagt er. Je weiter sich die Art ausbreite, desto schwieriger werde es, sie wieder auszurotten, wie es im EU-Gesetz über invasive Arten vorgeschrieben sei. Dann bleibe nur noch die wesentlich teurere dauerhafte Eindämmung. Der Forscher sieht bereits Anzeichen dafür, dass die Rote Feuerameise ihren Lebensraum ausdehnt: »Bisher waren die Vorkommen auf die Küste beschränkt, doch inzwischen ist auch eine Baumschule zirka fünf Kilometer landeinwärts betroffen.« Möglicherweise hat sich die Spezies bereits von dort aus mit Setzlingen weiterverbreitet.

Mattia Menchetti ist bei Untersuchungen vor Ort bereits von den Ameisen gestochen worden und hat am eigenen Leib erfahren, was weiten Teilen Europas droht: »Ich bin nicht zimperlich, aber der Stich hat richtig wehgetan, fast wie von einer Wespe«, sagt er. »Anschließend entstanden Pusteln, deren Narben noch Wochen später zu sehen waren.«

Zu wenig Maßnahmen gegen Ausbreitung

Angesichts der Tatenlosigkeit der italienischen Behörden ist EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall im Juni 2025 die Geduld ausgegangen. Sie griff zum schärfsten Schwert, das Brüssel hat, wenn Mitgliedsländer geltendes EU-Recht nicht umsetzen oder befolgen: Sie eröffnete ein formales Vertragsverletzungsverfahren. Dies kann zu empfindlichen Strafen oder einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen. »Es hat den Anschein, dass nach der Entdeckung der Feuerameise (auf Sizilien, Anm. d. Red.) lange Zeit keine Ausrottungsmaßnahmen ergriffen wurden und dass Italien nicht alle notwendigen Schritte unternommen hat, um eine unbeabsichtigte Ausbreitung der Feuerameise zu verhindern«, heißt es darin.

Die italienische Regierung beeilt sich nun, Tatkraft zu demonstrieren. »Die sizilianischen Behörden haben mit einer chemischen Behandlung über sechs Monate hinweg begonnen«, teilte der zuständige Abteilungsleiter im italienischen Umweltamt in Rom, Piero Genovesi, auf Nachfrage mit. Bei dem Verfahren wird ein giftiges Gel namens Advion ausgebracht, das speziell gegen Ameisen wirkt und das die Tiere in ihren Bau einschleppen. Darüber hinaus kommen Maschinen zum Einsatz, die es ermöglichen, heißen Dampf in die Nester zu pressen.

Eine solche Maschine hat inzwischen auch die Stadt Kehl angeschafft, um damit gegen die Große Drüsenameise vorzugehen. Zwei Mitarbeiter sind dafür abgestellt, systematisch Nester ausfindig zu machen und mit Dampf zu behandeln. »Allein das Gerät hat 50 000 Euro gekostet, die Personalausgaben kommen noch hinzu«, sagt Sprecherin Lipowsky. In Kehl hofft man auf Mitwirkung der Bevölkerung: Bürgerinnen und Bürger sollen Nester melden. Die Naturkundemuseen von Karlsruhe und Stuttgart haben hierfür Bestimmungshilfen erarbeitet.

Rufe nach einem systematischeren Vorgehen

Kehl als Hotspot invasiver Arten hat an das restliche Deutschland eine klare Botschaft: »Bund, Länder und Wissenschaft müssen sich viel mehr als bisher um invasive Ameisen kümmern, eine Strategie aufstellen und dann gemeinsam umsetzen«, wie Lipowsky betont. Auch Wissenschaftler fordern ein konzertiertes Vorgehen. »Es braucht vor allem ein systematisches und flächendeckendes Monitoring durch den Staat, denn es kann nicht sein, dass gefährliche invasive Arten weiterhin nur per Zufall und quasi ehrenamtlich aufgespürt werden«, sagt Ameisenforscher Menchetti. Wolfgang Rabitsch, Experte für invasive Arten am österreichischen Umweltbundesamt, hat kürzlich gemeinsam mit einem französischen Kollegen eine umfassende Strategie hierfür als Sieben-Punkte-Plan skizziert.

