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Krebsrisiko: Fluch und Segen von Gentests

Mit einem Gentest können Frauen ermitteln, wie hoch ihr Risiko ist, an Eierstockkrebs zu erkranken. Doch viele fürchten die Folgen, die dieses Wissen mit sich bringen könnte – selbst wenn sie familiär vorbelastet sind.
EIne Frau sitzt in einem Stuhl und schaut nachdenklich aus dem Fenster
Ein Gentest bringt Gewissheit, ob man ein erhöhtes Risiko für Brust- oder Eierstockkrebs hat. Doch das Wissen kann auch eine große psychische Belastung bedeuten, weshalb Gentests erst nach reiflicher Überlegung durchgeführt werden sollten.

Melissa Cook liegt nach der Eierstockkrebs-Operation allein im Aufwachraum. Es hat etwa sieben Stunden gedauert, die Wucherungen, die auf ihre Blase gedrückt hatten, chirurgisch zu entfernen. Nun fühlt sich ihr Mund wie ausgedörrt an. Noch immer angeschlagen und unfähig, ihre Augen nach der Narkose zu öffnen, spürt sie, wie eine Krankenschwester ihren trockenen Mund mit angefeuchteter Gaze abtupft. Dann hört sie, wie jemand sagt: »Wir haben eine 39-Jährige mit einem Port.« Ihr wird flau im Magen.

Der Port – ein kleines Reservoir, das in eine Armvene implantiert wurde – ist einer von vielen Kathetern und Schläuchen, die sich durch ihren Körper schlängeln. Über den dauerhaften Zugang werden ihr Chemotherapeutika verabreicht. Durch den Kommentar der Krankenschwester erfährt Melissa Cook, eine alleinerziehende Mutter, dass sie Eierstockkrebs im fortgeschrittenen Stadium hat. »Mein Arzt hatte mir gesagt, dass man mir einen Port legen würde, wenn es sich um Krebs im dritten oder höheren Stadium handeln würde«, erinnert sie sich. »Aber nichts hatte mich auf diesen Moment vorbereitet.«

Das war im Juni 2016, und es war der Beginn von Melissa Cooks Leben mit der Krankheit. Für ihre Tochter Ella Chmielewski war die Nachricht, dass ihre Mutter an Eierstockkrebs im dritten Stadium erkrankt war, »das Beängstigendste, was ich je gehört habe«, sagt sie, die damals zwölf Jahre alt war. Die Diagnose wurde ihr bewusst, als sie ihre Mutter im Krankenhaus zurückließ, um mit ihrer Klasse einen Ausflug in einen Vergnügungspark zu machen. »Ich hatte mich noch nie um etwas so Großes kümmern müssen«, sagt sie. »Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Was soll ich tun?«

Gentests für Eierstockkrebs funktionieren besser als gedacht

Melissa Cooks Krebserkrankung begann früh: Die meisten Eierstockkrebs-Erkrankungen treten nach der Menopause auf, und die Hälfte aller erkrankten Frauen in den Vereinigten Staaten ist über 63 Jahre alt. Unter anderem wegen ihres relativ jungen Alters empfahl ihr Onkologe, sich auf genetische Mutationen zu testen, die das Tumorwachstum gefördert haben könnten. Der Test ergab, dass sie eine krankheitsassoziierte Variante des BRCA1-Gens trägt, die ihr Risiko für Eierstock-, Brust- und andere Krebsarten erhöht. Für Frauen in der Allgemeinbevölkerung liegt das Risiko für Eierstockkrebs bei weniger als zwei Prozent. Eine BRCA1-Mutation erhöht es jedoch auf 35 bis 45 Prozent. Und es war ein Risikofaktor, den sie möglicherweise an ihre Tochter weitergegeben hat.

Schwere Entscheidungen | Ella Chmielewski (links) war zwölf Jahre alt, als sie erfuhr, dass ihre Mutter Melissa Cook (rechts) an Eierstockkrebs erkrankt ist. Da ihre Mutter das Risikogen BRCA1 trug, stand für Ella schnell die Frage im Raum, ob sie ihr eigenes Risiko einer Krebserkrankung ermitteln lassen will.

