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Marine Mikrobiologie: Kein Platz an der Sonne

Ohne Sonnenlicht kein Leben. Schließlich hängt jede Existenz auf diesem Planeten direkt oder indirekt von der Energie unseres Heimatsterns ab. Jede? Ein kleiner Keim aus den Tiefen des Ozeans scheint sich diesem Dogma zu widersetzen.
Fotosynthetische Bakterien der Tiefsee
Tag für Tag strahlen auf jeden Quadratmeter der Erdoberfläche 1,37 Kilowatt Sonnenenergie ein – Energie, die das Leben auf der Erde erst ermöglicht. Denn mit Hilfe der Fotosynthese spalten die grünen Pflanzen Wasser und bauen organisches Material auf, an dem sich andere Organismen laben können. Praktischerweise lässt sich das hierbei entstehende Abfallprodukt Sauerstoff zur Atmung nutzen.

Fotosynthese hat sich zwar als wichtigster Energie liefernder Prozess des Lebens etabliert, er ist jedoch nicht der einzige. So bilden beispielsweise chemosynthetische Bakterien die Grundlage der Lebensgemeinschaften der in den 1970er Jahren entdeckten heißen Tiefseequellen, indem sie die Energie von Schwefel- und Methanverbindungen nutzen. Hierfür benötigen sie jedoch Sauerstoff – und der stammt wiederum aus der Fotosynthese von der sonnenlichtdurchfluteten Erdoberfläche.

"Das Leben findet einen Weg"
(Robert Blankenship)
Ohne Sonne kein Leben, lautet daher das Kredo der Biologen – doch könnten die Wissenschaftler die Rechnung ohne "GSB1" gemacht haben. Unter diesem Kürzel firmiert ein jetzt isoliertes Bakterium, das offensichtlich munter Fotosynthese betreibt – am Grunde des Meeres in 2400 Meter Tiefe.

Das Team um Thomas Beatty von der Universität von British Columbia in Vancouver, an dem auch Jörg Overmann von der Universität München beteiligt war, fischte den rätselhaften Keim bei Hydrothermalquellen vor der Küste Mexikos mit Hilfe das Tauchbootes "Alvin" auf. Hier lebt er in schmalen Spalten zwischen dem 350 Grad Celsius heißem Quellwasser und dem 2 Grad Celsius kaltem Tiefseewasser. Wie DNA-Analysen ergaben, ist GSB1 mit den grünen Schwefelbakterien verwandt. Diese Mikroorganismen betreiben eine so genannte anoxygene Fotosynthese, wobei sie statt Wasser Schwefelwasserstoff spalten.

Doch dafür benötigen sie – Licht. Sonnenlicht dringt allerdings nur 100 bis 200 Meter tief ins Wasser ein; darunter beginnt das Reich der ewigen Finsternis. Dass die Bakterien aus der Oberfläche durch Strömungen zufällig hierher verfrachtet wurden, halten die Forscher für äußerst unwahrscheinlich. Denn der nächste Ort, wo gleichzeitig Licht und Schwefelwasserstoff vorkommen, liegt an der Küste Costa Ricas in 2250 Kilometern Entfernung.

Die Wissenschaftler halten vielmehr die Hydrothermalquelle selbst als Quelle der Erleuchtung. Denn hier glimmt ein extrem schwacher Schein im Infrarotbereich, der für das menschliche Auge unsichtbar ist, für die Fotosynthese aber ausreichen könnte. Mit dem Elektronenmikroskop fanden die Forscher in den lichtscheuen Lichtverwerter so genannte Chlorosomen, die quasi als Antennenverstärker das Schwachlicht auffangen und zum Reaktionszentrum der Fotosynthese weiterleiten.

"Diese Organismen sind wahre Meister der Schwachlichtfotosynthese", betont der beteiligte Biochemiker Robert Blankenship von der Arizona State University. "Sie zeigen, dass Fotosynthese nicht nur auf die unmittelbare Oberfläche unseres Planeten beschränkt ist."

Die Entdeckung regt zu weiteren, tiefgreifenden Spekulationen an. Schließlich gilt der Jupitermond Europa schon lange als heißer Kandidat extraterrestrischer Daseinsformen, die sich unter dem dicken Eispanzer häuslich eingerichtet haben könnten. Für sonnenbetriebene Fotosynthese galt der Himmelskörper jedoch als zu weit entfernt.

"Das Leben findet einen Weg", so Blankenship. "Unsere Entdeckung zeigt, dass Organismen an Orten überleben können, die wir nicht für möglich gehalten haben. Das Leben ist viel stärker als wir uns vorstellen konnten."

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