Direkt zum Inhalt

US-Geschichte: Wem gehört die Amerikanische Revolution?

Vor 250 Jahren erkämpften sich 13 Kolonien Britisch-Nordamerikas die Unabhängigkeit. Heute sind die Ereignisse von einst erneut zu einem Schlachtfeld geworden, auf dem die USA ihre Kulturkriege ausfechten.
Eine Gruppe von Menschen in historischen Militäruniformen steht sich auf einem Feld gegenüber. Im Hintergrund sind Soldaten in roten Uniformen mit weißen Gurten und schwarzen Hüten zu sehen, die Gewehre tragen. Im Vordergrund stehen Personen in braunen und blauen Uniformen mit Hüten, die ebenfalls Gewehre tragen. Ein Schild mit der Aufschrift "Battle Green" ist im Hintergrund sichtbar. Die Szene stellt eine historische Nachstellung dar.
Jedes Jahr spielt man in Lexington, Massachusetts, nach, was am 19. April 1775 dort geschehen ist: die ersten Gefechte im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Das Bild entstand 2019.

Der Schuss, »der auf der ganzen Welt gehört wurde«, fiel vor 250 Jahren. Am 19. April 1775 lieferten sich in Lexington und Concord, Massachusetts, britische und koloniale Soldaten erste Gefechte – es war der Beginn des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges.

In den Augen des US-Dichters Ralph Waldo Emerson war es ein Ereignis von Weltrang, »the shot heard round the world«, wie er den Kriegsausbruch später in seiner »Concord Hymn« beschrieb.

Der Krieg der Amerikanischen Revolution, in deren Verlauf sich 13 nordamerikanische Kolonien vom britischen Empire lösten und unabhängig wurden, begann 1775 und endete 1783. Doch das Ereignis gehört noch lange nicht der Vergangenheit an. Gerade im 21. Jahrhundert ist es aktueller denn je: Es ist ein zentrales Schlachtfeld, auf dem die USA heute ihre Kulturkriege austragen. Der 250. Jahrestag des Beginns des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und – mehr noch – das 250. Jubiläum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 2026 werden die aktuellen Kontroversen darüber, wer die Amerikaner sind und wer sie sein wollen, was ihren »American Way of Life« im Kern ausmacht und welche Rolle Staat und Staatlichkeit dabei spielen, absehbar weiter verschärfen.

Trump ist das Symptom einer Krise

Das hat damit zu tun, dass die Kulturkriege in den USA, die sich seit dem Ende des Kalten Krieges in Wellen entfaltet haben, mit der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps in eine neue Runde gehen. Doch Trump ist weniger die Ursache als vielmehr das Symptom einer weitgreifenden Desorientierungskrise der US-Gesellschaft. Hingegen darf als eine Ursache gelten, dass sich die Perspektiven auf die amerikanische Geschichte durch die Bürgerrechtsbewegungen der 1960er Jahre vervielfältigt haben: Das Interesse an der Rolle von Afroamerikanern, Frauen, Indianern und der Vielzahl von ethnischen Gruppen in der US-Geschichte hat die langjährig gültige Interpretation, die Amerikanische Revolution sei der Beginn eines großartigen Experiments für Freiheit und Selbstbestimmung gewesen, grundsätzlich in Frage gestellt.

Wie sich die USA gegenwärtig an die Amerikanische Revolution erinnern, lässt einerseits eine tiefe sozial-moralische Spaltung der amerikanischen Gesellschaft erkennen. Andererseits befeuert die Geschichts- und Erinnerungspolitik auch die weitere Polarisierung, weil nicht nur Akademiker die Frage nach der Bedeutung des Unabhängigkeitskrieges in der US-Geschichte erörtern, sondern sie im Zentrum breit geführter identitätspolitischer Debatten steht. Angesichts einer tiefen und fortschreitenden gesellschaftlichen Spaltung haben diese Debatten den Charakter von Kulturkriegen angenommen.

Mit Kulturkriegen sind, wie der US-Soziologe James Davison Hunter bereits 1991 in seinem Buch »Culture Wars« ausführte, scharfe sozial-moralische Kontroversen über den Kern nationaler Identität gemeint. In ihnen ringen die Amerikaner darum, wer sie sind und wer sie sein wollen, was sie für wahr und falsch, akzeptabel und inakzeptabel, gut und böse halten. In diesen Kulturkriegen kommt der Amerikanischen Revolution als Gründungsmoment der USA eine besondere Bedeutung zu. Drei Ereignisse aus der jüngsten US-Geschichte machen dies deutlich.

