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Klimawandel: Bis zum letzten Tropfen

Einer Großstadt geht das Wasser aus. Südafrikas Tourismus-Mekka, die Vier-Millionen-Einwohner Metropole Kapstadt, leidet seit drei Jahren unter einer Dürre. Zum Ende des vergangenen Jahres hatte sich die Situation so dramatisch verschlechtert, dass die Stadtverwaltung das baldige Ende der zentralen Wasserversorgung angekündigte. Dieser "Tag null" soll nach derzeitigen Berechnungen im Mai erreicht werden.
Baumstümpfe in einem leeren Reservoir

In Imizamo Yethu stehen die Menschen Schlange vor einem öffentlichen Wasserhahn. Frauen tragen gefüllte Wassereimer zu ihren ärmlichen Behausungen zurück. Dort sollte es zwar auch fließend Wasser geben, doch die Leitungen funktionieren immer seltener. "Jetzt stellen sie uns das Wasser jeden Tag aus, manchmal für über drei Stunden. Früher war es nur ein- oder zweimal pro Woche", berichtet eine Anwohnerin. Imizamo Yethu liegt nicht im ländlichen Äthiopien oder Somalia, sondern gerade einmal 12 Kilometer entfernt vom modernen Stadtkern der südafrikanischen Touristenmetropole Kapstadt, dem so genannten City Bowl. In der Armensiedlung, auf der anderen Seite des Tafelberges, der die Stadt nicht nur geografisch, sondern auch unter sozialen Aspekten trennt, "stehen die Menschen nun wieder um vier Uhr auf, um Wasser zu holen", berichtet Sozialarbeiter Kenny Tokwe.

Im Mittelschichtstadtteil Three Anchor Bay bereitet sich Libby Peacock währenddessen auf ihre tägliche Dusche vor. Sie steht in einem Plastikcontainer inmitten ihrer Dusche, der das Schmutzwasser auffängt. "Wir feuchten uns kurz an, dann etwas Seife und ein paar Sekunden schwaches Wasser aus der Dusche", erläutert Peacock. Das aufgefangene Grauwasser wird anschließend verwendet, um die Toilette zu spülen. Die Methode ist nur einer von den vielen Tricks und Maßnahmen, mit denen ganz Kapstadt versucht, das offenbar Unabwendbare zu verhindern – "Tag null", das Datum, an dem die Wasserhähne trocken bleiben werden. Das soll nach derzeitigen Kalkulationen am 11. Mai geschehen.

Ob Arm, Mittelstand oder Reich – Kapstadt geht das Wasser aus. Eine seit mittlerweile drei Jahren anhaltende Dürre hat die sechs Staudämme, welche die Stadt mit Trinkwasser versorgen, auf Rekordtiefststände gebracht. Allein der Theewaterskloof-Damm, der über die Hälfte von Kapstadts Wasserversorgung bestreitet, steht derzeit bei nur 12,3 Prozent von seiner gut 480 000 Megaliter (480 Millionen Kubikmeter) Kapazität. Zusammengerechnet liegen die Dämme derzeit bei rund 25 Prozent ihrer Kapazität (Stand 8. Februar – aktuelle Werte hier) – vor einem Jahr waren es 37 Prozent. Zur gleichen Zeit 2014, vor dem Beginn der Dürre, waren die Dämme zu 86 Prozent gefüllt. Die Wetterstation am Flughafen Kapstadt misst seit 1977 einen durchschnittlichen Jahresniederschlag von 508 Millimetern. Für 2017 waren es 153 Millimeter. Über die vergangenen drei südafrikanischen Winter, die als die Regenzeit gelten, liegt der Niederschlag dort 55 Prozent unter dem Durchschnitt.

Tag null: Wann bleibt das Wasser aus?

Die Bewertung der Wasserkrise in Kapstadt hat sich so zu einem gewaltigen Zahlenspiel entwickelt, bei dem Politiker, Wissenschaftler und Journalisten immer mehr Prozente, Volumen und Termine veröffentlichen, zitieren oder manipulieren. Dabei steht besonders Tag null im Brennpunkt des Interesses, der von der Stadtverwaltung propagierte Termin, an welchem sie sich nach eigenen Angaben gezwungen sehen wird, die Trinkwasserversorgung der Stadt durch die Leitungen abzuschalten. Dann sollen die Menschen an insgesamt 200 Ausgabestellen täglich 25 Liter Wasser pro Person erhalten. Der Wert liegt nur 10 Liter über dem von der Weltgesundheitsorganisation WHO kalkulierten Mindestvolumen von 15 Litern, das bei Krisen und Katastrophen Überleben gewährleisten und den Ausbruch von Krankheiten verhindern soll (pdf).

