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Allergien: Wenn die Pollen stärker fliegen

Schon jetzt leiden viele Menschen an Allergien wie Heuschnupfen. Die Klimakrise wird die Lage noch verschlimmern, warnen Experten. Woran liegt das – und was können wir dagegen tun?
Eine Frau ist draußen im Park mit blühenden Bäumen und muss in ein Taschentuch niesen. Sie hat vermutlich eine Pollenallergie.
Etwa 15 Prozent der Erwachsenen und 11 Prozent der Kinder leiden mindestens einmal im Leben an einer Pollenallergie. Der Klimawandel sorgt dafür, dass sich die Pollensaison verlängert. Dazu kommt, dass die Pollen zunehmend aggressiver werden und sich nichtheimische allergene Arten ausbreiten.

Die Nase juckt, die Augen tränen und die lauten Nieser lassen alle Menschen im Umfeld erschreckt aufblicken. »Keine Sorge, ich hab nur Heuschnupfen …« Solche Szenen spielen sich gerade im Frühjahr häufig ab, oft sogar schon im Spätwinter. Denn die ersten Frühblüher wie Hasel und Erle schicken ihre Pollen mancherorts mittlerweile bereits im Dezember los. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) leiden etwa 15 Prozent der Erwachsenen und 11 Prozent der Kinder mindestens einmal im Leben an einer Pollenallergie, auch allergische Rhinitis genannt. Allergische Erkrankungen insgesamt treffen sogar ungefähr jeden dritten Erwachsenen und jedes fünfte Kind.

Themenwoche: »Allergien – Wenn der Körper überreagiert«

Die Nase läuft, die Haut juckt und im schlimmsten Fall droht der Schock: In Deutschland leiden mittlerweile rund 30 Prozent der Menschen zumindest zeitweise unter Allergien. Sie müssen die Natur meiden, wenn die Pollen fliegen, oder aufpassen, welche Nahrungsmittel sie zu sich nehmen. Doch warum reagieren manche Menschen überhaupt allergisch auf Nüsse, Federn oder Pollen? Und welche Möglichkeiten gibt es, die lästigen Symptome zu lindern oder gar loszuwerden? Unsere Themenwoche über die Volkskrankheit Allergie.

  1. Allergien: Warum eigentlich harmlose Stoffe bedrohlich werden
  2. Allergie: Wenn die Pollen stärker fliegen
  3. Heuschnupfen: Praktische Tipps für Pollengeplagte
  4. Lebensmittelallergien: Mit Vorsicht genießen
  5. Haustierallergien: Wann Hund und Katze zum Risiko werden
  6. Haustier trotz Allergie: Kann eine Hyposensibilisierung helfen?

In den kommenden Jahren werden sowohl die Häufigkeit von allergischen Erkrankungen als auch ihre Heftigkeit und Dauer weiter zunehmen, befürchten Expertinnen und Experten. Der Grund: Der Klimawandel beeinflusst verschiedene Umweltfaktoren, die Allergien begünstigen.

Turbo-Allergene

Eine Allergie entsteht, wenn das Immunsystem auf bestimmte Auslöser, die Allergene, überempfindlich reagiert. Kommt man immer wieder in Kontakt mit ihnen, bildet sich die Abwehrreaktion aus, die unterschiedlich stark ausfallen kann. Bei Heuschnupfen sind das beispielsweise verschiedene Pollen, aber auch Schimmelpilze, Haut- und Haarzellen von Tieren oder Hausstaubmilben.

