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Einflussnahme auf den IPCC-Bericht: »Ideologie ist für manche Regierungen neuerdings wichtiger als Fakten«

Im Weltklimarat IPCC brodelt es. Forscher beklagen, dass einige Staaten zu sehr über die Inhalte und das Erscheinungsdatum des nächsten Berichts bestimmen wollen. Klimaphysiker Reto Knutti erhebt beunruhigende Vorwürfe im Interview.
Eine stilisierte Darstellung der Erde mit Flammen, die aus der oberen Hälfte lodern, symbolisiert die globale Erwärmung. Der Hintergrund zeigt einen blauen Himmel mit einigen Wolken und ein Gebäude am unteren Rand.
Einige Regierungen wollen die Welt wohl brennen sehen. Statt den Empfehlungen des Weltklimarats IPCC zu folgen, blockieren sie vorab die Ausarbeitung einiger Kapitel des geplanten siebten Berichts.

Herr Knutti, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Weltklimarat IPCC zeigen sich besorgt darüber, wie Regierungen mit dem Gremium umgehen. Was steckt dahinter?

Knutti: Dass Regierungen versuchen, darauf Einfluss zu nehmen, womit sich der IPCC befasst, ist nicht neu. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch in Ordnung, da die Regierungen ja die Berichte in Auftrag geben, die wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erarbeiten. Als es aber jetzt beim IPCC-Treffen in China um die Inhalte des nächsten, siebten großen Reports und den Zeitplan dafür ging, sind wirklich Besorgnis erregende Dinge passiert.

Reto Knutti | Der Klimatologe ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. Er war einer der Leitautoren des vierten und fünften Sachstandsberichts des IPCC.

Was genau?

Am Anfang des Prozesses für einen neuen Sachstandsbericht gibt es ein so genanntes Scoping Meeting, bei dem die Themenblöcke und die zu behandelnden Schlagwörter abgestimmt werden. Und am Ende, wenn die wissenschaftliche Arbeit getan ist, wird bei der Vollversammlung darum gerungen, wie genau die »Zusammenfassung für politisch Verantwortliche« formuliert wird. Bestimmte Regierungen – vor allem China, Indien und Saudi-Arabien – haben diesmal allerdings vehement Schlüsselbegriffe der Klimaforschung in Frage gestellt und versucht, sie aus der Liste der zu behandelnden Themen zu streichen. Zudem gibt es von zahlreichen Regierungen hartnäckige Bemühungen, die Veröffentlichung dieses siebten Reports weit nach hinten zu schieben. Die Folge wäre, dass der Report nicht rechtzeitig zur nächsten großen Bestandsaufnahme der Vereinten Nationen beim Klimaschutz herauskommt, dem Global Stocktake, der für 2028 geplant ist.

Welche Begriffe werden von Regierungen in Frage gestellt?

Es klingt wirklich absurd, aber es geht um Schlagwörter wie »Ziele«, »fossile Brennstoffe«, »Kosten des Nichthandelns«, »Infrastruktur«, »Paris-Abkommen« oder »Subventionen«. Manche Regierungen haben auch versucht, ganze Themenblöcke herauszunehmen, etwa die heikle Frage, wer über großtechnische Eingriffe ins Klima entscheiden kann oder wie Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden sollen. Die Liste der Begriffe, die attackiert wurden, ist lang.

»Das Ganze geschah in einer Art und Weise, dass deutlich wurde: Gewisse Tatsachen sind jetzt einfach unerwünscht«

Hatten diese Länder Erfolg?

Teilweise ja. Einige Begriffe sind leider tatsächlich aus dem Arbeitsplan für den nächsten Report verschwunden. Das Ganze geschah in einer Art und Weise, dass deutlich wurde: Gewisse Tatsachen sind jetzt einfach unerwünscht.

Was sind die Beweggründe?

Ich kann hier nur meine persönliche Interpretation äußern: Es ist wenig umstritten, dass wir in einem solchen Report die physikalischen Grundlagen des Klimawandels und die naturwissenschaftlich messbaren Veränderungen dokumentieren. In diesem Bereich sind aber keine revolutionären Neuigkeiten zu erwarten. Wir wissen weitgehend, was den Klimawandel verursacht und wie er jetzt vonstattengeht. Was dagegen für die Zukunft der Menschheit entscheidend ist, behandelt die Arbeitsgruppe III: Mit welchen Technologien und politischen Maßnahmen können wir den Klimawandel wirksam begrenzen?

