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News: Kleine Knochen knacken große Rätsel

Ein paar winzige Knöchelchen und die dazugehörigen kleinen Besitzer lassen die Augen einiger Anthropologen leuchten, denn sie könnten ein bisher fehlendes Verbindungsglied im Stammbaum des Menschen darstellen. Die Überreste aus einem Steinbruch in China stammen nach Ansicht der Wissenschaftler von Eosimias, einem der frühesten Primaten aus dem Tertiär. Sie klären einige Rätsel in der Verwandtschaft von Halbaffen und den Anthropoidea, zu denen neben den Affen und Menschenaffen auch der Mensch zählt.
Im Stammbaum der Primaten – der Halbaffen, Affen, Menschenaffen und Menschen – klaffen noch einige Lücken. Es ist nicht viel bekannt von unseren frühen Vorfahren aus dem Tertiär. Und selbst wenn Anthropologen dann auf fossile Überreste stoßen, sind die Skelettfunde oft nicht vollständig, und die Wissenschaftler müssen mühevoll versuchen, daraus das Aussehen und die Lebensweise der Tiere zu rekonstruieren.

Um so mehr Freude, aber auch Diskussionen, löst dann die Entdeckung besonders reichhaltiger Fundstätten aus. Dazu gehört zum Beispiel ein Kalksteinbruch etwa 160 Kilometer westlich von Shanghai, in dem Wissenschaftler schon auf zahlreiche Zeugnisse der Vergangenheit gestoßen sind. Das Gestein selbst stammt mit einem Alter von etwa 220 Millionen Jahren aus der Trias. Aber der Kalk ist wasserlöslich, und so entstanden im Laufe der Zeit kleine Ritzen und Höhlen, in denen sich die Überreste späterer Epochen sammelten – so auch aus dem mittleren Eozän vor ungefähr 45 Millionen Jahren.

Bereits 1996 entdeckten Dan Gebo von der Northern Illinois University und seine Mitarbeiter dort Hunderte von tierischen Fossilien, darunter auch mindestens drei daumengroße Vertreter der frühesten Primaten. In der April-Ausgabe des Journal of Human Evolution 2000 werden sie zwei davon genauer beschreiben. Im selben Steinbruch fanden die Wissenschaftler auch winzige Fußknöchelchen, jedes nur von der Größe eines Reiskorns (Nature vom 16. März 2000).

Für die Forscher repräsentieren die fossilen Überreste ein fehlendes Bindeglied zwischen den Gruppen der Halbaffen (Prosimiae) und den Anthropoidea oder Simiae, zu denen die Affen, Menschenaffen und Menschen zählen. Erstaunlich ist ihrer Meinung nach die geringe Größe der Tiere. Mit einem geschätzten Gewicht von nur zehn Gramm erreicht einer der beiden gerade einmal ein Drittel des Gewichts eines Mausmakis, des kleinsten lebenden Primaten. "Nur wenige hätten wohl ein derartig winziges affenartiges Lebewesen an einem der Hauptäste der Evolution vermutet", meint Gebo.

Das größere der beiden Tiere, das immerhin etwa 15 Gramm auf die Waage gebracht haben müsste, ordnet das Forscherteam der Gattung Eosimias zu, einem heute ausgestorbenen frühen Vertreter der Primaten. Sein genauer Platz in dieser Abstammungslinie ist aber noch sehr umstritten. Manche Wissenschaftler zweifeln sogar, ob er überhaupt zu den Primaten gezählt werden könnte. Bisher waren von dem Baumbewohner nur Zähne, Kieferknochen und ein Stück eines Schädels bekannt.

Auch die Fußknöchelchen müssten nach Ansicht der Wissenschaftler von Eosimias stammen. Sie sind besonders interessant, da sie ein Mosaik aus Merkmalen von Halbaffen und den Anthropoidea aufweisen. "Kein anderer fossiler Primat aus dem Eozän besitzt diese interessante Kombination", erklärt Gebo. Und sie zeigen, dass ihre Besitzer bereits wie die heute lebenden Affen bevorzugt vierfüßig auf Ästen und Zweigen liefen. Halbaffen dagegen sind dafür bekannt, dass sie hervorragend von einem vertikalen Ast oder Stamm zum nächsten springen und sich daran festklammern könnern. Also gehört Eosimias wohl nicht nur zu den Primaten, er scheint sogar an der Basis der Abstammungslinie zu stehen, die letztendlich auch den Menschen hervorbrachte.

Bisher werden hauptsächlich drei Annahmen über die Evolution der Anthropoidea diskutiert. Auf Grund von Ähnlichkeiten in der Anatomie der Zähne vermuten manche Wissenschaftler, dass sich diese Gruppe aus den Adapiden, Lemuren-ähnlichen Halbaffen, entwickelt haben. Genetische Befunde und die Anatomie der heute lebenden Primaten lassen andere dagegen schließen, dass die engsten Verwandten unserer Abstammungslinie die lebenden und fossilen Koboldmakis (Tarsiiformes) sind. Die dritte Schule akzeptiert einen evolutionären Zusammenhang zwischen den Tarsiiformes und den Anthropoidea, geht aber davon aus, dass die Aufspaltung zwischen den beiden Gruppen schon sehr alt ist – mindestens 55 Millionen Jahre.

Die gefundenen Knöchelchen ähneln sowohl denen von Anthropoiden als auch denen fossiler Omomyiden, die als ausgestorbene Verwandte der Koboldmakis gelten. Damit widersprechen sie der Ansicht, dass Affen, Menschenaffen und der Mensch von den Adapiden abstammen, und unterstützen eine enge Verwandtschaft mit den Tarsiiformes.

Auch der Fundort ist an sich recht ungewöhnlich. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Vorfahren der Anthropoiden in Afrika lebten, da sich dort auch die bisher bekannten ersten Spuren des Menschen finden. Doch wer weiß, welche Geheimnisse der Kalksteinbruch und andere Ausgrabungsstätten Asiens noch bergen.

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