Direkt zum Inhalt

Jerusalem: Jahrhundertealte Graffiti im Saal des letzten Abendmahls entdeckt

Auf dem Zionsberg in Jerusalem haben Fachleute zahlreiche bisher unbekannte Graffiti aus dem Spätmittelalter entdeckt. Demnach lockte die Pilgerstätte Menschen aus aller Welt.
Das digital überarbeitete Schwarz-Weiß-Multispektralbild zeigt links ein Familienwappen aus der Steiermark. Direkt darunter ist der Beginn einer halb gelöschten Datierung »14« erkennbar. Rechts befinden sich zwei Inschriften: eine monumentale armenische Weihnachtsinschrift und eine weitere serbische Inschrift »Akakius«.
Mit Hilfe der Multispektralfotografie machten Forscher diese Inschriften sichtbar. Links ist ein österreichisches Familienwappen zu sehen und rechts davon ein armenischer Schriftzug, »Weihnachten 1300«.

In einer für das Christentum bedeutenden Pilgerstätte in Jerusalem haben Fachleute mehrere Graffiti aus dem Spätmittelalter entdeckt. Mit Hilfe digitaler Fototechniken machten sie die bislang unbekannten Inschriften und Zeichnungen im Abendmahlssaal auf dem Berg Zion sichtbar. Die Graffiti, die in unterschiedlichen Sprachen verfasst sind, würden bezeugen, dass im Mittelalter Pilger und Besucher sowohl aus dem europäischen Westen als auch – in der Mehrzahl – aus dem arabischsprachigen Osten nach Jerusalem kamen, um den von Kreuzrittern gebauten Saal aufzusuchen. Laut christlichen Quellen soll Jesus mit den Aposteln hier sein letztes Abendmahl abgehalten haben. In der jüdischen und islamischen Überlieferung gilt der Ort auf dem Zionsberg als Grab des biblischen Königs und muslimischen Propheten David.

Wie die Forscher um den Fotografen Shai Halevi von der israelischen Altertümerbehörde und den Historiker Ilya Berkovich von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in der Fachzeitschrift »Liber Annuus« berichten, haben sie ungefähr 40 Graffiti dokumentiert, die Inschriften, Wappen und Zeichnungen umfassen. Sie datieren die Funde grob gefasst in die Zeit zwischen 1400 und 1530. Um die mit Kohle aufgekritzelten oder eingeritzten Texte zu erkennen, nutzten die Forscher die Multispektralfotografie und das Reflectance Transformation Imaging. Letztere Methode bedeutet, dass sie eine Wand mehrfach abfotografierten, das Blitzlicht aber jedes Mal aus einer anderen Richtung auslösten. Am Computer generierten sie aus den Bildern ein einziges Foto, das sich dann aus unterschiedlichen Belichtungswinkeln betrachten ließ. So wurden Unregelmäßigkeiten auf der Oberfläche sichtbar.

Laut den Forschern stammen die Inschriften von Christen aus Armenien, Syrien, dem deutschsprachigen Raum, Serbien und Tschechien. Fast zwei Drittel der Texte seien jedoch in arabischer Schrift geschrieben, heißt es in der Fachstudie. Die allermeisten davon hatten arabischsprachige Christen hinterlassen, nur wenige gehen auf Muslime zurück. Mindestens die Hälfte der Besucher des Abendmahlssaals waren demnach arabisch-christliche Pilger – eine Gruppe, die gemäß den Studienautoren in der Forschung bisher kaum Beachtung fand.

Graffito einer Pilgerin | Diese arabischen Worte hatte eine Pilgerin aus Aleppo hinterlassen. Ihre Inschrift, die in der Umschrift (links) rot wiedergegeben ist, überdeckt ein weiteres arabisches Graffito in Blau, das bislang nicht entziffert werden konnte.

Berkovich und seine Kollegen konnten einige Graffiti mit historisch bekannten Personen und bedeutenden Ereignissen verknüpfen. So lautet ein armenischer Text »Weihnachten 1300«. Das könnte ein altes Rätsel lösen – nämlich ob der armenische König Hethum II. und seine Truppen nach der siegreichen Schlacht beim syrischen Wadi al-Khazandar im Dezember 1299 tatsächlich nach Jerusalem gekommen waren. Dafür spricht nun das Datum der Inschrift und auch ihre Position: Sie befindet sich mehr als zwei Meter hoch an der Wand, was typisch für die Epigrafik des armenischen Adels sei.

Ehreninschrift | Diese Inschrift entstand wohl zu Ehren des Sufi-Sheikhs Aḥmad al-Šāfʿī al-Ṣūfī, auch bekannt als al-ʿAǧamī (der Perser). Der Sheikh spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Abendmahlssaals: Auf seine Bitte hin vertrieb Sultan Süleyman der Prächtige im Jahr 1523 die Franziskaner und verwandelte den Saal in eine Moschee.

Außerdem fanden die Fachleute Teile des Namens »Poloner«. Sie verbinden das Graffito mit dem Regensburger Pilger Johannes Poloner, der über seine Reise ins »Heilige Land« in den Jahren 1421/22 berichtet hatte. Von besonderer Bedeutung sei zudem eine arabische Inschrift, die »…ya al-Ḥalabīya« lautet. Die zweimalige Verwendung der weiblichen Endung »-ya« könnte auf eine christliche Pilgerin aus der syrischen Stadt Aleppo hinweisen.

Coenaculum | Der Abendmahlssaal auf dem Berg Zion ist zehn Meter breit und 15 Meter lang. Gotische Kreuzrippengewölbe überspannen den Raum, der in der christlichen Überlieferung als Ort des letzten Abendmahls von Jesus und seinen Jüngern gilt.

Der Abendmahlssaal, der auch Coenaculum genannt wird, ist Teil eines Baus, der im Lauf der Antike und des Mittelalters unterschiedlich genutzt und auch immer wieder zerstört wurde. Anfangs befand sich an dem Ort vielleicht eine Synagoge, dann eine byzantinische Kirche und danach von Kreuzfahrern errichtete Kirchenbauten. Um 1335 kamen Franziskanermönche, später, um 1523, wurde der Bau zur Moschee umgestaltet. Juden, Christen und Muslime konkurrierten immer wieder um den Zugang zum Gebäude und dem Abendmahlssaal. Heute gilt der Ort weiterhin als Pilgerstätte.

  • Quellen

Pressemitteilung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom 16. April 2025

Halevi, S. et al.: The holy compound on Mount Sion – an epigraphic heraldic corpus (part 1): The walls of the Cenacle. Liber Annuus 74, 2024 (publiziert 2025)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.