Sonnensystem: Vulkanmond Io zum Greifen nah
Der Jupitermond Io gehört zu den geologisch aktivsten Himmelskörpern im Sonnensystem und ist eine einzigartige Welt. Mit einem Durchmesser von 3643 Kilometern nur geringfügig größer als unser Mond, könnte der Kontrast zu unserem himmlischen Begleiter kaum größer sein. Während der Erdmond weitgehend geologisch tot ist und sich überwiegend nur noch durch die Einschläge von Asteroiden und Kometen verändert, ereignen sich auf Io Veränderungen in rasanter Geschwindigkeit. In Fachkreisen bezeichnet man Io manchmal auch als die »Welt, die geologisch Amok läuft«.
Io ist neben Ganymed, Europa und Kallisto einer der vier klassischen, großen Jupitermonde und wurde bereits im Jahr 1610 vom italienischen Astronomen Galileo Galilei (1564 – 1642) mit seinem sehr einfachen Teleskop entdeckt. Er ist der innerste der Galileischen Monde und erhielt seinen Namen vom deutschen Naturforscher Simon Marius (1573 – 1624), der sie gleichzeitig mit Galilei entdeckte und beschrieb. Benannt ist Io nach einer Geliebten des griechischen Göttervaters Zeus, im römischen Sprachgebrauch Jupiter. Lange Zeit wurde der Trabant nur als Jupiter I bezeichnet, der Name Io setzte sich erst im 20. Jahrhundert allmählich durch.
Io ist nach dem weiter außen befindlichen Mond Europa der zweitkleinste der vier großen Monde; jenseits davon umkreisen noch Ganymed und Kallisto den Riesenplaneten. Die Monde Europa und Ganymed spielen eine wichtige Rolle für das vulkanische Geschehen auf Io; dazu später mehr.
Voyager 1 und 2 machen große Entdeckungen
Mehr als 300 Jahre lang waren Io und die drei anderen großen Monde nach ihrer Entdeckung nur Lichtpunkte in den besten Teleskopen ihrer Zeit. Beobachtern mit besonders scharfen Augen war allerdings ein gewisser Gelbstich bei Io aufgefallen. Zudem wich das Spektrum des Mondes deutlich von denjenigen der drei anderen Monde ab, denn es fand sich kein Hinweis auf Wassereis. Mehr Erkenntnisse erhielten wir erst mit dem Beginn der Raumfahrt, als den beiden NASA-Raumsonden Pioneer 10 und 11 in den Jahren 1973 und 1974 erste unscharfe Bilder von Io gelangen. Diese zeigten neben der Lichtphase eine fleckige, gelbliche Oberfläche, deren Ursprung rätselhaft blieb.
Revolutioniert wurde das Wissen über die Galileischen Monde, als die Raumsonden Voyager 1 im März und Voyager 2 im Juli 1979 Jupiter bei raschen Vorbeiflügen passierten und dabei jeweils Tausende von Bildern zur Erde funkten. Voyager 1 kam an Io auf etwa 20 000 Kilometer heran und nahm zahlreiche hochaufgelöste Bilder auf. Schon während des Anflugs auf Jupiter hatte Voyager 1 über Wochen hinweg Aufnahmen geliefert, welche die vier Galileischen Monde im Umlauf um Jupiter als ausgedehnte Scheiben an Stelle von Punkten zeigten, wobei sich jeder der Trabanten deutlich von seinen Nachbarn unterschied.
Auf Io waren zahlreiche dunkle Flecken auf einer rötlich-gelben Oberfläche zu erkennen, die zu Spekulationen führ-ten. Handelte es sich um Einschlagkrater oder um etwas völlig anderes? Dass diese Möglichkeit gegeben war, bewies eine Arbeit in der Wissenschaftszeitschrift »Science«, die exakt vier Wochen vor der Jupiterpassage von Voyager 1 veröffentlicht wurde. Dort wies eine Gruppe um den Wissenschaftler Stanton J. Peale von der University of California, Santa Barbara, darauf hin, dass Io vulkanisch aktiv sein könnte. Sie regte daher an, auf den Bildern der Sonde direkt danach zu suchen.
Schon auf den ersten Blick zeigten die Detailfotos von Voyager 1, dass Io keine großen Einschlagkrater aufwies und der größte Teil der sichtbaren Strukturen auf dem Himmelskörper vulkanischen Ursprungs sein musste (siehe »Io am 30. Dezember 2023«). Direkte Belege für vulkanische Eruptionen fanden sich zunächst nicht.
