Kleinkatzen: Die Unsichtbaren des Artenschutzes

Die beiden Fischer aus Kusaha im Südosten Nepals hören ein erschöpftes Fauchen. In einem Bewässerungsrohr für das Reisfeld ihres Dorfes ist ein nasses Bündel Katze mit olivgrauem Fell, dunklen Flecken und geringeltem Schwanz eingeklemmt. Was da zitternd aus dem Dunkel starrt, ist keine streunende Hauskatze, sondern eine wilde Fischkatze aus der Gattung Prionailurus – kräftig gebaut, mit breitem Schädel und kurzen Beinen, perfekt angepasst an das Leben und Jagen am Wasser. Sie gilt als Meisterin des lautlosen Schleichens durch Schilf, Sumpf und Überschwemmungswiesen. Kein Wunder, dass kaum jemand sie je zu Gesicht bekommt.
Kusaha liegt am Rand einer der letzten großen Feuchtlandschaften Südasiens. Hier, wo Nepal an Indien grenzt, breitet sich das Koshi Tappu Wildlife Reserve aus: ein Labyrinth aus Auen, Flussarmen, Sümpfen und saisonal gefluteten Wiesen, das langsam in ein Patchwork aus Reisfeldern, Zuckerrohrplantagen, Fischteichen und kleinen Siedlungen übergeht. In dieser Grenzlandschaft zwischen Wildnis und Kulturland kreuzen sich die Wege von Mensch und Katze häufiger, als es den meisten bewusst ist.
Die im Rohr eingeklemmte Fischkatze wurde zwei Monate zuvor auf den Namen Gulabi getauft, als ein Forschungsteam um die Biologin Rama Mishra von der Universität Antwerpen das Tier – zusammen mit zehn weiteren dieser Art – mit einem GPS-Halsband ausstatteten. Ein Novum für die kaum erforschten Fischkatzen. Mishra, die auch Gründerin von Wildlife Conservation and Research Endeavour (WILD CARE) Nepal ist, hat den Namen des jungen Tiers bewusst gewählt: Es heißt nach einem Fischfarmer aus der Gemeinde, der es einst an seinem Teich auf Fischjagd erwischte, aber am Leben ließ.
»Anfangs galten die Fischkatzen als Plagegeister. Aber als wir der Dorfgemeinschaft die GPS-Bewegungsdaten von Gulabi zeigten – wie sie sich in der Landschaft bewegte, wo sie ruhte und wie vorsichtig sie den Menschen aus dem Weg ging –, veränderte sich etwas«, berichtet Mishra. Tatsächlich bewährte sich diese Strategie schneller als erwartet: Als die beiden Fischer die in Not geratene Gulabi entdeckten, informieren sie sofort Mishra und ihr Team. Keine zwei Stunden später war die Fischkatze befreit.
Die von den Wissenschaftlern erhobenen Daten zeigten erstmals: Über ein Drittel der Aufenthaltsorte der besenderten Fischkatzen lag in Gebieten, die von Kontakten mit Menschen geprägt sind: »Gulabi zum Beispiel nutzte das nahe gelegene Naturschutzgebiet nur selten. Stattdessen lebte sie fast vollständig zwischen Fischteichen, Reis- und Zuckerrohrfeldern sowie am Dorfrand, bloß wenige Meter von den Häusern der Menschen entfernt«, erzählt Mishra. Dort gebe es reichlich Beute wie Fische, Vögel, Ratten und Schlangen. Dort lauern aber auch mehr Gefahren: Vergeltungstötungen, Buschfleischjagd, Stromschläge, Verkehrsunfälle, Angriffe durch Wachhunde.
Verborgen, vergessen und bald schon verloren?
Genau darin liegt das Problem: Weil auch in Nepal die Feuchtgebiete schwinden, kommen heute nicht einmal fünf Prozent der Landesfläche Nepals überhaupt noch als Lebensraum für die Fischkatze infrage. Nur ein knappes Drittel davon liegt innerhalb von Schutzgebieten, der Rest in den von Menschen dominierten Agrarlandschaften. So gibt es im Land inzwischen vielleicht gerade noch 200 erwachsene Tiere, das sind sogar weniger als wild lebende Tiger.
