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Katzen-Qubits: Die neuen Hoffnungsträger für Quantencomputer

Schrödingers Katze bekommt Nachwuchs: in den Labors der Quantenphysik. Katzen-Qubits könnten die Rechenfehler zähmen, die bislang den Traum vom Quantencomputer bremsen.
Eine 3-D-Darstellung eines komplexen, futuristischen Geräts, das an einen Quantencomputer erinnert. Das Gerät besteht aus mehreren übereinander angeordneten, runden Ebenen, die durch zahlreiche Kabel verbunden sind. Der Hintergrund zeigt ein Gittermuster aus kleinen, leuchtenden Punkten, das eine digitale oder technologische Atmosphäre vermittelt. Die Farben sind überwiegend Rot und Orange, was dem Bild eine warme, aber technische Ästhetik verleiht.
Das kronleuchterhafte Gebilde ist nicht der Quantencomputer selbst, sondern ein Kryostat: eine kühlende Hülle, welche die empfindlichen Schaltkreise umgibt.

Wenn Sie einen Quantencomputer bauen möchten, stehen Ihnen anders als bei gewöhnlichen Rechnern viele verschiedene Technologien zur Verfügung: Sie könnten entweder Prozessoren aus einzelnen Ionen oder Atomen nutzen – oder entscheiden Sie sich doch eher für Lichtteilchen, Diamanten oder supraleitende Schaltkreise? »Jede Technologie hat ihre eigenen Vor- und Nachteile«, sagt Yuval Boger, Chief Commercial Officer beim US-Startup QuEra. Welche sich am Ende durchsetzen wird, um einen leistungsfähigen Quantencomputer zu ermöglichen, ist bislang nicht absehbar.

Seit den 2020er Jahren rückt eine neuartige Variante in den Vordergrund: Sogenannte Cat-Qubits (oder auch Katzen-Qubits, benannt nach dem berühmten Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger) werden zunehmend als Hoffnungsträger gehandelt, erklärt der Quanteninformatiker Dominik Hangleiter von der University of California in Berkeley. Denn sie könnten eine der größten Schwächen herkömmlicher Technologien ausgleichen und deutlich widerstandsfähigere Berechnungen mit kleineren Systemen ermöglichen. »Bereits um die 1000 Katzen-Qubits könnten für erste industrielle Anwendungen ausreichen«, sagt der Physiker Sebastien Jezouin vom französischen Startup Alice and Bob. Mit seinem Team hat Jezouin nun einen wichtigen Fortschritt vermeldet, der den Weg zu einem Katzen-Quantencomputer ebnen soll.

In den vergangenen Jahren schritt die Entwicklung von Quantencomputern rasant voran: Firmen wie IBM, Google, Quantinuum und QuEra gehören zu den Vorreitern mit Maschinen, die bereits mit hunderten quantenmechanischen Informationseinheiten operieren, sogenannten Qubits. Diese können ähnlich wie ihre klassischen Gegenstücke (Bits) die binären Werte 0 und 1 annehmen. Da es sich bei Qubits aber um Quantenobjekte handelt, sind auch Überlagerungen möglich: Ein Qubit kann in einem Zustand sein, der weder auf 0 noch auf 1 festgelegt ist und bei einer Messung nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit einen der beiden Werte annimmt. Quantenalgorithmen nutzen solche Überlagerungen und ermöglichen so Berechnungen, die klassische Computer nicht bewältigen können.

Schrödingers Katze

1935 schlug Erwin Schrödinger ein scheinbar paradoxes Gedankenexperiment vor: Man nehme eine Katze und sperre sie in eine Kiste. Außerdem stelle man noch ein Giftfläschchen (grün auf dem Bild) dazu sowie ein radioaktives Element (lila Kiste). Ein Geigerzähler (gelb) ermittelt, ob der Atomkern zerfällt, und löst in einem solchen Fall einen Mechanismus aus, der das tödliche Gift freisetzt. Das klingt grausam, verdeutlicht aber nur ein fundamentales Dilemma der Quantentheorie, mit dem der österreichische Theoretiker ihre Unvollständigkeit demonstrieren wollte. Das Problem: Der radioaktive Atomkern ist nach den Gesetzen der Quantentheorie zunächst in einem Überlagerungszustand aus »zerfallen und nicht zerfallen«. Würden jene Gesetze nun auch für makroskopische Objekte wie eine Katze gelten, müsste sich diese ebenfalls in einem Überlagerungszustand, nämlich »lebend und tot«, befinden. In einer derartigen Phase sind für Atom und Katze lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich.