Gentests zur Bestimmung dieser Wahrscheinlichkeit sind in den vergangenen zehn Jahren in vielen Teilen der Welt leichter zugänglich geworden. Anfängliche Befürchtungen von Forschern hinsichtlich der Kosten, der Relevanz solcher Tests für die Patientenversorgung und der Verzweiflung der Familien über genetische Risiken haben sich nicht bestätigt, sagt Allison Kurian, Onkologin an der Stanford University in Kalifornien. Stattdessen sei den Klinikern bewusst geworden, wie die Genetik dazu beitragen kann, dass Vorsorgeuntersuchungen und Präventivmaßnahmen sich verbessern.  Außerdem habe es zur Entwicklung von neuartigen Medikamenten geführt, die gezielt Mutationen bekämpfen, die mit Krankheiten in Verbindung gebracht werden.

»Die Gentests sind ein spannendes Beispiel für die Integration von Grundlagenforschung in die Patientenversorgung, und sie haben wirklich etwas bewirkt«Allison Kurian, Onkologin an der Stanford University

Auch die Kosten für Gentests sind gesunken. »In den letzten zwei Jahrzehnten haben wir deutliche Beweise für den Erfolg dieser Maßnahmen zur Verringerung des Krebsrisikos gesehen«, sagt Allison Kurian. »Es war ein spannendes Beispiel für die Integration von Grundlagenforschung in die Patientenversorgung, und es hat wirklich etwas bewirkt.«

Laut einer in zwei US-Bundesstaaten durchgeführten Studie unterzieht sich jedoch nur etwa ein Drittel der Patientinnen mit Eierstockkrebs einem Gentest. Und das, obwohl nationale Richtlinien empfehlen, dass sich alle Frauen, bei denen die Krankheit diagnostiziert wurde, einer genetischen Risikobewertung unterziehen. Die Ergebnisse können Frauen helfen, über Präventionsmaßnahmen oder Behandlungen zu entscheiden, einschließlich neuer Medikamente, die auf mutierte Zellen abzielen. Wenn bei einer Person ein bekannter genetischer Risikomarker festgestellt wird, empfehlen die Ärzte Gentests bei Verwandten, bei denen wahrscheinlich ist, dass sie denselben Marker geerbt haben. Diejenigen, bei denen dies der Fall ist, die so genannten Prävivoren, stehen dann vor einer Reihe komplexer Gesundheitsentscheidungen.

Eierstockkrebs als stiller Killer

Im Gegensatz zu vielen anderen Krebsarten verursachen Eierstocktumoren nur wenige Symptome und sind durch bildgebende Verfahren nicht leicht zu erkennen. Die Müdigkeit, die Blähungen und die Magenbeschwerden, unter denen Melissa Cook fast zwei Jahre lang vor ihrer Diagnose litt, wurden als Zeichen der nahenden Menopause oder des zunehmenden Alters abgetan. Wie bei ihr wird die Diagnose bei vielen Frauen erst im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit gestellt. Vorbeugende Maßnahmen sind daher von entscheidender Bedeutung.

»Wenn man eine Krebsdiagnose erhält, hat man das Gefühl, keine Wahl zu haben. Was ich gelernt habe, ist, dass man immer eine Option hat«Melissa Cook, Patientin

Frauen, die auf Grund ihrer genetischen Veranlagung ein erhöhtes Risiko haben, müssen sich häufig untersuchen lassen. Sie müssen entscheiden, ob sie regelmäßig Medikamente einnehmen, die sich auf ihr Krebsrisiko auswirken könnten, oder ob sie sich einer präventiven Operation oder einer Hormontherapie unterziehen wollen – beides hat seine eigenen Risiken und Vorteile. Dies zu entscheiden, ist komplex. Das genetische Risiko ist keine Gewissheit, und Emotionen im Zusammenhang mit vergangenen Ereignissen oder die Angst vor zukünftigen Krankheiten können ebenso starke Motivatoren für individuelle Entscheidungen sein. Auch wenn es keine richtige Antwort gibt, kann ein informierter Entschluss dazu beitragen, dass sich der Einzelne gestärkt fühlt.

