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Sinnesphysiologie: Kein unerhörter Verdacht

Alle wussten, dass es existiert, aber gefunden hatte es bisher noch niemand: Das Kanalprotein in den Sinneszellen des Ohrs, das uns das Hören ermöglicht. Jetzt verdichten sich die Verdachtsmomente auf einen Kandidaten.
Haarzelle
TRPA1 heißt der Verdächtige, der uns das Hören ermöglichen soll. Doch der Reihe nach.

Egal, ob Hören, Sehen, Riechen, Schmecken oder Fühlen – das Prinzip ist immer das Gleiche: Damit wir unsere Umwelt wahrnehmen, müssen unsere Sinnesorgane äußere Reize in die Sprache des Nervensystems übersetzen. Als wesentlicher Teil des Übersetzungsapparates sitzen in den Membranen der Sinneszellen Kanalproteine, die sich je nach Bedarf öffnen oder schließen und damit kontrollieren, welche Ionen in die Zelle einströmen oder sie verlassen dürfen.

Haarzellen | Die Haarzellen des Innenohrs – hier eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme aus dem Gleichgewichtsorgan – tragen an ihrem Ende büschelförmige Zilien. Durch mechanische Verbiegung dieser Zilien öffnen sich in der Zellmembran Ionenkanäle.
Auch bei den Sinneszellen im Innenohr muss es solche Kanalproteine geben. Diese Haarzellen verdanken ihren Namen ihren haarförmigen Strukturen – den Zilien – und sitzen in der flüssigkeitsgefüllten Schnecke des Innenohrs. Die Energie des Schalls wird zunächst über das Trommelfell und die Gehörknöchelchen auf die Schnecke übertragen, sodass deren Flüssigkeit hin und her schwappt. Durch diese Bewegung verbiegen sich wiederum die Zilien der Haarzellen, und – jetzt folgt der entscheidende Schritt – es öffnen sich Kanalproteine in der Haarzellmembran, sodass positiv geladene Kalium- und Kalzium-Ionen in die Zelle einströmen und damit das elektrische Potenzial der Zelle verändern. Diese Ladungsänderung löst wiederum Aktionspotenziale in der benachbarten Nervenzelle aus, die über den Hörnerv zum Gehirn weitergeleitet werden.

Dieser Mechanismus war schon lange bekannt, nur der Hauptakteur – der Ionenkanal – verbarg sich noch hartnäckig vor den Fahndungen der Forscher. Verdächtige gab es bereits, die David Corey von der Harvard Medical School und seine Kollegen schon seit längerem im Auge hatten. Es handelte sich um die Proteinfamilie der so genannten TRP-Kanäle (transient receptor potential channel), die im gesamten Organismenreich weit verbreitet ist. Man findet sie beispielsweise im Auge von Insekten oder auch auf der Zunge des Menschen. Und im vergangene Jahr entdeckten Max-Planck-Forscher TRP-Proteine im Gleichgewichtssinn von Zebrafischen.

Und so trugen Corey und seine Kollegen die Indizien zusammen, die schließlich das Protein TRPA1 überführen sollten. Zunächst konnten die Forscher bei dem zuständigen Gen TRPA1 im Innenohr der Maus – und vor allem in deren Haarzellen – eine auffallende Aktivität beobachten. Das Gen tritt nicht nur am richtigen Ort, sondern auch zur richtigen Zeit zum ersten Mal in Aktion: sobald ein Mausembryo 16 Tage alt wird – und damit einen Tag, bevor die Haarzellen erste Geräusche wahrnehmen können.

Im nächsten Schritt suchten die Forscher nach dem TRPA1-Eiweiß selbst. Hierfür bauten sie einen fluoreszenzmarkierten Antikörper, der an das gesuchte Protein bindet. Und die Fluoreszenzfärbung trat bei Fröschen und Mäusen tatsächlich bei den Zilien der Haarzellen auf.

Dann badeten Corey und Co Haarzellen aus dem Innenohr einer Maus in einer Farbstofflösung, von der sie wussten, dass sie über Ionenkanäle ins Zellinnere gelangen kann. Als die Forscher das verdächtige Protein ausschalteten, verfärbten sich die Zellen kaum noch. Und ohne funktionsfähiges TRPA1 sank der Ioneneinstrom in die Zelle rapide ab, wie die Forscher über eine Mikroelektrode direkt messen konnten.

TRPA1 | Die Zilien einer Haarzelle (links) sind über so genannte Tip-Links miteinander verbunden. Nach der bisherigen Theorie bestehen diese Tip-Links aus federartigen Proteinen, welche die Ionenkanäle in der Zilienmembran öffnen (Mitte). Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass es sich bei den Tip-Links um das Protein Cadherin 23 handelt, dem die nötige Elastizität fehlt. Doch das Kanalprotein TRPA1 ist mit einem elastischen Ende, ein Ankyrin, in der Zellmembran verankert. Dadurch kann der Kanal wie mit einer Feder geöffnet werden (rechts).
Und die Struktur des Verdächtigen – spricht sie für die Funktion des gesuchten Ionenkanals? Zuvor hatten Forscher auf elektronenmikroskopischen Aufnahmen winzige Brücken entdeckt, welche die Zilien einer Haarzelle miteinander verbinden. Diese Tip-Links, so vermuteten die Forscher zunächst, sollten quasi als Federn die Ionenkanäle beim Verbiegen der Zilien öffnen. Aber inzwischen hatte sich herausgestellt, dass den Tip-Links, die aus einem Protein namens Cadherin 23 bestehen, die hierfür nötige Elastizität fehlt.

TRPA1 erfüllt dagegen die notwendigen Elastiztätsanforderungen durchaus: An seinem Ende sitzt eine federartige Struktur, ein so genanntes Ankyrin, mit dem der Kanal in der Zellmembran verankert ist. Die Forscher vermuten daher, dass über diese Feder der Kanal sich öffnet, sobald sich die Zilien bewegen.

Den Neurobiologie Peter Gillespie von der Oregon Health & Science University hat die Überführung von TRPA1 jedenfalls überzeugt: "Das ist das wichtigste Molekül im Ohr; dieser Kanal ist das Juwel, nach dem alle gesucht haben. Seine Identifizierung führt uns zu dem wahren Kern, wie das innere Ohr funktioniert."

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