Erst beim Öffnen der Kiste (dem Moment der Beobachtung oder Messung) ändert sich die Lage dramatisch. Dann enthüllt das Atom einen der beiden Zustände »zerfallen« oder »nicht zerfallen« – und die Katze erweist sich entsprechend als »tot« oder »lebendig«. So erklärt es jedenfalls die Kopenhagener Interpretation dieser bizarren Quantenphänomene, der die meisten Physiker anhängen. Die Wellenfunktion beschreibt nur unser Wissen über zukünftige Beobachtungen und reduziert sich daher nach einer Messung von einem überlagerten Mischzustand zu einem eindeutigen Zustand.

Supraleitende Qubits

Eine der etabliertesten Qubit-Technologien, auf denen auch die Maschinen von Google oder IBM basieren, sind supraleitende Schaltkreise: Sie werden bis kurz über dem absoluten Nullpunkt gekühlt, sodass sich die Elektronen im Inneren wie ein einzelnes Quantenteilchen verhalten. Diese können dann in zwei verschiedenen Energiezuständen zugleich existieren. Allerdings sind die Zustände sehr empfindlich; kleinste Störungen führen dazu, dass sie innerhalb kürzester Zeit – in der Regel in Millisekunden – ihre Überlagerung verlieren und einen festen Wert (0 oder 1) annehmen. Falls das während einer Berechnung passiert, entstehen Fehler.

Supraleitende Schaltkreise

Um das zu verhindern, sind aufwändige Fehlerkorrekturmechanismen nötig. Hierfür schließt man gleich mehrere Schaltkreise (»physische Qubits«) zu einer Informationseinheit zusammen (dem »logischen Qubit«). So lässt sich ein Algorithmus implementieren, der auftretende Fehler erkennt und automatisch ausbessert. Für zukunftsweisende Anwendungen sind solche Fehlerkorrekturen unerlässlich.

Um ein einzelnes fehlertolerantes logisches Qubit zu codieren, sind rund 30 mal 30, also 900 physische Schaltkreise nötig. Möchte man einen Quantenalgorithmus laufen lassen, der tausende logische Qubits erfordert, muss man somit Millionen von Schaltkreisen zusammenschalten. Von solchen gigantischen Quantenprozessoren sind wir noch weit entfernt.

Katzen als Heilsbringer

Aber vielleicht sind die gar nicht nötig. Denn Katzen-Qubits versprechen eine einfachere Fehlerkorrektur mit deutlich weniger Schaltkreisen pro logischem Qubit. Grund dafür ist, dass Katzen-Qubit-Technologie bestimmte Fehlerarten automatisch unterdrückt.

In Qubits treten hauptsächlich zwei Arten von Fehlern auf. Entweder es gibt einen »Bit-Flip«, bei dem aus einer 1 eine 0 wird oder umgekehrt. Diese Art von Fehler betrifft auch herkömmliche Computer, erscheint dort aber sehr selten. Die zweite Art von Fehler verändert die »Phase« eines Qubits: Diese bestimmt, mit welcher Wahrscheinlichkeit man das überlagerte Qubit nach einer Messung im Zustand 1 oder 0 auffindet.

Katzen-Qubits unterdrücken natürlicherweise Bit-Flip-Fehler. Damit das gelingt, wird auch bei Katzen-Qubits auf Redundanz gesetzt – jedoch nicht in Form von zusätzlichen physischen Qubits, sondern indem man weitere Zustände nutzt.

Bit versus Qubit

In herkömmlichen supraleitenden Qubits werden die zwei niedrigsten Energiezustände des Systems verwendet, um den 0- oder 1-Qubit-Zustand zu codieren. Bei Katzen-Qubits ist das anders: Innerhalb des Schaltkreises werden elektromagnetische Schwingungen erzeugt, die zahlreiche Energiezustände umfassen können. Die Fachleute unterscheiden dabei zwischen zwei Typen von Schwingungsmoden: jene, die zuerst rechtsherum schwingen, und solche, die erst linksherum schwingen. Diese beiden gegenläufigen Moden codieren den 0- oder den 1-Katzenzustand. Die Moden selbst setzen sich jedoch aus vielen Energiezuständen zusammen. »Weil sie immer mehr Zustände enthalten, werden sie immer klassischer«, erklärt Jezouin. So wie Schrödingers Katze im berühmten Gedankenexperiment – daher ihr Name.

