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News: Kleidermarken machen Leute

Kleidermarken liegen im Trend und werden für manche zur Manie. Allerdings zieren Joop- oder Calvin Klein-Embleme nicht nur Gürtel, Pullover oder Schuhe von Erwachsenen, sondern mehr noch unterliegen Kinder und Jugendliche heute einer Markenfixierung, wie sich in einer empirischen Befragung herausstellte: Für über die Hälfte aller befragten Kinder und Jugendlichen von Grund-, Haupt- und Realschulen spielen Kleidermarken aus eigener Sicht eine wichtige Rolle, für 15 Prozent sogar eine sehr wichtige. Da müssen es schon Jeans von Levi's oder Turnschuhe von Adidas sein - nur dann zählt, wer man ist und was man tut, nur dann ist man Spielgefährte oder Freundin.
Kinder im Alter von 10 Jahren kennen durchschnittlich schon circa zwölf Kleidermarken, wovon die Mehrheit auch drei bis vier Marken trägt. Die Kleiderschränke Jugendlicher sind dann bereits mit durchschnittlich sechs Textilmarken bestückt. Dabei sind Jugendliche ausgesprochen markentreu. 43 Prozent der Jugendlichen mit Lieblingsmarken sind auch nur an diesen interessiert. Die Markenorientierung wird auch daraus ersichtlich, daß Kleidermarken unter Jugendlichen häufiges Gesprächsthema sind, für Jungen sogar noch häufiger als für Mädchen. Überhaupt geben sich männliche Jugendliche markenorientierter als ihre Mitschülerinnen.

Wichtigstes Ergebnis der Studie von Carolin Bauer, vom Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Hohenheim ist, daß die Markenorientierung stets im unmittelbaren sozialem Umfeld der Kinder und Jugendlichen entsteht – in der Familie, in der Schule, im Freundeskreis – und weniger über Werbung vermittelt wird. Die Bedeutung von Kleidermarken für die Eltern, unabhängig davon, ob sie sie selbst kaufen oder tragen, prägt die Markenorientierung ihrer Kinder. Allerdings haben sie später immer weniger Einfluß darauf, welche Marken von den Sprößlingen bevorzugt werden. Sie orientieren sich bereits im Jugendalter eher an den älteren Geschwistern und vor allem am Freundeskreis oder dem Freundeskreis in spe.

Die Studie zeigt darüber hinaus, daß für Kinder und Jugendliche die Kleidermarke als "soziales Symbol" immer wichtiger wird. Kleidermarken ermöglichen Gruppenmitgliedschaften, sorgen für eine bestimmte Gruppenidentität und liefern Verhaltensanleitungen sowie bestimmte Wertvorstellungen gleich mit: Der kindliche oder jugendliche Träger eines Homeboy-T-Shirts wird sich innerhalb wie außerhalb der Skater-Gruppe eben wie ein Skater verhalten und Wertvorstellungen entwickeln "wie man sie als Skater nun einmal hat", um sich damit der Gruppe anzupassen, sich mit ihr solidarisch zu zeigen, und um sich von anderen Gruppen oder dem Rest der Gesellschaft abzugrenzen.

Kleidermarken geben den Kindern und Jugendlichen neben Status und Prestige in immer stärkerem Maße scheinbare Sicherheit und Orientierung über ihre Rolle in der Welt. Marken haben einen ungeheuren Stellenwert im täglichen Leben der Kinder – und noch mehr im Alltag der Jugendlichen – und beeinflussen ihre Sozialisation nachhaltig. Die hohen Kosten, die für die Eltern aus der Markenfixierung ihrer Kinder entstehen, oder Auseinandersetzungen in den Familien um die teuren Jeans, sind dabei vielleicht noch die geringsten Probleme. Viel schwerer wiegen soziale Konflikte, die aufkeimen, wenn die Eltern ihren Kindern die begehrte Markenkleidung aufgrund der eigenen eingeschränkten finanziellen Lage nicht kaufen können, das Emblem an den Schuhen aber sozusagen als Eintrittskarte in eine Jugendgruppe gilt, zu der das Kind gerne dazugehören möchte.

Problematisch wird die Markenorientierung auch dann, wenn Kinder oder Jugendliche meinen, Persönlichkeit ausschließlich über Kleidermarken zu gewinnen, der Jugendliche diese Marken aber nicht besitzt. Neben- und Ferienjobs bilden dann verstärkt die Freizeit-Aktivität, um das fehlende Geld für die Markenkleidung zu verdienen und damit den "Anforderungen des Freundeskreises" zu genügen. Die Fixierung auf Kleider- oder Schuhmarken hat noch gravierendere Konsequenzen, wenn Diebstahldelikte bei Kindern und Jugendlichen zunehmen, nur um an die richtigen Turnschuhe oder die richtige Jacke zu kommen. Die Untersuchung zeigt, daß sich immerhin 57 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen vorstellen können, daß MitschülerInnen stehlen würden, um in den Besitz eines Markenartikels zu kommen.

Immer häufiger ist also die Kleidermarke quasi das Aufnahmekriterium in Spiel- oder Jugendgruppen und gleichsam Initiationssymbol für die verschiedenen Phasen im Kindes- und Jugendalter.

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