"Das Datum des Tages null ist eine Simplifizierung, um die Aufmerksamkeit zu fokussieren"Bob Scholes

Die Idee hinter Tag null ist wissenschaftlich und politisch nicht unumstritten. "Das Datum ist eine Simplifizierung, um die Aufmerksamkeit zu fokussieren", erläutert Bob Scholes, ein Erdsystemwissenschaftler (System Ecologist) von der University of Witwatersrand in Johannesburg (Wits). Die Stadt entschied sich, bei welchem Volumen der Staudämme eine Versorgung durch die Leitungen nicht mehr sicher wäre. Danach wurde das noch verbleibende Gesamtvolumen durch den täglichen Verbrauch dividiert, um so zu Tag null zu gelangen. "Die Realität ist aber wesentlich komplexer", sagt Scholes. Sowohl die Reserven als auch der Verbrauch ändern sich ständig. Limits und Verbote werden angepasst, neu eingeführte Maßnahmen greifen oder scheitern, und bislang nicht zugängliches Wasser aus zurückgehaltenen Reserven kommt hinzu. "Doch wird die Qualität des Wassers zum Ende hin auch ständig schlechter, und es wird teurer. Teile der Technik hören auch zu einem festen Zeitpunkt auf zu funktionieren, zum Beispiel wenn Leitungen austrocknen oder Tankeinrichtungen schlicht leerlaufen", ergänzt der Forscher.

Die südafrikanische Ministerin für Wasserangelegenheiten, Nomvula Mokonyane, zeigt sich indes von der Kampagne irritiert und nennt sie Panikmache. Sie sagt, dass ihr zuständiges Ministerium seiner Verantwortung zur Wasserversorgung nachkommen werde und nicht die Absicht habe, "das System zusammenbrechen zu lassen". Bei den politischen Querelen geht es auch darum, dass die Provinz Western Cape das einzige Bundesland ist, das von der sonst oppositionellen Democratic Alliance (DA) und nicht von dem überall sonst regierenden African National Congress (ANC) verwaltet wird. Verantwortungen werden daher aus politischen Kalkül zwischen Provinz und Hauptstadt hin und hergeschoben. So wirft die DA dem ANC umgekehrt vor, aus der Hauptstadt nicht die geschuldeten Mittel für neue Bauprojekte zur Erschließung anderer Wasserquellen zu erhalten.

Schockwirkung soll Uneinsichtige überzeugen

Der Stadtverwaltung geht es bei Tag null zugegebenermaßen durchaus um eine gewisse Schockwirkung, um einem immer noch uneinsichtigen Teil der Bewohner den Ernst der Lage vorzuführen. "Gegen Ende 2017 zeigte sich ein Großteil der Bevölkerung immer noch weitgehend ignorant über die Auswirkungen der Dürre und wollte es schlicht nicht wahrhaben, dass uns das Wasser ausgehen könnte", sagt Martine Visser, eine Verhaltensökonomin von der University of Cape Town (UCT), die die Stadtverwaltung berät. Laut Visser hatten weniger drastische Aufklärungskampagnen zunächst nicht die gewünschte Wirkung erzielt. "Erst in den letzten Monaten ist vielen Menschen das Ausmaß der Krise wirklich bewusst geworden", erklärt Visser.

So klagte noch im Januar Bürgermeisterin Patricia De Lille, dass "60 Prozent aller Kapstädter egoistisch mehr als die vorgeschriebenen 87 Liter pro Tag verbrauchen". Dieses Limit war zuvor kalkuliert worden, um einen Wert zu erreichen, der ein halbwegs normales Leben zulasse und gleichzeitig Hoffnung lässt, dass die Staudämme sich nicht entleeren. 87 Liter erlauben zum Beispiel, einmal das Geschirr zu spülen, eine vierminütige Dusche und viermal die Toilette zu spülen. Dieses Limit ging einher mit Verboten – zur Bewässerung von Gärten und Rasenflächen, Autowaschen und Auffüllen der in Kapstadt so zahlreichen Swimming Pools.

So hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch an einem Tag inzwischen auf durchschnittlich 95 Liter gesenkt. Der tägliche Gesamtverbrauch der Stadt, der Ende 2016 noch bei 1,1 Milliarden Litern lag, hat sich weit mehr als halbiert. Doch das ist den Krisenmanagern immer noch zu viel, und so wurde am 1. Februar nicht nur die persönliche Vorgabe weiter auf 50 Liter pro Tag gesenkt, sondern auch der Wasserpreis drastisch erhöht. Nach Angaben des britischen "Independent" steigt demnach der Monatspreis für einen Haushaltsverbrauch von 50 000 Litern von 2889 Rand (195 Euro) um über 700 Prozent auf 20 619 Rand (1390 Euro). Wassersündern können nun auch Regulatoren in die Leitung einbaut werden.

Andere Städte haben es schon geschafft

Dennoch sieht David Olivier, ein Forscher am Global Change Institute der Wits-University den sinkenden Verbrauch und das veränderte Bewusstsein der Konsumenten bereits als einen Erfolg, der in Zukunft solche Krisen dann verhindern könne, wenn die neue Einstellung zum Wasser auch nach der Knappheit bestehen bleibe. In einem Beitrag für "The Conversation" beschreibt Olivier, wie South-East Queensland in Australien mit seiner Target 140 Initiative zu einer der "wassereffizientesten Kommunen in der westlichen Welt" wurde. "Eine Jahrtausenddürre zwischen 2006 und 2008 veranlasste die Menschen dort, durch nachhaltige Wasserverwendung ihren täglichen Verbrauch von 300 Liter auf 129 Liter pro Kopf zu senken. Kapstadt hat es hingegen schon auf unter 100 Liter geschafft", so Olivier.

Nichtsdestotrotz bedarf die derzeitige Krise noch größerer Einsparungen. Gerade eingeleitete Maßnahmen dürften weiteren Einfluss auf das Datum von Tag null haben. So wird die Landwirtschaft um Kapstadt ihren derzeitigen 30-prozentigen Anteil am Wasserverbrauch bis März auf 15 Prozent und bis April auf 10 Prozent senken. Im Allgemeinen wird bislang davon ausgegangen, dass die Leitungen abschaltet werden, wenn das durchschnittliche Füllniveau aller sechs Dämme auf unter 13,5 Prozent sinkt. Dies ist zum einen ein technischer Wert, da gering gefüllte Dämme weniger Wasserdruck entwickeln können und sich außerdem mehr Schmutz am Boden der Dämme befindet. So konnte zum Beispiel der größte Damm Theewaterskloof bislang bis zu einem Level von 10 Prozent operieren. Zum anderen möchte die Stadt aber auch das verbleibende Wasser als strategische Reserve nutzen, um die nach Tag null folgende Versorgung an den 200 Ausgabepunkten zu gewährleisten. Neue moderne Pumpanlagen werden nun an den größeren Staudämmen installiert, die noch bis zu einem Wasserlevel von nur sechs Prozent arbeiten können. Allein das könnte der Stadt mehrere Wochen einbringen.

"Wohlhabendere Haushalte werden sich besser von der Lage isolieren können, zum Beispiel mit Wasserbohrlöchern, als arme Familien. Das allein kann zu Kontrasten und Unzufriedenheit führen"Martine Visser

Sollte Kapstadt das Rennen gegen Tag null aber dennoch verlieren, wäre dies nach Expertenauskunft die weltweit erste Großstadt mit moderner Infrastruktur, der dies widerfährt. "Ich kenne keine Beispiele in der modernen Geschichte, die ein solches Ausmaß hatten. Bislang gab es nur Fälle von kleineren Ausmaßen, zum Beispiel in Santiago und Lima in Südamerika oder Bulawayo in Simbabwe", sagt Scholes. Nach seiner Einschätzung befanden sich die meisten modernen Großstädte bislang außerhalb klimatischer Extremzonen, die eine solche Wasserknappheit verursachen können. Dies scheine sich nun durch die Ausdehnung dieser Zonen zu ändern "und jetzt erreichen wir also die strukturellen und technischen Grenzen der Infrastruktur". Experten warnen, dass Kapstadt nur der erste Fall sein könnte. "Ich denke, dass, wenn es zu Tag null kommt, Kapstadt mehr zusammenrücken wird und die Menschen sich gegenseitig helfen", sagt Martine Visser. Allerdings werde es auch zu Konflikt und Wut kommen. "Wohlhabendere Haushalte werden sich besser von der Lage isolieren können, zum Beispiel mit Wasserbohrlöchern, als arme Familien. Das allein kann zu Kontrasten und Unzufriedenheit führen", warnt die schwedische Verhaltensökonomin.

