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News: Keimbahnzellen auf Odyssee

Keimbahnzellen entstehen während der frühen Entwicklung eines Embryos und wandern dann zielstrebig zu jenen Stellen, an denen sich später die Geschlechtsorgane bilden. Wissenschaftler haben jetzt entschlüsselt, wie sie dabei ihren Weg dorthin finden.
Jede Zelle enthält die gesamte Erbinformation eines Tieres, aber nur eine kleine Gruppe hoch spezialisierter Zellen kann diese an die nächste Generation weitergeben – die Keimbahnzellen. Sie sind die Vorläufer der Samen- und Eizellen. Während der Befruchtung verschmelzen Samen- und Eizelle miteinander und begründen die nächste Generation, die ihrerseits wiederum ihre Erbinformation über die Keimbahn an die folgende Generation übermittelt. In diesem Sinne fungieren Keimbahnzellen als verbindendes Glied zwischen den Generationen.

Die Entwicklung der Keimbahn lässt sich in zwei Phasen einteilen. Schon während der frühen Entwicklung des Embryos spezifizieren sich die Keimbahnzellen und grenzen sich von den übrigen Zellen des Körpers ab. Nach ihrer Ausdifferenzierung beginnen die Keimbahnzellen sich zu teilen und wandern dann durch den Embryo zu jener Stelle, an der sich später die Geschlechtsorgane, die so genannten Gonaden, bilden. Während man bei Studien in Fliegen und Mäusen bereits viele Faktoren aufgespürt hat, die bei der Bildung von Keimbahnzellen eine Rolle spielen, war bisher nicht klar, wie Keimbahnzellen ihren Weg durch den Embryo finden.

Wissenschaftler um Christiane Nüsslein-Volhard vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie haben nach solchen Wegweisern für Keimbahnzellen gesucht. Hierzu testeten sie Tausende von Zebrafisch-Embryonen, in denen durch genetische Veränderung zufällig einzelne Proteine inaktiviert worden waren. Dabei entdeckten sie eine Mutation, die dazu führt, dass die Keimbahnzellen nicht zu den Gonaden wandern, sondern sich wie zufällig im Embryo verteilen. Da viele Keimbahnzellen in diesen Mutanten auf ihrem Weg zu den Gonaden – vergleichbar den Gefährten des Odysseus auf ihrer Heimreise – verloren gehen, nannten die Forscher diese Mutante in Anlehnung an Homers Gesänge "Odysseus".

Mit einem genetischen Trick gelang es den Forschern, die Keimbahnzellen mit einem grün fluoreszierenden Protein zu markieren und in lebenden Embryonen zu studieren. Ihre Beobachtungen zeigen, dass sich Keimbahnzellen in Odysseus-Embryonen zwar noch bewegen können, letztlich aber ziellos durch den Embryo wandern. Hierfür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder verhindert die Odysseus-Mutation, dass Keimbahnzellen die Wegweiser zu den Gonaden erkennen können, oder die Mutation macht die Wegweiser unleserlich. In beiden Fällen würden die Keimbahnzellen ihre Orientierung verlieren.

Doch bisher war weder bekannt, auf welcher molekularen Grundlage die Wegweiser funktionierten, noch auf welche Weise diese von den Keimbahnzellen wahrgenommen werden. Der Test durch klassische Transplantationsexperimente brachte Klarheit: Odysseus-Keimbahnzellen sind blind für die Wegweiser zu den Gonaden. Die Mutation inaktiviert ein Genprodukt, dass die Signale sichtbar macht.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass in Odysseus-Embryonen ein bekannter Rezeptor mit dem Namen cxcr4b gestört ist. Interessanterweise gehört cxcr4b zu einer Gruppe von Rezeptoren, die auch bei ganz anderen Zellwanderungen eine Rolle spielt. So nutzen Leukozyten ähnliche Rezeptoren, um Bakterien im Körper aufzuspüren, zu jagen und dann unschädlich zu machen.

Einen wichtigen Hinweis haben die Tübinger Forscher aus der immunologischen Forschung bekommen, wo intensive Studien in Zellkultur und Mäusen SDF-1 (stromal cell derived factor 1) als Kopplungspartner von cxcr4 identifiziert hatten. Dies legte nahe, dass SDF-1 auch während der Wanderung der Keimbahnzellen der Ligand für cxcr4b ist. Die Analyse von SDF-1 bestätigte diese Vermutung. Die Forscher fanden nicht nur heraus, dass SDF-1 im Embryo entlang der Wegstrecke von wandernden Keimbahnzellen angeschaltet wurde, sondern auch, dass bei verminderten Mengen von SDF-1 die Keimbahnzellen orientierungslos wurden – ähnlich den Odysseus-Keimbahnzellen, denen der SDF-1 Rezeptor cxcr4b fehlt.

Darüber hinaus stellte sich heraus, dass SDF-1 sogar in der Lage ist, Keimbahnzellen von ihrem natürlichen Weg abzubringen und an falsche Orte zu locken. Beispielsweise wanderten die Keimbahnzellen zum Kopf von Zebrafisch-Embryonen, wenn SDF-1 dort durch einen Trick angeschaltet wurde. Bildlich gesprochen sehen die Keimbahnzellen somit die Wegweiser-Moleküle SDF-1 mit dem Rezeptor cxcr4 und finden so ihren Weg durch den Embryo.

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