Baupläne: Knochenschieben für die Defensive
Schildkröten mussten ziemlich tricksen, um sich bei der Gestaltung ihres Rückenpanzers nicht anatomisch selbst im Weg zu stehen: Erst eine unwahrscheinliche Knochen-Neusortierung machte sie zum bestgeschützen Wirbeltier.
Menschen, Gänse, Giraffen und Feuersalamander sind äußerlich eigentlich kaum zu unterscheiden, zumindest als ganz kleine Wesen im Mutterleib. Denn erst spät beginnen sie sich, ausgehend von einem noch diffus-universellen Miniwirbeltiertypus, langsam auseinander zu entwickeln, wobei sie – so eine alte Grundregel der Entwicklungsbiologen – die verschiedenen Bauphasen nachvollziehen, die ihre Tiergruppe im Lauf der letzten Jahrmillionen der Evolution vom alten Wirbeltierahnen zum modernen Gnu oder Gecko durchlaufen haben. Und das waren einige, denn am Grundmodell Wirbeltier konnte ziemlich flexibel geschraubt werden. Allerdings: Es gibt immer auch Grenzen.
Genau das lässt anatomiegeschichtlich Interessierte allerdings verzweifeln: Denn bei allen anderen Verwandten liegen etwa die Schlüsselbeinknochen eindeutig über den Rippen und damit außerhalb des "Brust-"Korbs in all seinen Fassetten. Wie schaffte es die Schildkröte, diesen Tragebalken des Skeletts so radikal von eher "außen" nach ziemlich "innen drinnen" umzuziehen? An den Knochen setzen zudem auch Muskeln wie der vorderer Sägezahnmuskel an, der eine Verbindung zwischen Schulterblatt und Rippen herstellt und für die Bewegungsvielfalt der Arme dringend benötigt wird – wie konnte dieser Muskel funktionsfähig bleiben, während seine beiden Knochenbezugspunkte Platz tauschten?
Shigeru Kuratani vom Riken Center for Developmental Biology im japanischen Kobe und seine Kollegen wollten es genau wissen und schauten sich die Embryonalentwicklung von drei winzigen Wirbeltierembryonen an. Dabei vollzogen sie mit moderner Bildtechnik den Weg einzelner Knochen, Muskeln und ihrer Vorläufer während jener Bauphasen nach, die Hühner-, Mäuse- und Schildkrötenembryonen aus dem Prototypenstadium heraus einleiten. Ihre Erkenntnis nach vielen Arbeitswochen fitzeliger Detailauswertung: Schildkrötenpanzerbau war eigentlich nur eine Frage des Timings und anatomischer Verkehrsregeln.
Denn bei aller Variationsbreite, Wirbeltier bleibt Wirbeltier – ein paar Ideen, welche die Natur vielleicht noch gehabt hätte, konnten selbst auf der Grundlage des sonst so flexiblen Basischassis dann doch nicht umgesetzt werden. Natürlich wurden auf dem Weg vom noch fischähnlichen Reptil zum Pavian oder Kondor Atmungsorgane umgewandelt, Knochen verschwanden oder wanderten herum, Muskeln wechselten nach und nach die Ansatzstellen und übernahmen andere Aufgaben. Immer aber mussten die Übergangsformen lebensfähig bleiben – es kann zum Beispiel nicht klappen, mal kurz in einer Zwischenstufenart die Blutversorgung zu lebenswichtigen Organen für ein paar Jahrhunderttausende zu kappen, weil die Rippen aus Designgründen eigentlich von unten nach oben gestülpt gehören, die Adern dem aber im Weg stehen. Und aus solchen Gründen, so hatten Entwicklungsbiologen schon vor langer Zeit kopfkratzend konstatiert, dürfte es die Schildkröten eigentlich gar nicht so geben, wie es sie heute gibt.
Schildkröten sind schon auf den ersten Blick einzigartig: Ihr gewölbeartiger Rückenpanzer, der den Rest des Körpers überspannende Carapax, ist ein erstaunliches lebendes Gebilde von in der Haut zusammengewachsenen Knochenplatten, die mit dem stützenden Gerüst der Rippenknochen stabilisiert sind. Was das eigentlich bautechnisch bedeutet, verdeutlicht ein kurzes Gedankenexperiment, bei dem man sich den eigenen menschlichen Auch-Wirbeltierkörper mit einem anatomisch schildkrötenanalogen Panzer denkt: Was unser Brustkasten ist, überwölbte dann verpanzert unseren Rücken, umschlösse dabei sämtliche anderen Skelettknochen inklusive der Schulterblätter und ließe nur ein paar Aussparungen, durch die Extremitäten und Hals geführt wurden, wenn sie nicht gerade wegen einer erspürten Gefahr eingezogen wurden. Ein in Schildkrötenmanier umgestaltetes menschliches Wirbeltier könnte also Kopf, Arme und Beine im Notfall halbwegs in den Brustkorb einziehen – der Rest wie Schlüsselbein mitsamt Schulter ist sowieso immer schon "innen".