Die Ursachen für die Krise in Kapstadt und deren Verlauf könnten somit exemplarisch für andere Städte werden. Bob Scholes sieht vor allem drei Hauptgründe: Bevölkerungswachstum, Wettervariabilität und Klimawandel. Kapstadts Einwohnerzahl ist seit 2001 von 2,9 Millionen auf 4 Millionen Menschen angestiegen. "Das erhöht den Wasserbedarf. Außerdem verbrauchen manche dieser Menschen mehr Wasser, als sie es noch auf dem Land taten, wo sie zum Beispiel Wasser mit Eimern holen mussten", sagt Scholes. Zwar habe es schon immer Wettervariabilität gegeben, "reiner Zufall will es, dass wir immer mal wieder ein paar trockene Jahre bekommen". Doch wenn zudem Klimawandel einen zusätzlichen Einfluss nehme, können die zufälligen trockenen Jahre schlichtweg häufiger auftreten.

Kieferplantagen behindern Grundwasserfluss

Neben diesen Hauptursachen verweisen Wissenschaftler auch auf andere Faktoren, zum Beispiel auf invasive Pflanzenarten, deren Wuchs den freien Fluss von Grundwasser verlangsamen können. Eine im "South African Journal of Botany" im November 2017 veröffentlichte Studie warnt dabei besonders, dass invasive Kieferplantagen für die heimische Vegetation, den so genannten Fynbos, schädlich seien. "Experimente haben gezeigt, dass im Vergleich zu Fynbos, Kieferplantagen den natürlichen Wasserfluss wesentlich stärker behindern", erläutert Koautorin Karen Esler vom Centre for Invasion Biology an der Stellenbosch University. Da Kiefern sich auch sehr einfach von den Plantagen aus in die Vegetation um Kapstadt herum verbreitet haben, empfehlen Wissenschaftler inzwischen ihre Entfernung. "Die Existenz von Kieferplantagen hat sicher zum Rückgang der Wasserversorgung beigetragen", sagt Esler. Außerdem seien Feuer in Kieferwäldern heißer und schwieriger zu bekämpfen. "Dazu muss dann noch mehr von dem so knappen Wasser verwendet werden. Und Feuer werden in unserem trockener werdenden Klima immer häufiger", so die Ökologin.

Menschen stehen nach Trinkwasser an | Längst ist Trinkwasser in Kapstadt rationiert worden. Mit Bangen blicken die Menschen auf die nächsten Wochen. Ohne Niederschläge droht die völlige Einstellung der individuellen Wasserversorgung. Jeder muss dann zu öffentlichen Vergabestellen kommen.

Noch zögern Experten, im Fall von Kapstadt die Lage eindeutig dem Klimawandel zuzuschreiben. "Dies passt alles genau mit den wissenschaftlichen Projektionen zum Klimawandel zusammen. Doch brauchen wir rund fünf solcher Extremereignisse, ehe wir ein eindeutiges Muster zweifelsfrei beweisen können", erklärt Scholes. Für Kapstadt liegt die letzte solch extreme Dürre über 400 Jahre zurück. In einem in "University of Cape Town News" veröffentlichten Paper interpretieren Piotr Wolski, Bruce Hewitson und Chris Jack, führende Klimaforscher der UCT, die von ihnen für Kapstadt gesammelten Wetterdaten. Sie kommen zu dem Schluss, dass sich die Wahrscheinlichkeit von extremen Dürren in Südafrikas Western Cape-Region erhöht habe. Ihre Projektionen zeigen eine mögliche Veränderung hin zu einem "trockeneren, stärker dürreanfälligen Klima" um Kapstadt. "Es gibt solide Beweise, dass wir ähnliche, möglicherweise schwerere, Dürren, wesentlich häufiger in Kapstadt, aber auch anderen Städten Südafrikas erwarten müssen", schreiben die Forscher. Sie fordern, dass die Stadt sich darauf vorbereite, indem sie ihre Wasserversorgung weniger abhängig von Staudämmen mache.