Gulabis Geschichte steht exemplarisch für kleine Raubkatzen weltweit: Sie leben verborgen mitten in vom Menschen geprägten Landschaften, bleiben für viele unsichtbar, unbekannt oder leben im Schatten der bekannten großen Raubtiere. Zur Familie der Katzen (Felidae) zählen weltweit fast 40 Arten – eine genaue Zahl zu nennen, ist jedoch schwierig: Immer wieder werden durch neue genetische Analysen Arten getrennt oder zusammengelegt. So wurde 2013 die südamerikanische Kleinkatze Oncilla in zwei eigenständige Arten aufgeteilt, die sich äußerlich kaum unterscheiden.
Während sieben Großkatzen, vor allem aus der Gattung Panthera – Tiger, Löwe, Leopard, Jaguar, Gepard, Schneeleopard und Puma –, regelmäßig im Rampenlicht stehen, führen die übrigen mehr als 30 kleinen Katzenarten ein Schattendasein. Dabei ist die Vielfalt enorm: In Asien versteckt sich nicht nur die Fischkatze in sumpfigen Flusslandschaften, sondern auch die Borneo-Goldkatze im Dschungel; in Afrika bleibt die Goldkatze ein Phantom des Regenwalds; Südamerika beherbergt Arten wie die Andenkatze in für Forscher schwer zugänglichen Hochebenen – oder die Kleinfleckkatze Oncilla, die selbst Einheimische kaum je zu Gesicht bekommen. In Mittel- und Südamerika zieht der Jaguarundi als schlanker, tagaktiver Jäger durch Savannen und Buschland.
Anthony Giordano, Gründer der Organisation S.P.E.C.I.E.S., die sich auf den Schutz wenig bekannter Raubtiere spezialisiert hat, macht immer wieder die Erfahrung, wie wenig die meisten Menschen über kleine Katzenarten wissen. Weder, wie viele kleine Katzenarten es überhaupt gibt, noch, dass viele davon akut bedroht sind.
Die »Großen Sieben« ziehen alle Forschungsgelder ab
Laut Weltnaturschutzunion IUCN sind mindestens 18 Arten der kleinen Raubkatzen entweder gefährdet, stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht. Allerdings könnten das inzwischen noch mehr sein. Man weiß es nicht, denn viele der IUCN-Bewertungen sind inzwischen selbst veraltet. Die Arten seien noch immer »bemerkenswert wenig erforscht«, sagt Giordano. Das gelte besonders für Arten mit kleiner Verbreitung oder sehr speziellen Lebensräumen.
Das globale Ungleichgewicht in der Aufmerksamkeit schlägt sich auch in den Ressourcen nieder. Fast alle Artenschutz- und Forschungsgelder in Sachen Felidae fließen an die bekannten Großkatzen. Lange Zeit kursierte unter Experten eine Statistik, wonach mehr als 99 Prozent aller Mittel an die »Großen Sieben« gingen – und weniger als ein Prozent an den Rest.
Jim Sanderson, ein Veteran in der Erforschung der kleinen Raubkatzen und Mitbegründer der Small Wild Cat Conservation Foundation (SWCCF), hatte sie seinerzeit durch akribische Finanzrecherchen ermittelt. Heute sieht er zumindest kleine Fortschritte: Inzwischen fließen laut Sanderson bis zu drei Prozent auch an Projekte zum Schutz der kleinen Arten. Das ist nicht zuletzt der Verdienst der von Sanderson vorangetriebenen Koalition kleiner Artenschutzgruppen unter dem Schirm der SWCCF: »Wir sind jetzt besser dran als vor 10 oder 20 Jahren. Da lief bei den kleinen Raubkatzen kaum etwas.«
Mittlerweile koordiniert die SWCCF insgesamt 18 Arbeitsgruppen auf vier Kontinenten, jede von ihnen ist mit einer bestimmten Art oder einer Artengruppe befasst. Was viele Jahre unsichtbar war, gewinnt heute an Dynamik: »Nichts erzeugt mehr Interesse als Erfolg«, sagt Sanderson. Die Hartnäckigkeit dieser Gruppen habe das Interesse an diesen vergessenen Arten erhöht – auch bei den Menschen, die täglich mit ihnen leben.
