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Notwasserversorgung: Im Ernstfall müssen 15 Liter pro Tag reichen

Stromausfall, Anschlag, Extremwetter: Im Notfall kann die Wasserversorgung schnell unterbrochen sein. Was Deutschland tut, um sich für solche Szenarien zu rüsten.
Ein Feuerwehrfahrzeug der Feuerwehr Mülheim an der Ruhr fährt durch ein überflutetes Gebiet. Auf dem roten Fahrzeug sind die Aufschrift "Trinkwasserversorgung" und die Notrufnummer 112 zu sehen. Im Vordergrund liegen Trümmerteile im Wasser. Im Hintergrund sind Bäume und ein schlammiger Hang zu erkennen.
Bei der Überflutung im Ahrtal 2021 kam das deutschlandweit erste System zur Notwasserversorgung zum Einsatz.

Sipplingen am Bodensee, Oktober 2005: Ein Unbekannter droht dem Zweckverband »Bodensee-Wasserversorgung«, das Trinkwasser für hunderttausende Menschen zu vergiften. Taucher bergen wenig später an einer der wichtigsten Entnahmestellen für Trinkwasser in 60 Meter Tiefe drei Kanister mit dem Pflanzenschutzmittel Atrazin.

Nichts ist in Deutschland so selbstverständlich wie der Griff zum Wasserhahn. Dutzende Male am Tag bringt jeder Mensch das Wasser zum Fließen: für die morgendliche Dusche, für den Kaffee, zum Abwaschen, Blumengießen, für die Toilettenspülung. 126 Liter Trinkwasser pro Tag nutzen Menschen in Deutschland nach Angaben des Umweltbundesamts im Durchschnitt allein bei sich zu Hause. 5599 Wasserversorgungsbetriebe bringen pro Jahr insgesamt fünf Billionen Liter Wasser durch ihr 540 000 Kilometer langes Leitungsnetz zu den Verbrauchern – in den allermeisten Fällen ohne jede Störung.

»Wir leben in einer Wohlfühlblase, bei uns kommt Strom aus der Steckdose und Trinkwasser aus dem Hahn«, sagt Michael Lülf, Oberbrandrat bei der Berufsfeuerwehr in Mülheim an der Ruhr. Er kümmert sich seit 2015 um die Sicherung der Wasserversorgung. Ihn treibt eine Frage um, die wie aus einem dystopischen Sciencefiction-Roman klingt: Was, wenn zehntausende oder hunderttausende Menschen morgens den Hahn aufdrehen und nur noch ein paar letzte Tropfen herauskommen?

»Wir leben in einer Wohlfühlblase, bei uns kommt Strom aus der Steckdose und Trinkwasser aus dem Hahn«Michael Lülf, Oberbrandrat

Über die Möglichkeit eines Stromausfalls, eines Blackouts, wird in Deutschland häufiger debattiert. Meistens gilt die Sorge dabei Computern und Tiefkühltruhen. Von einem Ausfall der Wasserversorgung, also quasi einem Blue-out, ist dagegen kaum die Rede – obwohl ein Stromausfall die Wasserversorgung gleich mit lahmlegen kann. Und obwohl wir Menschen deutlich länger ohne Strom als ohne Wasser leben können.

Nach drei bis fünf Tagen ohne Wasser ist Schluss

Ohne zu trinken, verspürt man schon nach wenigen Stunden heftigen Durst. Nach spätestens 24 Stunden kommen ernstere Probleme wie Benommenheit, Kopfschmerzen und Herzrasen hinzu. Besonders wenn es heiß ist und der Körper durch Schwitzen viel Wasser verliert, können nach 48 Stunden Muskelkrämpfe einsetzen, die Nieren Schaden nehmen, das Blut kann verdicken. Nach drei bis fünf Tagen sind Menschen ohne Wasserzufuhr tot.

