Familienplanung: Warum Männer (keine) Kinder wollen

»Ich wollte nie Kinder, mein Sohn war ein ›Unfall‹«, sagt Timo N. (Name geändert), der an einer unserer Studien teilgenommen hat. Tatsächlich werden auch heute noch überraschend viele Männer ungewollt Vater. Doch repräsentative Umfragen in Deutschland belegen zugleich, dass Kinder in den allermeisten Fällen das Ergebnis einer bewussten Entscheidung von Paaren sind. Was aber bestimmt, ob man Kinder will oder nicht: eigene Kindheitserfahrungen, die Lebensumstände, die Erwartungen des sozialen Umfelds?
Im Jahr 1961 wurde »die Pille« in Deutschland eingeführt. Rund zehn Jahre später fiel die Geburtenziffer in Ost und West unter jene magischen 2,1 Kinder pro Frau, die eigentlich zum Bevölkerungserhalt notwendig wären. Inzwischen verzeichnet Deutschland seit Jahrzehnten eine Rate von weniger als 1,6 – trotz Elterngeld und rechtlichem Anspruch auf einen Krippenplatz. Hat man bei den Maßnahmen zur Familienförderung vielleicht etwas Entscheidendes übersehen? Erstaunlicherweise klaffte bei der Erforschung von Kinderwunsch und gewollter Kinderlosigkeit bis vor Kurzem eine große Lücke: Der Fokus lag fast ausschließlich auf den Frauen.
In unserer Studie »Männer, Männlichkeit und (eigene) Kinder« haben wir 2024 insgesamt 1626 Väter und kinderlose Männer zwischen 18 und 68 Jahren befragt – von der Generation Z über die Millennials (Y) und Generation X bis zurück zu den Babyboomern. Etwa die Hälfte der Männer waren bereits Vater, der Rest hatte (noch) keine Kinder. Unsere Ergebnisse zeigen: Was die Motive und Faktoren für oder gegen das Streben nach Elternschaft betrifft, finden sich bei Männern zwar Gemeinsamkeiten mit den Frauen, aber auch aufschlussreiche Unterschiede. Hier fassen wir sieben zentrale Erkenntnisse zum Thema »Kinderwunsch bei Männern« zusammen.
1. Nur wenige Männer wollten noch niemals Kinder
Die Frage nach dem Ausmaß gewollter Kinderlosigkeit offenbart ein zentrales Problem der Familienforschung. Sie lässt sich nämlich bislang weder für Frauen noch für Männer genau beantworten. Einer der Gründe: Erhebungen verwenden oft stark voneinander abweichende Kriterien für gewollte Kinderlosigkeit. Gehörten Kinder noch nie zum eigenen Lebensentwurf, oder will man nur im Moment keine? Und wenn man sich wegen ungewollter ungünstiger Umstände gegen Elternschaft entscheidet, ist man dann gewollt oder ungewollt kinderlos?
Laut dem »Väterreport 2023« wünschen sich von den kinderlosen Männern unter 30 Jahren beachtliche 90 Prozent »bestimmt« oder »vielleicht« irgendwann Kinder, jeweils etwa hälftig. Definitiv keine Kinder will mit zehn Prozent nur eine Minderheit. Bei den kinderlosen Frauen in dieser Altersklasse sind es sogar nur acht Prozent.
Gehörten Kinder noch nie zum eigenen Lebensentwurf, oder will man nur im Moment keine?
Auch in unserer Studie war der Kinderwunsch bei jungen kinderlosen Männern unter 30 Jahren sehr verbreitet: 86 Prozent gaben an, dass sie (irgendwann) Vater werden möchten. Unsere Teilnehmer meldeten sich freiwillig nach Aufrufen über verschiedenste Kanäle, hatten also vermutlich ein gewisses Interesse am Thema. Aber die Zahl passt zu der repräsentativen Allensbach-Erhebung des Väterreports, in der die Befragten zufällig ausgewählt wurden.
Überraschenderweise sagten rund ein Viertel aller von uns befragten Männer mit Kindern oder mit Kinderwunsch, dass sie sogar schon vor dem 18. Lebensjahr die Absicht hatten, irgendwann Vater zu werden. Das erstaunt, denn ein derart früh ausgeprägtes Bedürfnis hatte man bisher nur dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben. Bei den meisten Männern – etwa 60 Prozent – entwickelte sich der Wunsch allerdings erst zwischen 18 und 30 Jahren. Bloß ein kleiner Teil verspürte noch später im Leben erstmals das Bedürfnis, Kinder zu zeugen.
