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James-Webb-Teleskop: Uralte Strahlung entdeckt, die nicht existieren dürfte

Mit dem James-Webb-Teleskop wurden mysteriöse Strahlungsquellen im frühen Universum entdeckt. Was steckt dahinter? Schwarze Löcher?
Illustration zweier Schwarzer Löcher
Erklären urzeitliche Schwarze Löcher neue Beobachtungen des James-Webb-Teleskops?

Seit seinem Start Ende 2021 hat man mit dem Weltraumteleskop James Webb (englisch: James Webb Space Telescope, JWST) einen Blick auf einige der frühesten kosmischen Epochen geworfen. Kosmologen und Kosmologinnen können mit ihm in eine Zeit zurückschauen, als die ersten Galaxien entstanden waren. Und nun wurden mit dem JWST extrem weit entfernte Quellen beobachtet, die ursprünglich Ultraviolettstrahlung aussandten. Eigentlich hätte es in dieser Epoche noch gar keine Sterne geben dürfen.

Es sind neun neue Strahlungsquellen, die mit dem JWST erstmals beobachtet wurden. Sechs von ihnen weisen eine kosmologische Rotverschiebung von = 17 auf, und drei haben einen z-Wert von sogar 25. Das entspricht Epochen, als das Universum nur 200 bis 100 Millionen Jahre alt war. »Es sind Daten, die von Quellen stammen, die ein Vielfaches weiter entfernt sind als andere, die mit dem JWST während der gesamten Mission beobachtet wurden«, erklärt Pablo G. Pérez-González, Astrophysiker am Zentrum für Astrobiologie in Madrid. Er ist der Hauptautor einer Publikation, in der über die Ergebnisse berichtet wird und die zur Veröffentlichung im »Astrophysical Journal« angenommen wurde.

»Wenn wir bestätigen, dass sie wirklich bei diesen Rotverschiebungen liegen, war das Universum in den ersten 200 Millionen Jahren viel, viel aktiver, als man dachte«, ergänzt Pérez-González.

Wenn die Vermutungen zutreffen, erweitern die neu gesichteten Objekte nicht nur die Zeitachse der Galaxienentstehung auf eine viel frühere Periode; sie stehen auch in direktem Widerspruch zu den besten kosmologischen Modellen der Forschenden, die den Beginn der Sternentstehung während des »cosmic dawn« (kosmische Dämmerung) beschreiben. Aus diesem Grund hat eine andere Gruppe von Astronomen eine Hypothese aufgestellt, die diesen rätselhaften Befunden einen Sinn geben soll: Sie schlagen vor, dass primordiale Schwarze Löcher, die direkt nach dem Urknall entstanden sind, das Universum vor den ersten Sternen erleuchtet haben könnten. Ihr Preprint-Paper wurde zur Veröffentlichung in der Zeitschrift »Astronomy & Astrophysics« angenommen.

»Wenn Sterne nicht als Strahlungsquellen infrage kommen, die wir hier sehen, muss etwas anderes das Licht erzeugen«, sagt Andrea Ferrara, Astrophysiker an der Superior Normal School (SNS) in Pisa, Italien, und Mitautor der ersten Studie. »Das können nur primordiale Schwarze Löcher sein.«

Mit anderen Worten: Es ist möglich, dass die ersten Objekte, die das frühe Universum in Licht tauchten, keine Sterne waren, sondern hungrige Schwarze Löcher, die nur wenige Sekunden nach dem Urknall selbst entstanden sind. Das Wort »primordial« bedeutet »urzeitlich«.

Das Problem mit frühen Galaxien

Je weiter wir zu unseren kosmischen Horizonten hinausschauen, desto tiefer blicken wir in die Vergangenheit. Und da sich das Universum selbst ausdehnt, hat sich die Wellenlänge von Ultraviolettstrahlung aus extrem weit entfernten Quellen bis in den Infrarotbereich des elektromagnetischen Spektrums verschoben. Dieses Phänomen wird in der Astrophysik als kosmologische Rotverschiebung bezeichnet. Je höher die Rotverschiebung – eine dimensionslose Zahl – eines fernen Objekts ist, desto weiter schaut man in der Zeit zurück.

Vor den Beobachtungen des JWST lag die höchste bestätigte Rotverschiebung einer Galaxie, die von Astronomen und Astronominnen beobachtet wurde, bei = 9, als das Universum entsprechend 600 bis 500 Millionen Jahre alt war. In den ersten Jahren nach seinem Start verbrachte das JWST einen großen Teil seiner Zeit damit, bereits identifizierte Galaxien zu bestätigen, die mit dem Weltraumteleskop Hubble (englisch: Hubble Space Telescope, HST) beobachtet worden waren.

