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Invasive Flusspferde: Kolumbiens kolossales Problem

Kolumbiens verwilderte »Kokain-Hippos« haben einen dicken Sympathiebonus, aber keine Zukunft: Sie müssen dringend weg zum Schutz der einheimischen Fauna. Jetzt gibt es einen Plan.
Kolumbianisches Flusspferd im Wasser
In Kolumbien leben inzwischen an die 200 wilden Flusspferde, vor allem im Río Magdalena, der Lebensader des Landes. Ohne Gegenmaßnahmen könnte ihre Zahl schon bald in die Höhe schnellen.

Das Verhalten von Nilpferden ist unberechenbar. Sie dösen den lieben langen Tag im Wasser des kolumbianischen Río Magdalena, um sich dann wie aus dem Nichts auf die Geschwindigkeit eines 100-Meter-Sprinters zu katapultieren. Sie wirken wie einfältige Fressmaschinen, 2500-mal so schwer wie ihr eigenes Gehirn, um dann ihre Häscher von der regionalen Umweltbehörde Cornare ein ums andere Mal auszutricksen: Die Fallen der Biologen, die die Tiere zwecks Sterilisation einfangen wollten, blieben leer.

»Sicher haben sie sich untereinander abgesprochen«, spaßt David Echeverri, einer der Düpierten. Im Hauptquartier von Cornare in El Santuario, rund 60 Kilometer von der kolumbianischen Millionenstadt Medellín entfernt, erzählt er von den Anstrengungen seines Teams, die Flusspferdpopulation in Kolumbien unter Kontrolle zu bringen.

Dass er sich überhaupt mit den Kolossen herumärgern muss, so weit entfernt von der afrikanischen Heimat der Tiere, hat er Kolumbiens bekanntestem Drogenbaron zu verdanken: Pablo Escobar, der als Chef des Medellín-Kartells ein Milliardenvermögen anhäufte. Auf seinem Luxusanwesen hatte Escobar einen Privatzoo eingerichtet, mit Kängurus, Giraffen, Elefanten und anderen exotischen Tieren.

Die ersten vier Nilpferde – drei Weibchen und ein Männchen – schaffte er in den 1980er Jahren auf seinen Landsitz »Hacienda Nápoles«. Auf dem etwa 3000 Hektar großen Anwesen gab es auch eine Landebahn, Schwimmbäder und eine Stierkampfarena mit 1000 Plätzen. Heute versucht hier ein Themenpark den Balanceakt zwischen Amüsement und Erinnerung. Ein Museum und eine Gedenkstätte mahnen an die dunkle Geschichte der Hacienda. Der Umgang mit dem Erbe des Kokainhändlers ist mindestens zwiespältig in Kolumbien: Die einen sehen in ihm das personifizierte Böse, den »Patrón del Mal«, der tausende Menschen auf dem Gewissen hat; die anderen verehren ihn als Robin Hood und Wohltäter, der Fußballplätze anlegen, Schulen bauen, ein ganzes Stadtviertel errichten ließ.

In Kolumbiens Natur gedeihen die Nilpferde

1993 starb Escobar auf einem Dach in Medellín. Etwas mehr als 30 Jahre ist das nun her. Damit war auch sein Privatzoo Geschichte. Im Chaos, das auf der sich selbst überlassenen Hacienda einsetzte, entkamen die Flusspferde in die freie Wildbahn, wo sie prächtig gediehen – vielleicht etwas zu prächtig, denn in Kolumbiens Tierwelt haben sie keine natürlichen Feinde; das Klima behagt ihnen; sie finden in den Flüssen und Feuchtgebieten der Region genau die aquatischen Ökosysteme vor, die sie brauchen; und die in diesem Gebiet üblichen Flächen für die extensive Viehhaltung bieten ihnen große Mengen Gras als Nahrungsressourcen.