»Wenn in Uganda ein Vater wegen Buschfleischjagd verhaftet wird, schafft das nur mehr Feinde für die Goldkatze«Badru Mugerwa, Biologe
In Uganda und anderen Ländern Zentralafrikas engagiert sich beispielsweise die African Golden Cat Conservation Alliance (AGCCA), die zum Netzwerk der SWCCF gehört, für den Schutz einer kaum bekannten Wildkatze. Die Afrikanische Goldkatze lebt zurückgezogen im Regenwald und galt lange als nahezu unerreichbar für die Forschung. Koordiniert wird das Bündnis von Badru Mugerwa, Biologe am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin und langjähriger Feldforscher in den Regenwäldern seiner Heimatregion. Die Arbeit des Uganders und seiner Kollegen hat das Informationsdefizit zur Afrikanischen Goldkatze bereits verringert: »Die überraschendsten Ergebnisse unserer aktuellen Forschung zeigen, dass die wahllose Schlingenjagd den Bestand dieser Katzenart um fast 50 Prozent verringern kann«, sagt Mugerwa.
Mit Anreizen gegen die Schlingenjagd
Den Menschen dieser verarmten Regionen reicht ihre karge Selbstversorger-Landwirtschaft oft nicht zum Überleben. Deswegen gehen sie mit Drahtschlingen auf Jagd nach Antilopen, Wildschweinen, kleinen Affen oder anderen Tieren, die sie dann entweder selbst verzehren oder verkaufen. Dass sich Kleinkatzen oder andere seltene Tiere darin verfangen, nehmen sie ebenso in Kauf wie die harten Strafen, mit denen die Behörden die illegale Jagd eindämmen wollen.
Das Abschreckungsprinzip funktioniere aber nicht, ist Mugerwa überzeugt: »Wenn in Uganda ein Vater wegen Buschfleischjagd verhaftet wird, schafft das mehr Feinde für die Goldkatze. Dann geht oft stattdessen der Sohn zur Jagd, was einen zusätzlichen Jäger schafft. Kommt der Vater aus dem Gefängnis, jagt er noch mehr, um den Rückstand als Versorger aufzuholen. Um das zu bekämpfen, muss dann das Budget für die Strafverfolgung ebenfalls erhöht werden.« Mugerwas Team setzt deshalb auf echte Alternativen zur Wilderei. In Zusammenarbeit mit den Dorfgemeinschaften entstehen Viehbanken, die es ermöglichen, eigene Nutztiere zu halten und so den Fleischbedarf zu decken, ohne in den Wald gehen zu müssen. Dazu kommen Mikrokredite für neue Einkommensquellen und kostenlose medizinische Versorgung.
Durch Anreiz statt Abschreckung »haben wir in 19 von 22 Verbreitungsländern der Afrikanischen Goldkatze fast 8000 Freunde für dieses Tier gewonnen«, sagt Mugerwa.
Zielgenaue Finanzspritzen
Seine Viehbanken und Mikrokredite stehen exemplarisch für das pragmatische »TIME«-Prinzip, das Sanderson und sein Netzwerk inzwischen rund um den Globus anwenden: Zuerst werden konkrete Bedrohungen identifiziert (threats), dann gezielt Gegenmaßnahmen umgesetzt (interventions), im Anschluss deren Wirkung gemessen (monitoring) und schließlich die Ergebnisse ausgewertet (evaluation).
Dahinter steckt auch eine behutsame Abkehr vom zuvor alles dominierenden Primat der Grundlagenforschung. »Guter Artenschutz basiert darauf, Bedrohungen zu erkennen und zu verringern. Gute Forschung ist hingegen dann sinnvoll, wenn sie konkrete, für den Schutz entscheidende Fragen beantwortet – zum Beispiel: Sind Krankheiten von streunenden Hunden eine Bedrohung für kleine Katzen?«, sagt Sanderson. Mit diesem Konzept im Hintergrund priorisiere sein SWCCF-Netzwerk die finanziellen Mittel, die es zu verteilen gelte.
Manche erkennen darin allerdings auch Nachteile. Wie könne man Schutz sinnvoll priorisieren, wenn man kaum etwas über die jeweilige Art wisse, fragt Rama Mishra. »Meines Wissens gibt es keinerlei Gelder für die Forschung über kleine Katzenarten«, sagt die Nepalesin. Ihre eigene Studie, die in ihre Doktorarbeit über die Fischkatze mündete, musste sie ohne finanzielle Unterstützung durchführen. Erst später gab es Geld durch ein Stipendium.
Genau das schafft einen klassischen Teufelskreis: Weil kaum Daten über kleine Raubkatzen vorliegen, bleiben sie für Öffentlichkeit und Förderer unsichtbar – und weil sie im Schatten stehen, fehlt auch das Geld, um überhaupt die nötigen Grundlagen zu erforschen. Ohne Forschung keine Förderung, ohne Förderung keine Forschung – und die Arten bleiben weiter im Dunkeln.
