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Ozeane: Bakterien fördern katastrophale Braunalgenblüten

Seit 2011 suchen immer wieder massive Algenblüten die Karibik heim. Ein Auslöser könnten Bakterien sein, welche die Braunalgen mit lebenswichtigem Dünger versorgen.
Strand mit mehreren Menschen, die Algen mit Schubkarren und Rechen vom Sand entfernen. Im Hintergrund sind Boote auf dem Wasser zu sehen. Einige Personen entspannen auf Liegestühlen unter Palmen. Der Himmel ist leicht bewölkt.
Ein Bild mit Symbolcharakter: Mexikanische Helfer bemühen sich, einen Strand von einer Algenblüte zu befreien, während Touristen sich zu erholen versuchen.

Inzwischen ist es eine wiederkehrende Katastrophe: Bis Juni 2025 trieben in diesem Jahr rund 38 Millionen Tonnen Braunalgen an die Küsten rund um die Karibik, den Golf von Mexiko und des nördlichen Südamerikas – ein neuer Rekord, seit sich das Phänomen 2011 erstmals in dieser Vehemenz zeigte. Seitdem kehrt die Algenblüte fast jedes Jahr wieder und seitdem diskutiert die Fachwelt, was die Plage ausgelöst hat, die schwere ökologische und wirtschaftliche Schäden hinterlässt. Jonathan Jung vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und seine Arbeitsgruppe könnten nun einen weiteren oder den wichtigsten Faktor für die ausufernde Massenvermehrung der Sargassum-Algen gefunden haben: Cyanobakterien, welche die Meerespflanzen mit wichtigen Nährstoffen versorgen.

Ursprünglich dominierten die Braunalgen vor allem ein Gebiet im Nordatlantik, die Sargasso-See, allerdings entwickelt sich seit 2011 immer wieder der Große Atlantische Sargassum-Gürtel in Äquatornähe, der von den vorherrschenden Ostwinden in Richtung Amerika getrieben wird. Für dieses massenhafte Wachstum benötigen die Pflanzen jedoch Stickstoff und Phosphor, die in der Region eigentlich Mangelware sind. Daher stellten viele Arbeitsgruppen einen Zusammenhang mit der Abholzung am Amazonas her, wo Regenwälder unter anderem ausgedehnten und stark gedüngten Sojafeldern weichen müssen. Überschüssiger Dünger werde ausgewaschen und über den Amazonas in den Atlantik geleitet, wo er die Algen ernähre, so die These.

Jung und Co suchen die Ursache hingegen im Ozean selbst: Starke Winde treiben demnach rund um den Äquator den Aufstieg von kühlerem, aber phosphorreichem Tiefenwasser an, das Richtung Karibik strömt. Der zusätzlich verfügbare Phosphor begünstigt dann Cyanobakterien, die in Symbiose auf den Algen wachsen. Die Mikroben nehmen gasförmigen Stickstoff aus der Atmosphäre auf und machen ihn für die Algen biochemisch verfügbar. Erst dank dieser zusätzlichen Düngung kann das Sargassum gedeihen und verschafft der Braunalge so im äquatorialen Atlantik einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Algen.

Diesen Zusammenhang wiesen die Forscher zunächst indirekt nach: mithilfe von Korallenbohrkernen in der Karibik. Sie bauen während ihres Wachstums chemische Signaturen des Wassers in ihr Kalkskelett ein, das ähnlich wie Baumringe von Jahr zu Jahr wächst und so zeitliche Abläufe sichtbar machen kann. Über eine Analyse der Stickstoffisotope in den Korallenproben konnte Jungs Team für die letzten 120 Jahre nachvollziehen, wie viel Stickstoff von Bakterien fixiert wurde: Perioden mit einem niedrigen Verhältnis von Stickstoff-14 zu Stickstoff-15 in den Bohrkernen weisen dann entsprechend auf hohe Stickstofffixierungsraten hin - mithin auf gute Wachstumsjahre für die Braunalgen.

Dabei stachen 2015 und 2018 heraus: In diesen Jahren blühte das Sargassum rekordverdächtig. Anschließend verglichen die Wissenschaftler ihre Isotopenmessungen mit den Daten zu den Algenbiomassen seit 2011 – mit nahezu perfekter Übereinstimmung: Je mehr Stickstoff laut den Proxy-Daten fixiert wurde, desto stärker fiel die Blüte aus.

Was hat sich geändert?

