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Alternativer Nobelpreis: Kämpfer gegen Chemiewaffen, Unrecht, Gewalt und Hunger

Alternativer Nobelpreis
Sie kämpfen gegen Chemiewaffen, Hunger, Menschenrechtsverletzungen und Gewalt. Die Aufgaben, die sich Menschen stellen, die für eine Ehrung mit dem Alternativen Nobelpreis in Frage kommen, sind immer riesig. Es sind Lebensaufgaben gegen Widerstände und Rückschläge, gegen Mächtige und für Entrechtete. Nun hat die Jury des Preises, den seit mehr als 30 Jahren der professionelle Philatelist Jakob von Uexküll stiftet, in Stockholm die Laureaten der diesjährigen Right Livelihood Awards bekannt gegeben. Alle vier sind diesmal Männer.

Neben dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Paul Walker werden der palästinensische Jurist Raji Sourani, der kongolesische Arzt Denis Mukwege sowie der Schweizer Agrarforscher Hans Rudolf Herren ausgezeichnet. Die Geehrten erhalten jeweils rund 57 000 Euro, die direkt in ihre Projekte fließen. Wer die finanzielle Unterstützung für sein Engagement nicht benötigt, erhält einen Ehrenpreis. Ursprünglich hatte der Stifter von Uexküll Ende der 1970er Jahre, aufgewühlt von den Berichten des Club of Rome über die Folgen des globalen Wachstums und der Ausbeutung der Erde, dem Nobelpreiskomitee eine Million Dollar angeboten, um zwei zusätzliche Auszeichnungen für Umwelt- und Menschenrechtsprojekte zu stiften. Er blitzte ab und gründete die Right Livelihood Awards.

Paul Walker

Paul Walker

Der Amerikaner erhält den Alternativen Nobelpreis für "seinen unermüdlichen Einsatz, die Welt von chemischen Waffen zu befreien", wie es in der Begründung der Jury heißt. Walker gilt als einer der erfolgreichsten Wegbereiter für die Abschaffung von Chemiewaffen: Mehr als 55 000 Tonnen konnten dank seiner Unterstützung bereits vernichtet werden. Dass die USA jährlich mehr als eine Milliarde Dollar in Programme zur Waffenkontrolle und Abrüstung stecken, ist maßgeblich seiner Arbeit zu verdanken. Schon während seines Studiums am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seiner Militärzeit, in die der Vietnamkrieg fiel, setzte sich Walker für Gewaltfreiheit und Abrüstung ein. Ein Engagement, das sich bis heute fortsetzt. In seinem Buch "The Price of Defense" spricht sich Walker dafür aus, dass die amerikanische Außen- und Militärpolitik präventiver, diplomatischer und weniger militärisch sein sollte. 1979 gründete der Wissenschaftler das Nuklearwaffenkontrollprogramm der Union of Concerned Scientists und veröffentlichte zusammen mit Harvard- und MIT-Kollegen den zweiten Band seines Werks: "The Nuclear Almanac".

Von 1986 bis 1993 war Walker Vizedirektor am Institute for Peace and International Security. Er organisierte die ersten Arbeitsgruppen zu "gemeinsamen Sicherheitsfragen", an denen Vertreter der Sowjetunion, der USA und Europas teilnahmen. Im Anschluss war er zwei Jahre lang als Mitarbeiter des Committee on Armed Services im US-Repräsentantenhaus tätig – und organisierte die erste amerikanische Vor-Ort-Inspektion eines russischen Chemiewaffendepots. Beim US-Ableger des von Michail Gorbatschow gegründeten Internationalen Grünen Kreuzes wurde Walker schließlich Direktor. Seit 17 Jahren kämpft er dort auf lokaler und internationaler Ebene dafür, dass Chemiewaffenarsenale unschädlich gemacht und vernichtet werden.

Raji Sourani

Raji Sourani

Er ist der prominenteste Menschenrechtsanwalt des Gazastreifens. Mehr als 35 Jahre kämpfte er in der arabischen Welt gegen Menschenrechtsverletzungen und setze sich für den Frieden ein. Weil er stets den Mut hatte, auch gegen Androhung von Repressalien die Wahrheit zu sagen, und selbst sein eigenes Land offen und scharf kritisierte, erhält Sourani den Alternativen Nobelpreis. 1953 in Gaza geboren, studierte Sourani Jura an den Universitäten von Beirut und Alexandria und gründete nach seinem Abschluss 1977 eine eigene Anwaltskanzlei. Fast ausschließlich widmete er sich von da an Menschenrechtsfällen und vertrat Palästinenser erfolgreich vor dem israelischen Militärgericht.