Gruppentreffen | Versammlungen dieser Stärke findet man derzeit am ehesten noch im Umfeld der Hacienda, dort lebt eine größere Gruppe halbwild in der Nähe ihres einstigen Domizils.

169 Flusspferde wurden nach einer umfassenden Bestandsaufnahme des Alexander-von-Humboldt-Forschungsinstituts und der Nationaluniversität von Kolumbien inzwischen gezählt; Schätzungen zufolge könnten es sogar mehr als 180 sein. Und falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden sollten, könnte die Population laut der Studie bis 2035 auf 1000 Tiere anwachsen. Eine ökologische Katastrophe.

Einigermaßen zahm ist nur eines von ihnen, das Nilpferdweibchen Vanessa, der Star des Parque Temático Hacienda Nápoles. Wie die Betreiber berichten, wurde sie als Baby verstoßen und getrennt von der Herde aufgezogen. Nun hat sie im Park ihr eigenes Gehege.

Ihre wilden oder halbwilden Artgenossen tummeln sich heute rund um den Ort Puerto Triunfo im Nordwesten des südamerikanischen Landes und im Río Magdalena sowie an dessen Zuläufen. Der Fluss durchquert Kolumbien von Süden nach Norden und hat in etwa das Einzugsgebiet und die historische Bedeutung des Rheins in Europa. Noch haben die meisten Flusspferde das nähere Umfeld der Hacienda nicht verlassen. Dabei muss es aber nicht bleiben. Wie die kolumbianische Zeitung »El Tiempo« berichtet, könnten sich die Tiere tausende Quadratkilometer in Richtung Norden ausbreiten. Je länger die Behörden mit der Eindämmung warten, desto gewaltiger die Aufgabe und die damit verbundenen Kosten, warnte jüngst eine Studie.

Komplexe Geburtenkontrolle

In seinem Büro in El Santuario hat David Echeverri im Regal Nilpferdfiguren aufgestellt, mit aufgerissenen Mäulern, fein säuberlich nebeneinander. Er hat sie alle geschenkt bekommen. Von Leuten, die sich den kleinen Scherz nicht verkneifen konnten. »Wissen Sie, es gibt jede Menge interessantere und schönere Dinge in Kolumbien«, sagt er. Seine Einrichtung betreibt Artenschutzprogramme, unterhält eine Klinik für verletzte Tiere, kämpft gegen den Schmuggel von Wildtieren. »Aber was interessiert, sind die Nilpferde, also spreche ich über die Nilpferde«, sagt Echeverri, der dies seit Langem tut, mit viel Geduld und einem gewissen Humor.

Von allen Maßnahmen gilt die Sterilisation als die vielversprechendste. So kündigte Umweltministerin Susana Muhamad im November 2023 an, dass das Land noch vor Ende des Jahres damit beginnen würde, 20 Nilpferde chirurgisch zu sterilisieren. Umgerechnet rund 9000 Euro kostet ein solches Verfahren pro Tier. Dazu müssen Echeverri und sein Team die Weibchen allerdings erst zu fassen bekommen. »Das ist der schwierigste Teil«, sagt der Biologe. »Wenn er nicht funktioniert, kommen wir nicht voran.« Dabei ist die Sterilisation eines Flusspferds ohnehin nicht mit der einer Hauskatze zu vergleichen; an jeder Operation sind acht Personen beteiligt, darunter vier Tierärzte.

David Echeverri in seinem Büro | Für den Biologen der lokalen Umweltbehörde Cornare sind die invasiven Flusspferde ein Dauerproblem. Nun soll die Population durch Sterilisierung der Weibchen eingedämmt werden.