Die Tea-Party-Bewegung

Lange bevor irgendjemand an das 250. Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2026 dachte, setzten konservative Kritiker erste Nadelstiche gegen das liberale Amerika. Dafür instrumentalisierten sie die Amerikanische Revolution. So berief sich das Tea Party Movement ab 2009 auf das historische Ereignis, um die von Präsident Barack Obama eingeführte Krankenversicherungspflicht »Obamacare« als unzulässigen Eingriff des Staates in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu verurteilen.

Protest-Party | Die Tea-Party-Bewegung protestierte gegen die Krankenversicherungspflicht »Obamacare«, wie hier im Jahr 2010 im Ort Roseburg in Oregon.

Mit dem Namen Tea Party Movement wollten die Aktivisten an die berühmte Boston Tea Party und damit an einen symbolischen Höhepunkt des Protests im revolutionären Amerika anknüpfen: Ende November 1773 liefen drei mit indischem Tee beladende Schiffe der British East India Company im Hafen von Boston ein. Sie konnten ihre Ladung aber nicht löschen, weil die Kolonisten sich weigerten, Steuern auf den Tee zu entrichten. Der Konflikt schwelte eine Zeitlang vor sich hin. Dann enterten rund 60 als Indianer verkleidete Patrioten am 16. Dezember 1773 die Handelsschiffe und warfen 342 Kisten mit Tee im Wert von rund 10 000 Britischen Pfund ins Bostoner Hafenbecken.

In die Tradition dieser Protestaktion stellte sich das Tea Party Movement, das unabhängig von den etablierten Parteien herangewachsen war. In der Bewegung manifestierte sich ein konservativer Graswurzelpopulismus, der seine Gegner nicht nur in der Demokratischen Partei, sondern auch im politischen Establishment der Republikaner ausmachte. Letzteres erschien den Aktivisten des Tea Party Movement als integraler Bestandteil eines allmächtigen, ja übergriffigen Maßnahmenstaats.

In der Lesart der Tea-Party-Bewegung war die Amerikanische Revolution mithin ein primär staatskritischer Protest, der die in unveräußerlichen Grundrechten definierte Freiheit des Einzelnen durchsetzte. Damit untrennbar verknüpft ist die Idee eines liberalen Staates, dessen einzige legitime Aufgabe darin besteht, die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Im Denken amerikanischer Konservativer darf ein solcher Staat weder lenkend noch regulierend in Wirtschaft und Gesellschaft eingreifen.

Das Tea Party Movement begründete mit der Amerikanischen Revolution seine radikal-konservative Kritik an einer Bundesregierung, die aus ihrer Sicht einen übergriffigen Sozialstaat geschaffen hatte. Denn ein Staat, der den Einzelnen dazu zwingt, eine Krankenversicherung abzuschließen, war in der Weltsicht der Tea-Party-Bewegung zu einem Maßnahmenstaat entartet. Und ein solcher zerstöre die individuelle Freiheit und verrate die Ideale der Amerikanischen Revolution, die doch gerade aus der Angst vor zu viel staatlichem Einfluss hervorgegangen seien.

»Hamilton«, ein amerikanisches Musical

»Hamilton: An American Musical« ist ein spektakuläres Sing- und Tanzspiel über das Leben des Gründervaters Alexander Hamilton, das am 20. Januar 2015 am Off-Broadway Premiere feierte und heute zu den erfolgreichsten Musicals der amerikanischen Musikgeschichte zählt. Der historische Hamilton (1755/57–1804) war als karibischer Migrant zu einem der führenden Akteure in der Amerikanischen Revolution geworden. Insbesondere als Hauptautor der »Federalist Papers«, die den Weg zur Ratifizierung der Bundesverfassung von 1787 ebneten, und als erster Finanzminister der Vereinigten Staaten prägte er maßgeblich deren Geschichte. Das Musical »Hamilton« erzählt die Gründungsgeschichte der USA als Ergebnis des leidensbereiten Freiheitsstrebens einer ethnisch-kulturell diversen Gesellschaft, in der, so der Eröffnungssong des Musicals, die Einwanderer »den Job erledigen«.