Der Klimawandel wirkt sich besonders deutlich auf die Pollen aus, erklärt Norbert Mülleneisen, der das Asthma- und Allergiezentrum Leverkusen gegründet hat und unter anderem im Vorstand des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen aktiv ist: »Sie fliegen früher, länger und stärker.« Er selbst beobachtet das in einer eigenen Pollenfalle, die er sich angeschafft hat, um die Erkrankungen seiner Patientinnen und Patienten besser einschätzen zu können. Aber auch deutschlandweite Messungen des Polleninformationsdienstes und weltweite Beobachtungen bestätigen das. Eine retrospektive Datenanalyse an 17 Orten in Europa, Amerika, Afrika und Asien lässt annehmen, dass schon jetzt die Klimakrise die Pollensaison verlängert und für mehr Allergene in der Luft sorgt. Je nach Region schwankt zwar das Ausmaß, aber der allgemeine Trend ist praktisch überall erkennbar.

Was ist ein allergischer Schnupfen?

Der allergische Schnupfen, auch allergische Rhinitis genannt, zeigt sich typischerweise durch Juck- und Niesreiz bis hin zu Niesanfällen, Schwellungen der Nasenschleimhaut mit behinderter Nasenatmung und verstärktem Ausfluss von wässrig-klarem Nasensekret. Sind zugleich die Augen betroffen, kann es zu einer Bindehautentzündung (Konjunktivitis) mit Juckreiz, Brennen, Rötung und vermehrter Tränensekretion kommen.

Ursache für die Symptome ist eine allergische Reaktion vom so genannten Soforttyp (Typ I), ausgelöst durch Allergene aus der Luft, darunter am häufigsten allergene Pollen, gefolgt von Hausstaubmilben, Tierschuppen oder -federn, Schimmelpilzsporen oder seltener einzelne chemische Substanzen.

Bei der saisonalen Form handelt es sich meist um den so genannten Heuschnupfen. Er tritt jährlich während der Blütezeit verschiedener Pflanzenarten auf, wenn sich deren allergene Pollen in der Atemluft befinden. Die meisten Betroffenen haben im Frühjahr und Sommer Beschwerden. Durch den Klimawandel und andere Umweltfaktoren verlängert sich die Pollensaison aber zunehmend. In Deutschland sind 15 Prozent der Erwachsenen im Lauf ihres Lebens von Heuschnupfen betroffen.

Die persistierende Form der allergischen Rhinitis wird durch luftgetragene Inhalationsallergene ausgelöst, die unabhängig von der Jahreszeit vorwiegend in Innenräumen vorkommen wie Hausstaubmilben, Tierallergene und Schimmelpilzsporen. Daher kann sie das ganze Jahr über auftreten. Nicht selten kommen auch Mischformen vor, wenn jemand auf Allergene verschiedener Herkunft reagiert.

Dazu kommt, dass die vorhandenen Pollen zunehmend aggressiver werden. Claudia Traidl-Hoffmann, Allergologin und Direktorin der Ambulanz für Umweltmedizin an der Universität Augsburg, erklärt das so: »Pflanzen reagieren auf Luftverschmutzung und Klimastressfaktoren wie erhöhtes CO2 und Dürren oft, indem sie ihren Stoffwechsel anpassen und dabei die allergene Wirkung ihrer Pollen verstärken.« Was das genau bedeutet, untersuchte sie gemeinsam mit anderen Forschenden bereits 2013 am Beispiel von Birkenkätzchen. Sie isolierten daraus die Pollen und bestimmten zudem die Ozonbelastung am Standort. Das Ergebnis: Je mehr Ozon die Birken ausgesetzt gewesen waren, desto größer die allergene Wirkung der Pollen. Zudem veränderte das Ozon die Lipidzusammensetzung der Pollen und verstärkte ihre Fähigkeit, das Immunsystem anzugreifen.

In einer anderen Untersuchung von Claudia Traidl-Hoffmann und Kollegen aus dem Jahr 2021 ging es um den Einfluss von Kohlenstoffdioxid. Sie züchteten Beifußblättrige Ambrosien, auch Ragweed genannt, unter normalen Bedingungen und mit erhöhten CO2-Konzentrationen. Die mit Kohlenstoffdioxid behandelten Pollen riefen bei Mäusen stärkere Entzündungen in der Lunge hervor als die unbehandelten. Menschliche Zellen reagierten auf CO2-Pollenextrakte mit der Produktion von entzündungsfördernden Molekülen. Aus der Analyse der Pollen selbst schlossen die Forschenden, dass sich durch Kohlenstoffdioxid verstärkt Stoffe bilden, die Entzündungsreaktionen hervorrufen.

