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KI-Revolution : »Wir könnten halb so viel arbeiten«

Künstliche Intelligenz soll entlasten – doch vorerst sorgt sie für mehr Tempo. Soziologe Florian Butollo erklärt, warum das so ist, welche Jobs Zukunft haben und weshalb wir Routine vermissen würden.
Eine menschliche Hand und eine Roboterhand nähern sich einander, wobei die Fingerspitzen fast in Berührung kommen. Die Szene erinnert an das berühmte Gemälde "Die Erschaffung Adams" und symbolisiert die Verbindung zwischen Mensch und Technologie. Der Hintergrund ist neutral und lenkt nicht vom Hauptmotiv ab.
Wie wird der Mensch seine Schöpfung nutzen?

Herr Butollo, wenn Sie heute jemandem erklären müssten, was wir in 50 Jahren rückblickend als den Beginn des KI-Zeitalters der Arbeit bezeichnen werden – was wäre dieser Moment, auch wenn er uns vielleicht gar nicht wie ein Anfang erscheint?

Ich glaube, das war die Veröffentlichung von ChatGPT. Sie war der Moment, in dem klar wurde: Da passiert gerade etwas völlig Neues.

Sorry – diese leicht sperrige Einstiegsfrage hat sich ChatGPT für Sie ausgedacht. Ich wollte mal testen, wie ersetzbar ich schon bin. Viele haben Angst, dass künstliche Intelligenz massenhaft Arbeitsplätze vernichten wird. Teilen Sie die Sorge?

Nein. Ich glaube nicht an eine große Welle der Jobverluste. Sicher, einzelne Tätigkeiten werden sich verändern oder rationalisieren lassen. Aber gleichzeitig entsteht neue Arbeit – mit und rund um die KI. Vor 30 Jahren gab es noch keine IT-Industrie in irgendeinem beschäftigungsrelevanten Ausmaß, und heute arbeiten allein in Deutschland etwa eineinhalb Millionen in diesem Feld. Dieses Muster zieht sich durch die gesamte Geschichte der Industrialisierung: Seit 150 Jahren automatisieren wir und haben trotzdem derzeit einen historischen Beschäftigungshöchststand. Selbst in Zeiten von Krieg und Rezession wächst die Erwerbsarbeit weiter. Es gibt bislang keinerlei Anzeichen dafür, dass Automatisierung langfristig zu weniger Arbeit führt.

Wie sehen diese neuen Jobs konkret aus?

Gerade entstehen ganze Berufsfelder, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab: »Prompt Engineering« etwa, also die Entwicklung präzise formulierter Anweisungen an KI-Systeme, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen. Menschen müssen lernen, wie man mit diesen Werkzeugen arbeitet, die Resultate prüft, anpasst und in bestehende Abläufe integriert. Das ist ein anspruchsvoller Job. Dann ist da noch die Entwicklung der KI selbst: Zehntausende weltweit arbeiten an neuen Tools, spezialisieren sie auf einzelne Branchen oder Anwendungsfelder – von Medizin über Recht bis Journalismus. Dafür braucht es Knowhow auf dem jeweiligen Gebiet. Es ist ein enorm aufwändiger Prozess, diese Systeme herzustellen, zu trainieren und zu betreiben.

Manche meinen, KI könne nervige Routinetätigkeiten übernehmen, sodass der Mensch sich auf kreative und komplexe Aufgaben konzentrieren kann. Wird Arbeit dadurch angenehmer?

Nicht automatisch. Oft passiert das Gegenteil: Mit neuen Möglichkeiten steigen auch die Erwartungen. Wenn ich mithilfe von KI schneller arbeiten kann, erwarte ich oder erwartet mein Arbeitgeber irgendwann auch mehr Output von mir. Wir erleben das bereits in vielen Branchen: Technologien, von denen man sich ursprünglich Entlastung erhofft hatte, führen zu einer Verdichtung der Arbeit. Wenn ChatGPT Ihnen als Journalistin zum Beispiel das Ausdenken von Interviewfragen und das Aufschreiben abnimmt, können Sie fünf Interviews mehr im Monat führen. Das ist schön, aber es heißt eben auch, dass Arbeitsmenge und -tempo zunehmen.

