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Konfusion: Kein Durchblick

Keiner steht gerne auf dem Schlauch. Doch vorübergehende Verwirrung kann beim Lernen helfen – vorausgesetzt, sie schlägt nicht in Frustration um.
Ein Mann blickt auf den Bildschirm seines Laptops und wirkt verwirrt
Gesenkte Augenbrauen und zusammengezogene Lider deuten auf Verwirrung hin.

Normalerweise streben wissenschaftliche Experimente nach maximaler Klarheit. 2014 versuchte ein Team um den Kognitionswissenschaftler Sidney D’Mello von der US-amerikanischen University of Colorado Boulder in einer Studie allerdings bewusst, für Verwirrung zu sorgen. Ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten zunächst die Beschreibung einer erdachten Studie gelesen. Anschließend spielten sie am Computer einen Dialog mit den fiktiven Personen »Dr. Williams« und »Chris« durch. Zwischendurch mussten sie einige Fragen beantworten und ganz zum Schluss sollten sie sich entscheiden: Hat Dr. Williams Recht? Hat Chris Recht? Liegen beide richtig? Oder haben beide Unrecht?

Die fiktive Beschreibung des Experiments lautete:

Für eine Studie wurde den Studierenden im Wintersemester in einem Seminar gesagt, Lehrbücher seien optional. Im Frühjahr darauf wurde anderen Studierenden, die dasselbe Seminar besuchten, gesagt, das Lesen des Lehrbuchs sei Pflicht. Die Noten der Studierenden waren in beiden Fällen gleich gut. Fazit: Es ist nicht nötig, Lehrbücher zu kaufen.

Der anschließende Dialog ging so:

Dr. Williams: Chris denkt, dass an dieser Studie nichts problematisch war, aber ich denke das.

Dr. Williams (an den Leser gerichtet): Würden Sie auf der Grundlage dieser Studie im nächsten Semester keine Lehrbücher kaufen?

Ihre Antwort: ...

Dr. Williams: Wir werden unsere Überlegungen zu dieser Studie noch einmal durchgehen, bevor wir eine endgültige Entscheidung treffen.

Chris: Nun, ich denke, die Art und Weise, wie die Teilnehmenden in die einzelnen Bedingungen eingeteilt wurden, war gut, also ist das kein Problem.

Dr. Williams: Es war problematisch.

Dr. Williams (an den Leser): Glauben Sie, dass es ein Problem damit gibt, wie die Teilnehmenden in die einzelnen Gruppen eingeteilt wurden?

Ihre Antwort: ...

Dr. Williams: Chris, können die Forschenden wissen, ob die beiden Gruppen gleichwertig sind?

Chris: Ja, das können sie.

Dr. Williams: Da bin ich anderer Meinung.

Dr. Williams (an den Leser): Was meinen Sie, wissen die Forscher, dass die beiden Gruppen gleichwertig sind?

Ihre Antwort: ...

Dr. Williams: Ich denke, es wäre besser gewesen, wenn wir nach dem Zufallsprinzip ausgewählt hätten, ob die Leute das Lehrbuch benutzen oder nicht.

Chris: Nein, ich denke, die Anmeldung für verschiedene Zeitpunkte ist zufällig genug.

Dr. Williams (an den Leser): Wie sehen Sie das? Hätten die Forschenden hier eine Zufallszuweisung verwenden sollen?

Ihre Antwort: ...

Und, sind Sie jetzt verwirrt? Falls ja: Keine Sorge, genauso fühlten sich die Probanden von D’Mello und seinem Team. Ziel der Studie war es, genau diese Verwirrung zu untersuchen.

Gut für den Erkenntnisgewinn

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat das Interesse von Psychologen und Bildungsforschern am Thema Verwirrung – in der Forschung spricht man von Konfusion – stark zugenommen. Denn wie sich zeigte, kann Verwirrung einen Lernprozess in Gang setzen. Kurz gesagt: Hin und wieder auf dem Schlauch zu stehen, ist gut für den Erkenntnisgewinn. Doch was genau ist Verwirrung eigentlich? Und unter welchen Umständen motiviert sie uns, statt uns zu entmutigen?

