Künstliche Minihirne: Kunsthirn aus dem Labor hat noch Schwächen
Seit einigen Jahren entwickeln Forscher weltweit dreidimensionale Gewebestrukturen aus spezialisierten Zellen verschiedener Organe, etwa des Auges, der Leber oder Lunge und auch des Gehirns. Solche Organoide ähneln äußerlich richtigen Organen und simulieren auch deren Funktion. Das klappt bislang mal mehr, mal weniger gut, wie sich etwa am Beispiel der künstlichen Minihirne zeigt: Die sollen zwar ohnehin nicht wirklich denken, am Ende einmal aber als Modell dienen, an dem man die Entwicklung und Funktion des Originals oder verschiedene Hirnerkrankungen erforscht. Hier machen Neurowissenschaftler nun auf eine bisher unterschätzte Schwierigkeit aufmerksam: Selbst wenn Minihirnzellen das Erbgut echter Hirnzellen haben, regulieren sie ihre Gene im Kunstgewebe doch ziemlich anders, schreibt das Team um Arnold Kriegstein von der University of California in San Francisco im Fachmagazin »Nature«.
Hirnorganoide basteln Forscher mittlerweile schon recht routiniert aus neuronalen Stammzellen zusammen, die in Nährlösungen heranwachsen, sich vermehren und sich zu einer dreidimensionalen Struktur gruppieren, die derjenigen der Großhirnrinde ähnelt. Teilweise vernetzen sich die Zellen dabei auch über Synapsen und übertragen sogar neuronale Signale. Das Team um Kriegstein warf nun einen tieferen Blick in das Geschehen: Die Forscher analysierten, welche Gene zu welchem Zeitpunkt in den Zellen von Hirnorganoiden aktiv sind, und verglichen das Aktivitätsmuster mit dem der Hirnneurone von Embryos, die zwischen 6 und 22 Wochen alt waren.
Dabei wurden Übereinstimmungen deutlich, vor allem aber Unterschiede, schreiben die Forscher. Sowohl Neurone als auch die unterstützenden Gliazellen des Kunstgewebes zeigen auf den ersten Blick ähnliche Muster wie die natürlichen Vorbilder. Gerade bei reiferen Zelltypen mit Spezialaufgaben scheint das jedoch nicht der Fall zu sein. So aktivieren etwa die äußeren radialen Gliazellen der Minihirne nicht das für sie eigentlich typische Set von Genen. Diese Zellen spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des heranwachsenden Gehirns, sie sind die Stammpopulation für weitere Neurone, Gliazellen sowie Vorläuferzellen und dienen auch als eine Art Leitplanke für wandernde Neurone. Im Organoid scheint gerade das nicht zu funktionieren: Am Ende fanden die Forscher zwar viele typische Neurone, die nach ihrem Genaktivitätsprofil in allerlei differenzierte Subtypen ausgereift waren – diese Subtypen aber sammelten sich nicht verlässlich dort an, wo ihre speziellen Fertigkeiten im echten Hirn gebraucht werden. Damit sei fraglich, ob Organoide so heranreifen, dass ein wirklich hirnähnliches Organ entsteht – und ob sie wirklich halten können, was viele Neurowissenschaftler sich erhofft haben: etwa als Modell für verschiedene Hirnerkrankungen zu dienen, die nur bestimmte Subregionen des Hirns aus speziellen Gruppen von Neuronen betreffen.
In weiteren Untersuchungen wollen die Forscher herausfinden, warum die Neurone der künstlichen Minihirne anders heranreifen als genetisch identische, natürliche Vorbilder. Denkbar ist, dass die Umgebung der Petrischale statt des heranwachsenden Körpers den Stoffwechsel der Zellen unter Stress setzt: Die Wissenschaftler konnten genetische Stresssignale in Zellkulturen nachweisen, die nach einem Transfer der Zellen in das Gehirn von Mäusen verschwanden. Das natürliche Gewebeumfeld half den Zellen zudem, sich in die zu ihrer Umgebung passenden genetisch aktiven Subtypen zu verwandeln. Offenbar spielt das Mikroumfeld der Neurone demnach eine bisher unterschätzte Rolle; es müsse in Zukunft genauso an die Entwicklungsbedürfnisse angepasst werden wie etwa die Zufuhr von Sauerstoff oder Nährstoffen in den Petrischalen, in denen die Organoide heranwachsen.
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