Also erwartet uns nicht Befreiung, sondern Beschleunigung?

Das ist der Kern des Kapitalismus: Produktivitätsgewinne werden nicht in Freizeit, sondern in Wachstum übersetzt. Schon das Internet hat dazu geführt, dass Texte heute viel schneller entstehen, aber es gibt nun eben auch viel mehr davon. KI ist da nur die nächste Stufe: Sie verstärkt die Beschleunigungslogik, der wir ausgesetzt sind.

Trotzdem klingt es nicht schlecht, stupide Aspekte der Arbeit abzugeben.

Ich sehe das differenzierter. Routine ist nicht per se stupide. Routine heißt, zu wissen, wie etwas läuft, sich auszukennen, Unwägbarkeiten antizipieren zu können. Das hat mit Kompetenz zu tun. Wenn man sagt, die KI nimmt uns Routinearbeit ab, bleibt auch oft unklar, was das heißen soll. Denn vieles, was als »Routine« gilt – handwerkliche Tätigkeiten, Pflege, Kindererziehung –, lässt sich überhaupt nicht gut automatisieren. Und außerdem: Wenn nur noch komplexe, kognitiv anspruchsvolle Aufgaben übrigbleiben, wäre das kein Traum, sondern eine Horrorvision der Arbeitswelt. Ständige geistige Spitzenleistung führt zu Überforderung. Wir brauchen auch Tätigkeiten, die wiederkehrend sind, die Stabilität und Selbstwirksamkeit vermitteln.

Neben der Sorge, ersetzt zu werden, hören wir überall vom Fachkräftemangel. Wie passt das zusammen?

Das ist tatsächlich die paradoxe Situation. Auf der einen Seite die Furcht vor Massenarbeitslosigkeit durch KI, auf der anderen Seite offene Stellen in fast allen Branchen. Selbst in Berufen mit geringer Qualifikation fehlt Personal. Und das wird sich durch den demografischen Wandel noch verschärfen. Wenn die Prognose also stimmt, dass das Arbeitsvolumen nicht radikal einbricht und infolge des demografischen Wandels immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, müssten wir uns eher vor einer Überlastung fürchten. Deshalb sollten wir uns weniger fragen, ob Arbeit verschwindet, sondern darüber reden, welche Arbeit wir als Gesellschaft überhaupt brauchen. Wir müssen entscheiden, was wirklich systemrelevant ist – und wo wir unbedingt menschliche Fähigkeiten einsetzen wollen, etwa in Pflege, Bildung, Dekarbonisierung oder sozialer Infrastruktur. Das ist die zentrale Frage der kommenden Jahre.

Am ehesten durch Sprachmodelle gefährdet scheinen »White Collar«-Jobs, also »Hemdträger«-Stellen, in frühen Karrierephasen – einfachere Bürojobs oder juristische Assistenzstellen zum Beispiel. Wird dort zuerst gespart?

Zum Teil ja. In diesen Bereichen kann KI heute schon einiges übernehmen, etwa Standardrecherchen oder alltägliche Korrespondenz. Aber die Vorstellung, dass Unternehmen massenhaft Berufseinsteiger ersetzen werden, halte ich für überzogen. Oft sind solche Ankündigungen von Firmen reine Imagepolitik – man will modern wirken und Effizienz demonstrieren. Und selbst wenn solche Aufgaben ausgelagert werden können, brauchen wir weiterhin Menschen, die verstehen, was sie tun. Gibt es weniger Einstiegspositionen, fehlt am Ende die Erfahrung, aus der Senior-Fachkräfte entstehen. Wer soll Expertise aufbauen, wenn niemand mehr irgendwo anfangen kann? Gute Ausbildung und berufliche Sozialisation bleiben unverzichtbar.

Es gibt ja nicht nur Schreibtischarbeit, sondern auch »Blue Collar«-Jobs, in Anlehnung an den Blaumann. Handwerk, Logistik und Co. gelten in der öffentlichen Wahrnehmung plötzlich als sicherer, weil die Robotik den Sprachmodellen hinterherhinkt. Sehen Sie das auch so?