Durch diese Arbeit geriet der junge Anwalt früh ins Visier israelischer Behörden. 1979 wurde er zum ersten Mal verhaftet: Drei Jahren saß er in einem Gefängnis in Gaza, in dem er auch gefoltert wurde. Weitere Inhaftierungen folgten, sein Haus und sein Büro wurden zudem immer wieder durchsucht. Doch Sourani ließ sich nicht brechen und verfolgte unbeirrt sein Ziel: Gerechtigkeit für seine Mandanten und die Einhaltung der Menschenrechte. Als Sourani feststellte, dass der Osloer Friedensvertrag von 1993 kein einziges Wort über Menschenrechte enthielt, kritisierte er öffentlich sein eigenes Land. Die palästinensische Autonomiebehörde reagierte prompt und machte Sourani zu ihrem ersten politischen Gefangenen. "Ich dachte, dass der Kampf gegen die Besatzung das Schwierigste sei, aber ich fand heraus, dass das naiv war. Der Kampf gegen die eigene Regierung um die Anerkennung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ist viel komplizierter und schwieriger", sagte der Menschenrechtsanwalt einmal.

Nach seiner Entlassung aus der Haft gründete Sourani das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte. Heute dokumentiert er Menschenrechtsverletzungen und organisiert Rechtsbeistand für Betroffene. Als Präsident der Arab Organisation for Human Rights (AOHR) hat er auch die Arabische Liga zu Änderungen an der Arabischen Charta für Menschenrechte bewogen, die nun an internationale Standards angepasst werden sollen. Auch mit den Vereinten Nationen, dem Roten Kreuz und dem Internationalen Strafgerichtshof arbeitet der Palästinenser zusammen. Seit 25 Jahren.

Denis Mukwege

Denis Mukwege

"Für seine langjährige Arbeit, Frauen, die sexuelle Kriegsgewalt überlebt haben, zu heilen, und für seinen Mut, die Ursachen und Verantwortlichen zu benennen", erhält der kongolesische Arzt und Menschenrechtler Denis Mukwege den Right Livelihood Award 2013. Vor mehr als 15 Jahren errichtete Mukwege mitten in den Trümmern der Kongo-Kriege in einem Krankenhaus in Bukavu in der Provinz Süd-Kivu eine Station für Gynäkologie und Frauenheilkunde. Heute zählt das Panzi-Hospital zu den wenigen international renommierten Krankenhäusern im Kongo. Für zehntausende Frauen wurde es bereits zur Rettung. Für die einen, weil sie hier professionelle Geburtshilfe finden, für die anderen, weil Mukwege und sein Team sich auf die Behandlung von vergewaltigten Frauen spezialisiert haben. Vor allem solcher, deren Unterleib durch Bajonette, Flaschen, Scherben oder Gewehrläufe verstümmelt worden ist.

Die "Zeit"-Redakteurin Andrea Böhm hat Denis Mukwege während ihrer Reisen durch den Kongo mehrmals getroffen. Sie beschreibt den Arzt als charismatisch, an Ausstrahlung mangle es dem 58-Jährigen ebenso wenig wie an medizinischer Fachkenntnis, Stehvermögen und Sturheit. Die Arbeit von Ärzten und Pflegern in Krisengebieten ist selten nur karitativ. Tatsächlich ist sie hochpolitisch und extrem riskant. Wer zwischen den Fronten medizinische Nothilfe leistet, gerät schnell ins Fadenkreuz, wird von der einen Seite der Illoyalität beschuldigt und von der anderen als Feldlazarett missbraucht. "Für seine langjährige Arbeit, Frauen, die sexuelle Kriegsgewalt überlebt haben, zu heilen, und für seinen Mut, die Ursachen und Verantwortlichen zu benennen", erhält der kongolesische Arzt und Menschenrechtler Denis Mukwege den Right Livelihood Award 2013.

Wer wie Mukwege die Opfer sexualisierter Kriegsgewalt behandelt und die Täter an den Pranger stellt, der macht sich alle Seiten zu Feind – allen voran die eigene Armee. Über die Gräuel der Vergewaltigungen im Kongo – forciert durch Krieg und Straflosigkeit – wird inzwischen viel berichtet. Dass das Thema Ende der 1990er Jahre überhaupt an die internationale Öffentlichkeit kam, dass es heute nicht nur medizinische Behandlung, sondern auch eine öffentliche Debatte im Kongo gibt, ist vor allem kongolesischen Aktivisten und Aktivistinnen wie Mukwege zu verdanken. Der Mann dokumentierte unaussprechliche Verletzungen an den Körpern seiner Patientinnen, legte Dossiers über die Gewaltmethoden der verschiedenen Milizen und Rebellengruppen an. Mukwege hat Reportern aus aller Welt ziemlich schonungslos beigebracht, was in seinem Land vor sich geht und was sexualisierte Kriegsgewalt jenseits der Verletzung des einzelnen Menschen so verheerend macht.

