Polizeiliche Kriminalstatistik 2024: Mehr Gewalttaten, mehr junge Tatverdächtige

Die Zahl der erfassten Gewalttaten ist erneut gestiegen. Das zeigt die am 2. April 2025 vorgestellte bundesweite Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2024. Demnach registrierte die Polizei für das vergangene Jahr 217.277 Fälle im Bereich der Gewaltkriminalität – ein Plus von 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und der höchste Wert seit 2010. Unter Gewaltkriminalität fallen zum Beispiel Delikte wie Mord, Totschlag, gefährliche und schwere Körperverletzungen. Besonders hoch ist der Anstieg bei Fällen von Vergewaltigung und sexueller Nötigung – ein Plus von 9,3 Prozent – und bei Delikten, bei denen ein Messer eine Rolle spielte. Rund 29.000 solche Fälle zählten die Beamten, darunter auch Bedrohungen. In 15.741 Fällen wurde das Messer konkret eingesetzt oder es versucht. 2023 waren das nur knapp 9.000 Fälle (PDF) – damit war damals bei etwa 5,8 Prozent der Körperverletzungsdelikte ein Messer im Einsatz und bei 11 Prozent der Raubdelikte. Besonders in Bayern und NRW gab es deutlich mehr Fälle als im Vorjahr.
Die starke Zunahme bei Gewaltdelikten führt die PKS auf zwei Gruppen zurück: Es gibt mehr nicht deutsche Tatverdächtige (plus 7,5 Prozent) und mehr Tatverdächtige, die Kinder (plus 11,3 Prozent) oder Jugendliche sind (plus 3,8 Prozent).
Bei der Interpretation dieser Zahlen der Polizei sind ein paar Punkte zu beachten: Die PKS liefert kein vollständiges Bild der Kriminalität in Deutschland, sondern zeigt nur die Fälle, die die Polizei ermittelt hat oder die angezeigt wurden – das sogenannte Hellfeld. Zu diesem Zeitpunkt sind zwar die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen, es hat aber noch kein gerichtliches Verfahren stattgefunden. Vor Gericht könnten manche dieser Verdachtsfälle anders bewertet werden, Verfahren eingestellt oder Tatverdächtige auch freigesprochen werden.
Wichtig wären deshalb zusätzliche Erkenntnisse über das Dunkelfeld. Neue Ergebnisse der Dunkelfeldstudie Sicherheit und Kriminalität in Deutschland (SKiD) werden aber erst im Herbst erwartet.
Warum ausländische Tatverdächtige überrepräsentiert sind
Die PKS unterscheidet bei der Herkunft der Tatverdächtigen nur danach, ob die Person die deutsche Staatsbürgerschaft hat oder nicht. Die Gruppe der nicht deutschen Tatverdächtigen ist damit sehr heterogen. Sie umfasst asylberechtigte und geduldete Geflüchtete und Menschen, die schon lange ohne deutschen Pass im Land leben, genauso wie Personen, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten – zum Beispiel Durchreisende und Touristen, Pendler in Grenznähe oder Menschen, die nur einreisen, um eine Straftat zu begehen.
Bereits im vergangenen Jahr vermeldete die PKS einen starken Anstieg der ausländischen Tatverdächtigen, sowohl bei Straftaten insgesamt als auch bei der Gewaltkriminalität. Eine Datenanalyse von ZEIT ONLINE zeigte, dass dies vor allem darauf zurückzuführen ist, dass zuletzt viele Menschen nach Deutschland zuwanderten. Im Verhältnis zur Gesamtheit der ausländischen Bevölkerung war die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen bei Gewaltdelikten seit 2019 sogar leicht rückläufig.
Was aber richtig ist: Nicht deutsche Tatverdächtige sind bei Gewaltdelikten (Anteil von etwa 39 Prozent) im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung (etwa 15 Prozent) überproportional häufig polizeilich verdächtig.
Experten sehen dafür vor allem soziale Gründe. So sagte der BKA-Chef Holger Münch in einem Interview mit der ZEIT Ende November 2024, dass Menschen aus anderen Ländern nicht prinzipiell krimineller seien, aber häufig verschiedene Risikofaktoren mitbringen, die es begünstigen, kriminell zu werden: ein junges Lebensalter, Armut, geringe Bildung, Traumata und Gewalterfahrungen. »Immer dann, wenn Integration nicht zügig gelingt, geht dies mit einem Anstieg der Kriminalität einher«, sagte Münch.
