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News: Kosmische Linse zeigt das gewaltsame Anwachsen junger Galaxien

Durch die geschickte Analyse einer natürlichen "Gravitationslinse" gelang erstmals eine direkter Einblick in den gewaltsamen Wachstumsprozess junger Galaxien.
Einsteinring
Eine internationale Forschergruppe unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg hat durch die geschickte Analyse einer natürlichen "Gravitationslinse" erstmals einen direkten Einblick in den gewaltsamen Wachstumsprozess junger Galaxien im frühen Universum erhalten. Die neuartigen Ergebnisse zeigen die Verschmelzung einer Galaxie mit einer zweiten. Dabei stürzen Unmengen an Materie auf das zentrale Schwarze Loch, dessen Umgebung als Quasar aufleuchtet, während weiter außen explosionsartig die Entstehung zahlloser neuer Sterne aus dem molekularen interstellaren Gas ausgelöst wird.

Die Astronomen kartierten mit dem Very Large Array (VLA), einem Radiointerferometer in Socorro (New Mexico) eine mehr als zwölf Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxie in dem Zustand, als ihr Alter nur zwei Milliarden Jahre (das sind 15 Prozent des heutigen Weltalters von 13.7 Milliarden Jahren) betrug. Genau auf dem Sehstrahl, der von dieser Galaxie aus zur Erde führt, befindet sich eine zweite Galaxie, die als "Gravitationslinse" wirkt: Ihre Gravitation lenkt das Licht und die Radiostrahlung der weiter entfernten Quelle in der Weise ab, dass dem Beobachter ein kreisförmiges, als "Einsteinring" bezeichnetes Bild erscheint.

So entsteht ein Einsteinring | Zwei Galaxien liegen mit dem Beobachter genau auf einer Geraden – dem Sehstrahl. Das Licht (oder die Radiostrahlung) der hinteren Galaxie wird von der vorderen Galaxie derart abgelenkt, dass der Beobachter das Bild der hinteren Galaxie als ringförmige Strahlungsquelle beobachtet. Weil der Radius des Einsteinringes von der Wellenlänge der beobachteten Strahlung abhängt, lässt sich nicht nur die räumliche Verteilung, sondern (aufgrund des Doppler-Effekts) auch die Geschwindigkeit der Materie in der hinteren Galaxie ableiten. Weil die CO-Emission bei der Wellenlänge beobachtet wird, die der Rotverschiebung der hinteren Galaxie entspricht, trägt die vordere Galaxie zu dem Bild, das den Einsteinring im Licht der CO-Emission zeigt, nichts bei.
Diese Gravitationslinse lässt nun von der ferneren, jungen Galaxie Details erkennen, die auf andere Weise überhaupt nicht zu beobachten wären. »Die Natur stellt uns hier ein Vergrößerungsglas zur Verfügung, mit dem wir in die Abläufe der Galaxienbildung im jungen Universum hineinsehen können«, sagt Dominik Riechers, der Heidelberger Leiter des Projekts, zur Zeit "Hubble fellow" an California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena.

Einsteinring und rekonstruierte Hintergrundgalaxie | Links der Einsteinring, wie er am Himmel erscheint, rechts das aus einer Computeranalyse rekonstruierte wahre Aussehen der Hintergrundgalaxie. Die drei Farben Orange, Grün und Blau kennzeichnen (im Bezugssystem der hinteren Galaxie) die Radialgeschwindigkeit des Gases von uns weg, ruhend und auf uns zu. Die langgezogenen Schweife sind die Arme der beiden miteinander kollidierenden, durch Gezeitenkräfte deformierten Galaxien, wie man sie in ähnlicher Form auch in unserer kosmischen Nachbarschaft beobachtet.
Das neue Bild der fernen Galaxie (ihr Name ist PSS J2322+1944) zeigt eine 16 000 Lichtjahre große massereiche Struktur aus molekularem Gas (rechts): Während ein supermassereiches Schwarzes Loch Materie in riesigen Mengen verschlingt, entstehen aus diesem Material neue Sterne nahezu instantan (700 Sonnenmassen pro Jahr, verglichen mit nur drei bis vier Sonnenmassen pro Jahr in unserer Milchtraße). Das Schwarze Loch scheint eher am Rande der Verteilung des molekularen Gases zu liegen – das passt zur Vorstellung, dass die Galaxie erst kürzlich mit einer anderen Galaxie verschmolzen ist.

Dieses gesamte Bild der Galaxienbildung, in dem bereits im jungen Universum große Galaxien mit ihren supermassereichen zentralen Schwarzen Löchern auf dem Wege wiederholter Verschmelzungen kleinerer Galaxien aufgebaut werden, entspricht einem neuen Konzept der Galaxienentstehung. Das hier mit Hilfe des Gravitationslinsen-Effektes untersuchte System zeigt uns den Vorgang in einem zuvor noch nicht erreichten Detail.

Der Einsteinring um PSS J2322+1944 wurde 2003 mit Hilfe von Radiobeobachtungen der Linienemission des Kohlenmonoxids (CO) entdeckt. Dieses Molekül ist ein Indikator für viel größere Mengen molekularen Wasserstoffs, des primären Baustoffes, aus dem neue Sterne entstehen. In der neuesten Arbeit wurde mit großem Aufwand ein physikalisches Modell der als Gravitationslinse wirkenden Galaxie im Vordergrund abgeleitet.

Sobald die Masse, Struktur und Orientierung dieser Galaxie bekannt war, ließ sich die Verformung des Bildes der Hintergrundgalaxie durch die Gravitationslinse im sichtbaren Licht und im Radiobereich berechnen. Daraus wiederum konnte ein Bild der Hintergrundgalaxie abgeleitet werden. Die Durchführung dieser Analyse bei verschiedenen Radiowellenlängen ergab schließlich auch den Bewegungszustand des Gases in der fernen Galaxie. Die als Gravitationslinse wirkende Galaxie war sozusagen ein Teil des verwendeten Teleskops. Aus der Rückrechnung des Lichtweges über die Gravitationslinse hinaus ließen sich Struktur und Dynamik der Hintergrundgalaxie rekonstruieren. Siehe dazu die Animation.

Der Gravitationslinseneffekt wurde bereits 1919 auf der Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie vorhegesagt. Einstein selbst erkannte 1936, dass bei perfekt hintereinander angeordneten Galaxien der Einsteinring ensteht, hielt aber die erforderliche, sehr genaue Aufreihung der Vorder- und Hintergrundgalaxie für derart unwahrscheinlich, dass er nicht an die Beobachtbareit von Einsteinringen glaubte. Die erste Gravitationslinse wurde 1979 entdeckt, der erste Einsteinring wurde 1987 mit dem Very Large Array gefunden.

Die beschriebene Studie "A Molecular Einstein Ring at z = 4.12: Imaging the Dynamics of a Quasar Host Galaxy Through a Cosmic Lens" erscheint in der aktuellen Ausgabe des Astrophysical Journal (ApJ 686, S. 851.858, 2008). Die Autoren sind: Dominik A. Riechers und Fabian Walter vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, sowie weitere Kollegen vom Institute of Astronomy, University of Sidney, dem National Radio Astronomy Observatory, Socorro/USA, dem Argelander-Institut für Astronomie, Bonn, und dem Institut de Radio Astronomie Millimetrique, Frankreich.

JS

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