So weit dürfte es im wirtschaftlich und an Wasser reichen Deutschland nicht kommen. Anfangs gäbe es in einem Katastrophenfall zumindest noch Mineralwasservorräte – sofern Läden offen bleiben. Außerdem kann Wasser aus Regionen herangeschafft werden, die von einem Unglück nicht betroffen sind – sofern Straßen passierbar oder Hubschrauber in Betrieb sind. Wenn allerdings Menschen gezwungen wären, Wasser aus Bächen und Flüssen zu trinken, oder wenn Leitungswasser selbst mit Keimen belastet wäre, etwa durch eine Überschwemmung des Wasserwerks, könnte es zu schweren, ansteckenden Durchfallerkrankungen kommen. Chaos bräche aus, das Leid wäre groß.

Themenwoche »Ressource Wasser«

Kaum ein Gut betrachten wir hier zu Lande als so selbstverständlich wie sauberes Wasser. In der Themenwoche »Ressource Wasser« schaut »Spektrum.de« unter die Oberfläche, um drängende Fragen zu beantworten: Wie steht es um unser Grundwasser? Wie können wir dazu beitragen, die Reserven zu schützen? Wie sauber ist unser Trinkwasser? Und wer stellt sicher, dass wir ausreichend versorgt sind, wenn eine Katastrophe droht?

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Heidelberg, Februar 2019: In mehreren Stadtteilen kommt statt glasklaren Wasserseine blaue Flüssigkeit aus dem Hahn. Die Behörden warnen davor, das Wasser zu trinken oder zum Duschen zu verwenden. Wenige Stunden später gibt es Entwarnung: Ursache für die ungewöhnliche Farbe ist eine natürliche Schwankung im Gehalt an Kalziumkarbonat. Als das bekannt wurde, hatten Experten schon über das Szenario nachgedacht, Heidelberger Krankenhäuser notversorgen zu müssen.

Vier Szenarien des Wasserausfalls

Fachleute unterscheiden zwischen vier Arten von Wasserausfällen: Bricht in einer Straße ein einzelnes Rohr, sprechen sie von einer bloßen Störung. Dann hat der Wasserversorger die Ursache mit eigenen Mitteln zu beseitigen. Anders ist das schon, wenn ein ganzer Stadtteil oder Ort betroffen ist, der Wasserversorger das Problem nicht lösen kann und etwa durch Keime Gesundheitsgefahren drohen. In einem solchen Notfall werden das Landratsamt oder die Stadtverwaltung aktiv und bilden einen Stab, binden die Gesundheitsbehörde und beispielsweise die Feuerwehr mit ein.

Sind durch einen Anschlag oder ein Unwetter sehr viele Menschen in einer ganzen Region ohne sicheres Trinkwasser, können Land oder Bund den Katastrophenfall ausrufen und die Koordination an sich ziehen. Die strengsten Regeln schließlich gelten für den Verteidigungsfall, in dem auf unbestimmte Zeit Wasserwerke und -leitungen zum Ziel eines Angreifers werden können. Dafür gibt es sogar ein eigenes Gesetz, das der Bundeswehr weit reichende Kompetenzen überträgt. Im Katastrophen- oder Verteidigungsfall kann der Staat auch den Übergang zur »Notwasserversorgung« anordnen. Dann sinkt die Menge, die jeder Bürger täglich garantiert bekommen soll, von 50 Litern bei Stör- und Notfällen auf 15 Liter. Auch die Qualitätsanforderungen an das Notwasser sind niedriger.

Jahrelang verstaubten Notfallpläne in den Schubladen

Weil in jeder solchen Lage als Erstes die Wasserunternehmen in der Pflicht sind, betreiben diese mit dem Technologiezentrum Wasser (TZW) in Karlsruhe ein eigenes Forschungs- und Beratungsinstitut rund um die sichere Versorgung. Für Sebastian Sturm und die 35 Mitarbeiter seiner Abteilung »Wasserversorgung« gehört es zum Alltag, sich Störfälle auszumalen. Als er seinen Job im Jahr 2000 angetreten hat, schienen solche Szenarien noch weit weg, erinnert er sich: »Der Kalte Krieg war vorbei, der Klimawandel schien noch weit entfernt, man dachte, Wasser ist bei uns immer genügend da. Deshalb verstaubten die Notfallpläne in den Schubladen.«

Wasserausfall | Manch ein Wasserausfall lässt sich rasch beheben, andere Szenarien sind schwerwiegender. Experten unterscheiden zwischen vier Arten von Wasserausfällen mit verschiedenen Zuständigkeiten und Maßnahmen.