»Wenn man eine Krebsdiagnose erhält, hat man das Gefühl, keine Wahl zu haben«, sagt Melissa Cook. »Was ich gelernt habe, ist, dass man immer eine Option hat. Wir haben auch die Wahl, wie wir sterben wollen, wenn es so weit ist.«

Gentests verraten Seitensprünge

Als Cook kurz nach Abschluss ihrer Chemotherapie feststellte, dass sie die BRCA1-Variante hatte, empfahl ihr Behandlungsteam, ihre Familie testen zu lassen. Es stellte sich heraus, dass ihre Mutter den Risikofaktor nicht trug, was darauf hindeutet, dass er wahrscheinlich von ihrem Vater vererbt worden war.

Wenn man den Weg eines Gens in einer Familie auf diese Weise zurückverfolgt, kann man bestimmte Krebsarten frühzeitig erkennen und die Menschen bei ihren medizinischen Entscheidungen unterstützen. Aber: Gentests sind untrennbar mit der persönlichen Geschichte verbunden, warnt die klinische Psychologin Sue Gessler in London. So seien in manchen Familien, nachdem das genetische Krebsrisiko ermittelt wurde, vergangene familiäre Traumata und lange verborgene Liebesaffären ans Licht gekommen, die beispielsweise Zweifel an der Vaterschaft mit sich brachten.

Melissa Cooks Vater war die meiste Zeit ihres Lebens abwesend gewesen. Als sie ihm die Informationen ihres Behandlungsteams darüber übermittelte, wie genetische Risiken in der Familie weitergegeben werden, »sagte er mir nur, ich solle besser auf mich aufpassen«, erinnert sie sich. Auf der Suche nach der Quelle ihres Risikos versuchte sie, ihre entfernteren Verwandten online ausfindig zu machen. In einem sozialen Netzwerk entdeckte sie eine Cousine ersten Grades väterlicherseits. Das Profilbild der Frau war von einer rosa Brustkrebsschleife eingerahmt, was auf eine gewisse Erfahrung mit der Krankheit hindeutete, doch Melissa Cook erhielt von ihr keine Antwort auf ihre Nachricht. Sie fragt sich immer noch, ob unbekannte Verwandte ebenfalls von Krebs betroffen sind.

Eierstockkrebs: Häufigkeit, Symptome, Ursachen und Risikofaktoren

  • Eierstockkrebs macht etwa ein Drittel der bösartigen Krebserkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane aus. Jedes Jahr erkranken in Deutschland ungefähr 7300 Frauen an bösartigen Tumoren der Eierstöcke. Betroffene erhalten ihre Diagnose im Mittel mit 69 Jahren und damit in einem höheren Lebensalter.
  • Die meisten Frauen mit Eierstockkrebs erhalten die Diagnose erst bei fortgeschrittenen Tumorstadien. Etwa drei von vier Eierstocktumoren werden erst im Stadium III oder IV entdeckt. Betroffene haben dann in der Regel eine ungünstigere Prognose.
  • Als Risikofaktoren für Eierstockkrebs gelten ein höheres Alter, Kinderlosigkeit, Unfruchtbarkeit, eine Hormontherapie nach der letzten Regelblutung im Leben (Menopause), Übergewicht und erbliche Veränderungen in bestimmten Genen.
  • Bei etwa einer von vier Patientinnen ist der Eierstockkrebs erblich bedingt. Trägerinnen bestimmter erblicher Veränderung haben ein erhöhtes Risiko, an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken. Wenn Frauen mehrere nahe Verwandte haben, die an diesen Krebsarten erkrankt sind, tragen sie möglicherweise eine Genveränderung in bestimmten Risikogenen. Dazu gehören zum Beispiel die Gene BRCA1 und BRCA2. Eierstockkrebs kann in der Familie allerdings auch vermehrt auftreten, ohne dass eine konkrete Genmutation bekannt ist oder nachgewiesen werden kann.
  • Eierstockkrebs bleibt in frühen Stadien häufig lange Zeit unbemerkt. Der Tumor verursacht oft erst Beschwerden, wenn er bereits in Becken und Bauchhöhle gewachsen ist. Mögliche Beschwerden sind Völlegefühl, Blähungen, unklare Bauchschmerzen, unüblich häufiges Wasserlassen, Veränderungen des Stuhlgangs, Verdauungsbeschwerden, zunehmender Bauchumfang oder Atembeschwerden durch Wasseransammlung im Bauchraum (Aszites) sowie eine unklare Gewichtsabnahme.
  • Nach gründlicher Untersuchung erhalten Ärztinnen und Ärzte einen ersten Eindruck davon, wie weit sich der Tumor ausgebreitet hat. Für die endgültige Krebsdiagnose und Stadieneinteilung ist in der Regel jedoch eine Operation notwendig. Dabei kann der Tumor entnommen und feingeweblich untersucht werden.
Quelle: Krebsinformationsdienst, DKFZ: Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom)

