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Urknall: Kosmische Vergesslichkeit

Nach bisheriger Auffassung entstanden Zeit, Raum und Materie erst im Urknall, womit sich die Frage nach dem davor erübrigt, denn das gab es schlichtweg nicht. In manchen modernen Theorien stellt der Big Bang hingegen nur ein Zwischenstadium dar - einen Übergang von einem vorherigen zum uns bekannten Universum. So erscheint auch die alte Frage in ganz neuem Licht.
Urknall als Zwischenstadium
Noch vor einigen hundert Jahren hielten die Menschen die Erde für den Mittelpunkt von allem. Blicke in den Himmel tilgten schließlich dieses egozentrische Weltbild. Mit Hilfe von Teleskopen stießen Astronomen stetig tiefer ins Universum und seine Geschichte vor. Dabei bemerkten sie, dass die Galaxien auseinanderdriften – wie in einem aufgehenden Rosinenkuchen. Die logische Konsequenz: Irgendwann einmal muss alles an einem Punkt begonnen haben. Knapp 14 Milliarden Jahre, so schätzen Wissenschaftler, liegt das zurück.

Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein lässt sich der Weg zurückverfolgen. Sie beschreibt auf Basis der Gravitation die großräumigen Strukturen im All – beispielsweise die Dynamik von Galaxien oder Sternen. Ausgehend vom heutigen Zustand des Universums und gefüttert mit Daten aus der beobachtenden Kosmologie führt es letztlich zum Urknall, in dem sowohl Raum als auch Zeit ihren Anfang nahmen. Das Universum soll damals eine unendlich große Dichte und Temperatur und dabei keine Ausdehnung besessen haben – physikalisch vollkommen unsinnig.

In den ersten Augenblicken des Kosmos war die Materie dann derart zusammengequetscht, dass Quanteneffekte das Geschehen dominierten. Effekte also, die sich in der Welt der Atome und Elementarteilchen abspielen und von Einsteins Gravitationstheorie gar nicht berücksichtigt werden. Um den Zustand wirklichkeitsnäher zu beschreiben, bedarf es also einer neuen Theorie, die die Quantentheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie vereint. Immerhin einen Namen besitzt sie schon: Quantengravitation.

Viel versprechende Ansätze liefern zum einen die Stringtheorie, in der alle Elementarteilchen durch eindimensionale Strings dargestellt werden, und zum anderen die so genannte Schleifen-Quantengravitation. In ihr ist die Raumzeit nicht kontinuierlich, wie in der Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern besteht aus einzelnen Quanten mit winziger, aber dennoch endlicher Ausdehnung. Die Raumzeitquanten werden als Loops oder im Deutschen als Schleifen bezeichnet. Sie sind zu Netzwerken verknüpft und erzeugen durch ihr Zusammenwirken, das den Gesetzen der Quantenmechanik gehorcht, die Raumzeit.

Trotz ihrer Winzigkeit ändern sie die bisherige Theorie vom Urknall grundlegend. Denn sie sagen als Beginn unseres Kosmos ein minimales Volumen vorher, das nicht Null, und eine maximale Energie, die nicht unendlich ist. Damit würde die Physik hier nicht zusammenbrechen, und die Gleichungen lieferten auch für das Vorher gültige mathematische Ergebnisse. Ein Universum könnte sich laut der Schleifenquantengravitation bis auf ein Minimum zusammenziehen. Die extremen physikalischen Bedingungen in diesem Zustand würden dann dafür sorgen, dass ein neuer Kosmos entsteht – Physiker sprechen vom Big Bounce, also dem großen Aufprall, anstatt vom Urknall.

Martin Bojowald nahm nun die Schleifenquantengravitation zur Hilfe, um zu erfahren, welche Eigenschaften des vorherigen Universums zu uns hindurch gelangen. Er konnte zeigen, dass es durchaus möglich wäre, etwas über einige Eigenschaften des Vorgängers zu erfahren. Doch die Effekte der Quantenphysik würden es selbst mit den genauesten Berechnungen nicht gestatten, alles über das Davor zu erfahren. Durch den Übergang von einer in die andere Welt gingen einige Informationen unwiderruflich verloren. So könne also nicht zweimal das exakt gleiche Universum entstehen, meint Bojewald und betitelt diese Misere als die "kosmische Vergesslichkeit".

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