Dies änderte sich wenige Tage später, als die junge Mitarbeiterin Linda Morabito des Navigationsteams der Voyager-Sonden am Jet Propulsion Laboratory der NASA in Kalifornien eine Aufnahme des Mondes aus großem Abstand untersuchte. Diese war zu Navigationszwecken aufgenommen worden und zeigte neben der überbelichteten Mondsichel auch Sterne. Bei der Vermessung der Aufnahme fielen Morabito Merkwürdigkeiten an der Sichel auf; eine große Wolke wölbte sich über den Rand von Io hinaus, und an der Tagundnachtgrenze leuchtete ein auffällig heller Fleck (siehe »Aktiver Vulkanismus auf Io«).
Aktiver Vulkanismus auf Io
Eine große Überraschung war die Entdeckung von mehreren gleichzeitig aktiven Vulkanen auf Io durch die Raumsonde Voyager 1 im März 1979. Sie zeigten sich auf den Bildern als hoch aufragende Wolken aus Eruptionsmaterial und Schwefeldioxid (SO2). Letzterer erfüllt auf Io die Funktion von Wasserdampf, der auf der Erde das Treibmittel für alle Vulkanausbrüche ist. Io hat seine Vorräte an Wasser durch die hohe Aktivität über die Milliarden von Jahren seit seiner Entstehung längst verloren, so dass kein Wasserdampf mehr zur Verfügung steht.
Auf diesem Bild sind zwei Eruptionsfahnen sichtbar (Inset), die hoch über die Io-Oberfläche aufragen. An diesen Orten tritt heiße Silikatlava an die Oberfläche des Jupitermonds und breitet sich von dort aus. Dabei trifft sie auf abgelagerten Schwefel, der in das annähernd perfekte Vakuum um Io verdampft. Zudem wird das in den Laven enthaltene Schwefeldioxid freigesetzt. Das Bild zeigt Io annähernd so, wie er dem bloßen Auge erscheinen würde.
Infrarotaufnahmen wurden von der Erde aus mit Großteleskopen inklusive adaptiver Optik sowie von der Raumsonde Juno mit dem Instrument JIRAM (Jovian Infrared Auroral Mapper) gemacht. Sie belegen, dass auf Io rund 200 Vulkane gleichzeitig aktiv sind. Diese erscheinen als helle Flecken auf den Infrarotbildern und sind fast gleichmäßig über den gesamten Mond verteilt. Es gibt keine Häufungen an bestimmten Stellen der Io-Kruste, wie das auf der Erde der Fall ist.
Bis zum Redaktionsschluss wurden allerdings noch keine JIRAM-Bilder von den beiden Vorbeiflügen im Dezember 2023 und Februar 2024 veröffentlicht. Auch mit der Stellar Reference Unit (SRU), einer lichtempfindlichen Kamera, die zur Steuerung der Raumsonde Juno anhand des Sternenhimmels dient, wurde die Oberfläche auf der Nachtseite des Mondes erfasst. Auf ihren Bildern könnten sich aktive Vulkane oder glühende Lavaströme sichten lassen; hier gibt es bislang ebenfalls keine Veröffentlichungen.
Rasch war klar, dass dies Ausbruchswolken von aktiven Vulkanen waren, die sich teilweise mehrere hundert Kilometer ins All erstreckten. Die Vorhersage von Peale und seinen Koautoren war glänzend bestätigt worden. Die große Wolke ging von einer roten ringförmigen Struktur aus, die später nach der hawaiianischen Vulkangöttin Pele benannt wurde (siehe »So flog die Raumsonde Juno an Io vorbei«). Bei weiterer Durchmusterung wurden noch mehr aktive Vulkane auf Io entdeckt. Die Partnersonde Voyager 2, die sich bei ihrem Vorbeiflug im Juli 1979 eigentlich gar nicht um Io kümmern sollte – sie kam nicht dicht genug an den Mond heran, wurde umprogrammiert und lichtete den Mond über viele Stunden hinweg ab. Dadurch konnten die Ausbruchswolken detailliert verfolgt werden.
Weitere Details erbrachten die Aufnahmen des Jupiter-Orbiters Galileo, der den Riesenplaneten in den Jahren 1995 bis 2003 umrundete. Diese Mission unterlag jedoch einem großen Handicap, denn die regenschirmartige Hauptantenne der Sonde ließ sich nicht völlig auffalten, so dass nur ein Bruchteil der geplanten Bilder und Messdaten zur Erde übermittelt werden konnte. Gegen Ende der Mission flog Galileo mehrmals sehr dicht an Io heran und nahm dabei extrem hochaufgelöste Bilder sehr kleiner Bereiche auf. Allerdings war die Strahlung durch Jupiter bei den Io-Passagen so extrem, dass die Sonde und ihre Kamera davon beschädigt wurden und die Aufnahmen viele Bild- und Übertragungsfehler aufwiesen.
