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Kosmologie: Junge Galaxien mit großem Hunger

Junge Galaxien waren zwergenhaft klein im Vergleich zu den heutigen Welteninseln, die aus ihnen entstanden. Astronomen fanden nun heraus, wie sich ihr Wachstum drei bis fünf Milliarden Jahre nach dem Urknall abspielte.
Bewegung des Gases in den jungen Galaxien

Aus Beobachtungen junger Galaxien in der Frühzeit des Universums ist bekannt, dass sich diese deutlich von den gewaltigen Spiralnebeln und elliptischen Galaxien des heutigen Universums unterscheiden: Blicken Astronomen in die Tiefen des Alls und damit weit in die Vergangenheit, so finden sie vor allem massearme und sehr viel kleinere Welteninseln als heute. Irgendwann erwarben diese Leichtgewichte also zusätzliche Masse und wuchsen zur heutigen Größe an. Doch wann und auf welche Weise dies geschah, war bisher nicht genau bekannt.

Mit Hilfe einer großangelegten Galaxiendurchmusterung am Very Large Telescope (VLT) der europäischen Südsternwarte ESO auf dem Cerro Paranal in Chile haben Astronomen nun Licht ins Dunkel der Galaxienentwicklung gebracht. Die MASSIV-Durchmusterung am VLT benutzt spektroskopische Untersuchungen ausgewählter Galaxien im nahen Infrarot im Bereich zwischen 1,1 und 2,45 Mikrometer. Das dabei verwendete SINFONI-Spektrometer nimmt räumlich aufgelöste Spektren der Beobachtungsobjekte auf; damit bestimmen die Astronomen die Entfernungen, Zusammensetzungen und Eigenrotationen der untersuchten Galaxien mit unübertroffener Genauigkeit. Unterstützt wurde das Spektrometer durch die Verwendung der adaptiven Optik, mit der die Wissenschaftler das Seeing, also das Flimmern der Erdatmosphäre, überlisteten. In mehr als 100 Stunden Beobachtungszeit trugen die Astronomen die bisher größte Sammlung detaillierter Aufnahmen gasreicher Galaxien im frühen Universum zusammen.

Junge Galaxien im fernen Universum | In einer kleinen Himmelsregion im Sternbild Walfisch ist eine Auswahl von Galaxien zu sehen (markiert mit roten Kreuzen), die für eine neue Studie herangezogen wurde. Diese untersucht junge Galaxien und ihr Wachstum im frühen Universum. Jeder dieser unscheinbaren Lichtflecke ist eine Galaxie, die wir so sehen, wie sie zwischen drei und fünf Milliarden Jahren nach dem Urknall gewesen ist, und die nun mit dem Very Large Telescope der ESO und dem SINFONI-Instrument eingehend untersucht wurde.
"Um zu verstehen, wie Galaxien wuchsen und sich entwickelten, müssen wir sie so genau wie möglich untersuchen. Das SINFONI-Instrument am Very Large Telescope der ESO ist eines der weltweit leistungsfähigsten Geräte zur Untersuchung entfernter und junger Galaxien. Für uns spielt es die gleiche Rolle wie ein Mikroskop für Biologen.", sagt Thierry Contini vom IRAP in Toulouse (Frankreich), der die Untersuchung leitet. Contini erklärt weiter: "Galaxien wachsen durch zwei konkurrierende Prozesse: erstens durch stürmische Verschmelzungen, bei denen größere Galaxien kleinere geradezu auffressen, und zweitens durch einen allmählichen, gleichmäßigen Zustrom von Gas. Beide Prozesse können zur Bildung vieler neuer Sterne führen."

In der neuen Untersuchung beobachtete das internationale Astronomenteam Galaxien im Zeitraum von drei bis fünf Milliarden Jahren nach dem Urknall. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass sich in dieser Zeit die Art und Weise, in der die Galaxien wachsen, grundlegend geändert hat. Im sehr jungen Universum scheint der stetige Zustrom von Gas der Hauptfaktor gewesen zu sein, während zum Ende des beobachteten Zeitraums Verschmelzungen von Galaxien eine zunehmend wichtige Rolle spielten.

Möglich wurden die neuen Erkenntnisse nur durch die hohe Empfindlichkeit und Auflösung der verwendeten Instrumente. Auf den Aufnahmen erscheinen die entfernten Galaxien nur als schwache Lichtflecken. Doch dank der hohen Auflösung der SINFONI-Daten können die Astronomen detailreiche Karten der einzelnen Galaxien erstellen, welche die Bewegung und Zusammensetzung einzelner Bereiche in den Welteninseln abbilden. Dank der großen Detailfülle zeigten die neuen Aufnahmen auch einige Überraschungen.

Benoît Epinat, ein Mitglied des Astronomenteams, ist erstaunt: "Für mich war die größte Überraschung, dass wir viele Galaxien entdeckt haben, deren Gaskomponente keine Rotation aufweist. Im nahen Universum beobachten wir so etwas überhaupt nicht, und keine der gängigen Theorien sagt die Existenz solcher Objekte voraus." Doch nicht nur darin unterscheiden sich die Galaxien in ihrer Jugendzeit von denen im Erwachsenenalter. "Wir hätten auch nicht erwartet, dass so viele der jungen Galaxien in unserer Durchmusterung eine hohe Konzentration von schweren Elementen in ihren Außenbereichen aufweisen – das ist das exakte Gegenteil von dem, was man in heutigen Galaxien beobachtet.", ergänzt Contini.

Die jetzt in vier Publikationen vorgestellten Ergebnisse sind erst der Anfang: Die Astronomen beginnen gerade erst, die aufgenommenen Daten auszuwerten. Doch sie planen schon weitere Beobachtungen der entdeckten Galaxien mit zukünftigen Instrumenten am VLT und dem Atacama Large Millimeter Array. Mit diesem im Aufbau befindlichen Radiowelleninterferometer aus 66 Einzelantennen können die Forscher das kalte Gas in den Galaxien mit noch höherer Genauigkeit untersuchen.

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  • Quellen
ESO, 14.3.2012

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