"Auch wenn der Regen irgendwann zurückkehren wird, müssen wir darauf bestehen, dass die Ursachen dieser Krise weiter reduziert werden – steigender Bedarf und sinkende Versorgung"Bob Scholes

Kapstadt bezieht derzeit rund 98 Prozent seines Wassers von den sechs Dämmen – eine Abhängigkeit, die von Experten bereits seit langer Zeit bemängelt wird. Ohnehin werden diese Dämme zum Großteil in einer relativ kurzen Regenzeit von nur drei bis vier Monaten während der Winterzeit der südlichen Hemisphäre gefüllt. Schon der Ausfall oder Rückgang dieses Regens in nur einer Saison kann somit überdurchschnittlich schnell zu einer Krise führen. Auch wenn sich Kapstadt dank der derzeitigen Gegenmaßnahmen unter Umständen doch in diese gegen Juni einsetzende Regenzeit retten kann, gebe es auf Grund der Klimadaten keinen Grund zur Entwarnung: "Auch wenn der Regen irgendwann zurückkehren wird, müssen wir darauf bestehen, dass die Ursachen dieser Krise weiter reduziert werden – steigender Bedarf und sinkende Versorgung", sagt Scholes. "Wir müssen Grundwasser erschließen, Wasserrecycling betreiben und Meerwasserentsalzungsanlagen bauen", schreiben auch Wolski, Hewitson und Jack.

Wissenschaftler fordern bereits seit Jahren konkrete Projekte für Entsalzungsanlagen in Kapstadt, um dem steigenden Wasserbedarf nachzukommen. Angesichts der kurzen Regenzeiten für die Dämme einerseits und der "praktisch limitlosen Versorgung durch das Meer in einer Küstenstadt", wie Scholes es formuliert, anderseits liegen die Vorteile auf der Hand. Weltweit hat die Bedeutung von Meerwasserentsalzung zur Sicherung der Trinkwasserversorgung stark zugenommen, besonders weil die einst extrem hohen Kosten durch effizientere Technologie seit den 1990er Jahren um zwei Drittel gesunken sind. Nach Angaben der International Desalination Agency werden im Moment weltweit rund 300 Millionen Menschen bereits durch entsalztes Meerwasser versorgt, Tendenz stark steigend.

Israel: Von der Dürre zum Trinkwasser-Überschuss

Nach einer ein Jahrzehnt anhaltenden Dürre drohte auch Israel 2008 das Wasser auszugehen. So begann das Land gezielt, drei riesige Entsalzungsanlagen zu errichten. Deren Ziel war es nicht nur, den Wassermangel während der Dürre auszugleichen, sondern auch die Versorgung Israels langfristig und außerhalb von Krisen zu gewährleisten. So entstand unter anderem eine Anlage in Sorek, die 1,5 Millionen Menschen versorgt und als zweitgrößtes Entsalzungswerk der Welt gilt, das mit Umkehrosmose arbeitet. Die Größe und der ständige Betrieb von Sorek haben das Werk kosteneffizient gemacht – die Produktion von 1000 Litern Trinkwasser kostet dort 58 US-Cent (47 Euro Cent). Mittlerweile hat Meerwasserentsalzung in Israel einen Anteil von 55 Prozent an der gesamten Wasserversorgung. Das kostet den durchschnittlichen Israeli 30 US-Dollar (25 Euro) im Monat. Russel Harris, ein Südafrikaner, der vor 14 Jahren nach Israel gezogen war, hat seitdem zwei Dürren erlebt. "Während der ersten Dürre musste das Land noch Wasser von der Türkei importieren. Nachdem die Entsalzungsanlagen griffen, wurden wir unabhängig von Importen. Außerdem gibt es hier viele Innovationen mit Grauwasser und moderner Technologie", berichtet Harris. Das Land hat mittlerweile einen Trinkwasserüberschuss.

Dennoch ist die Stadtverwaltung von Kapstadt noch zögerlich, wenn es um große, langfristig angelegte Entsalzungswerke geht. Obwohl die Daten aus Israel zeigen, dass mit den Anlagen kostengünstig Trinkwasser gewonnen werden kann, stehen am Anfang hohe Baukosten. Diese müssen durch Wasserpreise an die Bewohner weitergegeben werden, was die Diskussion zum Politikum macht. So dienen die insgesamt sieben Projekte zur alternativen Wassergewinnung der Stadt im Moment eher der Krisenabwendung, als dass sie Teil einer längerfristigen und nachhaltigen Strategie wären, von den Staudämmen unabhängiger zu werden. Sie sollen bis Juli 2018 zusätzliche 196 Millionen Liter (196 Megaliter) pro Tag ins Netz speisen. Vier dieser Projekte sind relativ kleine Entsalzungswerke. Die Anlage in Strandfontein ist bereits im Bau und soll im März zwei Millionen Liter pro Tag liefern, etwas später dann sieben Millionen. Die Stadt mietet die temporäre Anlage allerdings nur – sie soll nach 24 Monaten wieder abgebaut werden.