"Wenn man die Frauen zerstört", sagte er der Reporterin Böhm während ihres ersten Besuchs 2006, "zerstört man die Familie und irgendwann auch das ganze Dorf." Mukwege hat in den vergangenen Jahren kaum ein Tabu ausgelassen. Er prangerte auch die zunehmende sexualisierte Gewalt in Familien – oft an kleinen Kindern – an; er hat darauf hingewiesen, dass im Krieg auch Männer zu Vergewaltigungsopfern zählen. International genießt Mukwege schon lange ein hohes Renommee. Auf UN-Konferenzen und in ausländischen Ministerien wird seine Stimme gehört. Vielleicht ein Grund, weshalb im Oktober vergangenen Jahres ein Anschlag auf ihn verübt wurde. Fünf Männer waren in sein Haus eingedrungen. Mukwege kam knapp mit dem Leben davon, einer seiner langjährigen Mitarbeiter wurde erschossen. Aus Sicherheitsgründen ging der Mediziner für mehrere Monate nach Europa. Im Januar dieses Jahres kehrte er zurück nach Bukavu und arbeitet weiter im Panzi-Hospital – unter verschärfter Bewachung.

Hans Rudolf Herren

Hans Rudolf Herren

Seine Feinde heißen Maniok- oder Mango-Schmierlaus oder auch Grüne Maniok-Milbe – Insekten, die Bohnen oder Mais fressen und ganze Ernten vernichten können. Denn Hans Rudolf Herren ist Schädlingsbekämpfer, allerdings auf akademischem Niveau und ohne Giftkanone. Dass die Schlacht gegen Käfer, Milben, Raupen und Pilze in der Landwirtschaft auch ohne giftige Chemikalien zu gewinnen ist, hat der Agrarwissenschaftler über Jahrzehnte bewiesen und umweltfreundliche Alternativen verfeinert. Dafür wird der 65-Jährige jetzt mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt.

Maniok ist in Afrika und Südamerika ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Seine eiweißreichen Wurzelknollen ernähren, wie in Europa die Kartoffel, in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern Millionen von Menschen. Als in den 1970er Jahren ein eingeschleppter Schädling – die Schmierlaus – anfing, Afrikas Maniok-Ernten zu vernichten, fing man an, hochgiftige Chemikalien auf den Feldern einzusetzen. Mit wenig Erfolg. Herren war es, der schließlich am International Institute of Tropical Agriculture in Nigeria biologische Schädlingsbekämpfungsprogramme entwickelte, die das Schmierlaus-Problem lösten. Ganze 15 Jahre lebte der Agrarforscher in Afrika.

Der entscheidende Durchbruch im Kampf gegen die Laus gelang Herren, als er in Paraguay eine Wespenart entdeckte, die als Parasit Schmierläuse befällt und tötet. Nachdem der Forscher sicher war, dass die absichtliche Verbreitung dieses natürlichen Feindes der Maniokschädlinge für die Umwelt kein noch größeres Risiko darstellen würde als die Läuse, wurde die größte Freisetzungskampagne aller Zeiten gestartet: In 24 Staaten des so genannten Maniok-Gürtels Afrikas vom Senegal bis nach Angola wurden seit 1982 bis ins Jahr 1993 1,6 Millionen Wespen auf die Schmierläuse losgelassen. Von Flugzeugen aus wurden die Wespen über den Feldern verbreitet. Inzwischen hat sich ein biologisches Gleichgewicht zwischen den Schmierläusen und ihren natürlichen Feinden eingestellt – und der Maniok-Anbau ist damit nachhaltig ohne den Einsatz von Chemikalien geschützt. 1995 erhielt Herren für diesen Erfolg den World Food Prize. Die Jury begründete ihre Entscheidung damals damit, der Forscher habe durch seine Arbeit das Leben von 20 Millionen Menschen gerettet.

Heute fördert Herren mit seiner Stiftung Biovision die biologische Schädlingsbekämpfung und ökologische Landwirtschaft in Entwicklungsländern Afrikas, wo Bauern mit weniger giftigen Methoden sogar höhere Erträge erzielen – ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Hunger und Armut. Als Sohn eines Landwirts hatte der Schweizer schon als Kind die negativen Auswirkungen von Pestiziden kennen gelernt und begonnen, sich für ungiftige Alternativen zu interessieren. Nach seiner Promotion an der ETH Zürich forschte Herren an der University of Berkeley in Kalifornien. Er war über ein Jahrzehnt lang Herausgeber der Zeitschrift "Insect Science and its Application" und ist heute Mitglied der amerikanischen Akademie der Wissenschaften (NAS).

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