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News: Je länger, desto wilder

Jeder hat schon mal das Flattern einer Flagge im Wind beobachtet. Das Phänomen ist fast alltäglich, jedoch bislang nicht richtig verstanden, obwohl sich Physiker seit über hundert Jahren damit beschäftigen. Um das Problem etwas zu vereinfachen, haben Forscher nun Experimente im zweidimensionalen Raum durchgeführt und herausgefunden, dass die Länge des wehenden Objekts von großer Bedeutung für die Art der Bewegung ist.
Wenn eine Flagge im Wind hin und her flattert, hat das in erster Linie einen optischen Reiz, und es würde dem Schauspiel keinen Abbruch tun, wenn die Physik dahinter weiterhin schleierhaft bliebe. Allerdings treten ähnliche Phänomene auch an anderer Stelle auf. Fische beispielsweise nutzen eine ähnliche Choreographie, um sich geschwind durch das Wasser zu bewegen. Ein tieferes Verständnis dieses Bewegungsablaufs könnte zu neuartigen Antrieben für Schiffe führen. Ein weiteres Beispiel ist die Fließdynamik in unserem Blutkreislauf. Hier ist die lebensspendende Flüssigkeit von flexiblen Wänden umgegeben. Würde man mehr über die Interaktion von Ader und Blut wissen, ergeben sich eventuell ganz neue Ansätze für eine Therapie bei bestimmten Kreislauferkrankungen.

Leider ist es recht schwierig flexible Objekte innerhalb einer Strömung – sei es Luft oder Wasser – zu erforschen. Jun Zhang und seine Kollegen von der Rockefeller University und New York University haben sich deshalb in ihren Experimenten zunächst auf nur zwei Dimensionen beschränkt (Nature vom 14. Dezember 2000). Aus der zweidimensionalen Flagge wurde dementsprechend ein sehr feiner eindimensionaler Faden. Diesen platzierten die Forscher inmitten eines schnell fließenden Films aus Seife und Wasser. Die Länge des Fadens konnten die Wissenschaftler im Bereich einiger Zentimeter beliebig variieren, um so systematisch die Abhängigkeit der Bewegung von der Fadenlänge zu studieren.

Die Physiker stellten fest, dass es zwei stabile Bewegungszustände gab. Bei dem einen lag der Faden nur still in der fließenden Seifenlauge und wies in Richtung der Strömung. "Das widerlegt den landläufigen Glauben, dass Flaggen im Wind immer flattern", sagt Zhang. Der zweite Zustand zeigte die gewohnte wellenförmige Bewegung.

Wie sich der Faden nun verhält, hängt stark von seiner Länge ab. Die Wissenschaftler stellten fest, dass unterhalb einer bestimmten Länge, die sie kritische Länge nennen, der Faden unbewegt blieb. Auch kleine Stöße und Störungen brachten ihn nicht aus der Ruhe. Er schlingerte zwar kurz, lag aber nach kurzer Zeit wieder regungslos im Wasserbad. Oberhalb der kritischen Länge konnten sie den Faden auch zum Flattern bewegen. Hielten sie ihn aber kurz mit einer Pinzette fest, so lag er wieder leblos da, als wäre nichts gewesen. In einem gewissen Längenbereich sind offenbar beide Zustände gleichberechtigt möglich.

Schließlich konnten die Forscher auch beobachten, dass der bewegungslose Zustand ab einer gewissen Fadenlänge komplett verschwand und nur noch Flattern auftrat. Bei Fadenlängen oberhalb von sechs Zentimetern wedelte der Faden gar nur noch auf dem letzten Stück, ein Verhalten, das den Physikern unerklärlich ist.

Neben der Bewegung des Fadens lohnt auch der Blick auf die Seifenlauge selbst. Eine monochromatische Lichtquelle – Licht einer Wellenlänge – beleuchtet die Lösung. Kleinste Unterschiede in der Dicke des Wasserfilms zeigen sich als helle und dunkle Interferenzstreifen. Aufnahmen des stillstehenden Fadens zeigen, dass von seinem Ende eine Spur von kleinen Wirbel ausgeht – auch Kármánsche Wirbelstraße genannt. Wie an einer unsichtbaren Kette aufgereiht drehen sich diese Wirbelchen mal gegen, mal mit dem Uhrzeigersinn. Auch der wehende Faden zieht diese Wirbelspur hinterher, allerdings drehen sich hier alle Wirbel nur in eine Richtung.

In weiteren Versuchen haben die Forscher das System erweitert und einen zweiten Faden hinzugefügt. Hier beobachteten sie gleich vier Schwingungszustände – eine Art Kopplung, bei der die Fäden synchron flatterten, trat beispielsweise zusätzlich auf.

Zhang und seine Gruppe nehmen an, dass alle diese Effekte mit der Spannung, Masse und Elastizität des Fadens und seiner Wechselwirkung mit der Flüssigkeit einhergehen. Viele ältere Arbeiten haben diese Faktoren außer Acht gelassen.

"Auf der einen Seite ist es eines der einfachsten Experimente, das ich bis jetzt gemacht habe", sagt Zhang, "aber auf der anderen Seite ist es eines der komplexesten Phänomene in der Hydrodynamik."

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