Einige Sterilisationen seien bereits im Oktober, also noch vor der Ankündigung der Umweltministerin vonstattengegangen, erzählt Echeverri. Danach scheiterte die Gruppe an der Raffinesse der Dickhäuter. Dass sie sich gegenseitig warnten, glaubt der Biologe natürlich nicht im Ernst. Vielleicht hätten sie Angst vor dem Gehege bekommen, jedenfalls ließen sie sich nicht mehr mit Nahrung locken. Jede Woche versuche man, den Prozess wieder aufzunehmen. »Das ist sehr ambitioniert, komplex, gefährlich und teuer.« In dieser Zeit des Jahres ist es sogar noch etwas komplexer als sonst, auch weil viele Touristen zum Hippo-Watching in die Gegend kommen.

Bis Ende 2023 haben Echeverri und sein Team noch weitere Versuche unternommen, Flusspferde zu fassen und zu operieren – und das Jahr dann abgeschlossen. 40 Nilpferde will die Regierung künftig pro Jahr sterilisieren lassen. Auch Umsiedeln und sogar Einschläfern kommen dem Umweltministerium zufolge als Maßnahmen in Frage. Eingefangen werden müssen die Tiere allerdings auch dafür.

Am Ende dominieren immer die Hippos

Die Flusspferde gelten inzwischen offiziell als invasive Art. Wo sie leben, bedrohen sie nicht nur Menschen, sondern auch die einheimische Tierwelt und ganze Ökosysteme. Ihr Kot überdüngt kleinere Gewässer, was bereits zu Fischsterben geführt hat; mit ihren tonnenschweren Körpern zerstören sie die Uferbänke und trampeln ausgedehnte Pfade in die Vegetation. Welche Spezies dadurch gefährdet sind, analysiert Cornare mit Hilfe biologischer Modelle. Die Rundschwanzseekuh ist demnach eine der am meisten bedrohten Arten, aber auch Nutrias und Capybaras sind betroffen. »Um mit einem Nilpferd zu konkurrieren, müsste das Tier schon ein Dinosaurier sein«, sagt Echeverri. »Die Flusspferde passen sich an alles an, fressen alles, nehmen das Territorium ein.«

Wo immer sich zwei Lebensräume überlappten, sind es am Ende die Nilpferde, die bleiben. Der Verlierer muss das Feld räumen. Und nicht nur in diesem Punkt, befand der Filmemacher Antonio von Hildebrand (»Pablo’s Hippos«), seien sie den Narcos – oder zumindest Pablo Escobar – ähnlich: »Sie sind pummelig, haarlos, extrem aggressiv, nicht besonders intelligent, aber sehr stark, und alles, was sie tun, ist für Territorium und Weibchen.«

Auch Nilpferddame Vanessa, die angesichts der Hitze in einer Ecke des Geheges gedöst hatte und sich erst in Bewegung setzte, als eine Mitarbeiterin des Parque Temático sie rief, schüchtert offenbar manchen ein. »Greift sie nicht Enten an?«, fragt ein Freizeitparkbesucher. »Vanessa ist keine Fleischfresserin, sie greift niemanden an«, antwortet Park-Mitarbeiterin Maria Eugenia. Die Nilpferddame bekomme Gras, Salat, Karotten, Kraut, Melone, Papaya.

Vanessa speziell mag zahm sein und gern beim Namen gerufen werden; man kann sie füttern und streicheln, auch wenn einem bei dem riesigen Hippo-Maul angst und bange werden kann. Ihren wilden Artgenossen kommt man dagegen besser nicht zu nahe. In Afrika töten sie Schätzungen zufolge Jahr für Jahr rund 500 Menschen – Löwen sind an nicht einmal halb so vielen Todesfällen beteiligt. Mit ihrem Gewicht können sie sogar Boote zum Kentern bringen, weshalb die Fischer auf dem Magdalena-Fluss stets wachsam sind. Aber auch wenn man Ausschau hält und zu wissen glaubt, wo sich die Tiere aufhalten, besteht fast immer die Gefahr einer Attacke oder eines Zwischenfalls.

Fischer halten Ausschau | Wer mit schmalen Motorbooten den Río Magdalena befährt, tut gut daran, die Umgebung im Blick zu behalten. Flusspferde sind bekannt dafür, Boote zu attackieren, die ihr Revier durchqueren.