Lediglich rund die Hälfte aller von uns befragten gewollt kinderlosen Männer gehörten zu den »Frühentscheidern«: Diese Männer wussten bereits im Alter von unter 25 Jahren, dass sie keine Kinder wollen. Vermutlich verspürten sie mehrheitlich zu keinem Zeitpunkt in ihrem Leben einen Kinderwunsch.
2. Ein anfangs vorhandener Kinderwunsch lässt im Lauf der Jahre oft nach
Im Kontrast zum ausgeprägten Kinderwunsch heutiger junger Menschen steht die hohe Zahl jener, die am Ende ihrer fortpflanzungsfähigen Lebensphase immer noch kinderlos sind. Im Jahr 2022 lag die Rate zeitlebens kinderloser Frauen (definiert als »keine Kinder bis zum Alter von 49 Jahren«) in Deutschland bei etwa 20 Prozent. Zu Männern liegen kaum belastbare aktuelle Daten vor. Bei einer Erhebung knapp zehn Jahre zuvor, als der Anteil kinderloser Frauen noch 18 Prozent betrug, übertrafen Männer diese mit 25 Prozent deutlich. Die Quote endgültig kinderloser Männer dürfte derzeit also noch einmal höher liegen.
Warum liegen die Kinderwünsche der jungen Erwachsenen und die Realität so weit auseinander? In diesem Zusammenhang muss man zunächst feststellen: Wir wissen nicht sicher, ob der Kinderwunsch unter den Babyboomern und in der Generation X vor 20 oder 30 Jahren schon ähnlich populär war wie unter den heutigen 18- bis 30-Jährigen. Unter den von uns befragten gewollt Kinderlosen gaben aber rund 38 Prozent an, dass sie nicht zeitlebens keinen Nachwuchs gewollt hatten. Ihr anfänglicher Kinderwunsch hatte sich jedoch nicht erfüllt: Entweder fehlte die geeignete Partnerin, es bestanden Fertilitätsprobleme oder die Umsetzung wurde aus irgendwelchen anderen Gründen immer wieder aufgeschoben. Jedenfalls hatten sie sich irgendwann mit dem kinderlosen Status arrangiert. Sie waren dann, als sogenannte »Spätentscheider«, zu dem Schluss gelangt, keine Kinder (mehr) zu wollen.
3. Emotionale Gründe sind ausschlaggebend bei der Entscheidung für Kinder
Für Kinder sprechen laut unserer Studie aus Sicht von Männern vor allem emotionale Motive. Als »besonders wichtig« wurden eingestuft: Kinder machen das Leben erfüllter, schenken Freude, sie verändern den Blick auf die Welt und geben das Gefühl, etwas von sich weiterzugeben. Diese Vorstellungen teilten alle Männer miteinander, Väter und Kinderlose mit Kinderwunsch priorisierten sie allerdings höher. Gewollt Kinderlose sagten typischerweise so etwas wie: »Natürlich sind Kinder bereichernd – aber für mich überwiegen andere Aspekte.«
Emotionale Beweggründe für Kinder standen bei den Männern klar vor praktischen Gesichtspunkten. Klassische Nutzenerwartungen wie Hilfe im Haushalt oder Versorgung im Alter wurden kaum genannt. In der modernen Sozialgesellschaft mit ihren veränderten Rollenbildern sind solche Motive offenbar weitgehend überholt.
Klassische Nutzenerwartungen wie Hilfe im Haushalt oder Versorgung im Alter wurden kaum genannt
Welche Vorstellungen halten Männer dann heute davon ab, Kinder zu bekommen? Hier wiederholten sich Motive, die wir zuvor bei einer Befragung von rund 1000 Frauen zu gewollter Kinderlosigkeit beobachtet haben. Als häufigster Minuspunkt genannt wird die Gefahr, persönliche Freiheiten und Freizeit aufgeben oder einschränken zu müssen. Derartige realistische Bedenken haben eigentlich fast alle Männer (und auch Frauen). Gewollt kinderlose und unsichere Männer betonen sie jedoch stärker.
