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Klimawandel: In Spitzbergen kommen die Walfängergräber aus dem Boden

300 bis 400 Jahre sind die Gräber der Walfänger alt. In der Eiseskälte haben sich einzigartige Zeugnisse der Vergangenheit erhalten. Doch nun herrscht Tauwetter in der Arktis.
Eine archäologische Ausgrabungsstätte in einer felsigen, kargen Landschaft mit einem frei gelegten Holzsarg in einer Grube. Neben dem Sarg liegen eine Messlatte und ein kleines Schild. Im Hintergrund sind schneebedeckte Berge und ein Schiff auf dem Wasser zu sehen. Eine Person steht in der Ferne und blickt auf die Szene.
Die Gräber der toten Walfänger sind wie Zeitkapseln. Doch weil Land und Meer immer wärmer werden, erodiert die Küste mitsamt den Gräbern.

Rund 600 Gräber von Walfängern kennt man von der Insel Spitzbergen am Rande der Arktis. Dort wurden all jene bestattet, die das raue Leben an Deck der Fangschiffe nicht lange genug überlebten, um in die Heimat zurückzukehren. Vor allem dem Skorbut erlagen die Männer, wie Untersuchungen der Skelette aus dem 17. und 18. Jahrhundert gezeigt haben.

Auf Grund der Eiseskälte und des dauerhaft gefrorenen Bodens haben die Bestatteten und ihre Kleidung die Jahrhunderte wesentlich besser überdauert, als es anderswo in Europa der Fall ist. Doch nun schlagen Wissenschaftler der norwegischen Denkmalpflege Alarm: Weil der Klimawandel die Insel rasant aufheizt, drohen die Überreste in den Gräbern binnen Kurzem komplett zu verwesen. Eine Dokumentation sei dringend nötig, schreibt das Team um Lise Loktu auf der Website der staatlichen Forschungsstelle NIKU. »Es gilt: jetzt oder vielleicht nie.«

Friedhof Likneset | Für die Bestattung ihrer Toten zogen die Crews der Walfänger nicht weit ins Innere der Insel. Nun drohen die Gräber ein Opfer des Klimawandels zu werden.

Der Verfall von Jahr zu Jahr sei mit bloßem Auge erkennbar. Zudem würden immer wieder Gräber ins Meer gespült, weil der Boden durch den auftauenden Permafrost und das ausbleibende Meereis seine Stabilität verliere. Andernorts dringe Wasser ein und damit Mikroorganismen, die die erhaltene organische Substanz abbauten, erläutert Loktu, die von 2016 bis 2022 im Auftrag des Gouverneurs von Spitzbergen im hohen Norden tätig war.

Textilien früher und heute | Die Kleidungstücke der oberen Reihe wurden in den 1980er Jahren ausgegraben. Seitdem hat sich der Zustand der noch im Boden befindlichen Textilien stark verschlechtert, wie Funde seit 2016 zeigen (mittlere Reihe). Laut den Fachleuten lassen sich im Mikroskop verschiedene Textilfasern unterscheiden, aber auch Schäden erkennen (untere Reihe).

Welche Informationen die Gräber über die Menschen des 17. und 18. Jahrhunderts bereithalten, habe man bereits bei Ausgrabungen in den 1980er Jahren feststellen können. Die damals geborgenen Funde haben norwegische Fachleute seither immer wieder mit den neuesten Methoden untersucht, so zum Beispiel mit Hilfe der DNA- und Isotopenanalyse. Die Besatzungen kamen wahrscheinlich aus vielen Ländern Europas, schreibt die Denkmalbehörde in ihrem Onlinebeitrag. Ihre Skelette und die Kleidung gäben darum Auskunft über die ökonomischen, sozialen, religiösen und gesundheitlichen Lebensbedingungen der gesamteuropäischen Bevölkerung und nicht nur über jene der Walfänger auf ihren Fahrten.

Noch zu klären sei, ob die Friedhöfe auch verschiedene soziale Schichten innerhalb der Walfängergemeinde offenbaren. »Walfänger waren überwiegend arme Menschen«, erklärt Loktu. Auf einem Friedhof lägen jedoch Menschen, die auffallend größer waren als die Bestatteten der anderen Gräberfelder. Womöglich hatten sie als Kinder von Bessergestellten in der Kindheit mehr zu essen gehabt als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Bei den meisten Toten weisen Abnutzungserscheinungen am Oberkörper auf harte Arbeit hin, die teils schon in frühester Jugend begann. Viele der Männer hatten demnach auch immer wieder Phasen der Unter- oder Mangelernährung durchlebt, vom Vitamin-C-Mangel und dem dadurch ausgelösten Skorbut ganz zu schweigen. Auch Verletzungen traten häufig auf. Knochenveränderungen im Bereich des Schultergürtels, wie man sie in ähnlicher Form bereits bei den Inuit beobachtet hat, deuten auf ausgiebiges Paddeln oder Rudern hin.

Platz für das Tabakpfeifchen | Das Gebiss des Walfängers verrät den gewohnheitsmäßigen Pfeifenraucher. Wie viele seiner Zeitgenossen benutzte er Tonpfeifen, die er offenbar bei der Arbeit mit den Zähnen festhielt, bis sich die Form des Röhrchens regelrecht in die Zähne einschmirgelte.

Woher die Individuen genau stammten und welche Rolle sie bei der Arbeit hatten, wollen Loktu und ihr Team in den kommenden Jahren anhand der bereits ausgegrabenen Skelette herausfinden. Trotz der klimawandelbedingten Gefahr planen die Archäologen nicht, sämtliche noch verbliebenen Gräber frei zu legen, um nicht unnötigerweise die Totenruhe zu stören. Es gehe primär darum, Wissen zu retten, das andernfalls vollständig verschwinden würde.

  • Quellen
Pressemitteilung des Norsk institutt for kulturminneforskning (NIKU) vom 5. März 2025

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