Alle aus »Hamilton« | Das Ensemble des Musicals »Hamilton« kommt zum Foto zusammen. Der Erschaffer des Stücks, Lin-Manuel Miranda, steht in der Mitte (bärtig im schwarzen Anzug und weißen Hemd). An diesem Tag im August 2018 waren auch der Herzog und die Herzogin von Sussex anwesend.

Das Hoch auf die Diversität wird in diesem Musical auch dadurch pointiert, dass die Rollen von Hamilton, George Washington, Thomas Jefferson und anderer Revolutionäre mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe besetzt sind. Damit wird die Geschichte der Amerikanischen Revolution grundsätzlich neu erzählt: Sie erscheint nicht länger als ein weltgeschichtlicher Akt weißer, angelsächsischer und protestantischer Männer, sondern wird zum Werk einer ethnisch-kulturell pluralen Gesellschaft, die sich mit den Grundwerten von individueller Freiheit und Selbstbestimmung die Grundlagen ihrer Existenz erkämpft hat.

»Hamilton« liefert damit eine gesellschaftliche Selbstbeschreibung der USA als Land der Freiheit, Diversität und Vielfalt – verfasst und uraufgeführt in einer Zeit, die unauflöslich mit der Präsidentschaft Barack Obamas verbunden ist. Es war allerdings genau diese Selbstbeschreibung, die im Lager der Konservativen hochgradig für Anstoß sorgte. Deshalb heizte das Musical die Kulturkriege in den USA weiter an.

Das wurde bereits kurz nach der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten deutlich, als der gewählte Vizepräsident Mike Pence am 18. November 2016 eine Aufführung des Musicals im Richard Rodgers Theatre am New Yorker Broadway besuchte. Im Anschluss an die wieder einmal umjubelte Vorstellung wandte sich Brandon Victor Dixon, der schwarze Darsteller in der Rolle von Aaron Burr (1756–1836), mit einem vorbereiten Statement an Pence, der gerade im Begriff war zu gehen. Die Schauspieler des Stücks, so Dixon, verkörperten das diverse Amerika und seien daher zutiefst besorgt, dass die Regierung Donald Trumps sie und ihre unveräußerlichen Grundrechte nicht schützen würde. Zugleich verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Show den Vizepräsidenten dazu inspiriert haben möge, »unsere amerikanischen Werte« zu erhalten und für das Wohl aller Amerikaner zu arbeiten. Während Pence dieses Statement weglächelte, schoss Donald Trump tags darauf auf Twitter scharf zurück, charakterisierte das Statement als übergriffige Feindseligkeit einer unverschämten Schauspielertruppe und verlangte eine Entschuldigung.

Knapp zehn Jahre nach dem Eklat im Richard Rodgers Theatre und zwei Monate nach der zweiten Amtseinführung von Donald Trump zum 47. US-Präsidenten ließen der Schöpfer des Musicals Lin-Manuel Miranda und sein Produzent Jeffrey Seller im März 2025 wissen: Die Aufführungen von »Hamilton«, die anlässlich des 250. Jahrestages der Unabhängigkeitserklärung am Kennedy Center in Washington D.C. geplant waren, würden abgesagt – aus Protest gegen Trumps konservative Kulturpolitik. Der US-Präsident hatte nämlich ebenjenes John F. Kennedy Center for the Performing Arts zu einem ersten Zielpunkt seiner konservativen Agenda auserkoren: Indem er sich selbst zum Vorsitzenden des bisher weltanschaulich neutral besetzten Vorstandes ernannte, unliebsame Vorstandsmitglieder entfernte und den langjährigen Präsidenten durch seinen Sondergesandten Richard Grenell austauschte.

Mit all dem wollte Trump sicherstellen, dass am Kennedy Center künftig ein den konservativen Wertvorstellungen entsprechendes Programm aufgeführt würde. Miranda begründete die Absage aller Vorstellungen damit, dass das Kennedy Center als nationales Kulturzentrum für alle Amerikaner gegründet worden sei und dass »Hamilton« dort nicht aufgeführt werden würde, solange es ein »Trump Kennedy Center« sei.