Wie entscheiden sich Betroffene?

Menschen mit BRCA1-Risikovarianten haben zudem die Möglichkeit einer prophylaktischen Operation, bei der Organe entfernt werden, bevor sich Tumoren bilden können. Mediziner empfehlen Frauen mit einem erhöhten genetischen Risiko für Eierstockkrebs in der Regel, ihre Eierstöcke und Eileiter im Alter von 40 oder 50 Jahren entfernen zu lassen, je nachdem, welche spezifische Risikovariante vorliegt.

Dieses erhöhte genetische Risiko bedeutet jedoch natürlich nicht, dass die Betroffenen die Krankheit tatsächlich haben. Obwohl die Ärzte ihre Empfehlungen auf der Grundlage der Biologie und der Anamnese abgeben, hängt die Entscheidung des Einzelnen von seiner persönlichen Krankheitsgeschichte oder Risikotoleranz ab. In einer Studie aus dem Jahr 2020 untersuchten der Genetikforscher Michael Murray von der Yale University in New Haven, Connecticut, und seine Kollegen, wie sich Betroffene nach einer entsprechenden Diagnose verhalten. Das Team untersuchte die elektronischen Gesundheitsakten von mehr als 50 000 Biobank-Teilnehmern und fand 59 Frauen, die darüber informiert worden waren, dass sie Träger von BRCA1- oder BRCA2-Varianten waren, aber keine Krebserkrankung hatten.

Etwa die Hälfte dieser Frauen suchte innerhalb eines Jahres nach Erhalt der Nachricht einen genetischen Berater auf; 45 Prozent ließen eine Mammografie und 32 Prozent eine Magnetresonanztomografie durchführen. Etwa drei Prozent unterzogen sich einer Mastektomie, und fast zwölf Prozent entschieden sich für die Entfernung ihrer Eierstöcke.

»Unsere Aufgabe als medizinische Fachkräfte ist es, die Menschen über ihre Möglichkeiten aufzuklären. Es gibt bei diesen Entscheidungen kein Richtig oder Falsch.«Michael Murray, Genetikforscher von der Yale University

Dabei ist Michael Murray aufgefallen, dass Personen, die Familienmitglieder mit fortgeschrittenem Eierstockkrebs begleitet haben, die Idee einer chirurgischen Vorbeugung eher akzeptieren als solche, für die die Diagnose überraschender kam. Aber er fügt hinzu: »Unsere Aufgabe als medizinische Fachkräfte ist es, die Menschen über ihre Möglichkeiten aufzuklären. Es gibt bei diesen Entscheidungen kein Richtig oder Falsch.«

Während mancher die Ergebnisse eines Gentests als Entscheidungshilfe begrüßt, können sie für andere eine Quelle der Angst sein. Auch die Einstellung zu präventiven Operationen auf der Grundlage dieser Informationen ist unterschiedlich. Selbst bei Frauen nach der Menopause kann die emotionale Belastung durch die Entfernung der Eierstöcke und Eileiter bei kinderlosen Frauen größer sein als bei Frauen, die Kinder haben, sagt Sue Gessler.