Geht es also darum, wissenschaftliche Empfehlungen an die Politik zu verhindern?

So sieht es aus. Und ich finde es alarmierend, wenn dem IPCC gesagt wird, dass man die Wirksamkeit der Klimapolitik nicht evaluiert haben will, denn das gehört zu seinen Aufgaben. Der IPCC würde sich ja nie ein einzelnes Land herauspicken und es kritisieren. Aber wir arbeiten zum Beispiel heraus, wie stark der Effekt auf die CO2-Emissionen ist, wenn man Subventionen für fossile Brennstoffe absenkt oder bestimmte Abgaben einführt. Es geht also um Informationen, wie effektiv bestimmte Politikinstrumente sind. Die meisten Länder unterstützen das auch, aber offenbar gibt es einzelne Regierungen, die solche unbequemen Wahrheiten lieber nicht diskutiert sehen wollen.

Wie kommt das bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an?

Aus meiner Sicht ist das inakzeptabel. Wenn die Arbeit am siebten IPCC-Bericht schon mit roten Linien im Inhaltsverzeichnis beginnt, wie wird die Diskussion dann erst bei den Resultaten aussehen?

»Es ist nicht klar, ob Regierungen Texte zu Themen streichen können, die von den verabredeten Schlagwörtern abweichen«

Kann es den Forschern nicht egal sein, welche Schlagwörter als erwünscht gelten?

So einfach ist es nicht. Natürlich heißt es, dass die Schlagwortliste nur als Hinweisgeber für die wissenschaftliche Arbeit gedacht ist. Aber man sollte sich nichts vormachen: Die Liste steckt die Grenzen ab, welche Wahrheiten von den Ländern erwünscht sind und welche nicht. Es ist nicht wirklich klar, ob Regierungen am Ende Texte zu Themen streichen können, die von den verabredeten Schlagwörtern abweichen. Aber ich finde schon die reine Möglichkeit dazu sehr problematisch. Am Ende braucht es zur Verabschiedung eines neuen IPCC-Reports einen Konsens der Regierungen.

Sie haben bei früheren IPCC-Berichten als Leitautor eine wichtige Rolle gespielt. Haben Sie da harte Interventionen von Ländern erlebt?

Es gab zu den vielen tausend Seiten stets tausende Kommentare und Fragen von Seiten der Regierungen. Aber bislang habe ich noch nie erlebt, dass es einen Versuch gab, irgendetwas aus dem gesamten Bericht zu streichen. Gerungen wurde stets um die Zusammenfassung, die im Gegensatz zum umfassenden wissenschaftlichen Bericht ein größeres Publikum erreicht. Dort wurden die Darstellung von Emissionen nach Ländergruppen oder Begriffe wie »vorindustriell« gelöscht. Und auch den von mir eingebrachten Teil dazu, welche CO2-Emissionen noch erlaubt sind, um unter einer Erwärmung von 2 Grad Celsius zu bleiben, hätten wir beinah löschen müssen.

Was würde passieren, wenn sich einzelne Länder konsequent querstellen?

Dann wird es schwierig, vor allem für uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wir ja für Forschung und nicht für harte internationale Verhandlungen ausgebildet sind. Entweder man gibt solchen Forderungen nach oder man riskiert, dass es gar keinen Report gibt oder zumindest keine allgemein verständliche und akzeptierte Zusammenfassung.

Wie ist nach dem IPCC-Treffen in China nun die Situation?

Es gibt jetzt ein Inhaltsverzeichnis für den nächsten Bericht. Da fehlen zwar wichtige Schlüsselbegriffe, aber man wird es sicher darauf ankommen lassen können, die zentralen Themen doch zu behandeln. Viel kritischer ist, dass es weiter keinen Zeitplan gibt, wann der siebte Sachstandsbericht erscheinen soll.

»Es wäre einfach nur bizarr, wenn ausgerechnet die Wissenschaft stumm bliebe«

Was wäre so schlimm daran, wenn der Bericht nicht 2028 erscheinen würde?

