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Kannibalismus in der Jungsteinzeit: Erschlagen und verspeist

In der Jungsteinzeit häufen sich europaweit große Gewaltkonflikte. Doch manchen Angreifern war das Töten ihrer Opfer offenbar nicht Sieg genug, wie Ausgrabungen in Spanien zeigen.
Eine wissenschaftliche Abbildung zeigt eine Sammlung von Menschenknochen, die auf einem schwarzen Hintergrund angeordnet sind. Die Knochen sind in mehreren Reihen dargestellt und variieren in Form und Größe. Einige Knochen weisen sichtbare Bruchstellen und Texturen auf. Die Anordnung der Knochen könnte auf eine vergleichende Analyse oder Klassifizierung hinweisen. Pfeile und gestrichelte Linien heben Schnittspuren und andere Merkmale hervor.
In der spanischen Höhle El Mirador stieß ein Archäologenteam auf die Spuren von Kannibalismus an mindestens elf Menschen.

In Spanien sind Wissenschaftler auf die Überreste von rituellem Kannibalismus gestoßen – mutmaßlich die Folge eines gewaltsamen Konflikts, der sich ausgangs der Jungsteinzeit im spanischen Gebirge Sierra de Atapuerca zutrug. Bei den Opfern handelt es sich um mindestens elf Menschen verschiedener Altersstufen, die aus der Region stammten. Den mehr als 200 Skelettresten mit Schnittspuren nach zu urteilen wurden ihre Leichname systematisch zerlegt, entbeint und teils wohl auch gekocht. Manche Knochen wurden aufgeschlagen, vermutlich um an das Mark im Inneren zu gelangen. Andere weisen mögliche Bisspuren auf.

Vieles deute demnach darauf hin, dass diese Menschen nach ihrem Tod verspeist wurden, schreiben Palmira Saladié, Francesc Marginedas und Antonio Rodríguez-Hidalgo vom Katalanischen Institut für humane Paläoökologie und soziale Evolution (IPHES) in Tarragona und ihr Team. Sie haben die zahllosen Schnitt- und Bearbeitungsspuren an den Skeletten untersucht und die Ergebnisse im Fachblatt »Scientific Reports« publiziert.

Die Indizien, die die spanischen Experten sammelten, legen nahe, dass die Toten Angehörige einer Großfamilie waren, die von einer verfeindeten Gruppe getötet und dann rituell verspeist wurde. Ein solcher Umgang mit besiegten Gegnern ist von zahlreichen Kulturen weltweit bekannt. Dahinter stehe oft die Vorstellung, den Gegner endgültig zu besiegen oder sich einen Teil seiner Kraft anzueignen, erklären die Forscher. Zahlreiche Funde weisen auf solche Praktiken im vorgeschichtlichen Europa hin. Sie stammen etwa aus Herxheim bei Landau in der Pfalz, wo hunderte Menschen offenbar nach ihrem Tod aufgegessen wurden.

Ressourcenkonflikte, aber kein Hunger

Offen bleibt im Fall der spanischen Funde, ob die mutmaßlichen Aggressoren aus der Nachbarschaft stammten oder zugewandert waren. Die Jungsteinzeit war geprägt von gewaltsamen Konflikten, bei denen oft eine größere Zahl Menschen den Tod fand. Dahinter dürften Auseinandersetzungen um Ressourcen gestanden haben, die durch die einsetzende Landwirtschaft befeuert wurden.

Entdeckt wurden die menschlichen Überreste bei Ausgrabungen in der Höhle El Mirador. Datierungen zufolge sind die Knochen alle ungefähr gleich alt. Sie stammen aus einer Zeit zwischen 5709 und 5573 Jahren vor heute und stehen damit am Übergang von Jungsteinzeit zu Kupfer- beziehungsweise Bronzezeit in der Region. Auch in den Fundschichten der Höhle machte sich ein Epochenwandel bemerkbar: In der Zeit vor dem Tod der elf Individuen sei die Höhle als Tierstall genutzt worden, danach als Begräbnisstätte.

Alternative Erklärungen für den Kannibalismus hält das Team für weniger plausibel: Die elf Menschen seien vermutlich ungefähr gleichzeitig in die Erde gelangt, schreiben die Wissenschaftler. Ältere Hinweise auf Kannibalismus fanden sich nicht. Darum scheint es damals in dieser Gegend keine Sitte gewesen zu sein, die eigenen Angehörigen als Teil der Begräbniszeremonie zu verspeisen, wie andernorts üblich. Auch eine Hungersnot als Auslöser halten die Forscher für weniger wahrscheinlich, da sich unter den Opfern nicht nur die Schwächsten der Gemeinschaft, also Kinder und Alte, befanden, sondern auch Personen aus Altersgruppen, die solche Notzeiten eher überleben. Andererseits fanden sich keine eindeutigen Spuren für tödliche Verletzungen, wie sie bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu beobachten sind. Diese seien jedoch nicht zwingend erforderlich für ihre Interpretation der Geschehnisse, so die Forscher.

In der gleichen Höhle wurden bereits Anfang der 2000er Jahre Skelettreste entdeckt, die auf Kannibalismus hinweisen. Sie sind allerdings deutlich jünger und stammen aus der Bronzezeit. Mit den jungsteinzeitlichen Toten dürften sie in keinem engeren Zusammenhang stehen.

  • Quellen
Saladié, P. et al., Scientific Reports 10.1038/s41598–025–10266-w, 2025

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