Kernfusion: Kann ein Fusionsreaktor wirklich Gold herstellen?

Neben Energie produziert die Kernfusion enorme Mengen eines Nebenprodukts: heiße Neutronen. Fachleute suchen nach einer Möglichkeit, diesen Strom an Elementarteilchen sinnvoll zu nutzen - und zusätzliches Einkommen für die voraussichtlich sehr teure Fusionstechnik zu schaffen, etwa mit Bildgebung und anderen Anwendungen. Nun schlägt ein Fusions-Start-up eine sehr direkte Methode vor, diese Neutronen zu Geld zu machen: Sie sollen Quecksilber in Gold umwandeln. Und zwar sehr viel Gold. Zwei Tonnen pro Jahr und Gigawatt Energieproduktion seien möglich, berichtet ein Team des Unternehmens Marathon Fusion auf Basis eigener Simulationen in einer noch nicht geprüften Vorabveröffentlichung. Dazu soll das Quecksilberisotop Hg-198 im Mantel des Reaktors die hochenergetischen Neutronen einfangen und zum stabilen Gold werden.
Diese Art von Kernreaktion ist tatsächlich möglich. Die Neutronen müssen nur genug Energie haben, um ein Neutron aus Hg-198 herauszuschlagen. Dann zerfällt das dabei entstehende Hg-197 automatisch zu Au-197. Marathon Fusion nutzte eine detaillierte Computersimulation, einen »digitalen Zwilling«, um herauszufinden, ob ein Fusionskraftwerk als Neutronenquelle für die Reaktion geeignet wäre. Demnach funktioniert das Ganze, und vor allem lasse sich das System so betreiben, dass auch weiterhin das als Brennstoff zwingend erforderliche Tritium erbrütet werde. Die beiden Reaktionen konkurrieren miteinander - nach Angaben des Teams könnte das System dennoch so viel Gold erbrüten, dass dessen Wert etwa dem der produzierten Elektrizität entspreche. Gleichzeitig ist die Goldproduktion selbst unter solch optimistischen Annahmen nicht groß genug, um den Markt zu überschwemmen und entsprechend den Preis zu drücken.
Die Sache hat allerdings ein paar kleinere und größere Haken. Das entstehende Gold wäre mit anderen Radioisotopen verunreinigt und entsprechend selbst radioaktiv. Das allerdings nur für knapp 20 Jahre - eine Wartezeit, die man für mehrere Tonnen Gold durchaus in Kauf nehmen kann. Ein weiteres Fragezeichen ist das Quecksilber. Das Team rechnet mit 90-prozentigem Hg-198, das Isotop macht in der Natur jedoch nur etwa zehn Prozent des Quecksilbers aus. Entsprechend müsste man das Isotop wohl anreichern, ein recht aufwändiger Prozess. Zumal für eine kommerzielle Goldproduktion dutzende Tonnen des Quecksilberisotops benötigt werden. Pro Jahr, wohlgemerkt. Das größte Hindernis an der ganzen Geschichte ist allerdings, dass es Fusionskraftwerke noch gar nicht gibt. Und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Denn es ist ziemlich unklar, wie zutreffend ein »digitaler Zwilling« von etwas, das nicht existiert, die Wirklichkeit tatsächlich abbilden kann.

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