Wir erleben beinah tagtäglich das ungeheure Tempo, mit dem der Klimawandel voranschreitet. Die Menschheit hat nur noch eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung, das Ganze wenigstens etwas abzumildern und abzubremsen. Die globale klimapolitische Bestandsaufnahme der Vereinten Nationen im Jahr 2028 ist dafür ein sehr wichtiges Datum. Und es wäre einfach nur bizarr, wenn ausgerechnet die Wissenschaft dann stumm bliebe.

Was sind die Argumente dafür, sich länger Zeit zu nehmen?

Es wird gesagt, dass die Wissenschaft dann gründlicher und inklusiver vorgehen könne. Ich halte das für ein vorgeschobenes Argument. Worum es wirklich geht: Wenn der neue IPCC-Bericht beim Global Stocktake nicht vorliegt, dann kann sich auch keiner darauf berufen, wie dringlich bestimmte Maßnahmen und Entscheidungen sind.

Woher kommt diese neue Gangart aus den Reihen der Regierungen?

Da kann ich nur spekulieren. Es liegt aber auf der Hand, dass die ersten IPCC-Berichte tendenziell naturwissenschaftliche Analysen waren, wo man beschrieben hat, was das Klimasystem im Moment macht und warum es wärmer wird. Je härter die Erkenntnisse und je deutlicher die Bedrohung wurde, desto mehr hat sich der Fokus zur Frage verschoben, was zu tun ist. Wir haben dann mit dem fünften IPCC-Bericht das Konzept des Kohlenstoffbudgets eingeführt – daran war ich federführend beteiligt. Die Botschaft war klar: Um unter einer Erwärmung von 1,5 Grad Celsius zu bleiben, sind nur noch soundso viele Tonnen CO2-Emissionen möglich, dann ist Schluss. Das ist auch die Basis für alle Netto-null-Konzepte. Dieser Ansatz war damals Anlass für den ersten großen Knall, weil Regierungen fanden, dies sei zu nahe an der Politik.

»Wenn die Berichte nur von Wissenschaftsinstitutionen kämen, wäre die wissenschaftliche Qualität sicher gleich groß, aber die Politik würde wahrscheinlich mit den Schultern zucken«

Regierungen wollen keine Rezepte vorgesetzt bekommen?

Der implizite Vorwurf von einigen lautete und lautet heute wieder, der IPCC sei »policy prescriptive«, stelle also politische Forderungen auf und überschreite damit sein Mandat. Dabei geht es nicht darum, einzelnen Regierungen Vorschriften zu machen. Die Aussage »bis 2050 muss man netto null erreichen« ist zunächst eine rein wissenschaftliche Folgerung aus der Physik und dem Kohlenstoffkreislauf, bezogen auf die Ziele des Pariser Übereinkommens. Gleichzeitig ist es natürlich auch eine hochpolitische Forderung. Man kann das aber nicht mehr trennen, weil die Staaten sich in Paris ja selbst dieses Ziel gesetzt und den Vertrag unterschrieben haben. Damit haben sie sich zum Handeln verpflichtet.

Wenn die Wissenschaft im IPCC nun von mehreren Seiten in Bedrängnis gerät, kann sie sich dagegen zur Wehr setzen?

Nicht wirklich. Man kann den Ball flach halten und trotzdem weitermachen. Aber im IPCC sind die Regierungen nun mal die Auftraggeber der Berichte. Die Wissenschaft arbeitet auf Grundlage des Auftrags, und am Schluss nehmen die Länder das Ergebnis entgegen und sagen vielen Dank. Die Politik muss keinen Bericht in Auftrag geben, wenn sie nicht will.

Wäre es besser, die Wissenschaft würde die Berichte ohne Zutun der Regierungen herausbringen?

Nein, die jetzige Konstruktion ist grundsätzlich sinnvoll, denn dadurch bekommen die Ergebnisse ein viel größeres Gewicht. Das ist sehr wertvoll, und das sollte man nicht aufgeben. Wenn die Berichte nur von Wissenschaftsinstitutionen kämen, wäre die wissenschaftliche Qualität sicher gleich groß, aber die Politik würde wahrscheinlich mit den Schultern zucken. Nur wenn sie Auftraggeberin ist, muss sie sich auch damit beschäftigen und zumindest im Grundsatz daranhalten. Aber am Ende tut sie es dann manchmal trotzdem nicht. Das erleben wir ja leider schon lange.