Bei einem Verkehrsunfall im April 2023 wurde eines der Nilpferde getötet, zwei Menschen wurden leicht verletzt. »Dieser Unfall macht klar, wie wichtig es ist, die Flusspferde nach Mexiko und Indien zu bringen«, befand Aníbal Gaviria, Gouverneur des Departments Antioquia, der die Umsiedlung ins Spiel gebracht hatte. 60 Nilpferde könnten nach Indien geschickt werden, in einen dortigen Zoo. Mexiko hat Interesse an zehn Tieren angemeldet. Doch die Verfrachtung ist sehr teuer. Derzeit warte man noch auf die Genehmigung des internationalen Artenschutzabkommens CITES. »Mal schauen, ob wir eines Tages Nilpferde an Zoos in andere Länder werden schicken können«, sagt Echeverri.

Sympathie für das Problemtier

Eingefangene Tiere zurück nach Afrika zu bringen, könnte dagegen mehr schaden als nutzen, wie die Biologin María Angela Echeverry Galvis von der Universidad Javeriana sagt: »Jedes Mal, wenn wir Tiere oder Pflanzen von einem Ort zum anderen transportieren, transportieren wir auch ihre Krankheitserreger, ihre Bakterien und ihre Viren.« Neue Krankheiten nach Afrika einzuschleppen, hätte womöglich verheerende Folgen für die einheimische Population.

Bisherige Versuche, die Vermehrung der Nilpferde in Kolumbien einzudämmen, sind aus verschiedenen Gründen mehr oder weniger erfolglos gewesen. So startete Cornare-Biologe Echeverri etwa bereits vor einem Jahrzehnt ein Kastrationsprogramm für die Männchen, auch ein Verhütungsmittel für Großtiere wurde in den vergangenen Jahren eingesetzt. »Es gibt nicht die eine Maßnahme, die garantieren würde, dass sie sich nicht mehr vermehren«, sagt Echeverri.

Happy Hippo Vanessa | Die Flusspferde sind nach wie Sympathieträger im Land, auch der Themenpark auf Escobars früherem Landgut hat sie sich zum Maskottchen gewählt.

Außer vielleicht, die Nilpferde allesamt abzuschießen. Das Umweltministerium schließt ein solches Vorgehen nicht grundsätzlich aus. Für die meisten Menschen in der Gegend und viele andere im Land kommt es aber nicht in Frage. Als im Jahr 2009 auf ministeriales Geheiß der aggressive »Pepe«, der Stammvater aller kolumbianischen Hippos, erlegt wurde und auch noch Soldaten mit dem erlegten Tier posierten, war die Empörung groß. Das »Problem-Nilpferd« stieg zu einer der berühmtesten Persönlichkeiten im Kolumbien jener Tage auf – wie seinerzeit der »Problembär« Bruno in Bayern.

Die meisten in der Region haben sich daran gewöhnt, dass sich ihre großmäuligen neuen Nachbarn in den Flüssen tummeln und, wie in dem Ort Doradal, auch mal durch die Straßen laufen. Sie haben einen Weg gefunden, mit den Tieren umzugehen, die sich auch von bellenden Hunden nicht stören lassen. Halten Sicherheitsabstand, machen Fotos. Die Hippos sind schließlich auch zu einem Anziehungspunkt für Touristen in Kolumbien geworden – und zu Maskottchen, wie Vanessa.

Die Nilpferddame, die »Königin von Nápoles«, begrüßt nun auf Escobars früherem Anwesen die Besucherinnen und Besucher; mit rosaroter Nilpferdstatue und Getränkebude in Form eines Nilpferds ist der Parque Temático Hacienda Nápoles ein Hippo-Disneyland. Noch lieben die Menschen in Kolumbien ihre »Kokain-Hippos«. Die kommenden Jahre sind entscheidend, wenn es dabei bleiben soll.

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