Variablen wie die Konzentration der Dunklen Materie – einer unsichtbaren Gravitationsquelle, welche die sichtbare Materie im Universum im Verhältnis von etwa sechs zu eins übertrifft – sowie die für die Sternentstehung erforderlichen Bedingungen liefern der Wissenschaft Anhaltspunkte für die Bestimmung eines groben Zeitplans für die Entwicklung der Galaxien im frühen Universum. Doch nach dem Sommer 2022, als das JWST begann, Galaxienkandidaten aus früheren Epochen zu entdecken, merkten die Forschenden, dass etwas nicht ganz stimmte.

»Das JWST findet zu viele zu große Galaxien zu früh im Universum«, sagt die Astrophysikerin Allison Kirkpatrick von der University of Kansas, die auf die Entwicklung von Galaxien spezialisiert ist und nicht an den neuen Studien beteiligt war.

Bislang liegen die ältesten bestätigten Galaxien, die vom JWST beobachtet wurden, bei einer Rotverschiebung von z = 14, als das Universum erst 300 Millionen Jahre alt war. »Die Idee war also, darüber hinauszugehen, bis zur Rotverschiebung von z = 15 und sogar noch weiter, auf der Suche nach den allerersten Galaxien, die jemals entstanden sind«, erklärt Pérez-González.

Der Bericht seines Teams über neun neue Objekte bei noch höheren Rotverschiebungen muss noch bestätigt werden. Um festzustellen, ob die Objekte tatsächlich so weit entfernt sind, wie es den Anschein hat, müssen die Astronominnen und Astronomen deren Strahlung nach Wellenlängen zerlegen, was als Spektroskopie bezeichnet wird.

Anhand von Daten, die mit der Nahinfrarotkamera NIRCam des JWST aufgenommen wurden, identifizierten Pérez-González und sein Team die neuen Galaxienkandidaten aus einem Pool von mehr als 80 000. Nachdem die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine Himmelsregion mehr als 100 Stunden lang mit verschiedenen Strahlungsfiltern aufgenommen hatten, konnten sie Galaxien mit unterschiedlichen Helligkeiten identifizieren und die vielversprechendsten Kandidaten für weitere Beobachtungen auswählen. Noch ein Netz auszuwerfen bedeutet, dass ihre Stichprobe weniger wahrscheinlich verzerrt ist, bevor sie die interessantesten entfernten Objekte genauer anschauen.

Die vermuteten Galaxien, die Pérez-González und sein Team gefunden haben, leuchten hell im UV-Bereich des Spektrums – genau mit einer Strahlung, die für massereiche erste Sterne typisch ist. Das Problem bei diesem Szenario ist jedoch, dass man mit Modellen der Galaxienentwicklung Schwierigkeiten hat, in solch frühen Entwicklungsstadien des Universums Sterne zu erzeugen. Man darf bezweifeln, dass in diesem Rahmen genügend Zeit für die Abkühlung von Gas war, um sich in Wolken anzusammeln, die wiederum groß genug waren, um infolge der Gravitation zur ersten Generation von Sternen zu kollabieren.

»Galaxien konnten sich nicht schnell bilden, weil das Gas im frühen Universum sehr heiß war und deshalb nicht zu Sternen kollabieren konnte. Stattdessen wuchsen Strukturen der Dunklen Materie zuerst, und die enorme Gravitation trieb das Gas in das Zentrum, wo die ersten Sterne und Galaxien entstanden. Das alles brauchte Zeit, mehr Zeit als 100 Millionen Jahre«Allison Kirkpatrick, Astrophysikerin

Schwarze Löcher von Anfang an

Um dieses Problem zu umgehen, schlagen Ferrara und sein Team vor, dass primordiale Schwarze Löcher – eine bestimmte frühe Population Schwarzer Löcher, die möglicherweise in den ersten Sekunden nach dem Urknall entstanden ist – Gas im frühen Universum verschlungen haben. Diese Fressorgie könnte die Strahlung, die wir jetzt mit dem JWST nachweisen, zu Zeiten vor der Entstehung der ersten Sterne freigesetzt haben. Bizarrerweise könnten Schwarze Löcher, nicht Sterne, die ersten bedeutenden Lichtquellen im frühen Universum gewesen sein.

