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News: Je schneller, desto dicker

Wenn sich Materie dreht, dann bewirkt die Zentrifugalkraft häufig eine Ausdehnung in radialer Richtung. Zu erkennen ist das beispielsweise an der Abplattung der Erde. Aber auch andere Himmelskörper zeigen offensichtlich ihren dicken Bauch. So konnten Astronomen unlängst erkennen, dass der helle Stern Atair deutlich von der Kugelform abweicht - offenbar aufgrund seiner hohen Umdrehungsgeschwindigkeit.
Ein Besuch auf der Kirmes ist für das physikalische Verständnis eine äusßerst wertvolle Erfahrung. Auch, wenn das Paradebeispiel für die Drehbewegung und die dabei auftretenden Kräfte – das Kettenkarussell – zusehendes von den Rummelplätzen verschwindet, so bieten sich doch genug Alternativen, die einen Beschleunigungen und Kreisbewegungen leibhaftig erfahren lassen. Jeder, der also schon einmal in einer, wie auch immer gearteten, rotierenden Vorrichtung saß, wird die zerrende Kraft gespürt haben, die einen fast aus der Gondel drängt.

Beim guten alten Kettenkarussell ist diese Kraft auch für den Beobachter sichtbar. Denn seine Gondeln trotzen immer mehr der Schwerkraft und bewegen sich deshalb schräg vom Mittelpunkt der Drehbewegung weg – je schneller die Drehung, desto weiter. Dergleichen beobachtet man selbst bei unserem Heimatplaneten. Sie ist alles andere als ein starrer Körper und durchaus verformbar. So kündet die Abplattung der Polregion im Vergleich zum Äquator von der täglichen Drehung des Planeten um seine Achse. Und selbst die Sonne zeigt eine, wenn auch kleine, Abweichung von der idealen Kugel. Bei ihr beträgt der Unterschied der Durchmesser gerade mal ein Tausendstel eines Prozents. Doch wie sieht es bei anderen Sternen aus, die sich schneller drehen?

Tatsächlich ist die Sonne mit einer Umdrehung alle 30 Tage eher behäbig. Andere Sterne vollenden ihre Pirouette in viel kürzer Zeit. Das vermutete man auch bei Atair, denn das Spektrum des Hauptgestirns im Sternbild Adler weist ein dafür charakteristisches Spektrum und Lichtwellenmuster auf. Also lag es nahe, einen eingehenden Blick auf den 16 Lichtjahre entfernten Himmelskörper zu werfen, und zu prüfen, ob der Stern vielleicht eine signifikante Abweichung von der Kugelform zeigt.

Ein solches Vorhaben gestaltet sich nun bei einem so weit entfernten Objekt alles andere als leicht, wenn auch Atair mit 0,8 Magnituden der zwölfthellste Stern an unserem Himmel ist. Charles Beichman vom Jet Propulsion Laboratory beschreibt das folgendermaßen: "Die Form dieses Sterns zu bestimmen, ist ungefähr so schwierig, als wolle man von Los Angeles aus die Form eines Hühnereis in New York erkennen."

Davon ließen sich die Wissenschaftler jedoch nicht entmutigen und bedienten sich des Palomar Testbed Interferometer, um Aufschluss zu erhalten. Und tatsächlich, das Gerät offenbarte leicht unterschiedliche Radien des Sterns, je nachdem, in welchem Winkel die Forscher auf ihn schauten. Die Messung gelang den Wissenschaftlern, indem sie jeweils zwei der drei 50-Zentimeter-Teleskope zusammenschalteten und so ein Auflösungsvermögen erreichten, das einem Fußballplatz-großen Fernrohr entsprechen würde.

Die Astronomen zweifelten jedoch noch an der Qualität ihrer Messungen und so beschlossen sie, zur Kontrolle noch einen Blick auf einen Stern in der Nachbarschaft zu werfen: die Wega. Dieser Stern in der Leier bildet neben Atair und Deneb im Schwan das markante Sommerdreieck. Nachdem die Forscher festgestellt hatten, dass sich deren Radius nicht in Abhängigkeit des Winkels veränderte, waren sich die Forscher sicher, dass sie nicht etwa einen Effekt des Teleskops gemessen hatten.

Gerhard van Belle und seine Kollegen vermaßen nun die ferne Sternenscheibe eingehend und konnten anhand der Form errechnen, dass sich Atair am Äquator mit einer Geschwindigkeit von etwa 210 Kilometer pro Sekunde bewegt, was in etwa einer Umdrehung alle 10,4 Stunden entspricht. Diese Erkenntnis könnte nun dabei helfen, die Struktur von Sternen generell aufzuklären, einschließlich unserer Sonne.

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