Neulinge im Anmarsch

Das Ragweed ist zudem noch aus einem anderen Grund beachtenswert: Bei uns ist es ein so genannter Neophyt, eine Pflanze, die in Deutschland nicht heimisch ist. Ursprünglich stammt es aus Nordamerika, breitet sich aber seit den 1980er Jahren auch in Europa aus. In Deutschland kommt es noch nicht so häufig vor wie etwa in Ungarn, der Ukraine und bestimmten Regionen in Frankreich und Italien. In Österreich ist es ebenfalls bereits ein bekanntes Problem. »Wir Allergologen und Lungenärzte in Deutschland schauen mit großer Sorge auf die Ausbreitung«, sagt Norbert Mülleneisen. »Ankommen wird es auch bei uns, das ist nur eine Frage der Zeit.« Schon deshalb, weil es hier keine Ausrottungsprogramme wie etwa in der Schweiz oder in Kanada gibt.

Ambrosie | Das Beifußblättrige Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) ist vorwiegend in Nordamerika heimisch und wurde von dort nach Europa eingeschleppt. Es ist hochallergen, denn bereits wenige Pollenkörner pro Kubikmeter reichen aus, um bei manchen Menschen eine allergische Reaktion hervorzurufen.

Europäische Forschende versuchten 2017, die Ausbreitung mit Hilfe von Computermodellen zu simulieren. Sie sagten dabei voraus, dass in etwa 20 bis 40 Jahren doppelt so viele Menschen gegen Ambrosiapollen sensibilisiert sein werden wie zum Studienzeitpunkt – das wären dann 77 Millionen Betroffene. Zudem schätzen sie, dass sich die Pflanze weiter ausbreitet, wo es sie bereits gibt, ganz besonders jedoch an Orten, an denen sie bisher noch selten vorkommt. Aber weshalb sorgt das Ragweed für solch große Beunruhigung? Einen Hinweis liefert der Name, den das Gewächs in Australien trägt: Asthmapflanze. Die Pollen sind sehr aggressiv und können schon in geringen Mengen – etwa fünf bis zehn Pollen pro Kubikmeter – allergische Reaktionen und Asthmaanfälle auslösen. Zum Vergleich: »Bei der Birke braucht es eher 20 Pollen, das ist eine ganz andere Hausnummer«, so Mülleneisen. Jede Pflanze bildet bis zu eine Milliarde Pollen.

Dass sich die Ambrosie in Deutschland ausbreiten und etablieren kann, liegt daran, dass in einer einzigen Pflanze bis zu 60 000 Samen heranreifen, die mehrere Jahrzehnte keimfähig bleiben. Und auch der Klimawandel trägt dazu bei: Die einjährige Pflanze erreicht die zur Verbreitung erforderliche Samenreife nur bei warmem oder gemäßigtem Klima mit milden Herbstmonaten. Einen systematischen wissenschaftlichen Nachweis für diesen Zusammenhang gibt es allerdings noch nicht. Hinzu kommt, dass sich mit der Verbreitung der Ambrosie die Flugzeit allergener Pollen im Jahr bis Ende Oktober verlängert, da die Pflanze zu den Spätblühern zählt.