Leeres Staubecken | Seit drei Jahren hat es in Kapstadt nicht mehr richtig geregnet. Dazu kommt der hohe Wasserverbrauch durch die Landwirtschaft, falsche Landnutzung und die Menschen der Millionenmetropole. Es ist also angerichtet für ein Desaster, das durch die ausgetrockneten Staubecken treffend illustriert wird.

"Diese kleinen Anlagen können zwar sehr schnell gebaut werden, als Langzeitlösung sind sie aber nicht geeignet", sagt Kobus Du Plessis, Leiter des Fachgebiets Bauingenieurwesen an der Stellenbosch University. Dort ist er seit 13 Jahren zuständig für Hydrologie und Umweltingenieurswissenschaft. "Eine größere Entsalzungsanlage wäre eine bessere Lösung, besonders mit Hinblick auf den steigenden Wasserbedarf durch Bevölkerungswachstum", sagt Du Plessis. Im März 2017 hatte er im "Journal of the South African Institution of Engeneering" ein Paper mitverfasst, das sich mit der Effizienz von möglichen Entsalzungsanlagen im Western Cape befasste. Dieses kommt zu dem Schluss: Je größer eine solche Anlage wäre, desto kosteneffizienter wäre die Wasserproduktion. Außerdem solle ein solches Werk ständig betrieben werden und nicht nur in Krisen. "Die Anlage darf nicht nur den Betrieb aufnehmen, wenn die Dämme niedrig sind. Nach meiner Analyse der Daten kommt es nur bei ständigem Betrieb zu der geringsten Kosten-pro-Einheit-Ratio", sagt Du Plessis. Nach Einschätzung des Forschers lägen die Baukosten eines solchen Werks bei rund 10 Millionen Rand (675 000 Euro) pro Megaliter (eine Million Liter) täglicher Produktionskapazität: "Ein 100 Megaliter-Werk würde dann zum Beispiel eine Milliarde Rand (67,5 Millionen Euro) kosten." Für Kapstadt wird derzeit ein 450 Megaliter-Werk diskutiert.

Langfristige Lösungen finden

Für die gegenwärtige Dürre kommen solche Ideen allerdings zu spät, denn ein permanentes, groß angelegtes Entsalzungswerk hat eine Bauzeit von rund zwei Jahren. Doch Wissenschaftler wie Du Plessis betonen, dass die Stadt sich nicht nur mit der aktuellen Krise beschäftigen dürfe, sondern auch damit, wie ein solcher Notstand in Zukunft zu verhindern ist. "Ich weiß nicht, wann die nächste Dürre kommt, aber der Umstand, wie hart wir jetzt an unsere Grenzen gestoßen sind, sagt mir, dass wir langfristige Entsalzungsprojekte eher früher als später brauchen. Wenn es nicht schon zu spät ist", so Du Plessis.

Auch bei den anderen Projekten zur alternativen Wassergewinnung in Kapstadt drehen sich Diskussionen um Rückstände und Verzug. Viele Einwohner erinnern an eine weniger schwerwiegende Dürre im Jahr 2005. Damals sollten sieben Bohrlöcher in der Grundwasserleitergruppe des Tafelbergs (Table Mountain Aquifer Group) installiert werden, der über geschätzte 100 000 Kubikkilometer Wasser verfügt (ein Kubikkilometer entspricht einer Million Megaliter). Als sich die Staudämme wieder füllten, gerieten diese Projekte jedoch wieder in Vergessenheit und wurden nur langsam verfolgt. Als Teil der sieben temporären Notmaßnahmen sollen auch jetzt wieder zwei Grundwasserleiter der Region angezapft werden. Wissenschaftler warnen allerdings, dass das Wasser in diesen Gesteinskörpern erschöpflich sei. Außerdem könnten unvorsichtige Bohrungen den Boden destabilisieren, im schlimmsten Fall sogar Erdschläge verursachen.

