Direkt zum Inhalt

News: Katastrophale Veränderungen

Ökosysteme können sich als ziemlich robust erweisen: Störungen von außen, seien es Stürme, Feuersbrünste, neu einwandernde Arten oder auch menschliche Zerstörungen, puffern sie geduldig ab - bis zu einem gewissen Punkt. Überschreitet die Störung einen Schwellenwert, dann kippt das gesamte System um, und ein neues, vorher nicht voraussehbares Gleichgewicht stellt sich ein.
Alle Ökosysteme der Erde sind ständigen Veränderungen unterworfen. Im Laufe der Zeit verschieben sich die klimatischen Bedingungen, Arten sterben aus, neue wandern ein und besetzen neue Nischen. Da ein Ökosystem ein kompliziertes vernetztes System darstellt, kann es die meisten dieser Einflüsse mehr oder weniger gut abpuffern, sodass nur geringe Auswirkungen wahrnehmbar sind. Irgendwann ist jedoch die Belastbarkeit auch des stabilsten Ökosystems erschöpft. Was passiert dann?

Sowohl theoretische Modelle als auch Experimente im Labor können dramatische Veränderungen von intakten Ökosystemen nach einer Störung zeigen. Eine kleine Ursache kann den Tropfen bedeuten, der das Fass zum Überlaufen bringt: Das alte Gleichgewicht geht verloren, und ein völlig anderes Ökosystem mit neuen Arten stellt sich ein.

Doch treffen diese theoretischen Modelle in der Praxis wirklich zu? Marten Scheffer von der Wageningen University sowie seine Kollegen suchten nach Beispielen in der Natur – und wurden fündig:

Am besten untersucht sind die Ökosysteme von Süßwasserseen, da sie verhältnismäßig überschaubar sind. Hier gibt es zahlreiche Beispiele für das "Umkippen" eines Gewässers durch eine zu starke Nährstoffzufuhr. Durch diese Eutrophierung kommt es zu einem starken Phytoplanktonwachstum, die abgestorbenen Einzeller sinken zu Boden und werden dort unter Sauerstoffverbrauch von Bakterien abgebaut. Der auftretende Sauerstoffmangel führt, zusammen mit giftigen Pflanzenstoffen, zum Absterben der Fische. Ein ehemals klares, artenreiches Gewässer hat sich binnen kürzester Zeit in eine trübe, stinkende Brühe mit nur wenigen, hochspezialisierten Arten verwandelt.

Korallenriffe sind das zweite Beispiel hochgradig gefährdeter Ökosysteme. Diese artenreichen Biotope reagieren auf äußere Veränderungen normalerweise nur mäßig und können diese gut abpuffern. In der Karibik kam es jedoch durch zunehmende anthropogene Nährstoffbelastung und Überfischung zu einer Artenverschiebung. So verschwand aufgrund pathogener Mikroorganismen der Seeigel Diadema antilliarum, der bisher ein übermäßiges Algenwachstum kontrollierte. Dadurch überwucherten Braunalgen das Riff und bedeckten es mit einem bräunlich-grünlichem Leichentuch.

In Tansania und Botswana wurden zum Ende des 19. Jahrhunderts offene Grasländer aufgeforstet, wodurch ein völlig neues, stabiles Ökosystem entstand. Infolge weiträumiger Abholzungen und eingewanderten Elefantenherden verschob sich das Ökosystem inzwischen wieder irreversibel zu einer offenen Steppenlandschaft.

Die heutige Sahara liefert ein Beispiel für drastische Veränderungen, an denen der Mensch nicht beteiligt war. Vor 10 000 Jahren war es hier wesentlich feuchter als heute, sodass weite Gebiete mit Vegetation und Feuchtbiotopen bedeckt waren. Im Laufe der Zeit nahm jedoch die durchschnittliche Sonneneinstrahlung auf der Nordhalbkugel langsam ab. Das alte Ökosysteme der Sahara konnte sich diesen klimatischen Verschiebungen eine Zeit lang anpassen – bis vor 5000 Jahren. Dann wechselte das System abrupt und verwandelte sich in die heutige Wüste.

Aus diesen Beispielen schließen die Wissenschaftler, dass katastrophale Veränderungen von Ökosystemen schlagartig und unvorhersehbar auftreten können. Auch wenn menschlich bedingte Faktoren wie beispielsweise Eutrophierung oder Klimaerwärmung zunächst nur wenig Veränderungen auslösen, könnten die heutigen Ökosysteme ihren derzeitigen stabilen Zustand verlassen und sich komplett verwandeln, warnen die Forscher. In der Erhaltung der ökologischen Elastizität sehen sie die wichtigste Aufgabe für zukünftiges Ökosystemmanagement.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.