Der Jaguarundi ist nahezu unsichtbar
Eine kleine Raubkatze aus Mittel- und Südamerika galt lange als exemplarisches Opfer dieses Teufelskreises: der Jaguarundi. Die schlanken Räuber mit ihrer lang gestreckten Schnauze und dem ebenso langen Körper reichen einem erwachsenen Menschen bis knapp ans Knie, können gut klettern und dabei mit ihrem muskulösen Schwanz die Balance halten. In der Natur trifft man sie in roter und in grauer Fellfärbung an – wenn man sie denn je zu Gesicht bekommt: Herpailurus yagouaroundi zählt zu den am wenigsten erforschten Feliden der Welt.
»Er ist selbst in seinen natürlichen Lebensräumen selten«, sagt José Ramírez-Fernández von der One Health Costa Rica Alliance. Auf 100 Quadratkilometer kämen nur ein bis fünf Individuen, erklärt der Experte für die Kleinkatzen des amerikanischen Kontinents.
Mit dem Jaguar ist der Jaguarundi trotz seines Namens nicht näher verwandt, er gehört stattdessen in eine Abstammungslinie mit dem Puma. Wie wenig man über die Art weiß, kann man daran ablesen, wie gewaltig Ober- und Untergrenze der Schätzungen zu ihrer Häufigkeit auseinanderliegen: Ihre Anzahl dürfte nach Berechnungen von Fachleuten auf irgendwo zwischen 35 000 und 230 000 Individuen liegen. Im Grunde ist das nicht verwunderlich bei einem Tier, dessen Lebensraum von Mexiko über Mittelamerika bis hinunter in den Norden Argentiniens reicht und das so zurückgezogen lebt. Wenn die Weltnaturschutzunion IUCN den Jaguarundi seit Jahren als »nicht gefährdet« einstuft, dann hat das weniger mit einer soliden Entwarnung zu tun als vielmehr mit ungenauen, veralteten oder manchmal schlichtweg falschen Daten und Annahmen.
Doch nun kommt Bewegung in die Sache der kleinen Wildkatze. Neue Ansätze, hoffen Fachleute, könnten den Schleichjäger aus seinem Teufelskreis befreien.
Zum einen führt die IUCN derzeit eine Neubewertung durch, in die sie erstmals rund 70 Experten aus 18 Ländern einbezog – darunter auch Angehörige von NGOs und Organisatoren von Citizen-Science-Projekten. Die hohe Anzahl nichtakademischer Beiträge ist ungewöhnlich. »Wir wollten den Prozess inklusiver gestalten und die Teilnahme aus dem Globalen Süden fördern. Diese Bewertungen weisen sonst mitunter eine Verzerrung zugunsten von Forschern aus dem Globalen Norden auf«, sagt Mariam Weston-Flores, die Programmbeauftragte der IUCN-Spezialistengruppe für Mensch-Tier-Konflikt und Koexistenz.
IUCN zapft neue Datenquellen an
Der Erfolg gibt dem IUCN-Team recht: 70 Prozent der Beiträge stammten aus bisher unveröffentlichten Quellen. Dieser inklusive Ansatz ermöglichte es, auch lokale Expertise einzubeziehen und neue Sichtungen aus Regionen, in denen die Art bisher nicht dokumentiert war – ein Meilenstein in der Jaguarundi-Forschung. »Wir haben sogar Daten aus Ländern wie Nicaragua und Honduras erhalten, aus denen wir vorher gar keine Informationen hatten«, sagt Ramírez-Fernández, der ebenfalls an der IUCN-Erhebung beteiligt war.
Die Neubewertung ist zwar noch nicht abgeschlossen, doch die Tendenz ist eindeutig: Der Gefährdungsstatus dürfte sich ändern. Nach Auskunft von Ramírez-Fernández und Weston-Flores wird der Jaguarundi voraussichtlich von »nicht gefährdet« auf »potenziell gefährdet« hochgestuft. Der Schritt könnte den kleinen Katzen mehr Aufmerksamkeit bescheren und auf diese Weise gezielte Schutzmaßnahmen ermöglichen.
Zum anderen macht ein Forschungsprojekt der Raubkatzen-Schutzorganisation Panthera vor, wie man auch ohne tiefe Taschen an Informationen über kaum erforschte Tiere kommen kann: durch gezielte Auswertung von »Daten-Beifang«.
