Emotionale Entwicklung: Kinder projizieren eigene Gefühle auf andere
Wenn Kinder die Emotionen anderer einschätzen sollen, ziehen sie ihre eigene Gefühlswelt als Maßstab heran. Sind sie selbst gerade fröhlich, etwa weil sie bei einem Spiel gewonnen haben, können sie kaum nachvollziehen, dass ihr Gegenüber – der Verlierer – enttäuscht ist.
Forscher um Nikolaus Steinbeis vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig ließen Kinder zwischen sechs und dreizehn Jahren ein Spiel spielen, bei dem sie Geld gewinnen oder verlieren konnten. Nach jeder Runde bekamen sie ihr eigenes Ergebnis und das eines für sie nicht sichtbaren Mitspielers angezeigt. Nun sollten sie einschätzen, wie sich der andere Spieler gerade fühlte.
Nach einem eigenen Gewinn hielten die Kinder ihren Mitspieler für fröhlicher, auch wenn er gerade verloren hatte. Hatte er dagegen gewonnen und sie selbst verloren, meinten sie, er sei weniger zufrieden.
Hirnregion gegen Egozentrik
Die Ursachen dieses Phänomens, das auch als emotionale Egozentrik bezeichnet wird, untersuchten die Forscher, indem sie die Gehirne von Kindern und Erwachsenen scannten, während diese die Gefühle anderer nachvollziehen sollten. Dabei stellten sie fest, dass der so genannte rechte supramarginale Gyrus (rSMG), eine Windung in der Großhirnrinde, bei Kindern weniger aktiv ist als bei Erwachsenen. Bereits in früheren Experimenten hatte sich gezeigt, dass diese Hirnstruktur entscheidend dazu beiträgt, die eigenen Emotionen auszublenden, um sich besser in andere hineinversetzen zu können.
Weniger ausgeprägt waren bei Kindern auch die Verbindungen zwischen dem rSMG und einer weiteren Hirnregion, dem linken dorsolateralen präfrontalen Kortex (lDLPFC), der unter anderem für soziale Entscheidungen zuständig ist. Je schwächer die Aktivität des rSMG und seine Verbindungen zum lDLPFC waren, desto egozentrischer urteilten die Probanden. Den jugendlichen und erwachsenen Teilnehmern fiel es leichter, die Gefühle eines anderen unabhängig von ihren eigenen zu bewerten. Grund dafür ist vermutlich, dass sich die Aktivität der entsprechenden Hirnstrukturen mit zunehmendem Alter erhöht.
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