Helle Städte: Künstliches Licht verlängert das Pflanzenwachstum

Wer ein Gewächshaus hat, weiß, dass sich die Wachstumszeit von Pflanzen künstlich nach vorne ziehen und verlängern lässt – insbesondere durch ein Mehr an Wärme. Ein vergleichbares Phänomen konnte eine Forschungsgruppe um Lin Meng von der Vanderbilt University in Nashville nun für städtische Gebiete nachweisen: Hitze, aber vor allem künstliches Licht verlängern die Vegetationsperiode in urbanen Gebieten im Vergleich zu ländlichen um bis zu drei Wochen. Das Team hat dazu Satellitendaten aus 428 städtischen Zentren in der nördlichen Hemisphäre – darunter Berlin, Hamburg, New York, Paris, Toronto und Peking – über einen Zeitraum von sieben Jahren ausgewertet. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin »Nature Cities« veröffentlicht.
Durch die beschleunigte Urbanisierung der vergangenen Jahrzehnte in Kombination mit dem Klimawandel werden Städte immer heißer und heller. Genauer gesagt absorbieren Gebäude und Straßen Wärme und strahlen sie ab. Dadurch entstehen so genannte Wärmeinseln, in denen die Lufttemperatur tagsüber und nachts höher ist als in der Umgebung. Auch die Dauer und die Intensität des künstlichen Lichts in der Nacht haben in den zurückliegenden zehn Jahren in den Städten um durchschnittlich zehn Prozent zugenommen. Die stärkere Beleuchtung und die erhöhte Temperatur führen nun dazu, dass Bäume in Städten im Frühjahr früher Knospen bilden und sich im Herbst später verfärben als Bäume in ländlicher Umgebung.
Konkret beginnt die Vegetationsperiode in den städtischen Zentren im Durchschnitt 12,6 Tage früher als in den ländlichen Gebieten und endet 11,2 Tage später. Die Studienautoren führen diese Beobachtung auf die kombinierten Auswirkungen von künstlichem Licht und städtischer Wärmeinsel zurück. Sie fanden außerdem heraus, dass die Wattstärke des nächtlichen Kunstlichts von ländlichen Gebieten in Richtung städtischer Zentren exponentiell ansteigt. Meng und Kollegen vermuten, dass diese erhöhte Lichtmenge den Beginn und das Ende der städtischen Wachstumsperioden stärker beeinflusst als der Temperaturanstieg. Als Grund dafür vermuten die Forscher, dass das künstliche Licht wie eine Verlängerung des natürlichen Tageslichts wirkt und auf diese Weise die photoperiodischen Signale unterbricht, die die jahreszeitlichen Übergänge bei Pflanzen regulieren.
Obwohl diese allgemeinen Muster in den verschiedenen Städten der nördlichen Hemisphäre prinzipiell gut übereinstimmen, fanden die Autoren auch Unterschiede zwischen den Kontinenten. Sie stellten fest, dass der Beginn der Jahreszeit in Europa am frühesten ist, gefolgt von Asien und Nordamerika. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass die künstliche Beleuchtung mit LEDs bei Nacht ein entscheidender Faktor für die Vegetationsdynamik in Städten ist, der bei der Stadtplanung und -entwicklung berücksichtigt werden sollte«, schreiben die Fachleute. Ein früherer Blattaustrieb und ein späterer Blattabwurf könnten das Risiko von Frostschäden im zeitigen Frühjahr und im Spätherbst erhöhen. Zudem könnten sie die Interaktionen zwischen Pflanzen und Bestäubern stören und zu einem früheren Auftreten von Pollenallergiesymptomen bei betroffenen Menschen führen. »Angesichts der zunehmenden Verstädterung und des Klimawandels ist es unerlässlich, nachhaltige Beleuchtungslösungen zu entwickeln, die Bäume und die mit ihnen verbundenen Lebensgemeinschaften durch wirksame Maßnahmen besser schützen und so letztlich widerstandsfähige und gesunde städtische Ökosysteme fördern.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.