Bei dem erwähnten Experiment von D’Mello und seinen Kollegen lasen 63 Psychologiestudenten den beschriebenen Dialog – und einige weitere – zwischen Dr. Williams und Chris. Zuvor hatten sie die Bedeutung acht verschiedener Begriffe aus der Forschungsmethodik kennen gelernt, etwa »Messgenauigkeit«, »Kontrollgruppe« oder »Replizierbarkeit«. Und so wie Sie bekamen die Probanden vor jedem Dialog eine fiktive Fallstudie vorgesetzt. Deren Aufbau sollten sie im Hinblick auf jeweils einen der Begriffe prüfen. Die Hälfte der Fallstudien enthielt methodische Mängel.

Ängstlich, gelangweilt oder verwirrt?

Während die Teilnehmer die Dialoge am Computerbildschirm durchgingen, filmten die Wissenschaftler ihre Gesichter, um dort Anzeichen von Verwirrung aufzuspüren. Anschließend mussten die Probanden angeben, wie ängstlich, gelangweilt, verwirrt, neugierig, erfreut, engagiert, frustriert, überrascht oder neutral sie sich bei der Aufgabe gefühlt hatten. Ein abschließender Wissenstests erlaubte den Forschern ein Urteil darüber, wie viel die Versuchsteilnehmer über die acht wissenschaftlichen Konzepte gelernt hatten.

Nach Auswertung aller Daten zeigte sich: Die Studentinnen und Studenten hatten mehr gelernt, wenn sie zuvor verwirrt gewesen waren. Sie schnitten dann im Wissenstest besser ab, und ihnen fielen auch mehr Mängel in den Studiendesigns auf. Sidney D’Mello fasste die Erkenntnisse folgendermaßen zusammen: »Wir untersuchen seit fast zehn Jahren den Zusammenhang zwischen Emotionen und Lernen und sind zu dem Schluss gekommen, dass Verwirrung – wenn sie richtig eingesetzt wird – förderlich für den Lernprozess sein kann, weil sie Menschen dazu veranlasst, sich intensiver mit dem Stoff zu befassen.«

D’Mello gehört zu jenen Wissenschaftlern, die sich schon seit Anfang des 21. Jahrhunderts mit Konfusion beschäftigen. Der Forschungszweig erlebte 2003 einen Aufschwung, als Paul Rozin von der University of Pennsylvania mit seinem Kollegen Adam Cohen die Ergebnisse einer Emotionsstudie veröffentlichte. Die beiden Psychologen hatten 255 Studentinnen und Studenten darum gebeten, zwei Tage lang die Gesichtsausdrücke anderer Menschen zu beobachten. Sie sollten die Emotionen beschreiben, die sie in den Gesichtern zu erkennen glaubten, und die Alltagssituationen, in denen sich die Personen gerade befanden. So kamen über 2000 Berichte zusammen.

Keine Grundemotion

Was Rozin und Cohen nach der Auswertung der Beschreibungen feststellten, nannten sie »interessant« und »unerwartet«. Denn, so schrieben es die beiden Forscher in der Studie, »viele [beobachtete] Gesichtsausdrücke entsprechen nicht den grundlegenden Emotionen oder gar etwas, das üblicherweise als Emotion bezeichnet wird.« Neben »Freude« hatten die Probanden besonders häufig »Verwirrung« in den Gesichtern gelesen. Dabei zählt Letztere weder zu den bekannten Grundemotionen (zu denen neben Freude etwa Angst und Trauer gehören), noch spielte sie in der Emotionspsychologie eine Rolle, obgleich man damals auch komplexere Empfindungen wie Scham oder Schuld untersuchte.

Verwirrung lauert überall: Wenn in der Gemeinde darüber diskutiert wird, ob die Straßenausbaubeitragssatzung abgeschafft werden soll und keiner genau weiß, was die Straßenausbaubeitragssatzung eigentlich ist. Wenn man sich gesünder und umweltbewusster ernähren möchte, die Bedeutung diverser Lebensmittel-Siegel aber nicht interpretieren kann. Wenn man verschiedene Versicherungsangebote miteinander vergleicht und es einem trotzdem nicht gelingt, dasjenige mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis zu wählen. Oder wenn der Vorgesetzte einem ohne Begründung Aufgaben entzieht, die man bislang vorbildlich ausgeführt hat.

Mitunter unangenehm

In solchen Situationen stehen wir, umgangssprachlich ausgedrückt, auf dem Schlauch, tappen im Dunkeln, haben keinen blassen Dunst. Wir können Informationen oder Geschehnisse nicht einordnen und nachvollziehen. Mitunter fühlt sich das unangenehm an. Doch immer deutlicher kristallisiert sich heraus, was auch das Experiment von D’Mello und seinen Kollegen zeigte: Verwirrung kann beim Lernen helfen.