Dreht sich momentan auch unter dem Einfluss von US-Präsident Donald Trump die Stimmung insgesamt gegen den internationalen Klimaschutz?

Wir haben immer noch Europa als relativ progressive Kraft. Aber es ist schon erschreckend zu sehen, wie sich weltweit die Stimmung verändert. Die USA sind das Extrembeispiel dafür. Vor fünf Jahren hat man noch über Innovation und Klimaschutz und Nachhaltigkeit und was auch immer gesprochen. Jetzt verdrehen viele die Augen, wenn man mit diesen Themen kommt. Die Politik ist in Richtung nationaler Interessen statt globaler Zusammenarbeit gewandert und in Richtung Krieg und Aufrüstung statt Nachhaltigkeit. Man schottet sich ab, alles konzentriert sich auf Wirtschaft und Inflation. Klimaschutz, Biodiversität und all diese überlebenswichtigen Themen stehen auf der politischen Agenda im Moment ziemlich weit hinten.

Beeinflusst das auch die Arbeit des IPCC?

Die USA haben bisher einen erheblichen Teil der Mittel bestritten, die zusätzlich zur ehrenamtlichen Mitarbeit hunderter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nötig sind. Das fällt jetzt weg. Ich hoffe sehr, dass andere Länder da einspringen. Schwerer wiegt, wenn wichtige Führungspersonen ihre Stelle verlieren, wie das nun Kate Calvin passiert ist. Die Kovorsitzende der wichtigen Arbeitsgruppe III des IPCC wurde nicht nur als Chefwissenschaftlerin und leitende Klimaberaterin der NASA von der Trump-Regierung gefeuert, es wurde zudem ihre Stelle gestrichen. Ich hoffe, Kate Calvin kann ihre Rolle im IPCC trotzdem fortführen. Am schwersten wiegen aber die Entscheidungen gegen alle Maßnahmen der CO2-Reduktion.

Die Trump-Regierung versucht nun der Environmental Protection Agency das Mandat zu nehmen, Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren. Welche Folgen wird es haben, wenn sich die USA aus dem Klimaschutz verabschieden?

Wenn nur die USA vier Jahre zögert und dann wieder mitmacht, dann hat das kaum Folgen. Die größte Gefahr ist, dass andere auch aussteigen und internationale Verträge plötzlich völlig unverbindlich sind. Wenn man gerade keine Lust mehr hat, dann läuft man weg vom Verhandlungstisch und den Verpflichtungen, die man unterschrieben hat. So löst man keine globalen Probleme.

Fällt das, was in den USA geschieht, noch unter das normale Hin und Her in Demokratien?

Es gab immer schon Machtspiele und eine gewisse Interessenpolitik. Das ist völlig normal. Aber das, was jetzt in den USA passiert, ist symptomatisch für die aufgeheizte und auch zunehmend antiwissenschaftliche Stimmung, die überall dort entsteht, wo politische, persönliche oder finanzielle Interessen und Machtpolitik höher gewichtet werden als das Wohl des Volkes und die wissenschaftlichen Grundlagen. In den USA geht es nicht mehr um das Land. Dort haben jetzt Narzissten und Autokraten das Sagen, die primär sich selbst bereichern wollen, koste es, was es wolle. Jedes Mittel ist erlaubt, wenn es zu mehr Macht und Reichtum verhilft. Ideologie ist wichtiger als Fakten. Das halte ich für extrem gefährlich – vor allem für einen internationalen multilateralen Prozess, bei dem alle Ja sagen müssen. Wenn die Entwicklungen in den USA zum Vorbild werden, dann ist ein gemeinsamer Kurs in Richtung wissenschaftlich gebotener Lösungen fast nicht mehr haltbar.

Geht einem da als Wissenschaftler die Motivation verloren?

Überhaupt nicht. Die Wissenschaft steht noch immer voll hinter diesem multilateralen Prozess, sie ist ja schon lange international angelegt. Ich bin überzeugt, dass sich jetzt für den siebten IPCC-Report wieder hunderte exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bewerben, die dann über Jahre freiwillig und ohne Bezahlung arbeiten werden. An der Wissenschaft wird der globale Klimaschutz ganz bestimmt nicht scheitern. Aber die Wissenschaft allein kann den Klimawandel nicht stoppen, dafür braucht es alle.

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