Wie der Anstieg der jungen Tatverdächtigen zu erklären ist
Den erneut deutlichen Anstieg minderjähriger Tatverdächtiger bei Gewaltdelikten führt die PKS auf zunehmende psychische Belastungen bei jungen Menschen zurück, die es zusammen mit »anderen ungünstigen Faktoren« wahrscheinlicher machten, kriminell zu werden.
Dass die Gewaltkriminalität durch Jugendliche zunimmt, lasse sich sogar schon seit 2015 beobachten, sagt Susann Prätor, Kriminologin und Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen, die schwerpunktmäßig zu Jugendkriminalität arbeitet. Der Anstieg seit Corona habe aber das erwartete Maß überschritten. Prätor erklärt das mit den psychischen Belastungen vieler Kinder und Jugendlicher infolge der Pandemie, vor allem infolge der Lockdowns, aber auch damit, dass es in dieser Zeit häufiger zu häuslicher Gewalt in Familien gekommen ist. »Gewalt selbst zu erfahren oder sie bei anderen mitzuerleben, ist ein zentraler Faktor, der das eigene Gewaltverhalten beeinflusst«, sagt Prätor.
Durch die Schulschließungen sei zudem zeitweise ein Ort weggefallen, an dem Kinder und Jugendliche lernen können, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Der Einfluss durch Social Media sei hingegen laut Prätor durch keine Studie empirisch belegt.
Warum Jugendliche Messer bei sich tragen, hat sich verändert
Am 26. März hatte das Innenministerium Baden-Württemberg bereits die Kriminalstatistik für das Bundesland vorgestellt. Auch hier findet sich ein Wert, der den Trend der bundesweiten PKS stützt. Demnach haben die Messerangriffe, bei denen Kinder als Täter verdächtigt werden, um 21 Prozent zugenommen, bei 18- bis 20-jährigen Tatverdächtigen um 20 Prozent. Junge Menschen würden Messer »zunehmend als probates Mittel erachten und zudem ein als antiquiert einzustufendes Konzept von Männlichkeit befürworten«, heißt es in der Begründung (PDF).
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) befragt bereits seit 1998 Neuntklässler, ob und welche Waffen sie mit in die Schule nehmen. Die Zahl der Jugendlichen, die ein Messer sowohl in der Freizeit als auch in der Schule mit sich führen, stieg demnach zuletzt leicht an&. 2019 trugen in der Freizeit 19,3 Prozent ein Messer bei sich, 2022 waren es 20,6 Prozent. In der Schule blieb der Wert stabil bei um die sieben Prozent.
Geändert aber haben sich offenbar die Gründe, ein Messer bei sich zu haben. Viele Jahre lauteten die meistgenannten Antworten: Man sehe es schlicht als Werkzeug oder wolle damit ein bisschen vor seinen Freunden angeben. 2022 rückte in den Vordergrund, sich selbst verteidigen zu können oder sich durch ein Messer sicherer zu fühlen. Beiden Antworten stimmten etwa 50 Prozent der Befragten zu.
Zumindest eine positive Entwicklung weist die PKS aber auch aus. Die Zahl der Straftaten insgesamt ist rückläufig (minus 1,7 Prozent). Das zeigt sich insbesondere im Bereich der Drogenkriminalität. 2023 wurden noch 347.000 Delikte gezählt (PDF), darunter 215.000 Cannabis-Vergehen. Den Berichten nach sank die Gesamtzahl der Delikte um 34,2 Prozent auf 228.104 Fälle.
Die Polizei führt den Rückgang vor allem auf die Entkriminalisierung des Cannabisbesitzes zurück: Denn seit April 2024 ist es erlaubt, zu Hause Hanf anzubauen und bis zu 25 Gramm in der Öffentlichkeit bei sich zu tragen. Weniger Arbeit für die Polizei bedeutet das allerdings nicht. Sie muss – theoretisch – bei Kontrollen im Verdachtsfall die Menge feststellen, das Gras also wiegen. In den laufenden Koalitionsverhandlungen drängt die Union darauf, die Cannabis-Reform rückgängig zu machen. Die SPD im Bund sieht das anders – obwohl auch in den SPD-regierten Bundesländern die Legalisierung nach wie vor auf Widerstand stößt.

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