Allerdings sollte man zunächst klären, was Verwirrung eigentlich ist. Paul Rozin und Adam Cohen stuften diese in ihrer Arbeit als Emotion ein – und bekamen dafür umgehend Gegenwind von anerkannten Emotionsforschern, zum Beispiel von Ursula Hess von der Humboldt-Universität zu Berlin. In einem Kommentar schrieb die Psychologin, dass sie zwar prinzipiell mit den Autoren übereinstimme, dass Konfusion ein affektiver Zustand sei, Valenz sowie ein (internales) Objekt besitze und durch Gesichtszüge ausgedrückt werde, die Laien womöglich als Verwirrung interpretierten. Aber: »Ihr Ausdruck ist wahrscheinlich eine Komponente jener Emotionen, für die Zielverhinderung zentral ist«. Anders ausgedrückt: Wenn Menschen Probleme damit haben, etwas zu erreichen, das sie gerne haben wollen, empfinden sie in erster Linie Wut oder Trauer. Die Verwirrung ist nur eine Begleiterscheinung. »Und schließlich ist Verwirrung nicht unerforscht«, so die Psychologin weiter, »nur sind es meistens nicht die Emotionsforscher, die sie erforschen.«

Es folgten zahlreiche Versuche, die Konfusion in eine Schublade zu stecken: Mal wurde sie als gewöhnliche Emotion bezeichnet, mal als Lern-Emotion, die – so wie beispielsweise Interesse – immer dann auftritt, wenn man sich Wissen aneignet. Andere zählten sie zu den Affekten, die meist diffuse Gefühlsregungen beschreiben. Dann wiederum bezeichnete man sie als kognitives Gefühl, einen mentalen Zustand mit emotionalen sowie rationalen Komponenten.

Zusammengezogene Augenlider, gesenkte Brauen

Worum es sich bei der Verwirrung nun ganz genau handelt, darüber herrscht nach wie vor Uneinigkeit. Eine etwas breitere Definition, die diese wissenschaftliche Auseinandersetzung umschifft, findet sich in der »Encyclopedia of the Sciences of Learning«, einem pädagogischen Standardwerk der Lehr- und Lernforschung. Dort ist sie folgendermaßen beschrieben: »Verwirrung ist ein kognitiv-affektiver Zustand, der auftritt, wenn eine Person sich einer Unstimmigkeit zwischen ihrem Wissen und beobachteten Informationen bewusst ist und aktiv versucht, die Diskrepanz zu beseitigen.« Körperlich äußert sich die Verwirrung so: Die Augenlider ziehen sich zusammen und die Augenbrauen sinken nach unten. Die Stimme wird höher. Die Körperposition wird aufrechter, man sitzt gerader.

Emotion hin oder her, womit Ursula Hess in ihrem Kommentar auf jeden Fall Recht hatte, war die Anmerkung, dass die Verwirrung nicht – so wie von Rozin und Cohen beschrieben – unerforscht sei. Denn tatsächlich erkannte der Schweizer Biologe und Entwicklungspsychologe Jean Piaget schon zur Mitte des 20. Jahrhunderts die Bedeutung der Verwirrung fürs Lernen. Allerdings sprach er nicht von Verwirrung, sondern vom Zustand kognitiver Unausgeglichenheit (engl.: cognitive disequilibrium).

Wenn man nachforscht und Fragen stellt, kann man das kognitive Gleichgewicht im besten Fall wieder herstellen und hat etwas dazugelernt

Wissenswelt aus den Fugen

Piagets Überlegungen zufolge befinden sich Menschen normalerweise in einem Zustand geistiger Ausgeglichenheit. Sie nehmen zwar neue Informationen aus ihrer Umgebung auf, hinterfragen diese aber nicht, weil sie zu ihrem Wissen über die Welt passen. Werden sie allerdings mit Widersprüchen, anomalen Ereignissen, Hindernissen, Störungen, Überraschungen, gleichwertigen Alternativen und Reizen oder Erfahrungen konfrontiert, die nicht ihren Erwartungen entsprechen, gerät ihre Wissenswelt aus den Fugen – sie sind kognitiv unausgeglichen. Die meisten Menschen bemerken das Missverhältnis und versuchen, die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen wieder miteinander in Einklang bringen. Anders ausgedrückt: Man beginnt nachzudenken. Wenn man nachforscht und Fragen stellt (siehe »Die richtigen Fragen«), kann man das kognitive Gleichgewicht im besten Fall wieder herstellen und hat etwas dazugelernt.