Genau das lässt anatomiegeschichtlich Interessierte allerdings verzweifeln: Denn bei allen anderen Verwandten liegen etwa die Schlüsselbeinknochen eindeutig über den Rippen und damit außerhalb des "Brust-"Korbs in all seinen Fassetten. Wie schaffte es die Schildkröte, diesen Tragebalken des Skeletts so radikal von eher "außen" nach ziemlich "innen drinnen" umzuziehen? An den Knochen setzen zudem auch Muskeln wie der vorderer Sägezahnmuskel an, der eine Verbindung zwischen Schulterblatt und Rippen herstellt und für die Bewegungsvielfalt der Arme dringend benötigt wird – wie konnte dieser Muskel funktionsfähig bleiben, während seine beiden Knochenbezugspunkte Platz tauschten?
Shigeru Kuratani vom Riken Center for Developmental Biology im japanischen Kobe und seine Kollegen wollten es genau wissen und schauten sich die Embryonalentwicklung von drei winzigen Wirbeltierembryonen an. Dabei vollzogen sie mit moderner Bildtechnik den Weg einzelner Knochen, Muskeln und ihrer Vorläufer während jener Bauphasen nach, die Hühner-, Mäuse- und Schildkrötenembryonen aus dem Prototypenstadium heraus einleiten. Ihre Erkenntnis nach vielen Arbeitswochen fitzeliger Detailauswertung: Schildkrötenpanzerbau war eigentlich nur eine Frage des Timings und anatomischer Verkehrsregeln.
Im Zentrum stand dabei zunächst offenbar ein Wachstumsverbot für die Rippen – sie wurden nicht länger und bogen sich demnach auch nicht bauchwärts in Richtung Vorder-Unterseite wie bei anderen Wirbeltieren. Gleichzeitig verlagerte sich das Schulterblatt recht weit nach vorne, während eine auffällige Einfaltung der seitlichen Körperwand beginnt und das Rippenwachstum nach bauchwärts endgültig unterbindet. Unterhalb dieser Falte – sie wird viel später zur Rille unter dem Panzer – verlagern sich dann der wachsende Beinstummel und das daran ansetzende Schulterblatt nach vorne vor die erste Rippe, bis am Ende die nun seitwärts weiter wachsenden Rippen beide mehr und mehr überwölben, woraufhin sich die Schulter schließlich wieder nach innen verlagert: unter die Rippen. Das Schlüsselbein ist nach dieser Reise nun wohlgeborgen unter dem wachsenden, zunehmend befestigten Panzer. Leichte Probleme verursacht das nur dem Sägezahnmuskel, der am Ende eine merkwürdig unelegante Zickzackform einnimmt, die durch die verschiedenen Verlagerungen unumgänglich wurde. Funktionsfähig bleibt er indes.
Was sich in den wachsenden Embryonen abspielt, scheint ebenso im Lauf der Evolution auch bei Urschildkröten nach und nach stattgefunden zu haben. Eine schöne Übergangsform als Beleg liefert das kürzlich in Südwestchina ausgegrabene, rund 220 Millionen Jahre alte Fossil von Odontochelys semitestacea. Die Art hatte zwar bereits einen Bauchpanzer, der Rückenpanzer aber war unvollständig, und Wissenschaftler hatten darüber gestritten, ob die Spezies einen Seitenzweig der Entwicklung repräsentiert, in dem der Carapax vielleicht aus ökologischen Gründen schon wieder abgeschafft wurde, wie bei heutigen Wasserschildkröten. Tatsächlich aber liegt bei Odontochelys das Schulterblatt vor den ersten Rippen, wie bei einer der Zwischenstufen der heutigen Schildkrötenembryonen – ein Panzer bildete sich erst nach den weiteren Verlagerungsprozessen, und Odontochelys war demnach wohl eine noch recht primitive Vorstufe auf dem Weg vom Wirbeltierprototyp zur Schildkröte.
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