Eigentlich erleben wir im Moment sogar das Gegenteil: In der Industrie gehen viele Arbeitsplätze verloren, während wissensbasierte Tätigkeiten zunehmen. Das liegt jedoch weniger an der KI als an ökonomischen Faktoren – etwa hohen Energiekosten und dem globalen Wettbewerb. Wissensarbeit wächst, weil die Welt komplexer wird. Je mehr Daten und Informationen wir haben, desto mehr Menschen braucht es, die sie einordnen, bewerten und in sinnvolle Zusammenhänge bringen. Produkte und Leistungen werden immer differenzierter. KI verstärkt diesen Trend. Sie schafft kein Ende der Wissensarbeit, sondern eine neue Stufe davon.

Heißt das, die Ansprüche an die Arbeit werden steigen?

Absolut. KI erhöht den Standard dessen, was als »gut« gilt. Ein Text etwa, der vor fünf Jahren als hervorragend recherchiert galt, wirkt heute schnell mittelmäßig, weil wir digitale Werkzeuge haben, die nachhelfen. Das erzeugt Druck – aber es kann auch Ansporn sein.

Wie blicken junge Menschen, die gerade erst in den Beruf starten, auf diese Entwicklung?

Viele reagieren darauf erstaunlich reflektiert. Die viel beschworene »faule Gen Z« ist ein Mythos. Ich sehe eine Generation, die extrem leistungsbereit ist, die parallel studiert, arbeitet, Zusatzkurse macht, Auslandserfahrung sammelt – oft bis zur Erschöpfung. Zugleich gibt es zurecht Fragen nach dem Sinn der Arbeit in einer von Krisen und Zukunftssorgen geprägten Gesellschaft.

Der Soziologe Hartmut Rosa spricht davon, dass Arbeit eine Form von »Resonanz« erzeugen kann – also ein Gefühl von Verbundenheit mit der Welt. Gefährdet KI dieses Empfinden?

Das hängt sehr davon ab, wie man sie nutzt. Ich habe Studierende gebeten, Essays mithilfe generativer KI zu schreiben und anschließend zu reflektieren, wie sich das anfühlte. Manche sagten: »Ich hatte das Gefühl, das Produkt ist gar nicht von mir.« Andere beschrieben die Arbeit als spielerisch und kreativ – sie hätten das System dirigiert, fast choreografiert. Beides ist interessant: KI kann Entfremdung erzeugen, wenn sie menschliche Tätigkeit ersetzt – oder Resonanz stiften, wenn sie als Werkzeug erlebt wird, das neue Möglichkeiten eröffnet. Entscheidend ist, ob ich die Kontrolle und die Urteilskraft behalte.

»Als im 19. Jahrhundert die Fotografie aufkam, hatte man auch Angst, dass die Malerei nun untergeht«

Was ist mit Kunst? Macht die Kreativität der Maschine der des Menschen Konkurrenz?

Die Maschine kann kreative Prozesse unterstützen, aber nicht ersetzen. KI versteht nicht, was sie produziert. Sie kombiniert nur Muster aus vorhandenen Daten. Das kann spektakuläre Ergebnisse liefern, aber ohne Bewusstsein für Bedeutung. Ein generiertes Bild oder Lied ist noch längst keine Kunst. Kunst ist ein Medium, über das Menschen sich verständigen, indem sie ihm Bedeutung zumessen. Künstlerinnen und Künstler werden mit KI arbeiten – so, wie sie bereits Fotografie oder Video in ihr Repertoire integriert haben. Als im 19. Jahrhundert die Fotografie aufkam, hatte man auch Angst, dass die Malerei nun untergeht. Das ist nicht passiert. Die Kunst verschwindet nicht, sie verändert sich. KI ist ein neues Medium, kein Ersatz für die menschliche Ausdruckskraft.

Wer bestimmt eigentlich, was KI uns zeigt – und was nicht?