Was die Geschlechter unterscheidet: Während Frauen häufiger Karriereeinschnitte als wichtigstes Hemmnis nennen, spielen diese bei höchstens zehn Prozent der gewollt kinderlosen Männer angeblich eine Rolle. In den Wertvorstellungen der Männer rangierte »Beruf« auch deutlich hinter »Familie«. Das mag das neue, progressive Vaterideal widerspiegeln: 90 Prozent definierten in unserer Befragung die Rolle eines guten Vaters so, dass er sich etwa hälftig an Betreuung und Haushalt beteiligt. In der Realität behält allerdings auch heute noch nach der Geburt des Kindes meist der Mann die wöchentliche Arbeitszeit bei, während die Mutter den Großteil der Betreuung des Nachwuchses übernimmt, samt finanziellen und beruflichen Konsequenzen.
Die Gründe gegen Vaterschaft sind vielfältig: von der Angst vor persönlichen Einschränkungen über die Befürchtung, als erziehender Vater oder als »Ernährer« nicht zu genügen, bis hin zum Fehlen der passenden Partnerin für eine Familiengründung. Aber auch eine kinderfeindliche Gesellschaft und eine unsichere Zukunft für Kinder werden angeführt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Männer mit Kinderwunsch und Unentschlossene sich beim Thema Kinder stark von ihren Gefühlen leiten lassen. Gewollt Kinderlose, die Kinder kategorisch ablehnen, führen zusätzlich rationale Begründungen an.
4. Vaterschaft gehört heute nicht mehr unbedingt zum Rollenmodell
In unserer Studie untersuchten wir auch, wie sehr Vatersein das männliche Selbstverständnis prägt. Dazu ließen wir Männer mit und ohne Kinder den Zusammenhang zwischen Vaterschaft und Männlichkeit bewerten. Etwas mehr als die Hälfte der Väter empfanden Vatersein als wichtigen Teil ihrer Männlichkeit; bei den Kinderlosen waren es weniger, nur knapp ein Drittel. Auffällig unter den Vätern war: Von jenen, die eigentlich gar keinen Kinderwunsch gehabt hatten, sagten fast alle, Vaterschaft sei für ihr männliches Selbstverständnis völlig unwichtig. Kurz gesagt: Nur für Männer, die sich Kinder wünschen, gehört Vaterschaft zu ihrem männlichen Rollenbild. Daran ändert sich auch nichts, wenn man ungewollt Vater wird.
Vater werden gehört heute nicht mehr zwingend zur gesellschaftlichen Erwartung. Männer spüren wesentlich weniger sozialen Druck, Kinder zu bekommen, als Frauen: Wer als Mann keine Kinder will, muss sich manchmal dafür rechtfertigen, aber viel seltener als eine Frau. Denn viele Menschen betrachten Mutterschaft immer noch als Teil von deren »natürlicher Rolle«. Andererseits verspüren zwei Drittel der Befragten den gesellschaftlichen Druck, dass – wenn sie Vater werden – sie ihrer »Ernähreraufgabe« gerecht werden müssen. Ein Vergleich der Einkommen zeigte: Männer mit geringerem Verdienst hatten deutlich seltener die Vaterschaft realisiert als solche mit mittlerem bis hohem Einkommen. Männer, die befürchten, die finanzielle Existenz ihrer Familie nicht sichern zu können, schieben die Familiengründung also oftmals auf.
5. Die eigene Kindheit zählt
Die in der Fachwelt geäußerte Annahme, nach der Einzelkinder später eher kinderlos sind, konnte unsere Studie nicht bestätigen. Die Familienstruktur mag eine kleine Rolle spielen – also etwa ob man bei einem alleinerziehenden Elternteil aufgewachsen ist –, daraus lassen sich jedoch keine direkten Schlüsse ziehen. Vielmehr kommt es laut unseren Beobachtungen darauf an, was man in seiner Familie erlebt hat: Gewollt Kinderlose betonten deutlich seltener, zu Hause Wärme und Geborgenheit erfahren zu haben. Etliche Männer mit Kinderwunsch dagegen sahen ihre Eltern sogar als Vorbild, deren Lebensmodell sie übernehmen wollten.