So flog die Raumsonde Juno an Io vorbei
Die Raumsonde Juno passierte den Jupitermond Io am 30. Dezember 2023 (Orbit 57, obere Kurve) und am 3. Februar 2024 (Orbit 58, untere Kurve) zweimal in geringem Abstand. Die minimale Distanz zur Oberfläche von Io betrug jeweils 1500 Kilometer; das ist weniger als der Radius des Jupitermonds von 1822 Kilometern. Juno flog an Io mit einer hohen relativen Geschwindigkeit vorbei und hielt sich somit nur etwa eine halbe Stunde im unmittelbaren Umfeld des Mondes auf. Auf den Bahnen markieren violette Farbtöne jeweils die Orte, an denen Juno einen Abstand von 5000 Kilometern unter- und wieder überschritt.
Im Dezember 2023 bewegte sich Juno auf einer nördlicheren Route als im Februar 2024, so dass unterschiedliche Bereiche der Io-Oberfläche von ihrer Kamera JunoCam erfasst werden konnten. Diese Kamera ist mit einer extremen Weitwinkeloptik mit einer Brennweite von nur elf Millimetern ausgestattet, so dass mit ihr selbst beim Durchfliegen des geringsten Abstands Io jeweils vollständig überblickt werden konnte. Typische Kameras von Raumsonden wie Voyager oder Galileo setzten dagegen Objektive mit erheblich höheren Brennweiten ein und erfassten somit nur kleine Ausschnitte der überflogenen Oberfläche.
Die dem Bild zu Grunde liegende Karte besteht aus den besten Aufnahmen der Raumsonden Voyager 1 und 2 aus dem Jahr 1979 und von der Jupitersonde Galileo aus den Jahren 1995 bis 2003. Gut zu erkennen ist, dass die hohen Breiten von Io von den Vorgängern nur sehr schlecht erfasst wurden und die neuen Bilder von Juno die Io-Karte erheblich verbessern werden. Erst ab dem Jahr 2031 werden wieder vergleichbar gute Bilder von Io eintreffen, wenn die Jupitersonde JUICE (Jupiter Icy Moons Explorer) der Euro-päischen Raumfahrtbehörde ESA in eine Umlaufbahn um den Riesenplaneten eintritt (siehe SuW 7/2023, S. 32). Auch der Europa Clipper der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA (Start im Oktober 2024) wird annähernd gleichzeitig mit seinen Instrumenten Io aus der Ferne erfassen.
Der auffällige rötliche Ring auf der Karte ist der größte bekannte Vulkan auf Io; er trägt den Namen Pele und wurde nach der hawaiianischen Vulkangöttin benannt. Links oberhalb von Pele, auf etwa »10 Uhr«, zeigt sich der schwarze D-förmige Ring des Vulkans Loki, der auf den meisten Bildern in diesem Artikel zu sehen ist. Beide Vulkane sind sehr oft aktiv und konnten im Infrarotbereich sogar von der Erde aus gesichtet werden.
Woher kommt die extreme Aktivität?
Wie von der Gruppe von Peale vorhergesagt, verfügt Io über eine starke Energiequelle, welche die extreme geologische Aktivität antreibt. Verantwortlich für Ios ungewöhnliches Verhalten sind die Gezeiteneffekte durch Jupiter, den massereichsten Planeten unseres Sonnensystems. Jupiter erzeugt auf Io Gezeitenberge von bis zu rund 500 Meter Höhe im festen Gestein, die den Mond regelrecht durchkneten. Zum Vergleich: Die durch den Mond in festem Gestein auf der Erde erzeugten Gezeitenberge sind nur etwa 50 Zentimeter hoch.
Wie unser Mond rotiert Io bei seinen Umläufen um Jupiter gebunden, das heißt, er weist wie der Mond der Erde seinem Mutterplaneten stets dieselbe Seite zu. Somit sollten die Gezeitenberge auf Io schon seit Milliarden von Jahren eingefroren sein. Dies würde auch stimmen, würde Io keine vergleichbaren Himmelskörper in seiner Nähe haben. Tatsächlich stören die Nachbarmonde Europa und Ganymed mit ihrer Schwerkraft regelmäßig die Ruhelage von Io und sorgen zudem dafür, dass die Umlaufbahn von Io um Jupiter leicht elliptisch wird.