Genau das ist eines der größten Probleme. Die Systeme werden nicht demokratisch kontrolliert, sondern von wenigen großen Tech-Konzernen betrieben, die nach ihren eigenen ethischen und ökonomischen Maßstäben filtern. Das bedeutet: Ein Teil des globalen Wissens wird unsichtbar, ein Teil wird priorisiert. Die Moderation dieser Inhalte übernehmen Menschen unter oft prekären Bedingungen, die Tag für Tag extreme oder verstörende Inhalte sichten. Gleichzeitig wirkt die KI nach außen wie eine neutrale Autorität – was sie nicht ist. Sie liefert Antworten, die unseren Erwartungen entsprechen, und verstärkt damit unsere eigenen Vorannahmen. Manchmal liegt sie schlicht daneben, verkauft sich dabei aber selbstbewusst. Das ist gesellschaftlich gefährlich.

Wie sähe ein ethischer Einsatz aus?

Technologie ist kein Naturereignis, das einfach über uns hereinbricht. Wie sie eingesetzt wird, ist eine politische und gesellschaftliche Entscheidung. Wenn Unternehmen die Modelle nur nutzen, um Personal zu sparen, führt das zu Entfremdung und Ungleichheit. Wenn sie sie dagegen einsetzen, um Menschen zu entlasten, Kompetenzen zu erweitern und neue Lernräume zu schaffen, kann sie die Arbeitswelt tatsächlich verbessern. Deshalb brauchen wir eine aktive Gestaltung – durch Tarifpolitik, Weiterbildung und staatliche Regulierung. Es reicht nicht, nur die Technik zu fördern; wir müssen auch die Arbeitsbedingungen mitdenken. Ob KI die Welt besser oder schlechter macht, hängt davon ab, wie wir sie einhegen.

Wenn das gelingt und die Produktivität dabei steigt, könnten wir ja auch einfach alle weniger arbeiten. Wäre das eine reale Möglichkeit oder bleibt es eine Utopie?

Theoretisch ja. Praktisch nicht, solange wir die Spielregeln nicht ändern. Automatisierung hätte uns das Leben längst erleichtern können, wenn ihre Gewinne anders verteilt würden. Stattdessen übersetzen wir technische Fortschritte in neue Wachstumsimperative. Wir könnten die Arbeitszeit kollektiv auf 20 bis 30 Stunden pro Woche reduzieren, also etwa halb so viel arbeiten, ohne Wohlstand zu verlieren. Die Grundlagen der Existenzsicherung sind längst geschaffen. Was uns fehlt, ist nicht Produktivität, sondern Verteilungsgerechtigkeit.

Denken Sie da auch an ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Ein Grundeinkommen wäre nur dann sinnvoll, wenn Arbeit tatsächlich knapp wird. Im Moment ist eher das Gegenteil der Fall. Wenn wir Arbeitszeitverkürzung ernsthaft anstreben, könnte man dieselbe Wirtschaftsleistung gerechter aufteilen. Die zentrale Frage lautet: Wofür setzen wir menschliche Arbeit ein? Für sozialen Zusammenhalt, Pflege, Bildung – oder für immer neue Konsumgüter, die niemand braucht? Wir müssen entscheiden, was Wohlstand eigentlich heißt. Sollte er an der Menge der produzierten Dinge gemessen werden oder an der Qualität des Lebens?

Glauben Sie, dass die KI-Revolution uns langfristig zu einer anderen Vorstellung vom Sinn der Arbeit führen wird?

Ja, vielleicht ist das sogar ihre größte Chance. Künstliche Intelligenz zwingt uns, neu über Sinn zu reden. Sie konfrontiert uns mit der Frage, was eigentlich spezifisch menschlich ist und was wir nicht aus der Hand geben wollen. Das wäre dann nicht nur ein technologischer, sondern auch ein kultureller Fortschritt.

Florian Butollo | Er ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Digitale Transformation und Arbeit an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und forscht zudem am Weizenbaum-Institut in Berlin. Sein aktuelles Forschungsprojekt heißt GENKIA »Generative KI in der Arbeitswelt«.

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