»The 1619 Project«

Wie polarisierend die Erinnerung an die Amerikanische Revolution in den USA wirken kann, zeigt auch die geschichts- und identitätspolitische Kontroverse, die sich am »The 1619 Project« der Journalistin Nikole Hannah-Jones entzündete. Im Jahr 1619 waren die ersten zwangsverschleppten Afrikaner in der Kolonie Virginia angelangt und als Sklaven verkauft worden. Damit begann nicht nur die Geschichte der Sklaverei in Nordamerika, sondern auch eine rassistisch geprägte Diskriminierungs- und Unterdrückungsgeschichte der African Americans, die ungeachtet aller Emanzipationsgewinne bis heute nicht an ihr Ende gelangt ist.

Nikole Hannah-Jones | Die Journalistin erhielt im Jahr 2020 für »The 1619 Project« den Pulitzer-Preis. Hier signiert sie 2021 ihr Buch zum Thema.

»The 1619 Project«, eine Serie von Essays, die im »New York Times Magazine« erschienen sind, beschreibt die Sklaverei als zentralen Faktor der US-amerikanischen Geschichte, der ihren Verlauf maßgeblich bestimmt habe. Den Beginn der US-Geschichte markieren demnach weder die Gründung von Jamestown, Virginia, im Jahr 1607 als erste dauerhaft bestehende Kolonie Englands noch die Ankunft der puritanischen Pilgerväter auf der Mayflower im Jahr 1620, sondern die Anlandung der ersten versklavten Afrikaner im Jahr 1619.

Die historiografischen und erinnerungspolitischen Konsequenzen von »The 1619 Project« gehen zeitlich weit über die Amerikanische Revolution von 1775 hinaus, dennoch stand diese im Mittelpunkt der Kontroverse und entwickelte sich regelrecht zu einem Schlachtfeld: In ihrer ursprünglichen Einleitung zu dem Vorhaben stellte Nikole Hannah-Jones im Jahr 2019 apodiktisch fest, dass der Erhalt der Sklaverei die eigentliche Motivation für die amerikanischen Revolutionäre gewesen sei. Sie hätten die Unabhängigkeit von England nur deshalb erklärt, weil sie um den Bestand der Sklaverei gefürchtet hätten. Gegen diese Lesart erhoben fünf führende Historikerinnen und Historiker in den USA – allesamt ausgewiesene Liberale – massiven Einspruch. Die monokausale Fixierung auf die Sklaverei werde der Komplexität des Geschehens nicht gerecht und verkenne die freiheitlichen und emanzipatorischen Errungenschaften der Amerikanischen Revolution.

Damit war der Rahmen für eine erbitterte Kontroverse gesetzt, an deren Ende Hannah-Jones ihr ursprüngliches Urteil ein Stück weit anpasste, ohne es ganz zu verwerfen. Im Vorwort zum 2021 erschienenen Buch »The 1619 Project« schreibt sie, dass einer der hauptsächlichen Gründe für einige der amerikanischen Revolutionäre der Erhalt der Institution der Sklaverei gewesen sei.

Die Erinnerung an die Amerikanische Revolution polarisiert die amerikanische Gesellschaft auf vielschichtige Weise. Das wird besonders an der Debatte um »The 1619 Project« deutlich: Diese entbrannte nicht nur zwischen dem konservativen und dem liberalen Amerika, sondern es kam auch zu Verwerfungen innerhalb des liberalen Lagers.

Die US-Gesellschaft ist durchzogen von Gräben. Versuche, sie zu überwinden, gibt es kaum. Angesichts der teils militant durchgesetzten konservativen Kulturpolitik der Trump-Regierung ist auf absehbare Zeit auch nicht zu erwarten, dass die Erinnerung an die Amerikanische Revolution – 250 Jahre nach den Schüssen von Lexington und Concord – die Kulturkriege in den USA befrieden wird.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen

Depkat, V., et al. (Hg.), Representations and Uses of the American Revolution in Past and Present, 2025

Hochgeschwender, M., Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation, 1763–1815, 2018

Wellenreuther, H., Von Chaos und Krieg zu Ordnung und Frieden. Der Amerikanischen Revolution erster Teil, 1775–1783, 2006

Wellenreuther, H., Von der Konföderation zur Amerikanischen Nation. Der Amerikanischen Revolution zweiter Teil, 1783–1796, 2016

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.