In ihrer Praxis hat sie Frauen kennen gelernt, die sich mit der Feststellung ihres genetischen Risikos wohlfühlen, den Gedanken an eine präventive Operation jedoch nicht ertragen können, und andere, die bereit sind, sich einer Operation zu unterziehen, sich aber große Sorgen um möglicherweise ebenfalls betroffene Verwandte machen: »Die Bedeutung dieser Tests ist von Person zu Person sehr unterschiedlich.«

Ein Problem für viele Krebsgefährdete ist die Menopause, die auf den Eingriff folgt, weil sie ein Jahrzehnt vor dem natürlichen Abklingen der Hormone eintreten kann. Um den Symptomen entgegenzuwirken, erhalten Frauen, denen die Eierstöcke entfernt wurden, häufig einen Medikamentencocktail, die so genannte Hormonersatztherapie (HRT). Anfang der 2000er Jahre veranlassten die ersten Ergebnisse einer großen US-Studie zur HRT, der so genannten Women’s Health Initiative, einige Frauen dazu, die Therapie wegen Sicherheitsbedenken abzubrechen, unter anderem weil sie zu einem geringfügig erhöhten Brustkrebsrisiko führte. Spätere Datenanalysen haben jedoch gezeigt, dass Frauen, die eine reine Östrogen-HRT anwenden, tatsächlich ein geringeres Brustkrebs- und Sterberisiko haben. Frauen, die eine kombinierte HRT (Östrogen und Gestagen) erhielten, hatten zwar ein leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko, aber – und das ist wichtig – das Sterberisiko war nicht erhöht.

Optionen und Risiken abwägen

Allison Kurian weist jedoch darauf hin, dass diese Daten die Risiken in der allgemeinen weiblichen Bevölkerung widerspiegeln, die eine HRT nach der natürlichen Menopause erhält, und nicht die der Frauen, die nach einer frühen Menopause auf Grund einer risikomindernden Operation in jüngerem Alter Hormone einnehmen. Obwohl für diese Patientengruppe keine randomisierten Studien zur HRT durchgeführt wurden, sollten Kurian zufolge Personen mit BRCA1-Mutationen mit ihren Ärzten sprechen, um ihre Optionen abzuwägen. Dabei sollten sie sowohl ihr individuelles genetisches Risiko als auch das potenzielle Risiko einer HRT nach einer prophylaktischen Operation berücksichtigen.

Während einige Mutationen eine dringende und extreme Präventivbehandlung rechtfertigen, können Frauen mit anderen, risikoärmeren Varianten eine präventive Operation aufschieben. Bestimmte Mutationen im Gen BRIP1 beispielsweise bergen ein mäßiges Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken – höher als in der Allgemeinbevölkerung, aber immer noch viel geringer als bei einer BRCA1-Mutation. »Eine Frau mit einem durch eine BRIP1-Mutation bedingten Risiko würde ihre Eierstöcke wahrscheinlich eher um den Zeitpunkt der natürlichen Menopause herum entfernen als früher«, sagt Allison Kurian. »Die Maßnahmen, die wir ergreifen, richten sich nach dem Grad des Risikos, das von einer Variante ausgeht.«

In Melissa Cooks Fall zum Beispiel erhöht die BRCA1-Variante auch das Brustkrebsrisiko – ein Befund der manche Frauen dazu veranlasst, sich für eine prophylaktische Mastektomie zu entscheiden. Cooks Krebs trat nach der ersten Operation und mehreren Runden Chemotherapie erneut auf. 2018 unterzog sie sich einer neunstündigen Operation, bei der sie vom Brustbein bis zum Schambein aufgeschnitten wurde, damit die Chirurgen kleine metastatische Tumoren, die in ihrem gesamten Bauchraum verstreut waren, sowie einen Teil ihres Dickdarms herausoperieren konnten. Nach den Schmerzen der großen Operationen und der Chemotherapie zieht sie es vor, mit dem Risiko zu leben – zumindest vorerst. Als sie über ihren BRCA1-Status informiert wurde, hatte sie gerade eine Operation und eine Chemotherapie hinter sich, sagt sie. »Und wenn ich jetzt an eine doppelte Mastektomie denke, weiß ich nicht, ob ich das durchhalten kann.«

Doch sie geht weiterhin regelmäßig zur Mammografie und zu Screeningtests, und seit Anfang 2019 nimmt sie Medikamente ein, die zu den PARP-Inhibitoren gehören. Diese blockieren ein Enzym, das für die Reparatur bestimmter Arten von DNA-Schäden wichtig ist, die durch BRCA1-Mutationen entstehen.

Wieso lassen sich so wenige auf ihr Krebsrisiko testen?