Die richtigen Fragen

Fragen können helfen, Verwirrung zu überwinden. Es kommt jedoch auf deren Qualität an, wie der inzwischen emeritierte Psychologe Arthur Graesser und sein Kollege Brent Olde von der University of Memphis feststellten. Tiefgründige Fragen (englisch: deep questions), die auf echtes Verständnis und Einsicht abzielen und häufig mit »Wie«, »Weshalb«, »Weshalb nicht« oder »Was wenn« beginnen, führen am ehesten zurück zum kognitiven Gleichgewicht. In ihrer Studie von 2003 hatten die über 100 Probanden von Graesser und Olde einige Minuten Zeit, um sich anhand von Texten und Zeichnungen mit der Funktionalität verbreiteter Gebrauchsgegenstände zu beschäftigen, darunter ein Toaster, eine Kupplung und ein Schloss. Anschließend verwirrten der beiden US-Wissenschaftler ihre Versuchsteilnehmer, indem sie sie mit einem Problem konfrontierten, etwa: Der Schlüssel passt ins Schloss, lässt sich aber nicht drehen. Diejenigen, die während ihrer Lösungsversuche tiefgründige Fragen formulierten (zum Beispiel: Wie wird die Drehbewegung auf den Schließbolzen übertragen?) schnitten in einem anschließenden Test zur Funktionsweise der Objekte besser ab als solche, die oberflächliche Fragen wie »Was ist das für ein Schloss?« stellten.

Im Alltag fragen Schüler und Studenten im Unterricht oder Hörsaal jedoch nur selten: Arthur Graesser zufolge im Schnitt 0,11 mal pro Stunde. Vor allem tiefgründige Fragen kommen kaum vor. Woran liegt das? Ein möglicher Grund dafür ist, dass man Angst hat, sich mit »dummen« Fragen vor anderen zu blamieren. Zudem mangelt es an guten Vorbildern: Lehrkräfte fragen meist nur oberflächlich. Es kann allerdings auch sein, dass schlichtweg zu wenig Wissen vorhanden ist – wer sich noch nie mit dem Innenleben eines Türschlosses beschäftigt hat, wird kaum auf die Idee kommen, zu fragen, ob womöglich eine Feder abgebrochen ist, wenn sich der Schlüssel im Schloss nicht drehen lässt.

Verwirrung kann übrigens ebenso dazu führen, dass man schweigsam wird: In einer Studie von 2014 fanden Graesser und sein Kollege Jeremiah Sullins, dass Probanden, die beim Erlernen von EDV-Kenntnissen durch falsches Feedback verwirrt wurden, anschließend weniger Fragen stellten als solche, die nicht verwirrt wurden.

Graesser, A. C. & Olde, B. A.: How does one know whether a person understands a device? The quality of the questions the person asks when the device breaks down. Journal of Educational Psychology 95, 2003

Graesser, A. C. & Person, N.: Question asking during tutoring. American Educational Research Journal 31, 1994

Sullins, J. & Graesser, A. C.: The relationship between cognitive disequilibrium, emotions and individual differences on student question generation. International Journal of Learning Technology 9, 2014

Nachdem zahlreiche Studien den Nutzen der Verwirrung belegt hatten, gingen Psychologen und Bildungsforscher weiteren Fragen nach: Wann motiviert Verwirrung – und wann stört sie nur? Kann sie beim Lernen und Lehren gezielt eingesetzt werden? Worauf sollte man dabei achten? Denn tatsächlich führt Konfusion nicht immer dazu, dass sich Verwirrte intensiv darum bemühen, den Zustand aufzulösen und etwas dazuzulernen. Manchmal führt sie auch schlicht dazu, dass man frustriert aufgibt. Das zeigte zum Beispiel eine Arbeit von vier Wissenschaftlerinnen um die Schulpsychologin Ivana Di Leo von der kanadischen McGill University in Montreal. In zwei Studien sollten insgesamt über 200 Fünft- und Sechstklässler versuchen, verschiedene Matheaufgaben zu lösen. Anschließend mussten sie beschreiben, wie es ihnen dabei ergangen war. Am häufigsten beschrieben sie Verwirrung oder Frustration. Beide Zustände liegen offenbar dicht beieinander: Wer die komplizierte Formel nicht versteht, reagiert schnell frustriert. Schlagen auch weitere Lösungsversuche fehl, gibt man irgendwann auf. Die Folge: Langeweile (siehe »Motiviert oder frustriert?«).

