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Vulkanologie: Kalter Gruß

Vulkane können Tod und Verderben bringen, wenn sie explodieren - und das nicht nur in ihrem unmittelbaren Umkreis. Bisweilen sind die Folgen weltweit zu spüren wie im Falle des Ausbruchs des peruanischen Huaynaputina im Jahre 1600. Alte Chroniken vermelden Hunger und Kälte in seinem Gefolge.
Lavaausbruch
Missernten, Hunger, soziale Unruhen und Auswanderungen: Das Jahr 1815 war ein besonderes in der Geschichte Europas – auch klimatisch, denn es ging als das "Jahr ohne Sommer" in die Annalen ein. Selbst im Hochsommer traten immer wieder Nachtfröste auf, fiel in der Schweiz Schnee schon in Höhen von 800 Metern oder ergoss sich kühler Dauerregen auf Mitteleuropa. Auch in Nordamerika und Ostasien verzeichneten die Chronisten ungewöhnliche Wetterlagen mit außergewöhnlich niedrigen Temperaturen und wenig Sonnenschein.

Lange rätselten die damaligen Wissenschaftler über die Ursachen des extremen Temperatursturzes im Vergleich zu den Jahren davor. Aber erst über einhundert Jahre später fand der US-amerikanische Klimaforscher William Humphreys eine mögliche Erklärung für den untergekühlten Sommer: Als Schuldigen enttarnte er den Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa, der im April des Katastrophenjahres in die Luft geflogen war und allein vor Ort mehrere tausend Menschenleben gefordert hatte. Neben Staub und Asche schleuderte er auch schätzungsweise 60 bis 100 Millionen Tonnen Schwefelverbindungen in die Luft, die in der Atmosphäre weltweit verteilt wurden, wie ein Schirm die Sonneneinstrahlung blockierten und so den Temperatursturz herbeiführten.

Huaynaputina | Der Huaynaputina in den peruanischen Anden sorgte mit seinem Ausbruch vor rund 400 Jahren womöglich für einen weltweiten Temperatursturz.
Im Schnitt alle 10 000 Jahre könnte eine solch verheerende Katastrophe mit weltweiten Klimakalamitäten stattfinden – so schätzten die Forscher bislang die Wahrscheinlichkeit für derartig gewaltige Eruptionen. Zumindest existierte bislang für keinen anderen Vulkanausbruch eine dermaßen gute und umfassende, globale Dokumentation wie für den Tambora. Doch die Geologen könnten irren, wenn sich die Forschungen von Kenneth Verosub und Jake Lippman von der Universität von Kalifornien in Davies bestätigen sollten.

Die beiden Geowissenschaftler richteten ihren Blick exemplarisch auf die Explosion des peruanischen Huaynaputina aus dem Jahr 1600, die nach bisherigem Kenntnisstand tatsächlich eine sehr heftige war. Vor Ort starben etwa 1500 Menschen, doch beschränkten sich die Folgen offensichtlich auch hier nicht auf den unmittelbaren Umkreis des Andenvulkans. Zumindest deutet ein weltweiter Vergleich von Baumring-Daten an, dass 1601 eines der kältesten Jahre während der letzten sechs Jahrhunderte war – die Bäume bildeten zu dieser Zeit in ihrem Stamm ungewöhnlich dünne Ringe aus, was auf ungünstige Wuchsbedingungen schließen lässt.

Verosub und Lippman genügte diese Erkenntnis jedoch noch nicht. Sie suchten weltweit in alten Chroniken oder Kirchenbüchern nach Hinweisen auf soziale und ökonomische Verwerfungen, die wiederum auf klimatischen Unbill zurückzuführen sein könnten. Sie wurden zahlreich fündig: Väterchen Frost suchte beispielsweise Russland im Winter 1601/02 extrem heim, und das Land erlebte in den Jahren bis 1603 die schlimmste Hungerkrise seiner Geschichte, während der eine halbe Million Menschen gestorben sein könnte. Die daraus folgenden Unruhen führten schließlich zum Sturz von Zar Boris Godunov.

In anderen Teilen Europas unterblieben zwar revolutionäre Umtriebe, in der Landwirtschaft jedoch häuften sich die Hiobsbotschaften ebenfalls. In Frankreich und Deutschland sanken die Erträge aus dem Weinbau und begann die Lese so spät wie selten in den Jahrhunderten zuvor und danach. Die Schweiz und das Baltikum notierten einen extrem kalten Winter, in dem der Hafen von Riga erst sehr spät eisfrei wurde. Schweden erlebte Rekordschneefälle im Winter, als deren Folge die schlimmsten Frühjahrsfluten seit Menschengedenken und schließlich fatale Missernten mit Hunger und Epidemien auftraten.

Weniger dramatische, aber dennoch aussagekräftige Einträge fanden die Forscher ebenso in anderen Teilen der Welt. So begann die Pfirsichblüte in China mit zweieinhalbwöchiger Verspätung, der japanische Suwa-See fror so früh zu wie selten, in Peru selbst brach die Weinernte auch außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs des Huaynaputina ein, und in den USA gruben Geowissenschaftler eine ungewöhnliche Sedimentschicht im kalifornischen Santa-Barbara-Becken aus, die auf starke Niederschläge und eine rasche wie kurzfristige Abkühlung hindeuten. Selbst ungewöhnliche Meldungen interpretierten Verosub und Lippman im Sinne einer globalen Klimakrise: Philippinische Hafenbücher belegen, dass die Schiffspassage zwischen dem mexikanischen Acapulco und Manila in den Jahren nach 1600 für einige Zeit deutlich kürzer war als zuvor – wahrscheinlich weil veränderte Drucksysteme starke Winde auslösten, die die Überfahrt beschleunigten.

All das seien keine hundertprtozentigen Belege für die weltweiten Auswirkungen der Eruption, schränken die beiden Geologen ein, doch zeigten die Daten immerhin, dass 1601 und die Folgejahre eine klimatisch durchaus interessante Zeit seien. Weitere Nachforschungen in alten Aufzeichnungen müssten allerdings noch folgen und deren Ergebnisse mit geologischen und archäologischen Forschungen abgeglichen werden. Unklar ist beispielsweise noch, welche Mengen an Schwefelverbindungen der peruanische Feuerberg ausgespuckt hat: Die bislang zur Debatte stehenden 16 bis 55 Millionen Tonnen liegen zum Beispiel deutlich unter den Mengen des Tambora. Um tatsächlich vergleichbare Folgen erklären zu können, halten die Forscher deshalb noch einen zweiteen, bislang unbekannten Vulkanausbruch für möglich.

Immerhin deutet nach ihrer Meinung einiges darauf hin, dass es nicht nur alle 10 000 Jahre zu verheerenden Vulkanausbrüchen kommt, sondern eher im 200- bis 300-Jahres-Rhythmus. Schließlich gibt es Hinweise, dass die massive Eruption des südpazifischen Kuwae 1452 im Folgejahr ebenfalls einen erdumspannenden Kälteschock verursachte. Entsprechende historische Aufzeichnungen gilt es noch ausfindig zu machen. Bei ihrer Auswertung sollte allerdings stets Vorsicht walten, mahnt Verosub: Die Briten etwa besetzten 1600 Irland und vernichteten auf ihrem Eroberungsfeldzug viele Ernten, was im Folgejahr einen Nahrungsengpass auslöste – ganz unabhängig vom vulkanischen Wettermacher.

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  • Quellen
EOS 89: 141–142 (2008)

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