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Chronobiologie: Kalt erwischt

Angesichts der grünenden Wälder herrscht kein Zweifel: Mutter Natur hat ihre Gewächse erfolgreich aus dem Winterschlaf gerissen. Licht und Wärme lassen die inneren Uhren wieder reibungslos ticken, nachdem Kälte offenbar manche erstarren ließ.
Winter sind anstrengend: Es ist kalt, die Sonne scheint nur kurz, die Essenszeiten sind damit beschränkt, und frische Nährstoffe werden auch nur im Schneckentempo nachgeliefert. So in etwa dürfte sich das zumindest aus Sicht eines Baums darstellen. Er reagiert daher auf den Stress kaum anders als viele andere – er wirft unnötigen Ballast ab, igelt sich ein und wartet auf bessere Zeiten: den Frühling.

Sonnenstand und Temperatur sind damit wichtige Taktgeber im Leben des vielfältigen Grüns vor unseren Fenstern und Türen. Sie wirken als entscheidende Stellrädchen der inneren Uhr, die sich uns beispielsweise beim Jetlag in Erinnerung bringt. Das Uhrwerk in seiner Gesamtheit ist nicht nur bei Pflanzen noch recht rätselhaft, doch handelt es sich meist um spezielle Uhrengene, deren Produkte sich gegenseitig und die Aktivität weiterer Erbanlagen beeinflussen, mit den äußeren Eindrücken in Einklang bringen und so einen Tagesrhythmus erzeugen.

Kastanie | Im Sommer tickt die innere Uhr von Kastanien ganz wie ihr Pendant in der Laborpflanze Ackerschmalwand. Im Winter aber verzichten die Bäume im Gegensatz zur krautigen Verwandtschaft darauf.
Was aber geschieht mit dieser internen Uhr in Winterszeiten, wenn bei Pflanzen alles nur auf Sparflamme brennt? Braucht ein Baum für die paar Stoffwechselprozesse überhaupt einen wackeren Wecker? Oder wird die Uhr dann für einige Zeit abgeschaltet? Von der kleinen, laborerprobten Arabidopsis-Verwandtschaft ist schon bekannt, dass deren Uhrwerk weiterläuft. Wie Esskastanien in dieser Frage ticken, haben nun Alberto Ramos von der Polytechnischen Universität Madrid und seine Kollegen entlarvt.

Als nun Ramos und seine Kollegen in Samen, Blättern und Trieben – sommers wie winters gesammelt – die Genaktivität genauer unter die Lupe nahmen, stellten sie etwas Verblüffendes fest: Im Sommer tickte das Uhrwerk, wie von der Ackerschmalwand bekannt. Im Winter aber, in den Tiefschlafproben, fanden sie von bestimmten Uhrproteinen ausschließlich hohe Konzentrationen – und das rund um die Uhr. Ganz anders hingegen bei Arabidopsis, bei der diese Stellrädchen auch winters periodisch in ihrem Gehalt schwanken und so ihre Aufgabe erfüllen.

Im Winterschlaf also wird die innere Uhr von Kastanien nicht aufgezogen und auch nicht nachgestellt. Aber es gab noch eine weitere Überraschung: Der Wecker ließ sich jederzeit problemlos wieder reaktivieren. Das ist keineswegs selbstverständlich: Bäume dösen erst ein bisschen vor sich hin, bevor sie richtig tief einschlafen. Aus dieser ersten Phase, die beispielsweise durch eine Abkühlung eingeleitet wird, lassen sich die Pflanzenriesen noch problemlos wecken und machen nach der kurzen Pause mit Wachsen und Gedeihen einfach weiter. Einmal im Tiefschlaf versunken aber brauchen Bäume erst richtigen Kältestress über einige Zeit, um daraus wieder aufwachen zu können.

Und anders als Keimen oder Wachstum war das Uhrenstellen nicht vom ausgedehnten Frosterlebnis abhängig: Als die Forscher frisch aus dem Dösen in Schlaf gerutschte Exemplare in ein warmes Gewächshaus verpflanzten und auch mit viel Licht versorgten, begann die Uhr wieder zu ticken. Ebenso bei Artgenossen, die durch einen Kälteschock das Ticken vergessen hatten&sp;- auch sie fanden bei kuscheliger Zimmertemperatur und künstlicher Sommertageslänge ihren inneren Rhythmus binnen eines Tages wieder.

Für Arabidopsis-Forscher, deren Laborpflanze so gern als Modell für die Pflanzenwelt an sich verwendet wird – und manchmal sogar darüber hinaus –, ein interessanter, vielleicht sogar erschütternder Befund: Innere Uhren im umgebenden Grün ticken nicht alle gleich. Wer alle Rädchen im Uhrwerk kennen lernen will, sollte sich daher auch die größeren Verwandten der Ackerschmalwand ins Gewächshaus holen.

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