Vor 660 Jahren verschwunden: Kirche der versunkenen Stadt Rungholt gefunden
Im Jahr 1362 vernichtete eine gewaltige Sturmflut die nordfriesische Küste. Viele Ortschaften versanken im Meer, darunter auch jene Stadt, die in den folgenden Jahrhunderten zur Legende wurde: Rungholt. Reich und prunkvoll sei der Handelshafen auf der einstigen Insel Strand gewesen, seine Bewohner hätten ein lasterhaftes Leben geführt und sogar ihren Pfarrer verhöhnt. Zur Strafe habe Gott die Flut gesandt und Rungholt mit allen Einwohnern untergehen lassen. Bei ruhigem Wasser könne man noch heute die Glocken von Rungholts Kirche unter dem Meer läuten hören.
Diese Kirche haben Fachleute nun bei geophysikalischen Untersuchungen im Nordfriesischen Wattenmeer gefunden. Mit Hilfe von Magnetometern, Leitfähigkeitsmessungen und seismischen Untersuchungen kartierten die Fachleute auf einer Fläche von insgesamt zehn Quadratkilometern Strukturen unter der Oberfläche des Watts. Dabei fand das Team der Universitäten von Kiel und Mainz, des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) und des Archäologischen Landesamts Schleswig-Holstein insgesamt 54 mittelalterliche Warften – mehrere Meter hohe künstliche Hügel, die Gebäuden Schutz vor Hochwasser bieten sollten.
Auf einer dieser Warften entdeckte das Team die Fundamente eines 40 mal 15 Meter großen Gebäudes, dessen Grundriss nach Angaben der Fachleute zweifelsfrei als Kirche zu identifizieren ist. Mit Bohrungen und gezielten Ausgrabungen werde der Fund jetzt weiter erforscht. Die Kirchwarft ist Teil einer zwei Kilometer langen Kette aus Warften. Neben den Warften liegen im Untersuchungsgebiet Entwässerungssysteme, ein Hafen und zwei weitere kleine Kirchen. Die gefundene Siedlung sei so groß, dass sie eine übergeordnete Funktion gehabt haben müsse, heißt es in einer Pressemitteilung der Forschungskooperation.
Es handle sich deswegen um eine der Siedlungen Grote Rungholt oder Lütke Rungholt, die zusammen den Hauptort des 1362 versunkenen Verwaltungsbezirks Edomsharde bildeten, schließen die Fachleute. Während der Reichtum von Rungholt in späteren Legenden weit übertrieben dargestellt wurde, deuten Funde darauf hin, dass der Ort ein wohlhabender Handelsplatz war. Etwa ein Drittel aller im Gebiet von Rungholt gefundenen Keramik war Importware; außerdem zeigt ein dänischer Steuerkatalog, dass die Edomsharde ungewöhnlich hohe Abgaben zahlte.
Der Untergang von Rungholt und der als »Uthlande« bezeichneten, heute im Watt liegenden Siedlungsgebiete war dennoch weitgehend menschengemacht. Durch Entwässerung und Salztorfabbau sank das Land ab, gleichzeitig verstärkten Deiche Strömung und Tidenhub in den Kanälen zwischen den Inseln. Dadurch drangen wiederholt Sturmfluten im 13. und 14. Jahrhundert immer tiefer in die Marsch vor und verursachten Landverluste und Abtragung – was wiederum weitere Schäden und Landverluste bei der folgenden Flut begünstigte. Über die Jahrhunderte holte sich das Meer auf diese Weise große Teile der einstigen Küstenebene zurück. Ihre Reste bilden heute unter anderem die Inseln Sylt, Pellworm und Föhr.
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