Wetterphänomene als Asthmagefahr

Schadstoffe in der Luft und der Klimawandel beeinflussen also langfristig, wie sich der Flug verschiedenster, auch neuartiger Pollen und ihre Aggressivität verändern. Gleichzeitig bergen extreme Wetterlagen eine weitere Gefahr für anfällige Menschen: das so genannte Gewitterasthma. Was dabei passiert, ist nicht abschließend geklärt. Der Theorie nach werden kurz vor einem Gewitter vermehrt Pollen und Pilzsporen aufgewirbelt. Die elektrostatische Ladung in der Luft und die hohe Luftfeuchtigkeit lassen die Pollen daraufhin anschwellen und platzen. Die so entstandenen kleineren Fragmente können tiefer in die Lunge eindringen als die größeren Pollen und so stärkere Symptome hervorrufen. Berichte darüber gibt es schon seit den 1980er Jahren. Bekannt wurde das Gewitterasthma allerdings 2016, als in Melbourne tausende Menschen nach einem Gewittersturm an allergischen Reaktionen und Asthma litten und acht Menschen sogar starben. Vorerst ist es immerhin nur ein seltenes Phänomen und auch in Deutschland gab es bisher nur wenige Fälle. Ob die globale Erwärmung das ändern wird, bleibt abzuwarten.

»Wir müssen den Allergie-Tsunami aufhalten. Und da sind wir auf dem völlig falschen Weg«Claudia Traidl-Hoffmann, Helmholtz Munich

Nicht hilflos ausgeliefert

All das klingt nach schlechten Nachrichten für Allergikerinnen und Allergiker – und die vielen Menschen, die noch welche werden. Was also können wir tun, damit Betroffene nicht immer stärker leiden, abgesehen von der allgemeinen Bekämpfung des Klimawandels? »Zunächst gibt es verschiedene Maßnahmen für diejenigen, die bereits eine allergische Erkrankung haben, damit sie entweder gesund werden oder sich der Zustand zumindest nicht verschlimmert«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann. »Was aber unbedingt nötig ist: Wir müssen den Allergie-Tsunami aufhalten. Und da sind wir auf dem völlig falschen Weg.« Sie bezieht sich auf die Primärprävention, also eine Vorsorge, damit Kinder gar nicht erst Allergien entwickeln.

Ein wichtiger Schritt dafür sei die schnelle Behandlung von Neurodermitis. Kinder, die unter dieser Hauterkrankung leiden, sind doppelt so stark gefährdet wie gesunde Kinder, im Lauf ihres Lebens auch an Asthma zu erkranken. »Wenn Kinder undichte Haut haben, ist das ein offenes Fenster für verschiedenste Allergene.« Oft werde aber versäumt, gleich auf leichte Maßnahmen wie das Eincremen zurückzugreifen.

Allergien und das Geschlecht: Erst die Jungs, dann die Frauen

Bei der Geschlechterverteilung zeigen Allergien eine interessante Dynamik. Bis zur Pubertät sind es eher die Jungen, die allergische Rhinitis und Asthma entwickeln – etwa 1,5-mal häufiger als die gleichaltrigen Mädchen, wie eine britische Untersuchung von Kindern zwischen 5 und 14 Jahren nahelegt. Das ändert sich jedoch, wenn die Jugendlichen erwachsen werden: Nun sind Frauen stärker betroffen als Männer. Laut einer Befragung des RKI in den Jahren 2008 bis 2011 litten 13 Prozent der Männer und 16,5 Prozent der Frauen unter Heuschnupfen, bei allergischen Erkrankungen insgesamt waren es 24,1 Prozent bei den Männern und 35,8 Prozent bei den Frauen.

Einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern fanden die Forschenden bei allen Altersgruppen zwischen 18 und 79 Jahren. Doch warum ist das so? Eine Erklärung können bestimmte Verhaltensweisen sein: Frauen kommen beispielsweise eher mit Modeschmuck und Duftstoffen in Kontakt. Diesen Einfluss des »sozialen Geschlechts« – also das Verhalten und die Lebensumstände, die mit Geschlechterrollen zusammenhängen – beschreiben auch italienische Forschende in einem Review als einen Teil der Erklärung, allerdings etwas differenzierter: Es gehe zudem um das allgemeine Gesundheitsverhalten und die Unterschiede in kulturellen, sozialen und ökonomischen Umständen und in den Arbeitsbedingungen. Dazu gebe es jedoch gerade in der Allergologie bisher zu wenige Daten.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist das biologische Geschlecht, genauer gesagt die Geschlechtshormone: So scheint das weibliche Hormon Östrogen das Immunsystem anzukurbeln und Allergien zu fördern. Dazu passt, dass Frauen stärker auf Impfungen und Infektionen reagieren. Progesteron allerdings, ebenfalls ein weibliches Hormon, das für die Schwangerschaft eine wichtige Rolle spielt, könnte eher einen dämpfenden Effekt auf Immun- und allergische Reaktionen haben. Da sich die Ausschüttung von Geschlechtshormonen zyklusbedingt und im Lauf des Lebens stark verändert, ist es umso schwieriger, die genauen Einflüsse auf die Allergieentwicklung und -reaktion zu untersuchen.

Bei Männern trägt das Testosteron zur Unterdrückung der Immunantwort bei und verstärkt so vermutlich auch den Unterschied in der Häufigkeit von Allergien – das könnte erklären, warum Jungen vor der Pubertät anfälliger sind. Bei der Entstehung von Asthma bronchiale und seinen Vorstufen in der frühen Kindheit sind möglicherweise ebenfalls geschlechtsbedingte anatomische Unterschiede entscheidend. So haben Jungen im Vergleich zu Mädchen kleinere Atemwege im Verhältnis zur Lungengröße.

Unsicherheit herrscht unter Eltern zudem, ob Kinder nun früh in Kontakt mit Allergenen kommen sollten oder im besten Fall gar nicht. Sollten Kinder viel im Dreck spielen? Sollten sie möglichst abwechslungsreich essen? Tatsächlich lassen sich diese Fragen nicht pauschal beantworten. Bei Nahrungsmitteln etwa ist es hilfreich, schon im ersten Lebensjahr eine Toleranz aufzubauen. »Essen die Babys oder Kleinkinder Erdnüsse, nehmen sie die potenziellen Auslöser über den Darm auf. Anders als beim Hautkontakt entsteht auf diesem Wege keine Allergie«, erklärt Claudia Traidl-Hoffmann.

Umgekehrt sieht es mit Pollen aus: Früher Kontakt ist hierbei eher ungünstig. Ein Team aus der Schweiz um den Epidemiologen und Entwicklungsphysiologen Jakob Usemann untersuchte 2022 bei 401 gesunden Kleinkindern, inwiefern die Begegnung mit Pollen zu Atemwegsbeschwerden führte. Dazu befragten die Forschenden die Eltern in wöchentlichen Telefonaten und berücksichtigten auch die mütterliche Neigung zu Allergien, das Geschlecht und die Luftverschmutzung. Das Ergebnis: Bereits im ersten Lebensjahr sorgten Pollen für ein höheres Risiko für allergische Erkrankungen. Weitere Studien kommen zu ähnlichen Erkenntnissen auch bei älteren Kindern.

Artenvielfalt im Kleinen

Es hilft also nicht, die Kinder möglichst vielen Allergenen in der Luft auszusetzen, im Gegenteil. Trotzdem heißt das nicht, dass sie das Haus nicht verlassen sollten. Schließlich besteht ein natürlicher Abwehrmechanismus in einem gesunden Mikrobiom: den Mikroorganismen, die auf der Haut oder im Körper leben. »Wir brauchen sehr früh eine hohe Mikrobiodiversität«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann. Das ist ein Problem, denn die Artenvielfalt geht – teils bedingt durch den Klimawandel – zunehmend zurück, auch auf der Ebene der Kleinstlebewesen.