»Ein Zustand, der ein einzelnes Energiequant enthält, kann schnell von einem Bit-Flip-Fehler betroffen sein«, erklärt der Physiker weiter. »Indem man die Zustände aber gewissermaßen vergrößert, indem sie mehr Energien umfassen, werden sie robuster gegenüber solchen Störungen.« Damit beschränkt sich die benötigte Fehlerkorrektur auf die Behebung von Phasen-Flip-Fehlern, wodurch nur noch rund 30 physische Qubits pro logischem Qubit erforderlich sein sollten.

Katzen in Kinderschuhen

»Alles hat seinen Preis«, sagt der Physiker Yuval Boger von QuEra. Durch die Unterdrückung der Bit-Flip-Fehler steigt die Rate der Phasen-Flip-Fehler an. Allerdings wächst letztere nur linear an, während Bit-Flips exponentiell unterdrückt werden. »Das fällt deshalb nicht allzu stark ins Gewicht«, sagt Jezouin.

Bislang stecken Katzen-Qubits noch in Kinderschuhen. Erste Arbeiten zu dem Thema gab es 2014, die ersten Experimente erfolgten 2019. »Damit ist die Technologie lange nicht so ausgereift wie die der herkömmlichen supraleitenden Qubits, die bereits seit 20 Jahren erforscht werden«, sagt Jezouin. »Wir mussten alles von Grund auf selbst erarbeiten: jede einzelne Komponente, jedes Bauteil, alle Arbeitsschritte.«

»Irgendwie ging plötzlich alles viel schneller als gedacht, das hat uns sehr überrascht«Sebastien Jezouin, Physiker

Doch nun hat sein Team von Alice and Bob einen wichtigen Fortschritt in einem Blogpost vermeldet. Die Fachleute haben Katzen-Qubits erzeugt, die rund eine Stunde lang keinen Bit-Flip-Fehler aufweisen – ein Ziel, das sie eigentlich erst 2030 zu erreichen hofften. »Irgendwie ging plötzlich alles viel schneller als gedacht«, sagt Jezouin. »Das hat uns sehr überrascht.« Zudem sei ihr Vorgehen skalierbar; sie konnten es bereits an mehreren Katzen-Qubits testen. Das Ziel der Forschenden besteht nun darin, bis 2030 einen Quantenprozessor mit 2000 Katzen-Qubits zu bauen.

»Eine so niedrige Bit-Flip-Rate ist schon cool, aber sie sagt allein nicht viel darüber aus, wie gut das Qubit ist«, erklärt Hangleiter. »Und es sagt noch weniger darüber aus, wie gut ein Quantencomputer mit diesem Qubit ist.« Bislang gibt es noch keinen Quantencomputer, der mit Katzen-Qubits operiert. Und auch Yuval Boger weist auf einige Schwierigkeiten des Ansatzes hin: »Katzen-Qubits sind zwar weniger fehleranfällig als herkömmliche supraleitende Schaltkreise, doch sie teilen viele ihrer Nachteile.« Ein Problem sei zum Beispiel die Verdrahtung: Jeder Schaltkreis benötige zwei bis drei Kabel, was den technischen Aufbau erschwert, sobald viele Qubits zusammenkommen. Zudem können supraleitende Schaltkreise nur mit ihren nächsten Nachbarn wechselwirken und nicht mit weit entfernten Qubits – das mache die Quantenalgorithmen komplizierter.

»Aber die Community ist sich einig, dass Katzen-Qubits ein vielversprechender Ansatz sind, der weiterverfolgt werden sollte«, sagt Boger. Dem stimmt auch Hangleiter zu. Jezouin ist überzeugt: Jetzt, wo viel Zeit und Mühe in Katzen-Qubits fließt, werden auch künftig Fortschritte folgen. Damit reiht sich die Technologie in die Liste der Kandidaten, die im Wettlauf um die Vorherrschaft beim Quantencomputing miteinander konkurrieren.

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