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Schule des Lebens : Kohlmeisen können von Vorkostern lernen

Signalfarben funktionieren besonders gut, wenn es weh tut, sie zu ignorieren. Die Konsequenzen des Verstoßes sollte dann noch am Besten jeder mitkriegen.
Kohlmeisen am Futterplatz

Warnfarben sind eine prima Idee für allerlei Lebewesen, die ungern von Räubern gefressen werden: Sie signalisieren möglichst auffällig "GIFTIG! NICHT REINBEIẞEN!" und kommen so davon. Allerdings nur, wenn ein hungriger Räuber denn irgendwann gelernt hat, dass grell gleich giftig ist oder zumindest schlecht schmeckt. Allerdings bedeutet das, logisch zu Ende gedacht, dass es Signalfarben eigentlich gar nicht geben darf: Denn wie sollte ein Räuber eines sehr auffällig warngefärbten Wesens gelernt haben, dieses besser nicht anzurühren – ohne mal zu probieren? Wie konnten die allerersten grellbunten giftigen Tiere lange genug überleben, um sich den schlechten Ruf zu verschaffen, der ihnen heute hilft? Forscher von der University of Cambridge glauben nun in "Nature Ecology and Evolution" am Beispiel der Kohlmeisen eine Erklärung des Paradoxons demonstrieren zu können.

Die Wissenschaftler sind dabei einer schon länger naheliegenden Vermutung experimentell nachgegangen: Sie vermuteten, dass Kohlmeisen auch aus den Fehlern von anderen lernen. Sie testeten das in einer Versuchsarena, in der den Vögeln zwei Sorten von Mandelsplittern, einer ihrer Lieblingsspeisen, in leicht zu öffnenden Umschlagverpackungen angeboten wurden. Eine Probe war allerdings manipuliert: Die Forscher versetzen sie mit bitter schmeckendem Chloroquinphosphat, zudem verzierten sie den Umschlag um die Bittermandeln mit einem deutlich sichtbaren schwarzen Punkt. Dann filmten sie eine arglose Meise, die sich als Pionier an den ausgepackten bitteren Mandeln versuchte, um sie sofort wieder auszuspucken und hektisch zu beginnen, in der typischen Ekelreaktion der Vögel ihren Schnabel an der Sitzstange zu säubern. Das abschreckende Video des Vogels zeigten die Forscher dann 15 anderen Kohlmeisen. Anschließend beobachteten sie, ob die Tiere etwas daraus gelernt hatten, als diese schwarz markierte und unauffällige Mandelsplitter präsentiert bekamen.

Und tatsächlich: Die 15 per Ekelvideo informierten Vögel verzichteten deutlich schneller als 15 Vergleichstiere darauf, sich aus der als bitter markierten Mandelsplitterprobe zu bedienen – ein "klarer Beleg für die Fähigkeit zu sozialem Lernen", so die Studienleiterin Rose Thorogood. Ganz narrensicher ist die Methode zwar nicht, wie die Forscher anmerken: Ein paar Tiere waren lernresistent, und manche der nicht per Videobotschaft trainierten Meisen lernten ebenfalls rasch, sich nicht den Magen zu verderben. Dennoch dürfte soziales Erlernen des Ekels Dritter eine Rolle in den Situationen gespielt haben, in denen die Warnfarbe eines Pioniers noch nicht ganz etabliert war: Ein auffällig gezeichneter Mandelsplitter – oder eben ein grellfarbiges Beutetier – hat wohl eine umgerechnet rund 40 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, wenn sozial lernende Räuber eine schlechte Erfahrung an Artgenossen übermitteln können. Solche Prozesse haben sicher das Entstehen von Warnfarben beschleunigt – und die Chancen der ersten Innovatoren vielleicht häufig um das entscheidende bisschen erhöht.

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