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News: Kalkulierte Härte

Es ist ganz und gar nicht leicht, aus der mikroskopischen Struktur von Materie ihren Härtegrad abzuleiten. Immerhin, mit einer halbempirischen Methode lassen sich offenbar ganz brauchbare Werte vorhersagen.
Härtemessung
Jedes Kind kann sich etwas unter einem harten oder weichen Material vorstellen. Die anschaulichen Begriffe jedoch physikalisch sinnvoll mit Größen zu belegen und vielleicht sogar in Beziehung zur atomaren Struktur des jeweiligen Materials zu setzen, ist ein schwieriges Unterfangen. So wundert es nicht, dass es zig unterschiedliche Definitionen von Härte gibt – je nachdem, welches Messverfahren gerade verwendet wird. Am gebräuchlichsten ist, den Eindringwiderstand oder die Eindringtiefe eines genormten Körpers in einen anderen zu messen. Doch von diesem empirischen Wert auf die inneren Werte eines Materials zu schließen, daran bissen sich Physiker bislang verzweifelt die Zähne aus.

Nun versuchen sie es einmal umgekehrt. Faming Gao von der chinesischen Yanshan University und seine Kollegen entwickelten eine Methode, den Härtegrad anhand bestimmter atomarer Bindungseigenschaften abzuschätzen. Ihr schlüssiger Ansatz: Der Härtegrad ist so etwas wie die Summe des Widerstandes, den alle chemischen Bindungen dem eindringenden Körper entgegensetzen, bezogen auf die betrachtete Fläche. Denn je mehr Bindungen sich in Oberflächennähe befinden, desto größer wird die Härte. Da die Zahl der Bindungen im Wesentlichen durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Elektronen bestimmt wird, geht hiermit ein erster Wert in die Berechnung ein. Ferner ist auch die Bindungslänge entscheidend, denn je mehr Bindungen ein Material pro Flächeneinheit ausbildet, desto näher müssen sich die Atome schließlich kommen.

Als dritten Parameter steckten die Forscher die Polarität bzw. Ionizität der Bindungen in ihr Modell. So teilen sich bei einer kovalenten Bindungen, auch Atombindung genannt, die Bindungspartner brüderlich ein oder mehrere Elektronenpaare. Manchmal, insbesondere wenn verschiedene Elemente in einem Material stecken, zieht einer der Bindungspartner die Elektronen etwas mehr auf seine Seite. Die Bindung wird polar. Im Extremfall, wenn sich ein Atom alle zur Verfügung stehenden Elektronen schnappt, liegt eine Ionenbindung vor, die in der Regel um einiges schwächer als Atombindungen sind. Somit gibt auch die Ionizität, also der Anteil einer ionischer Bindungskomponente an einer kovalenten Bindung, Aufschluss über die Härte eines Materials.

Für elf Stoffe setzten Gao und sein Team die bekannten Werte für Elektronendichte, Bindungslänge und den Grad der kovalenten Bindung in ihr Modell ein und ermittelten so die Werte von zwei weiteren freien Parametern. Zu den Testmaterialien gehörten unter anderem die besonders harten Stoffe Diamant, Siliciumnitrid und Zirconiumoxid, die teilweise als Schleifmittel Verwendung finden. Anhand des fertigen Modells konnten die Physiker anschließend tatsächlich mit zehnprozentiger Genauigkeit die Härte für 14 harte Oxide, Halbleiter und Materialien mit reiner sowie polarer Atombindung voraussagen. Außerdem konnten die Forscher nicht nur die Härte, sondern auch eine atomare Struktur für die superharte Verbindung BC2N ermitteln, die in punkto Widerstandskraft durchaus mit Diamant mithalten kann. Bislang ließ sich der Aufbau dieser Verbindung nicht mit experimentellen Mitteln aufklären.

Eigentlich klingen die Ergebnisse also bereits recht viel versprechend; Gerbrand Ceder vom Massachusetts Institute of Technology wirft jedoch zurecht ein, dass Gao und Co ihr Modell noch bei ein paar weiteren Materialien testen sollten – vor allem bei Metallen, die weder kovalent gebunden sind, noch einen Ionenkristall bilden. Ansonsten könnte die neue Methode dabei helfen, ein mikroskopisches Modell für die Härte zu entwickeln, aber auch auf der Suche nach neuen superharten Materialien, vermag sie sicherlich wertvolle Hinweise liefern.

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