Wenn Jaguar-Forschungsgruppen ihre Kamerafallen installieren, gehen ihnen in aller Regel zahllose andere Tiere ins fotografische Netz, an denen sie eigentlich gar nicht interessiert sind. Mit der Zeit sitzen diese Teams förmlich auf einem Haufen von Aufnahmen und Daten.
Alle Kameras auf die kleinen Katzen
Der Tierschutzexperte Bart Harmsen initiierte während seiner Tätigkeit für Panthera ein Programm, das gezielt auf diesen Datenschatz zugriff. »Für unsere Studie nutzten wir die Daten von über 50 Kollegen und Projekten«, erläutert Sara Williams, die bei Panthera die Auswertung durchführte. Plötzlich konnte die Gruppe auf die Aufzeichnungen von fast 4000 Kameras in 13 Ländern zurückgreifen – es wäre völlig unbezahlbar gewesen, so viele Kamerafallen selbst aufzustellen.
Anhand von 884 Jaguarundi-Sichtungen stellten die Wissenschaftler eine Prognosekarte auf, die die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von Jaguarundis in ganz Lateinamerika zeigt und selbst Fachleute überraschte. Beispielsweise dürfte das Tier in weiten Teilen Mittelamerikas, den nördlichen Anden und Teilen Paraguays deutlich häufiger vorkommen als angenommen – teilweise in Gebieten, in denen die Art noch nie gesichtet wurde. Andererseits kamen durch die Beweisführung Zweifel daran auf, dass der Amazonas wirklich ein sicheres Refugium für den Jaguarundi ist. Das Tier lebt stattdessen wesentlich näher am Menschen – und daraus ergeben sich ähnliche Gefahren wie bei der Fischkatze in Asien. Diese Erkenntnisse dürften bei den laufenden Überlegungen zum Gefährdungsstatus eine gewichtige Rolle spielen.
»Das Teilen von Daten und die Offenheit für neue Methoden sind entscheidend, um die Forschungslücken zu schließen, gerade wenn es um eine schwer erforschbare Art geht«, resümiert Ramírez-Fernández. Allerdings entziehen sich selbst vorhandene Daten oft dem Zugriff anderer Forschergruppen, zum Beispiel weil sie ungesehen in Archiven verschwinden.
Mit dem Löwen unter einem Schirm
Der Grund: In der Forschungspraxis konzentrieren sich viele Teams auf die sogenannten Schirmarten – etwa Löwen oder Jaguare – in der Meinung oder Hoffnung, dass deren Schutz automatisch auch anderen Arten zugutekommt: den Jaguarundis in Amerika etwa oder den Servalen, Karakalen und Wildkatzen im Fall der afrikanischen Löwen. Können die kleinen Katzen also auch in Fragen des Schutzes zu einer Art »Beifang« werden?
Sanderson, Weston-Flores und Ramírez-Fernández äußern sich unisono skeptisch: Das Prinzip klinge zwar gut, funktioniere aber nicht, wenn sich die speziellen Bedürfnisse der kleineren Arten nicht mit denen der größeren deckten. In Lateinamerika könnten vielleicht Arten profitieren, die eine ganz direkte Beziehung zum Jaguar haben, wie seine Beutetiere, sagt Ramírez-Fernández, »doch der Jaguar hat keine direkte Beziehung zu oder auch nur Interesse an kleinen Wildkatzen«.
Was nach Meinung der Experten für kleine Raubkatzen am Ende zählt, ist also die Bereitschaft, über Grenzen hinweg zu kooperieren – zwischen Wissenschaft, Naturschutzpraxis und Gemeinden vor Ort. Artenerhalt und die damit verbundene Forschung seien kein Selbstzweck und keine Elitenveranstaltung. »Naturschutz ist eine Sozialwissenschaft. Wir helfen den Menschen – dann helfen die Menschen den Katzen«, betont Sanderson.
Es sind die kleinen Wunder in den Randnotizen, die hoffnungsvoll stimmen. So tauchte Gulabi, die Fischkatze aus Nepal, ein Jahr nach ihrer dramatischen Rettung auf der Videoaufnahme einer Kamerafalle wieder auf – mit einem Jungtier an ihrer Seite, verborgen im Schilf am Rand der Reisfelder. Ein Bild, das zeigt: Erfolg beginnt dort, wo Forscher, Artenschützer, Dorfbewohner und Tiere sich gemeinsam einen Platz schaffen.
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