Das hat sich grundsätzlich geändert. »Die Betreiber sind inzwischen verpflichtet, Risiken zu analysieren und sich auf Störfälle vorzubereiten«, sagt Sturm. Dazu gehört es, Ersatzteile und Werkzeuge für Reparaturen vorzuhalten, die Notstromversorgung sicherzustellen und Reaktionspläne zu erarbeiten. Wichtig ist außerdem, das eigene Leitungsnetz robuster auszugestalten, indem man sich mit benachbarten Versorgern vernetzt. »Früher gab es ein ausgeprägtes Kirchturmdenken, jeder Versorger hat nur auf seine eigenen Leitungen geschaut«, sagt Sturm.

Brunnen in Berlin | In Berlin muten die Notwasserbrunnen historisch an, wie dieser hier in der Nähe der Straße des 17. Juni.

Spätestens im Dürrejahr 2018 haben viele Wasserversorger umgedacht. Durch lang anhaltende Hitze und Regenmangel fielen Flüsse fast trocken. Auch die unterirdischen Wasservorkommen litten. Etwa jeder sechste Versorger verzeichnete einen Engpass, weil »Brunnen oder Quellfassungen deutlich weniger ergiebig waren oder sogar trockengefallen sind«, wie es in einer Analyse des Branchenverbands der Wasserwirtschaft heißt. Unter den betroffenen Versorgern konnten nur jene den Mangel überbrücken, die rechtzeitig Notleitungen zu ihren Nachbarn gebaut hatten. Solche Leitungen machen es möglich, Wasser aus Regionen mit reicheren Vorkommen zu beziehen. Nach Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gibt es inzwischen in Deutschland 130 solcher Querverbindungen zwischen vormals getrennten Wasserleitungsnetzen.

Umdenken seit dem Dürrejahr 2018

Doch bei einem flächigen Ausfall kommt die »leitungsgebundene Versorgung«, die lange im Zentrum aller Planungen stand, schnell an ihre Grenzen. »In den Wasserbehältern der Versorger ist in der Regel ein Tagesbedarf gespeichert – man kann die Bevölkerung über 24 Stunden versorgen, dann muss Wasser nachgefüllt werden«, sagt Experte Sturm. Ihm sei nicht bekannt, dass irgendwo sonst größere Wasservorräte gebunkert würden. Gegenden mit Gefälle, in denen Wasser an Hügeln oder Bergen in so genannten Hochbehältern vorgehalten wird, sind im Notfall im Vorteil. Ist zum Beispiel das Wasserwerk samt aller Pumpen durch einen Stromausfall lahmgelegt, könnten Feuerwehr oder THW oben den Behälter auffüllen – die Verteilung übernimmt dann die Schwerkraft.

Anders sieht das in flachen Gegenden aus. Dort sind Pumpen nötig, um das Wasser zu den Menschen zu bringen. Fällt für sie der Strom aus dem Netz aus, müssen zunächst Notstromaggregate betriebsbereit sein. Die Berliner Wasserbetriebe, auf die rund 3,6 Millionen Menschen angewiesen sind, haben ein Notstromkonzept entwickelt, das nach Angaben von Sprecher Stephan Natz »für mindestens 36 Stunden die Versorgung über unsere Wasserwerke sichert«. Damit könnten zwei Drittel bis drei Viertel des normalen Bedarfs gedeckt werden.

»Was bei einem mehrtägigen Blackout ist, das sagt Ihnen seriös niemand«Stephan Natz, Sprecher Berliner Wasserbetriebe

Allerdings reiche der Druck dann nur für eine Versorgung bis zu einer Traufhöhe von etwa 22 Metern, sagt Natz. Höhere Gebäude seien darauf angewiesen, dass eigene Anlagen zur Druckerhöhung funktionierten. Sind diese ohne Strom, kommt auch kein Wasser. Für einen längeren Ausfall sieht Natz noch weitere Risiken: Das Personal der Wasserbetriebe könnte ausfallen, weil sich die Menschen um ihre Familien kümmern müssen oder nicht an ihre Arbeitsstätten gelangen. »Was bei einem mehrtägigen Blackout ist, das sagt Ihnen seriös niemand«, warnt Natz.

