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Alkoholsucht: Kraut gegen den Rausch

Ein pflanzlicher Wirkstoff hebt die Wirkung von Alkohol auf.
Bier

Dem Alkohol seine Wirkung nehmen – dies könnte ein Medikament leisten, dem Wissenschaftler der University of California in Los Angeles auf der Spur sind. Laut den Forschern um Jing Liang wurden damit behandelte Ratten kaum betrunken, litten weniger unter einem Kater und verloren ihre Lust am Alkohol selbst dann, wenn sie vorher süchtig gemacht wurden.

Bei der Substanz handelt es sich um das Flavonoid Dihydromyricetin (DHM). Es wird aus dem Japanischen Rosinenbaum (Hovenia dulcis) gewonnen, dessen Extrakte in der chinesischen Naturheilkunde schon seit Jahrhunderten als Mittel gegen Rausch und Kater empfohlen werden. Bereits geringe Dosen führten im Experiment die gewünschte Wirkung herbei.

Dazu injizierten Liang und Mitarbeiter den Versuchstieren erhebliche Mengen Alkohol – umgerechnet in etwa soviel wie ein Mensch, der sich zweieinhalb Liter Wein einflößt. Anschließend beobachteten sie, ob sich die Tiere wieder aufrichten, wenn sie von den Forschern auf den Rücken gelegt wurden. Während die Ratten, die ausschließlich Alkohol erhielten, teils über 70 Minuten in der ungewohnten Lage verharrten, drehten sich die Tiere, die zur gleichen Dosis Alkohol auch rund 1 Milligramm DHM pro Kilogramm Körpergewicht erhielten, bereits nach wenigen Minuten wieder um.

Bei einem anderen Test wurden die Tiere in ein erhöhtes Laufgehege gesetzt, das überdachte und offene Gänge enthielt. Ratten ohne DHM-Gabe zogen sich ängstlich in die versteckten Bereiche zurück, was als Anzeichen eines typischen Rattenkaters gilt. Die Gruppe, die zum Alkohol auch DHM erhielt, erkundete hingegen das Gelände genauso neugierig wie völlig nüchterne Artgenossen.

Darüber hinaus scheint DHM auch geeignet, um den Alkoholentzug zu unterstützen, wie sich bei einer weiteren Versuchsreihe herausstellte. Liang und ihre Kollegen stellten ihren Versuchstieren tageweise beliebig viel Alkohol zur freien Verfügung. Mit der Zeit konsumierten die Tiere beträchtliche Mengen davon. Dies änderte sich allerdings, als sie nach sieben Wochen dem Getränk DHM beimischten: Der Alkoholkonsum verringerte sich dadurch schrittweise auf ein geringes Niveau – in etwa dasselbe Niveau, das Tiere erreichten, denen von Anfang an DHM zusammen mit Alkohol gegeben wurde.

Weitere Tests, unter anderem mit Zellkulturen, offenbarten, dass DHM auf denselben Nervenzellenrezeptor wirkt, an den auch Alkohol bindet: den GABAA-Rezeptor. Er ist an der Weiterleitung hemmender Signale im Gehirn beteiligt. Alkohol kann diesen Rezeptor verstärken, was zunächst zur Betrunkenheit führt und auf lange Sicht Lernprozesse anstößt, bei denen die Reizweiterleitung dauerhaft verändert wird. Unter anderem deswegen kommt es schließlich zur Alkoholsucht.

Einen weiteren Hinweis auf den Wirkmechanismus von DHM lieferte der Wirkstoff Flumazenil. Er bindet ebenfalls an den GABAA-Rezeptor. Verabreichte man ihn gleichzeitig mit dem DHM, zeigte es keine Wirkung mehr – offenbar kommen sich beide Substanzen am Rezeptor in die Quere. Wie genau das DHM dort tätig wird, wissen die Forscher allerdings noch nicht. Nach ersten Einschätzungen wirkt es anders als andere Medikamente wie Benzodiazepine, die ebenfalls in den Rezeptor eingreifen und daher zur Verminderung der Alkoholwirkung erprobt wurden.

Sie lösen aber erhebliche Nebenwirkungen aus, was ihren Einsatz nicht praktikabel macht. DHM hingegen zeigte keinerlei schädliche Effekte auf den Organismus der Tiere. Erst bei dem Hundertfachen der wirksamen Dosis litten die Ratten unter leichter Orientierungslosigkeit, wie sie für die sedierenden Benzodiazepine charakteristisch ist. Die Forscher um Liang sind daher zuversichtlich, das DHM in einem nächsten Schritt an Menschen erproben zu können.

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