Wie Kinder dennoch ein schützendes Mikrobiom aufbauen können, untersuchte ein Team aus Finnland. Dazu verglichen die Forschenden reguläre Kindergärten mit solchen Einrichtungen, in denen sie den Garten mit biodiversem Waldboden angereichert hatten. Nach zwei Jahren fanden sie auf der Haut, im Mund und im Magen der Kinder durch die Bodenanpassung eine größere Artenvielfalt der Mikroorganismen. Zudem konnten sie dort weniger potenziell pathogene Bakterien ermitteln. Ob sich das allerdings wirklich auf die Anfälligkeit für Allergien auswirkt, testeten die Forschenden nicht. Immerhin fanden sie in einer weiteren Untersuchung heraus, dass Kinder bereits nach 28 Tagen in einer biodiverseren Umgebung eine verbesserte Immunregulation aufwiesen. All das deutet darauf hin, dass Spielen in der Natur weiterhin eine gute Strategie ist.

»Je nach Region gibt es ganz verschiedene Allergene, und diese Unterschiede werden durch den Klimawandel noch zunehmen«Norbert Mülleneisen, Asthma- und Allergiezentrum Leverkusen

Kleinteilig denken sollten wir indes ebenso, wenn es um die Behandlung von Allergien geht, betont Norbert Mülleneisen. »Je nach Region gibt es ganz verschiedene Allergene, und diese Unterschiede werden durch den Klimawandel noch zunehmen, weil auch kleinräumige Erwärmungen oder Luftschneisen eine Rolle spielen.« Nur wenn man lokale Gegebenheiten beachte, funktioniere eine sinnvolle Therapie.

Möglicherweise stößt die Versorgung von Allergiepatienten und -patientinnen aber gerade durch den Klimawandel an ihre Grenzen. Bereits jetzt sei es um die Allergologie nicht sehr gut bestellt, sagt Norbert Mülleneisen: »Es gibt immer weniger Testsubstanzen, weil sich die Firmen zurückziehen. So können wir manche Allergene gar nicht bestimmen.« In seiner Praxis behilft er sich manchmal mit selbst hergestellten Tests aus regionalen Arten, die aber natürlich alles andere als standardisiert sind. Dieses Problem wird sich verschärfen, wenn durch Neophyten neue Pollenarten dazukommen. Insgesamt sieht Norbert Mülleneisen die Allergologie in Deutschland noch viel zu wenig im Fokus. Einige Länder seien da bereits weiter, etwa mit eigenen Lehrstühlen für das Fach und entsprechend besseren Ausbildungen. Claudia Traidl-Hoffmann hofft auf einen nationalen Aktionsplan, um das Thema Allergien auf die höchste Priorität zu heben. »Wir wissen schon, was wir tun können«, so die Allergologin. »Wir müssen es nur machen.«

Risikofaktoren: Warum entwickelt man eine Allergie?

Warum bekommen manche Menschen einen Heuschnupfen, leiden an Asthma oder anderen Allergien? Verschiedene Risikofaktoren können dazu beitragen:

Genetische Veranlagung

Hat ein direktes Familienmitglied wie die Mutter oder der Vater eine Allergie, ist das Risiko für das Kind, ebenso eine allergische Erkrankung zu entwickeln, stark erhöht. Schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Fälle von allergischer Rhinitis etwa lassen sich auf erbliche Faktoren zurückführen. Dabei ist es nicht ein einzelnes Gen, das die Anfälligkeit vermittelt. Vielmehr scheinen verschiedene Gene und auch Polymorphismen dazu beizutragen – jeweils mit kleinen Auswirkungen, die sich aufsummieren können.

Epigenetik

Auch epigenetische Veränderungen, also ob und wie Gene abgelesen werden, wie etwa durch die Methylierung der DNA begünstigen möglicherweise Allergien. Es scheint, als würde DNA-Methylierung mit allergischer Rhinitis in Zusammenhang stehen, darüber fehlen allerdings größer angelegte Studien. Zudem fördert beispielsweise Luftverschmutzung sowohl die Methylierung als auch allergische Erkrankungen (siehe Punkt Luftverschmutzung). Es lässt sich derzeit nicht feststellen, ob die Methylierung einfach ein Zeichen dafür ist, dass Betroffene anderen Risikofaktoren ausgesetzt waren, oder ob sie kausal mit den Allergien zusammenhängt.