Aber warum erst seit 2011? Jung und Co gehen davon aus, dass Sargassum überhaupt erst 2010 in den äquatorialen Atlantik gelangte. Damals haben starke Westwinde die Algen aus ihrem eigentlich Verbreitungsgebiet in die Region getrieben, wo sie in den Sommermonaten perfekte Lebensbedingungen vorfinden. Düngenden Saharastaub aus Afrika oder Nährstoffeinträge aus Südamerika schließen sie dagegen aus: Beides korreliere nicht mit den schwankenden Biomassewerten der Algen, schreiben sie. »Unser Mechanismus erklärt die Variabilität des Wachstums besser als alle bisherigen Ansätze. Unklar ist allerdings noch, ob und in welchem Maß auch andere Faktoren eine Rolle spielen«, sagt der Geochemiker Jung in einer Mitteilung.

Die Beobachtungen aus dem äquatornahen Atlantik könnten Forschungen der Arbeitsgruppe um Brian Lapointe von der Florida Atlantic University ergänzen, die zur Herkunft der Braunalgen geforscht hat. Unklar war beispielsweise, warum die Braunalgen gerade in der nährstoffarmen Sargasso-See gedeihen. Dank Satellitenbilder konnte Lapointes Team zeigen, wie beispielsweise 2004 und 2005 lange Bänder an treibenden Braunalgen vom Mündungsgebiet des Mississippi und Atchafalaya ostwärts Richtung Atlantik drifteten. Beide Flüssen liefern große Mengen an natürlichen Nährstoffen und ausgewaschenem Kunstdünger in den Golf, was regelmäßig große Algenblüten auslöst. »Diese nährstoffreichen Gewässer führten schon früher zu einer hohen Biomasse entlang der Golfküste; das führte im Jahr 1991 zu Massenstrandungen von Braunalgen, kostspieligen Strandreinigungen und sogar zur Notabschaltung eines Kernkraftwerks in Florida«, sagte Lapointe in einer Mitteilung.

Isotopenanalysen zeigten zudem, dass sich das Verhältnis von Stickstoff zu Phosphor in den Algen zwischen 1980 und den 2020er Jahren veränderte. So nahm der Stickstoffgehalt in dieser Zeit um 50 Prozent zu, während Phosphor leicht abnahm. Das spreche dafür, dass sich die Nährstoffquellen verschoben hätten. Statt der natürlichen Zufuhr etwa durch aufsteigendes, nährstoffreiches Tiefenwasser dominierten mittlerweile landbasierte Faktoren wie ausgewaschener Dünger aus der Landwirtschaft, Haushaltsabwässer oder der Eintrag von Autoabgasen über die Atmosphäre, schlussfolgerten Lapointe und Co. Auf offener See erhalten sich die Teppiche quasi selbst: Junge Braunalgen nutzen die Nährstoffe, die beim Abbau alter Bestände frei werden, so ihre Zusammenfassung. Die Cyanobakterien könnten als weiterer wichtiger Treiber hinzukommen. 

Widersprüchliche Herkunft

Genuntersuchungen und morphologische Vergleiche legen laut Lapointe nahe, dass Sargassum natans als wichtigste Art wohl schon vor 2011 im tropischen Atlantik vorkam, dort jedoch keine großen Bestände bildete. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein starkes Atmosphären- und Ozeanereignis im Zusammenhang mit der Nordatlantischen Oszillation zusätzliche Algenteppiche in die Region trieb und so das Algenwachstum anschließend anheizte, wie Jungs Team vermutet.

Und es ist weiterhin nicht ausgeschlossen, dass auch Düngereinträge aus dem Amazonasbecken ihren Beitrag leisten. Das Ausmaß des Algenteppichs schwankt beispielsweise auch mit den Flut- und Dürrephasen im Amazonasbecken, die sich seit der Jahrtausendwende verschärfen: Starke Regenfälle und Überflutungen waschen mehr Dünger aus und nähren damit die Algenteppiche. In regenreichen Jahren ist der Teppich größer als in trockenen Perioden.

Für die Anrainer der Karibik ist der Schaden so oder so enorm. »Die Ausbreitung von Sargassum ist nicht nur eine ökologische Kuriosität – sie hat reale Auswirkungen auf Küstengemeinden. Die massiven Blüten können Strände verschmutzen, die Fischerei und den Tourismus beeinträchtigen und Gesundheitsrisiken mit sich bringen«, sagte Lapointe. Die angespülten verrottenden Algen setzen giftige Gase wie Schwefelwasserstoff frei, was ein Gesundheitsrisiko darstellt. Absterbende Braunalgen zehren im Wasser den Sauerstoff auf und ersticken damit das Leben im Umfeld. Oder sie lagern sich auf Korallenriffen ab und töten diese in der Folge. Ob und wie man die Algen vielleicht verwerten könnte, ist dabei noch ebenso unklar wie die Frage, ob die Braunalgenpest zukünftig das neue Normal in der Region ist.

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  • Quellen
Jung, J. et al., Nature Geoscience 10.1038/s41561–025–01812–2, 2025

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