Dies liegt daran, dass Europa doppelt so lange für eine Umrundung von Jupiter benötigt, Ganymed viermal so lange. So wird Io periodisch aus der Ruhestellung abgelenkt, so dass die Gezeitenberge etwas hin- und herwandern. Dadurch wird der aus Silikatgesteinen bestehende Gesteinsmantel stark bewegt und erzeugt durch Reibung an den Mineralen untereinander große Mengen an Wärme. Der Energieeintrag ist so groß, dass der Silikatmantel über dem Eisenkern des Mondes zu einem großen Teil aufgeschmolzen ist.
In diesem Fall stimmt also die Vorstellung eines glutflüssigen Inneren. Schätzungen gehen von einem Schmelzanteil von 40 bis 50 Prozent aus. Auf der Erde ist dagegen der Gesteinsmantel nur in eng begrenzten Tiefenlagen maximal zu ein bis zwei Prozent aufgeschmolzen. Der aus Gestein bestehende Erdkörper ist zum größten Teil fest.
Die silikatische Lava, die von den Vulkanen von Io an die Oberfläche befördert wird, ist bei ihrem Austritt zwischen 1000 bis 1400 Grad Celsius heiß. Somit sind die Io-Laven heißer als ihre irdischen Gegenstücke, die 1200 Grad Celsius nicht überschreiten. Auch dies ist ein Beleg für den hohen Aufschmelzungsgrad im Inneren.
Gewaltige Gebirge
Die feste Kruste von Io dürfte etwa 30 bis 40 Kilometer dick sein, da sich sonst keine hohen Berge auf ihr halten könnten. Die höchste Erhebung auf Io im Bereich der Boösaule Montes erhebt sich rund 18 Kilometer über ihre Umgebung, die dreidimensionale Topografie von Io ist noch sehr ungenau. Im Mittel sind die Io-Berge etwa sechs Kilometer hoch und überragen damit die Alpen deutlich (siehe »Glitzernde Lavaseen auf Io«).
Bei diesen Bergen handelt es sich nicht um vulkanische Strukturen, nur gelegentlich befindet sich eine Caldera in ihrem unmittelbaren Umfeld (siehe »Die Region um Dazhbog Patera«). Sie weisen eine zerklüftete Topografie auf, was darauf hinweist, dass sie durch Hebungs- und Faltungsprozesse in der Io-Kruste entstehen. Dafür dürften aufsteigende Strömungen im Io-Mantel verantwortlich sein, welche die Gesteinskruste anheben und verschieben, wodurch es zu Verkeilungen, also dem Entstehen so genannter tektonischer Horste, kommt. Ein nahe gelegenes irdisches Beispiel hierfür ist der Harz, der abrupt aus der norddeutschen Tiefebene aufragt.
Woher kommen die bunten Farben?
Io sticht durch eine bunte Oberfläche hervor, die einzigartig im Sonnensystem ist. Hierfür verantwortlich sind das Element Schwefel und seine Verbindungen, die von von Ios Vulkanen ausgestoßen werden. Elementarer Schwefel kann unterschiedliche Moleküle bilden, die sich in ihrer Farbe unterscheiden. Der gewöhnliche Schwefel ist gelb, aber bei Erwärmung nimmt er sehr unterschiedliche Farbtöne an. Auch kann er extrem dünnflüssig und dann wieder sehr zähflüssig sein, je nach Temperatur.
Schwefel ist aber sehr weich und könnte daher nicht die zerklüfteten hohen Berge von Io aufbauen. Er würde unter seinem eigenen Gewicht einfach wegfließen; auch bei der geringen Schwerkraft von Io, die nur einem Sechstel der irdischen Gravitation entspricht.
Schwarze Regionen auf Io weisen auf junge vulkanische Aktivität hin; hier ist noch zu wenig Zeit vergangen, als dass sich der aus den Vulkaneruptionen freigesetzte Schwefel, der nach der Eruption wieder auf den Mond zurückfällt, sich hätte ablagern können.
Die neuen Aufnahmen von Juno komplettieren die erste Erfassung von Io und erlauben aktuelle Einblicke in das derzeitige Geschehen auf diesem hochdynamischen Mond. Zurzeit sind keine speziellen Raumsonden geplant, aber diskutiert wird eine Sonde namens Io Volcano Observer, die in der 2030er Jahren starten könnte.
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