In Berlin wie in anderen Städten gibt es für einen ernsthaften Krisenfall Notbrunnen, bundesweit liegt ihre Zahl bei etwa 5200. Dabei handelt es sich meist um unscheinbare Metalldeckel, unter denen sich ein Brunnen befindet. Das Wasser kommt nicht aus einem Wasserschutzgebiet, sondern direkt aus dem Untergrund. Es muss also nicht nach den geltenden Standards trinkbar sein. Dieses Wasser sei eher für den Hygienebedarf gedacht, sagt Stephan Natz. Im Fall des Falles können diese Notbrunnen aktiviert werden, dann würden vor Ort Ausgabestellen errichtet. Das BBK spricht von 450 Millionen Chlortabletten, die dezentral bereitlägen, um das Wasser zu desinfizieren.

Ein Notfallbrunnen für mehrere tausend Menschen

Vielerorts stammen diese Notbrunnen aus den 1960er oder 1970er Jahren, also der Zeit des Kalten Kriegs. Ihre Standorte werden, so gut es geht, geheim gehalten. In Berlin dagegen zieren viele der Notbrunnen als historisch anmutende grüne Handschwengelpumpen das Stadtbild.

Wer allerdings die Handpumpen bedient, wird feststellen, dass bei vielen kein Tropfen herauskommt. Die Berliner Wasserbetriebe haben vor Kurzem die Zuständigkeit dafür vom Bund und vom Land Berlin übernommen und ermitteln bis 2026 den Reparaturbedarf: »Von den insgesamt 2091 Notbrunnen sind 553 nicht einsatzbereit«, sagt Natz. In Berlin müssen sich Stand heute 2340 Bewohnerinnen und Bewohner einen Notbrunnen teilen, bundesweit sogar 16 000 Menschen.

»Wer glaubt, dass bundesweit Tanklastwagen mit Wasser betriebsbereit vorgehalten werden, um im Notfall die Bevölkerung zu versorgen, der irrt«Michael Lülf, Feuerwehrmann

Doch in vielen Städten gibt es dieses Hilfsmittel gar nicht, etwa, weil es an bodennahem Grundwasser mangelt, das man anzapfen könnte. Deshalb wird seit einigen Jahren verstärkt daran gearbeitet, eine mobile Wasserversorgung zu organisieren, die unabhängig von Leitungen und Notbrunnen funktioniert. Dabei steht Deutschland noch ganz am Anfang. »Wer glaubt, dass bundesweit Tanklastwagen mit Wasser betriebsbereit vorgehalten werden, um im Notfall die Bevölkerung zu versorgen, der irrt«, sagt Michael Lülf von der Feuerwehr im nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr.

Eine mobile Wasserversorgung, falls nichts mehr läuft

Der Oberbrandrat und promovierte Maschinenbauer ist ein Pionier. 2016 begann er Deutschlands modernste mobile Wasserversorgung zu entwickeln. Den Ausschlag für seine Initiative gab nicht einmal ein Unglücksszenario: Ein Versorger fragte an, was man tun könnte, wenn in einem ganzen Stadtteil für Wartungsarbeiten das Wasser abgestellt werden muss. »Da haben wir festgestellt, dass wir nicht darauf vorbereitet sind, ohne Leitungen den Wasserbedarf der Bevölkerung zu decken.«

Wasserstation | Eine Mitarbeiterin der Feuerwehr füllt Trinkwasser aus einem Behelfssystem in Kanister ab. Nur wenige Städte haben die Infrastruktur, um solche Wasserstationen im Notfall aufzustellen – bis vor wenigen Jahren gab es gar keine.

