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Grenzflächenphysik: Kleinster Abschleppdienst der Welt

Mit feinsten Metallspitzen zerren Physiker einzelne Atome über Oberflächen von Kristallen und parken sie bis auf einen Atomdurchmesser genau. Welche Kraft nötig ist, um ein Atom in Bewegung zu versetzen, haben Forscher aber erst jetzt gemessen - und herausgefunden, dass sich die Widerspenstigkeit der Teilchen stark unterscheidet.
Rasterkraftmikroskop
Wer aus einzelnen Atomen elektronische Schaltungen aufbauen will, der muss wissen, welche Atomsorten sich leicht und welche sich schwer auf einer Unterlage bewegen lassen. Für einen Schalter, der sich ständig öffnen und schließen muss, braucht man möglichst agile Atome, für eine feste Verbindung zweier Kontakte hingegen sind Teilchen gefragt, die möglichst fest auf der Unterlage kleben.

Bislang gab es keine Kraftwaage, um die Standortfestigkeit der Atome zu messen. Grund genug für den Elektronikkonzern IBM, eine solche zu entwickeln. Die Forscher um Markus Ternes vom Almaden Research Center im kalifornischen San Jose und von der Universität Regensburg nutzten dafür ein Rasterkraftmikroskop, das sie mit einem stimmgabelförmig geschliffenen Quarz bestückten, wie er auch in Uhren verwendet wird. An der Unterseite des Quarzes brachten sie eine Metallnadel an, deren Spitze aus einem einzigen Atom besteht.

Rasterkraftmikroskop | Ein Rasterkraftmikroskop misst die Kräfte zwischen einer Messspitze und einer Probe. Die Forscher nutzten eine durch einen Quarzkristall schwingende Metallspitze, um die nötige Kraft zu erfassen, mit der sich ein Kobalt-Atom auf einer Platinoberfläche bewegen lässt: Die Wechselwirkung verändert die Schwingungsfrequenz des Kristalls.
Die Forscher führten die Nadelspitze in einer Höhe von wenigen zehntel Nanometern (Millionstel Millimeter) über ein Kobalt-Atom hinweg, das auf einer Platin-Oberfläche lag. Dabei ließen sie den Quarz schwingen. Während der Passage kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen Metallspitze und Kobalt-Atom, welche die Schwingungsfrequenz des Quarz-Kristalls verändert – und zwar umso stärker, je stärker die Kraft zwischen Spitze und Nadel wirkt. Mit der Frequenzänderung hatten die Forscher ein Maß für die Kraft, mit der sie am Atom zerrten.

Allerdings konnten sie so nur jene Komponente der Kraft messen, die senkrecht zur Oberfläche wirkt. Bildlich gesprochen konnten die Forscher zwar die Kraftkomponente messen, mit der ein Reisender seinen Rollkoffer anhebt, aber nicht die eigentliche Antriebskraft, die entlang der Laufrichtung des Ziehenden wirkt, die so genannte laterale Kraftkomponente. Hier entwickelten die Forscher einen Weg, die laterale Kraftkomponente aus der gemessenen senkrechten Komponente zu berechnen.

Nun senkten die Physiker die Metallspitze immer weiter herab, bis die Wechselwirkung zwischen ihr und dem Atom groß genug war, um das Atom zu bewegen. Das geschah bei einer lateralen Zugkraft von 210 Pikonewton (Billionstel Newton). Die Zugkraft ist also etwa zwei Milliarden Mal kleiner als die Kraft, die nötig ist, um einen Euro-Cent anzuheben.

Die Atome haften aber nicht an jeder Oberfläche gleich stark: Auf einer Kupfer-Oberfläche war nur eine laterale Kraft von gut 17 Pikonewton nötig, um das Kobalt-Atom abzuschleppen. Die Abweichung erklären die Wissenschaftler mit unterschiedlich starken chemischen Bindungen zwischen Atom und Oberfläche. Außerdem hängt die Zugkraft von der Art des Teilchens ab, das bewegt werden soll. Kohlenmonoxid-Moleküle setzten sich auf einer Kupfer-Oberfläche erst bei 160 Pikonewton in Bewegung. Das führen die Forscher auf unterschiedliche Bindungsplätze auf der Kristalloberfläche zurück, die nicht vollkommen glatt ist, sondern einem Bienenwabenmuster ähnelt.

Energielandschaften | Die Wissenschaftler erstellten "Energielandschaften", welche die unterschiedlichen Kraftanstrengungen verdeutlichen, die nötig sind, um ein Atom oder Molekül in Bewegung zu versetzen (oben: Kobalt auf Kupfer, unten: Kohlenmonoxid auf Kupfer). Hintergrund ist, dass die Oberfläche nicht glatt und gleichmäßig ist, sondern strukturiert.
Aus diesem Grund sind die nötigen Zugkräfte richtungsabhängig. Die Forscher haben auch diese Richtungsabhängigkeit bestimmt und erstellten eine Reliefkarte der untersuchten Oberflächen, deren Hügel für große und deren Täler für kleine Zugkräfte stehen. Solche Karten könnten nun für unterschiedliche Oberflächen und verschiedene darauf klebende Atomarten angefertigt werden, schreiben die Forscher. Das so generierte Wissen lasse sich für gezielte Manipulation einzelner Atome in der Nanotechnik nutzen. Auch die Grundlagenforschung könne profitieren: So erlaube die Technik, die mikroskopischen Ursachen der Reibung sowie die Diffusion von Atomen und Molekülen auf Oberflächen besser zu verstehen.

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