Früher Kontakt mit Inhalationsallergenen

Die Studien zeigen, dass es sich vermutlich negativ für Kinder auswirkt, wenn sie schon früh und häufig Pollen ausgesetzt sind. Bei Tieren allerdings könnte beispielsweise ein Hund als Haustier helfen, eine Toleranz statt einer Allergie zu entwickeln. Hausstaubmilbenkontakt in der frühen Kindheit wurde teils als Risikofaktor identifiziert, teils zeigten Studien aber auch keinen Einfluss – zumindest scheinen sie nicht hilfreich für eine Toleranzentwicklung zu sein.

Luftverschmutzung

Schmutzpartikel in der Luft wie Stickoxid, Kohlenstoffmonoxid, Schwefeloxid und Ozon scheinen Allergien auf verschiedene Weise zu begünstigen. Etwa dadurch, dass sie das Nasenepithel verletzen, die Immunantwort verändern und auf der anderen Seite die Allergieauslöser stärken. Zusätzlich könnten die Schmutzpartikel auch Allergene weitertragen und sie so breiter streuen. Allerdings gibt es kaum Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen vermehrter allergischer Rhinitis und Luftverschmutzung zeigen. Nur für das Ozon findet sich hierfür wissenschaftliche Evidenz.

Tabakrauch

Dass sowohl passives als auch aktives Rauchen Allergien und vor allem die Entwicklung von Asthma begünstigt, wurde des Öfteren bestätigt. Über welchen Mechanismus das funktioniert, ist weniger klar. Möglich ist, wie bei der allgemeinen Luftverschmutzung, dass die Schleimhaut in der Nase verletzt wird. Auch epigenetische Mechanismen sind denkbar. So ist beispielsweise bekannt, dass werdende Mütter durch Rauchen epigenetische Veränderungen im Embryo hervorrufen, die das Asthmarisiko der Kinder deutlich steigern. Hinzu kommt: Bei Menschen, die bereits an Asthma leiden, kann der Rauch akute Anfälle auslösen.

Sozioökonomische Faktoren

Die Rolle, die dem sozioökonomischen Status für die Entwicklung von Allergien zukommt, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich und zudem abhängig vom Zeitpunkt der Untersuchung. Manche Studien legten nahe, dass ein hoher sozioökonomischer Status Allergien wahrscheinlicher macht, bei anderen war es genau umgekehrt, noch weitere fanden gar keinen Einfluss. Möglicherweise ist dieser Faktor nur ein Anzeichen für weitere Aspekte: etwa die Anzahl der Geschwister, wie stark man Zigarettenrauch ausgesetzt war, wie die Ernährung aussah, mit wie vielen Allergenen man schon in der Kindheit in Kontakt kam und zusätzliche Faktoren, die alle verschiedene Auswirkungen haben können.

Hygiene/Mikrobiom

Kinder sollten ein möglichst diverses Mikrobiom aufbauen, das schützend gegen Allergien und andere Erkrankungen wirkt. Das funktioniert etwa durch das Spielen im Wald und durch nicht zu übertriebene Hygiene. So konnte gezeigt werden, dass Kinder, die auf einem Bauernhof leben, seltener Allergien entwickeln. Zudem haben solche Erkrankungen in den Industrieländern deutlich zugenommen.

Psyche

Stress fördert viele Erkrankungen, so auch Asthma und Allergien. Tatsächlich könnte sogar schon mütterlicher Stress vor der Geburt die Anfälligkeit des Kindes erhöhen. Bei Menschen, die bereits an einer allergischen Erkrankung leiden, kann emotionaler oder psychischer Stress als Auslöser für einen Schub wirken oder bestehende Symptome verstärken.

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