Ahrtal, Juli 2021: Eine Jahrhundertflut reißt Brücken, Häuser und Straßen mit, 135 Menschen sterben. Weil Leitungen bersten und Wasserwerke stillstehen, bricht auch die Wasserversorgung für zehntausende Menschen zusammen. Sofort werden die dramatischen Folgen spürbar – denn auch zum Duschen und zum Spülen der Toiletten ist Wasser unerlässlich.

Beim Technischen Hilfswerk könne es zwei bis drei Tage dauern, bis deren leistungsstarke Aufbereitungsanlagen einsatzbereit seien, sagt Lülf: »Wir können den Menschen ja schlecht sagen, wir haben dem THW Bescheid gesagt, bitte gedulden Sie sich zwei Tage.«

Die Feuerwehr habe zwar reichlich Tankfahrzeuge, aber die seien aus Hygienegründen nicht für die Ausgabe von Trinkwasser zugelassen. Manchmal begegne ihm die Vorstellung, man könnte bei einem Notfall flugs zum Beispiel Milchtransporter oder Löschfahrzeuge umwidmen. Das hält er für naiv: »Im Bereich der Trinkwasserhygiene wird die Messlatte sehr hoch gelegt, es gibt sehr strenge Vorgaben dafür, wo man Trinkwasser transportieren darf – ganz sicher nicht in einem Tank, in dem kurz zuvor noch Milch oder Löschwasser war.« Die Feuerwehr Mülheim musste sogar ihre Anlage umrüsten, mit der sie ihre Schläuche pflegt – damit sie auch für Trinkwasserschläuche genutzt werden darf.

Zerstörter Brunnen | Dieser Trinkwasserbrunnen war für den Notfall gedacht. Doch die Jahrhundertflut im Ahrtal zerstörte ihn vollständig.

Noch ernüchternder war für ihn die Erkenntnis, dass es auf dem freien Markt keine geeignete Ausrüstung für eine mobile Wasserversorgung zu kaufen gab: »Da haben wir uns entschieden, selbst etwas zu bauen.«

Trinkwassernotversorgung in Eigeninitiative

In mehrjähriger Entwicklungsarbeit entstand mit Förderung von Bund und Land das »Schnelleinsatzsystem Trinkwassernotversorgung«, das Feuerwehrmann Lülf als »riesengroßen Werkzeugkasten« beschreibt. Zu dem System gehören unter anderem drei für Trinkwasser geeignete Tankmodule und zwei Faltbehälter für je 15 000 Liter Wasser. Außerdem gibt es Spezialausrüstung, um den Druck in Wasserleitungen zu erhöhen oder zwei Kilometer Leitung selbst zu legen, Geräte, um Wasser zu filtern und mit UV-Strahlung zu desinfizieren, Drohnen sowie Notstromaggregate mit einer Gesamtleistung von 2,1 Megawatt.

Das Prinzip ist einfach: Die mobile Wassereinheit kann ihre Tanks immer wieder am nächstgelegenen Ort, an dem es noch sicheres Trinkwasser gibt, neu auffüllen und es dorthin bringen, wo es gebraucht wird.

Das gelang so zeitig, dass die Feuerwehr Mülheim im Juli 2021 mit dem System ins Ahrtal ausrücken konnte. Dort versorgte sie die Menschen über 50 Tage hinweg mit insgesamt elf Millionen Liter Wasser, direkt und durch die Befüllung von Hochspeichern.

Diese Erfolgsstory erzählen Bundes- und Landesregierung zwar gern, doch sie vermittelt auch eine beunruhigende Botschaft: Ohne die persönliche Initiative und das langjährige Engagement eines technisch versierten Feuerwehrmanns hätte kein solches System zur Verfügung gestanden. Denn auf eine mobile Wasserversorgung sind die wenigsten Kommunen und Länder eingestellt. Das Mülheimer System war anfangs ein deutschlandweites Unikat.

System in Eigeninitiative | Im Katastrophenfall geht gar nichts: kein Wasser für die Toilette, kein Trinkwasser, trockene Leitungen. Als 2021 das Ahrtal überschwemmt wurde, rückte die Feuerwehr aus Mülheim mit dem deutschlandweit ersten System für die Notwasserversorgung an.