Zu den Forderungen gehört, die Einfuhr nichtheimischer Ameisen für den Zoohandel grundsätzlich zu verbieten und ein schlagkräftiges Netzwerk von Taxonomie-Fachleuten aufzubauen, damit sich invasive Spezies schnell identifizieren lassen. Eine weitere Forderung, nämlich einen EU-Fonds für Sofortmaßnahmen gegen gefährliche zugewanderte Arten einzurichten, ist nun in Erfüllung gegangen. Seit Mai können Mitgliedsländer im Notfall finanzielle Mittel aus einem 2,1 Millionen Euro schweren Topf beantragen, was Rabitsch sehr begrüßt.

In Kehl ist die Hoffnung, die Invasoren wieder loszuwerden, nicht sehr groß: »Wir konnten inzwischen mehrere Straßenzüge zurückgewinnen, aber eine Ausrottung ist unwahrscheinlich«, schätzt Lipowsky die Lage ein. Während die Menschen von den Ameisen geplagt sind, gibt Zoologe Heller zumindest in einem Punkt vorsichtige Entwarnung: »Es existieren noch keine Hinweise darauf, dass Tapinoma magnum einheimische Insekten verdrängen würde.«

Ergänzung der Redaktion vom 1.10.2025: Offenbar ausgelöst durch diesen Artikel, haben die Behörden mittlerweile auf die Sichtung der Asiatischen Nadelameise in Stuttgart reagiert. Das baden-württembergische Umweltministerium teilte auf Nachfrage mit, der Fund sei inzwischen durch Experten bestätigt und an das für Gegenmaßnahmen zuständige Regierungspräsidium Stuttgart gemeldet worden. Dieses erklärte wiederum, man habe am 27. August einen Vor-Ort-Termin mit Ameisenexperten in der Wilhelma und angrenzenden Flächen des Rosensteinparks in Stuttgart durchgeführt. Ein Ameisenexperte sei beauftragt worden, »im Bereich der bekannten Vorkommen zu kartieren, um mögliche weitere Vorkommen zu erfassen und im Anschluss gezielte Gegenmaßnahmen zu entwickeln«. Ziel sei es, »alle Vorkommen nachhaltig zu beseitigen«. Aufgrund der Witterung und der Jahreszeit seien Vorkommen inzwischen aber in Winterruhe und nicht mehr auffindbar. Daher werde die Erfassung zum Aktivitätsbeginn 2026 wieder aufgenommen. Darauf aufbauend sollen dann Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Gegen invasive Ameisen können verschiedenste Verfahren zum Einsatz kommen, zum Beispiel Wasserdampf oder Pestizide.

Das dem Bundesumweltministerium unterstellte Bundesamt für Naturschutz teilte auf Anfrage mit, der Fund der Nadelameise sei nach der Bestätigung vor Ort durch das Land Baden-Württemberg bereits in ein neues Portal des Bundes zur Meldung invasiver Arten eingetragen worden: »Damit ist der erste Schritt der Notifizierung erfolgt.« Nach nochmaliger Prüfung durch das BfN sowie Billigung durch das Bundesumweltministerium werde die Notifizierung bei der EU-Kommission eingereicht.

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  • Quellen

Bertelsmeier, C. et al., PLOS ONE 10.1371/journal.pone.0075438, 2013

Blight, O., Rabitsch, W., Biological Conservation 10.1016/j.biocon.2024.110818, 2024

Giraud, T. et al., PNAS 10.1073/pnas.092694199, 2002

Haubrock, P. et al., Environmental Sciences Europe 10.1186/s12302–025–01094-w, 2025

Rabitsch, R., Nehring, S., BfN-Schriften 10.19217/skr671, 2023

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