Wer die komplizierte Formel nicht versteht, reagiert schnell frustriert

Doch richtig eingesetzt bietet die Verwirrung eine große Chance. Denn wie zum Beispiel der Bildungsforscher Derek Alexander Muller von der University of Sydney mit seinen Kollegen zeigte, merken sich Lernende Inhalte mitunter besser, wenn sie auf dem Weg zur Erkenntnis ihre eigene Verwirrung überwinden. In einer Studie zeigten Muller und sein Team 364 Physikstudierenden je eines von vier unterschiedlichen Videos zum ersten und zweiten newtonschen Gesetz: In den ersten zwei Aufzeichnungen erklärte ein Sprecher die Gesetze ganz klassisch und unspektakulär – so, wie sie auch in den meisten Lehrbüchern beschrieben werden. Das erste Video war etwas länger als das zweite.

Video mit Überraschungseffekt

In den anderen beiden Varianten bauten die Wissenschaftler Überraschungseffekte ein: Sie konfrontierten die Versuchsteilnehmer mit falschen Vorstellungen von den Gesetzen, die selbst unter den Physikstudenten verbreitet waren. So begann das dritte Video damit, dass der Sprecher die typischen Irrtümer beschrieb. Und im vierten äußerte ein Student einem Professor gegenüber seine irrigen Annahmen, die dieser daraufhin richtigstellte. Unter den letzten beiden Bedingungen merkten sich die Teilnehmer die newtonschen Gesetze deutlich besser. Auch verfielen sie anschließend seltener falschen Ansichten.

An Hochschulen und Schulen verwirren Dozenten und Lehrer die Studenten und Schüler ganz gezielt. Das geschieht zum Beispiel beim problemorientierten Lernen. Ursprünglich gegen Ende der 1960er Jahre zur Verbesserung der Ausbildung von Medizinern entwickelt, ist dieses Konzept heute Teil vieler Lehrpläne. Dabei bekommen Studenten oder Schüler ein komplexes, aber alltagsnahes Fallbeispiel präsentiert, aus dem mindestens eine Problemstellung hervorgeht. Anschließend bearbeiten sie ihr Szenario in Kleingruppen, wobei sie verschiedene Phasen durchlaufen, etwa Problemdefinition, Ideensammlung, Informationsbeschaffung, Ergebnispräsentation und Reflexion.

Motiviert oder frustriert? | Wer beim Lernen auf Schwierigkeiten stößt, versucht zunächst, diese durch Nachdenken zu bewältigen. Gelingt das nicht, reagiert man frustriert und schließlich sogar gelangweilt.

Problemorientiertes Lernen findet auf zwei Wegen statt, wie ein Team um Jason Lodge von der University of Melbourne in einem 2018 veröffentlichten Überblicksartikel schrieb. Erstens kann es schlicht dazu führen, dass Lernende mehr Zeit und Anstrengung investierten, um zu einer Lösung zu kommen. Doch manchmal kommt man nicht weiter, so angestrengt man auch nachdenkt. Die Verwirrung hält an. In solchen Fällen überlegen sich Lernende häufig alternative Wege, um das Problem zu umschiffen. Sie investieren nicht einfach nur mehr Mühe, sondern denken sich etwas Neues aus. So könnte es sein, dass jemandem an einem Sonntag vor einem fast leeren Kühlschrank steht. Die Person zermartert sich den Kopf darüber, was sie aus einem Weißkohl, einer Dose gehackter Tomaten und einem kleinen Rest Parmesan zaubern könnte und recherchiert sogar auf mehreren Internetseiten. Leider findet sich kein schmackhaftes Gericht. Plötzlich fällt ihr eine Lösung ein: Sie kauft einfach bei der neuen Tankstelle um die Ecke ein.

