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Klimawandel: Mysteriöser Kipppunkt im Gebirge

In vielen Gebirgsregionen scheint es eine kritische Grenze zu geben. Darüber verändern sich gleich mehrere Eigenschaften der Ökosysteme bei Erwärmung drastisch. Die Ursache ist unklar.
Natur im Kaukasus – die verschiedenen Flächen haben eine unterschiedliche Albedo
Gebirge sind besondere Regionen – jede Höhenstufe hat ihre eigene, oft empfindliche Flora und Fauna.

Ökosysteme in Gebirgen reagieren auf steigende Temperaturen häufig nicht graduell, sondern sprunghaft. Zu diesem Ergebnis kommt eine Arbeitsgruppe um Manuel Delgado-Baquerizo vom Instituto de Recursos Naturales y Agrobiología de Sevilla anhand einer Datenanalyse von rund 4500 Beobachtungen an 290 Standorten. Wie das Team in der Fachzeitschrift »PNAS« berichtet, trat bei etwa einem Drittel der untersuchten Gebiete eine Art Kipppunkt auf. Oberhalb eines bestimmten Temperaturschwellenwerts veränderten sich Ökosysteme sowie Biodiversität selbst bei geringer Erwärmung deutlich. Dabei wurde der Boden weniger fruchtbar und verlor gespeicherten Kohlenstoff; dafür stieg die Biodiversität, und die Pflanzen wuchsen besser. Die Untersuchung legt nahe, dass hoch gelegene Regionen auf den Klimawandel unvorhersehbar reagieren können.

Gebirgsregionen nehmen rund ein Viertel der Landoberfläche ein. Sie unterteilen sich je nach Höhenlage in verschiedene Ökosysteme, die an die jeweilige Höhenlage angepasst sind. Die Pflanzen und Tiere einer Höhenlage reagieren oft empfindlich auf Erwärmung, daher gelten Gebirgsökosysteme und ihre Mitglieder als besonders verwundbar. Wenn sich der Planet und die Gebirgsregionen nach und nach erwärmen, würde man erwarten, dass sich die einzelnen Höhenstufen ebenfalls graduell verändern. Die Ergebnisse des Teams um Delgado-Baquerizo jedoch deuten darüber hinaus darauf hin, dass solche Ökosysteme als Ganzes ihre Eigenschaften und Funktionen abrupt ändern können.

Das bedeutet, dass sich an einem bestimmten kritischen Punkt gleich eine Reihe von Eigenschaften ganzer Regionen simultan verändert. Das entdeckten die Fachleute bei zirka einem Drittel aller Untersuchungsgebiete weltweit – und erstaunlicherweise ist die Temperaturschwelle, bei der dieser Prozess einsetzt, global auch sehr ähnlich. Der kritische Punkt liegt laut der Arbeitsgruppe bei einer durchschnittlichen Temperatur von etwa zehn Grad Celsius. Oberhalb dieser Schwelle wirkte sich ein weiterer Temperaturanstieg unerwartet drastisch aus.

Vor allem lokale Temperaturschwankungen veränderten die Landschaft ungewöhnlich stark, was die Fachleute als möglichen Treiber der zunehmenden Biodiversität bei diesem Prozess vermuten. Tatsächlich jedoch ist noch weitgehend unklar, warum sich Gebirgsregionen bei einer kritischen Temperatur so dramatisch verändern. So spekulieren die Fachleute auch, dass Bodenmikroben bei höheren Temperaturen aktiver werden und Kohlendioxid freisetzen, doch warum das abrupt passiert und weshalb gleich mehrere Eigenschaften der Ökosysteme im gleichen Temperaturbereich nichtlinear reagieren, weiß man bislang nicht.

  • Quellen
Delgado-Baquerizo, M. et al., PNAS 122, e2413981122, 2025

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