Normalerweise entstehen Schwarze Löcher, wenn massereiche Sterne kollabieren, nachdem ihnen der Brennstoff ausgegangen ist, oder wenn eine große Gaswolke direkt in sich zusammenfällt, wobei die stellare Phase umgangen wird. Primordiale Schwarze Löcher sind jedoch etwas anderes. »Wir gehen davon aus, dass sich primordiale Schwarze Löcher weniger als eine Sekunde bis fünf Sekunden nach dem Urknall gebildet haben«, erläutert Ferrara. »Sie waren im Grunde schon immer da, von Anfang an.«

Diese Schwarzen Löcher hätten zunächst klein angefangen, »nicht größer als ein Atom«, verdeutlicht Kirkpatrick. Gemäß der gängigen Lehrmeinung geht man davon aus, dass innerhalb der ersten Sekunde seines Entstehens das Universum einer raschen Ausdehnung unterworfen war, der sogenannten Inflation. Dabei vergrößerte sich der Raum um 35 Größenordnungen, was der Ausdehnung eines Atoms auf die Größe des Sonnensystems entspricht. »Das hat viele Konsequenzen, unter anderem die Entstehung sehr kleiner Schwarzer Löcher«, erklärt Kirkpatrick. Obwohl diese Schwarzen Löcher anfangs winzig waren, könnten sie nach 100 Millionen Jahren auf die 10 000-fache Masse der Sonne angeschwollen sein, vermuten Ferrara und sein Team.

Wenn Gas in die Nähe eines Schwarzen Lochs gelangt, wird es auf glühende Temperaturen aufgeheizt, und diese überhitzte Materie gibt Strahlung ab. Aus der Ferne betrachtet könnte es ähnlich aussehen wie die Atmosphäre eines Sterns. Daher ist es auf Basis der aktuellen Beobachtungsdaten fast unmöglich zu unterscheiden, ob primordiale Schwarze Löcher oder Sterne die Strahlungsquellen erklären. Aber es könnte andere Hinweise geben.

Eine Möglichkeit zur Unterscheidung, ob es sich bei diesen Lichtquellen um primordiale Schwarze Löcher oder Sterne der ersten Generation handelt, wäre ein Blick auf die Größe der Galaxien. Wenn sie eher punktförmig erscheinen, ergibt die Variante mit dem Schwarzen Loch mehr Sinn, weil ein massereiches Schwarzes Loch im Vergleich zu einer ganzen Galaxie immer noch winzig ist. Wenn die Lichtquellen jedoch diffus und ausgedehnt erscheinen, handelt es sich wahrscheinlich eher um Sterne.

»Wir haben also die Größen gemessen, und einige der Kandidaten sind nach unserem besten Wissen mit den Daten, die wir haben, punktförmig, allerdings nicht alle. Einige von ihnen sind ausgedehnt. Vielleicht 30 Prozent von ihnen stimmen also mit dem Aussehen eines primordialen Schwarzen Lochs überein«, führt Pérez-González aus.

Aktuell lassen die Daten noch keinen endgültigen Schluss zu. Da primordiale Schwarze Löcher hypothetisch seit dem Beginn des Universums existieren, sollten sie auch Spuren im Muster der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung (englisch: cosmic microwave background, CMB) hinterlassen haben. Der Mikrowellenhintergrund ist eine Momentaufnahme des Universums, wie es 380 000 Jahre nach dem Urknall aussah. »Unsere CMB-Karten sind noch etwas zu unscharf, um die Feinstrukturdetails zu erkennen, die primordiale Schwarzen Löcher möglicherweise hinterlassen haben«, gibt Ferrara zu.

Im Moment ist die Lage noch nicht entschieden. Das mögliche Vorhandensein primordialer Schwarzer Löcher könnte jedoch ein anderes kosmologisches Rätsel erklären: die Existenz extrem massereicher Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien in frühen Epochen. »Wir haben noch nicht bewiesen, wie sich die ersten extrem massereichen Schwarzen Löcher bildeten, und dies könnte ein Weg sein. Es würde helfen, einige der Spannungen zwischen den JWST-Beobachtungen und den kosmologischen Modellen aus der Theorie zu lösen«, sagt Kirkpatrick.

»Diese Beobachtungen sind schwierig, und wir bringen das JWST an seine Grenzen«, erläutert Ferrara. »Wir müssen vorsichtig sein, denn diese Galaxien könnten sich als Verunreinigungen oder Galaxien mit niedrigerer Rotverschiebung oder etwas anderes herausstellen.« Aber ob diese mysteriösen schwarzen Leuchtfeuer die ersten Sterne in den Schatten stellen, ist eine Frage, auf die wir vielleicht bald eine Antwort haben werden.

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