Inzwischen, sagt Lülf, setze ein Umdenken ein. Sein Beratungsangebot für die mobile Wasserversorgung stoße auf großes Interesse. Bremerhaven und das Land Brandenburg hätten das Mülheimer Transportsystem ebenfalls angeschafft, zwei andere Feuerwehren entwickelten ähnliche Systeme. Großstädte interessierten sich dafür, Politiker besichtigten den Standort in Mülheim. »Davon, dass bei uns flächendeckend eine mobile Wasserversorgung garantiert ist, sind wir aber noch weit entfernt«, warnt Lülf.

Es gibt keine Pflicht, Wasserausfälle zu üben

Das sieht auch Ina Wienand so, die beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn dafür zuständig ist, Deutschland auf Not- und Krisenfälle bei der Wasserversorgung vorzubereiten. Dazu gehört etwa ein Tool, mit dem Kommunen die kritischsten Komponenten ihrer Wasserversorgung identifizieren können: von einzelnen Maschinen, ohne die nichts geht, bis zu Abnehmern wie Krankenhäusern, die in jedem Fall versorgt werden müssen. Bei den Kursen und Übungen, die sie an der BBK-Akademie für Führungspersonal und Mitarbeiter von Ländern, Kommunen und Unternehmen gibt, löse sie häufig Aha-Erlebnisse aus, sagt Wienand. Denn eine Pflicht, Wasserausfälle zu üben, gibt es nicht. »Verwaltungen spielen häufiger durch, wie man reagiert, wenn Keime im Wasser sind – dagegen die Eskalationsstufe, dass gar kein Wasser mehr aus der Leitung kommt, eher seltener«, sagt sie. Eine typische Reaktion sei: »Boah, Wahnsinn, daran haben wir noch nicht gedacht.«

Wienands Amt fördert Vorhaben, mit denen sich Wasserversorger und Kommunen auf den Verteidigungsfall vorbereiten, zum Beispiel Notstromaggregate. Ihr Überblick, wie gut Deutschland für einen Wasser-Notstand gerüstet ist, beschränkt sich aber auf diese Projekte. »Es wäre sinnvoll, einen umfassenderen, bundesweiten Überblick über Ressourcen zur Sicherung der Wasserversorgung zu haben, denn dann kann man diese gezielter steuern«, sagt sie. Eine entsprechende bundesweite Datenbank sei allerdings derzeit nicht in Planung. Ein früherer Anlauf ist wegen des hohen Aufwands wieder eingestellt worden. Hoffnung setzt Wienand nun auf das »Kritis-Dachgesetz«. Durch dessen Vorgaben sollen die Anforderungen an den Schutz der kritischen Infrastruktur, zu der auch die Wasserversorgung zählt, nochmals steigen. Auch die Berliner Wasserbetriebe setzen auf mehr Aufmerksamkeit der Bundesregierung: »Wenn aus den milliardenschweren Sondervermögen ein paar Millionen für die Sanierung der Notbrunnen zusätzlich zur Verfügung gestellt würden, dann wäre das gut angelegtes Geld«, sagt Sprecher Stephan Natz.

Doch im Notfall ganz auf den Staat verlassen sollte sich niemand, mahnen die Wasserexperten. Dazu seien die Risiken zu groß. Das BBK empfiehlt, mit zwei Litern Wasser pro Person und Tag im Haushalt zu planen und einen Vorrat für zehn Tage anzulegen. Michael Lülf von der Feuerwehr Mülheim hat dafür immer zehn Kisten Mineralwasser im Keller stehen, die er rollierend nutzt und erneuert: »Wenn der Fall der Fälle eintritt, muss ich als Einsatzleiter voll für die Bürgerinnen und Bürger da sein«, sagt er, »aber ich könnte mich darauf schlecht konzentrieren, wenn ich wüsste, dass meine Familie zu Hause kein Wasser hat.«

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  • Quellen

BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V, Wasserfakten im Überblick, 2025

Niehues, B., Merkel, W.: Die Wasserversorgung im Trockenjahr 2018. Stressindikatoren und Ergebnisse einer aktuellen DVGW-Umfrage, 2020

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