Das richtige Maß finden

Beides kann aber nur geschehen, wenn die Verwirrung nicht zu groß ist oder zu lange anhält und in Frust oder Langeweile umschlägt. Es ist kein Leichtes, eine Aufgabe so zu stellen, dass sie das genau richtige Maß an Konfusion auslöst. Die »Zone der optimalen Verwirrung«, nannte es Arthur Graesser einst, emeritierter Professor für Kognitionspsychologie an der University of Memphis. Besonders schwer ist das, wenn es sich dabei um eine Gruppenaufgabe handelt – was ja beim problemorientierten Lernen der Fall ist. Denn dieselbe Aufgabe verwirrt verschiedene Menschen meist unterschiedlich stark. Wer besonderes Interesse an einem Thema hat oder Vorwissen mitbringt, reagiert nicht so schnell frustriert. Auch die Persönlichkeit spielt eine Rolle: Während eine Person vielleicht noch vertieft am Problem tüftelt, hat die andere womöglich schon resigniert aufgegeben. Inzwischen haben Wissenschaftler verschiedene Methoden entwickelt, den Grad der Verwirrung eines Menschen so genau wie möglich zu bestimmen (siehe »Mit Elektroden und KI«).

Mit Elektroden und KI

Um Konfusion zu messen, gibt es in der Forschung mittlerweile verschiedene Ansätze. Neben dem schlichten Fragebogen lässt sich der Zustand mittels im Gesicht platzierter Elektroden ableiten; diese messen die Aktivität der Muskeln, die bei Verwirrung kontrahieren. Der Zustand lässt sich aus der Sprache von Lernenden ableiten (wenn es sich um Aufgaben handelt, in denen gesprochen oder geschrieben werden muss) oder mit so genannten Eye-Trackern bestimmen, die messen, wie lange jemand einen bestimmten Reiz fixiert oder wie häufig der Blick durch die Gegend wandert. Auch mittels Hautleitfähigkeit, Puls, Herzratenvariabilität oder Pupillometrie konnten Wissenschaftler bereits Rückschlüsse auf das Ausmaß der Verwirrung ableiten. Und mittlerweile gibt es sogar erste KI-Anwendungen, die aus den Gesichtern oder der Körperhaltung ablesen, wie verwirrt jemand gerade ist.

Sollten diese Methoden weiter verfeinert und in alltagstaugliche Anwendungen überführt werden, könnte das zu ganz neuen Lehrmethoden führen. Das jedenfalls glaubt ein Team um Amaël Arguel von der Universität Toulouse: »Wenn Verwirrung zuverlässig erkannt wird, können adaptive Interventionen Lernende dabei unterstützen, sich innerhalb ihrer individuellen Zone der optimalen Verwirrung zu bewegen. Wie ein Lehrer im Klassenzimmer könnten interaktive, digitale Anwendungen erkennen, wenn Schüler verwirrt, gelangweilt oder desinteressiert sind und gezielt darauf antworten, um den individuellen Bedürfnissen Einzelner in verschiedenen Phasen des Lernens gerecht zu werden.«

Arguel, A. et al.: Inside out: detecting learners confusion to improve interactive digital learning environments. Journal of Educational Computing Research 55, 2016

Wie schwer sollte also eine Aufgabe sein, damit sie den größten Lernerfolg verspricht? 2019 hat ein Team um den Psychologen Robert Wilson von der University of Arizona diese Frage untersucht. Es ließ eine künstliche Intelligenz verschiedene Lernkurven durchrechnen und stellte anschließend ihre »85 Prozent-Regel« vor: Besteht bei einer Aufgabe eine Chance von 85 Prozent, richtigzuliegen, ist demnach der Lerneffekt am größten. Damit haben Aufgabensteller jetzt zumindest eine grobe Leitlinie, welches Maß an An- und Überforderung sinnvoll sein dürfte, um den Bereich optimaler Verwirrung zu erreichen.

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  • Quellen

Di Leo, I. et al.: Curiosity… Confusion? Frustration! The role and sequencing of emotions during mathematics problem solving. Contemporary Educational Psychology 58, 2019

D`Mello, S. et al.: Confusion can be beneficial for learning. Learning and Instrucion 29, 2014

Rozin, P., Cohen, A. B.: High frequency of facial expressions corresponding to confusion, concentration, and worry in an analysis of naturally occurring facial expressions of Americans. Emotion 3, 2003

Wilson, R. C. et al.: The Eighty Five Percent Rule for optimal learning. Nature Communications 10, 2019

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