6. Ohne passende Partnerin bleibt der Kinderwunsch Theorie
Wie erwähnt, entwickelt sich der Kinderwunsch bei Männern mehrheitlich zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr, also oft dann, wenn sich die Lebensumstände stabilisieren. Besonders häufig wird der Wunsch konkret, sobald eine Partnerin ins Leben tritt, mit der man sich Kinder vorstellen kann. In diesem Zusammenhang konnte unsere Studie klar zeigen: Die Partnerin ist eine der wichtigsten Einflussgrößen mit Blick auf die Entscheidung für oder gegen Kinder – deutlich vor Eltern, Freunden oder Bekannten. Gesellschaftlicher Druck oder andere Erwartungen von außen werden von Männern zwar wahrgenommen, sind aber selten entscheidend.
Der Einfluss der Partnerin war ausgesprochen groß auf Männer, die Vater wurden, obwohl sie keinen eigenen Kinderwunsch hatten. Das geschah in unserer Stichprobe in beachtlichen 20 Prozent der Fälle. Am stärksten orientieren sich unentschlossene Männer an der Haltung der Partnerin. Insgesamt gilt: Eine stabile Beziehung ist für viele Männer die zentrale Voraussetzung für eine Familiengründung.
Etliche gewollt Kinderlose berichten allerdings auch, dass sie mit ihrer Partnerschaft so, wie sie ist, zufrieden sind und gerade deshalb keine Kinder wollen. Männer, die sich bezüglich ihres Kinderwunsches unsicher sind, fürchten mitunter auch, der Nachwuchs könnte die Beziehung gefährden. Wünscht »Sie« sich völlig entgegen der eigenen Position ein Kind, kann dies vereinzelt auch zu Spannungen führen.
7. Verschiedene Ansichten über Kinder haben Folgen
Insgesamt herrscht erstaunliche Einigkeit: Laut einer 2017 veröffentlichten Befragung von mehr als 2700 Paaren stimmen rund 80 Prozent in ihrer Haltung zur Familienplanung überein – sie wollen entweder beide Kinder, beide keine oder sie sind gemeinsam unentschlossen. Aber was passiert, wenn die Meinungen zu Nachwuchs doch auseinandergehen? Entweder wird das Thema zunächst aufgeschoben, einer der beiden setzt sich mit der eigenen Haltung durch – oder es kommt zur Trennung.
Unterschiedliche Vorstellungen wirken sich zwar negativ auf die Realisierung von Nachwuchs aus, schließen ihn aber keinesfalls grundsätzlich aus. Jeder fünfte Vater in unserer Befragung hatte keinen expliziten Kinderwunsch gehegt. Wir nehmen an, dass in vielen Fällen die Partnerin maßgeblich zur positiven Entscheidung beitrug. Und auch eine ungeplante Vaterschaft führt nicht automatisch zu unglücklichen Vätern (zumindest, sofern sie nicht ohne deren Wissen »eingefädelt« wurde). Die Bewertung kann sich verschieben, wie bei Timo N.: »Mittlerweile bin ich froh, dass es meinen Sohn gibt, und ich bin glücklich, Vater zu sein. Die Gefühle und Emotionen kann man nicht beschreiben und kennt man erst, wenn man selbst ein Kind bekommt. Der ›Unfall‹ hat mein Leben zum Positiven verändert.«
Einerseits wollen sich Männer hälftig an der Betreuung des Nachwuchses beteiligen, andererseits sehen sie sich als »Haupternährer« in der Pflicht
Insgesamt bestätigen unsere Ergebnisse, dass es viele verschiedene Faktoren sind, die bei einem Mann über die Kinderfrage entscheiden können: Eine grundsätzliche Offenheit für Kinder spielt zwar die Hauptrolle, sie ist aber bei den meisten jungen Männern vorhanden. Viele fühlen sich jedoch in einem Spannungsfeld. Einerseits wollen sie sich hälftig an der Betreuung des Nachwuchses beteiligen, andererseits sehen sie sich als »Haupternährer« in der Pflicht – das heißt, das eigene Gehalt soll reichen. Wenn die passende Partnerin, die finanzielle oder die emotionale Sicherheit fehlen, wird die Realisierung daher erst einmal aufgeschoben. Ändert sich an den Bedingungen nichts, kann es passieren, dass Männer sich irgendwann ganz von ihrem Kinderwunsch verabschieden.
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