"Der Regen, der durchschnittlich auf Kapstadt fällt, entspricht in seinem Volumen dem Drei- bis Vierfachen des Trinkwasserverbrauchs der Stadt. Können wir Wege finden, diese Ressource effizienter zu verwenden?"Kirsty Carden

Anfang 2017 verwies ein im "South African Journal of Science" veröffentlichter Artikel darauf, dass gerade in Südafrika eine höhere Sicherheit für Wasserversorgung durch Wasserrecycling, besonders durch das Auffangen von Regenwasser, erreicht werden könne. Koautorin Kirsty Carden, eine auf nachhaltige urbane Wasserwirtschaft spezialisierte Bauingenieurin, gehört dem Projekt Future Water (Zukunft Wasser) der UCT an. Carden ist davon überzeugt, dass Städte ihre Wasserversorgung wesentlich verbessern könnten, wenn sie eine "wassersensitive" Infrastruktur errichten. "Die Idee des wassersensitiven Stadtdesigns kommt aus Australien. Es geht darum, dass Städte sich selbst in eigenständige Auffanggebiete für Wasser verwandeln", erläutert Carden. Wichtig dabei seien Grauwasser, Kondensation, aber vor allem Regen. "Der Regen, der durchschnittlich auf Kapstadt fällt, entspricht in seinem Volumen dem Drei- bis Vierfachen des Trinkwasserverbrauchs der Stadt. Können wir Wege finden, diese Ressource effizienter zu verwenden?", fragt Carden. Es sei jedoch ermutigend zu sehen, dass immer mehr Menschen in Kapstadt ihre Einstellung zum Wasser nun änderten und damit behutsamer umgingen. Die Nachfrage nach Regenwassercontainern ist so gewaltig gewachsen, dass Lieferzeiten mehrere Monate betragen. "Mit diesem Umdenken können wir vielleicht Tag null noch verhindern", sagt Carden.

Unterdessen weitet sich, unter den von Wissenschaftlern beschriebenen klimatischen Veränderungen und dem Bevölkerungswachstum, die Wasserkrise in Südafrika und dem Kontinent aus. Viele Städte in der Eastern Cape Provinz, besonders Port Elizabeth, haben Wasserrestriktionen implementiert. Die Staudämme in der KwaZulu Natal Provinz, die wegen ihrer Zuckerrohrindustrie gewaltigen Wasserbedarf hat, werden als besorgniserregend bezeichnet. Auch der zuletzt vor zwei Jahren von einer Dürre betroffene industrielle Motor des Landes, die Gauteng Provinz mit den Metropolen Johannesburg und Pretoria, ist wieder in Gefahr. Die Wasserstände der für die Provinz wichtigen Dämme in dem von Südafrika eingeschlossenen Bergkönigreich Lesotho gelten als extrem niedrig.

Außerhalb Südafrikas haben besonders jene Großstädte des Kontinents fast ständige Probleme, deren Infrastruktur nicht mit den Bevölkerungszahlen gewachsen ist. In den Hauptstädten Kenias und Ghana kommt es inzwischen fast zu jeder jährlichen Trockenzeit zu Wasserkrisen. Nairobis Infrastruktur ist für eine halbe Million Menschen gedacht, doch die Stadt hat inzwischen vier Millionen Einwohner. In Accra kommt neben mangelnden Regen Wasserverschmutzung zu den Problemen hinzu.

Wenn sich der gegenwärtige Wasserkonsum nicht ändert, werden nach Angaben der Weltbank bis zum Jahr 2025 1,8 Milliarden Menschen, ein Viertel der Weltbevölkerung, in Regionen mit akutem Wassermangel leben. Experten sind sich einig, dass die Lage in Kapstadt nur der Anfang ist. Schon im Jahr 2015 hätte die brasilianische Metropole Sao Paulo den zweifelhaften Rekord, die erste Großstadt zu sein, der das Wasser ausgeht, beinahe vor Kapstadt erreicht. Großstädte wie Peking, Moskau, Kairo oder Mexiko-Stadt haben ähnliche Probleme. Selbst eine Stadt wie London erreicht nun die Grenzen ihrer Wasserversorgung. Experten prophezeien der Stadt an der Themse erste Problem um 2025 und ernste Knappheit im Jahre 2040. "Egal ob Afrika, Australien, Kalifornien, China oder Indien – Wasserknappheit wird überall auf der Welt die neue Norm", sagt Mike Young, ein Wasserpolitik-Experte an der Adelaide University in Australien.

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