Kama Muta: Was es bedeutet, tief berührt zu sein

Es ist der Stoff, aus dem Hollywood gemacht ist: Tränendrüsenmomente wie heldenhafte Taten, große Liebesbeweise oder das Wiedersehen zwischen Menschen, die sich verloren zu haben glaubten. Wenn Menschen so etwas erleben – selbst wenn es sich nur auf dem Bildschirm abspielt – , sind sie in der Regel gerührt, vielleicht sogar tief berührt. Ihnen wird warm ums Herz; ihre Augen werden feucht; sie bekommen Gänsehaut oder einen Kloß in der Kehle. Dieses schöne Gefühl, das Menschen weltweit kennen und als innerliches Berührt- oder Bewegtsein beschreiben, hat in der Forschung erst vor wenigen Jahren einen eigenen Namen bekommen: Kama Muta, aus dem Sanskrit für »von Liebe bewegt«.
Aber nicht alle Menschen neigen gleichermaßen dazu. Womit das zusammenhängt, schildern Forschende in der Fachzeitschrift »Personality Science«. Ihre Untersuchung zeigt: Wer bei rührenden Szenen kalt bleibt, fühlt auch sonst eher weniger mit. Die Gruppe um Fynn Müller von der Universität Witten/Herdecke hatte 263 deutschen Probandinnen und Probanden, im Mittel Anfang 40, mehrere rührende Kurzfilme vorgespielt, zum Beispiel von einem heimkehrenden Soldaten, von Pferden, die einen Hund beschützen, und einem Wiedersehen zwischen Löwe und Mensch. Danach sollten sie jeweils angeben, wie sehr sie dabei die für Kama Muta typischen Gefühle empfanden und wie häufig sie diese sonst in ihrem Alltag erlebten. Außerdem beantworteten sie Fragebögen zu zahlreichen Persönlichkeitsmerkmalen.
Demnach neigten Frauen mehr zu Kama Muta als Männer, ebenso Jüngere verglichen mit Älteren. Wer das Gefühl seltener und schwächer erlebte, attestierte sich auch generell weniger starke Emotionen und weniger Empathie. »Für Menschen, die zu Kama Muta neigen, ist es typisch, die Gefühle von anderen mitzuerleben«, schreiben Müller und seine Kollegen. Es falle ihnen auch leichter, sich gedanklich in andere hineinzuversetzen. Doch die emotionale Seite der Empathie hing am stärksten mit Kama Muta zusammen.
Auch mit dem Bedürfnis nach Nähe und Kontakt sowie mit Spiritualität fanden die Forschenden Zusammenhänge. »Vielleicht können spirituelle Menschen dieses Gefühl besser wahrnehmen und beschreiben«, vermuten sie. Oder umgekehrt: Wer schnell und intensiv gerührt sei, entwickle womöglich mehr spirituelle Interessen. Mit den fünf großen Persönlichkeitsdimensionen, den Big Five, hing Kama Muta kaum zusammen. Mit Narzissmus dagegen schon: Vor allem Menschen, die sich großartig fühlen und bewundert werden wollen, reagierten stark auf Kama-Muta-Videos. Wahrscheinlich deshalb, weil die Videos herausragende Taten zeigten, spekulieren die Forschenden, »sie lieben eine große Show.« Für die weitere Forschung empfehlen sie, objektive körperliche Merkmale von Kama Muta zu messen, zum Beispiel Veränderungen in der Mimik, Atmung und Hautleitfähigkeit.
Die kurze Geschichte von Kama Muta
Die Studie bestätigt, was Kama Muta im Kern bedeutet: emotionale Anteilnahme an einer tief verbindenden Erfahrung. Es hängt mit anderen Formen des Mitgefühls zusammen, ist aber nicht dasselbe. Der Begriff rührt sogar daher, dass eine Forschungsgruppe das Gefühl von breiteren Konzepten wie Empathie abgrenzen wollte. In einer Studie mit fast 3000 Teilnehmenden fand das Team 2017 nur einen mäßigen Zusammenhang mit Empathie. Zu der Gruppe zählten der US-Anthropologe Alan Fiske von der University of California in Los Angeles, die deutschen Psychologen Thomas Schubert und Beate Seibt von der Universität Oslo und ihr Kollege Janis Zickfeld, der inzwischen an der Universität Aarhus lehrt. Gemeinsam hatten sie den Begriff und das bislang kleine Forschungsgebiet um 2015 aus der Taufe gehoben. 2019 schlossen sie aus einer großen internationalen Studie in 19 Ländern, Kama Muta sei ein universelles Gefühl.
Die erste psychologische Untersuchung zu dem Thema ist laut Google Scholar jedoch eine US-Studie aus dem Jahr 2009. Die Psychologin Sara Algoe und ihr Kollege Jonathan Haidt schrieben damals noch: »Menschen sind oft tief bewegt von den Tugenden oder Fähigkeiten anderer, doch die Psychologie hat wenig über diese Emotionen zu sagen.«
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