Die Entscheidungsfindung, nachdem man die genetischen Ergebnisse erhalten hat, ist komplex. Doch warum sich nur etwa 30 Prozent der Menschen für einen Test entscheiden, ist unklar. In zwei Studien stellten Allison Kurian und ihre Kollegen fest, dass dieser Trend anhielt bei Personen, bei denen zwischen 2012 und 2019 in Kalifornien und Georgia Brust- oder Eierstockkrebs diagnostiziert wurde. Die Rate der Gentests war bei afroamerikanischen Patientinnen niedriger als bei weißen Patientinnen und bei nicht Versicherten niedriger als bei Versicherten.

»Es reicht nicht aus, einfach nur Richtlinien herauszugeben, die besagen, dass sich alle Personen mit Eierstockkrebs einem Gentest unterziehen sollten – er muss auch durchgeführt werden«, sagt die genetische Beraterin Alanna Rahm vom Geisinger Health System in Danville, Pennsylvania. »Die Gründe, sich nicht testen zu lassen, können auf vielen Ebenen liegen – bei der Person selbst, beim Anbieter, bei prinzipiellen Bedenken oder einfach bei anderen Dingen, über die man sich mehr Sorgen macht als darüber, ob der Krebs erblich ist.«

Außerdem stellen manche Menschen, die sich testen lassen, vielleicht fest, dass sie mit den Ergebnissen wenig anfangen können. Etwa, dass bestimmte Mutationen im Gen zwar pathogen sind, ihre speziellen Versionen der Sequenz aber alternative Mutationen mit unbekannten Funktionen tragen. Solchen Trägern können die Ärzte nur raten, abzuwarten und zu beobachten, was die Forschung über ihre Gene herausfindet.

Junge Patientinnen stehen vor schweren Entscheidungen

Jüngere Prävalenzträgerinnen können auf Grund ihres Alters ebenfalls zum Abwarten tendieren. Melissa Cooks Tochter Ella Chmielewski weiß schon, seit sie zwölf ist, dass sie das BRCA1-bedingte Eierstockkrebsrisiko ihrer Mutter tragen könnte. Doch die Ärzte der Familie empfahlen ihr, mit einem Gentest bis zum Alter von 18 Jahren zu warten. Die Krankengeschichte ihrer Mutter deutete darauf hin, dass hormonelle Antibabypillen das Wachstum ihrer ersten Tumoren hätten verhindern können, so dass Ella Chmielewski die Medikamente bereits einnimmt. »Wir sprachen über ihre Zukunft und darüber, was wir jetzt tun sollten, um das zu verhindern«, sagt Melissa Cook. »Sie schlugen ihr vor, sofort die Pille zu nehmen, da dies helfen könnte, die Krankheit in Schach zu halten.«

»Nachdem ich gesehen habe, was meine Mutter durchgemacht hat, habe ich nie daran gezweifelt, dass ich mich testen lassen werde. Egal wie beängstigend es auch sein mag, ich wollte es wissen«Ella Chmielewski, junge Genträgerin

Ella Chmielewskis Erfahrungen mit der Krankheit ihrer Mutter haben viele ihrer Entscheidungen beeinflusst. In der Sekundarschule begann sie, Universitätskurse in Genetik zu belegen, und sie plant, früh Kinder zu bekommen. Aber Familienmitglieder müssen ihr Leben nicht danach ausrichten, ob eine Krebserkrankung »in der Familie liegt«. Es kann befreiend sein, wenn man erfährt, dass man das Risikogen nicht teilt, sagt Allison Kurian. »Das war immer das Versprechen von Gentests.« Doch für manche ist die Gewissheit, dass sie Träger einer Variante sind, an sich schon befreiend.

Ella Chmielewski ließ sich kurz nach ihrem 18. Geburtstag in diesem Jahr testen und erfuhr, dass sie das Krebsrisiko ihrer Mutter geerbt hat. »Wenn ich nicht gesehen hätte, was meine Mutter durchgemacht hat, hätte ich den Test vielleicht nicht gemacht«, sagt sie. »So allerdings habe ich nie daran gezweifelt, dass ich mich testen lassen werde. Egal wie beängstigend es auch sein mag, ich wollte es wissen.«

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