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Laborfleisch: Forscher züchten größtes zusammenhängendes Stück Kunstfleisch

Das weltweit größte am Stück gewachsene In-vitro-Fleisch ist so groß wie ein Chicken Nugget. Für seine Herstellung ließen sich die Entwickler einen besonderen Trick einfallen, der künftig auch die Medizintechnik weiterbringen könnte.
Ein grüner Teller mit Kartoffelpüree, darauf ein paniertes Stück Fleisch in Form eines Dinosauriers. Daneben eine weiße Löffelschale mit einem Klecks Butter und einem kleinen grünen Blatt. Eine halbe Limettenscheibe liegt am Rand. Eine Gabel ist am rechten Rand des Tellers platziert. Der Hintergrund zeigt ein orange-weiß kariertes Tischtuch.
Bis es so appetitlich angerichtet werden kann, wird es noch etwas dauern. Mit elf Gramm ist das jetzt vorgestellte Chicken Nugget aus dem Labor aber zumindest schon mal Rekordhalter.

Ein Forschungsteam aus Japan hat im Labor das womöglich größte zusammenhängende Stück Hühnerfleisch gezüchtet, das bislang erzeugt wurde. Es ist etwa 7 Zentimeter lang, 4 Zentimeter breit und 2,25 Zentimeter dick. Mit einem Gewicht von elf Gramm spielt es in der Liga eines Hähnchen-Nuggets. Das Kunststück gelang, weil ein eigens entwickeltes »Kreislaufsystem« das Gewebe während des Wachstums mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgte. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler um Shoji Takeuchi, Ingenieur für biohybride Systeme an der Universität Tokio, im Fachmagazin »Trends in Biotechnology« veröffentlicht.

Das Fleisch wurde bislang allerdings noch nicht aus Materialien hergestellt, deren Qualität für den Verzehr geeignet ist. Entsprechend hat das Team sein Produkt auch nicht verkostet. Die Forscher sind nach eigenen Aussagen jedoch mit mehreren Unternehmen im Gespräch, um die Technologie weiterzuentwickeln.

Der Gefäßphysiologe Mark Post bezeichnete die Arbeit gegenüber »Nature« als »außergewöhnliche technische Leistung«. Post ist wissenschaftlicher Leiter des Unternehmens Mosa Meat im niederländischen Maastricht, das 2013 den weltweit ersten im Labor gezüchteten Hamburger vorstellte.

Viele Unternehmen und Forschungsgruppen haben seitdem Kunstfleisch im Labor hergestellt. Dabei entnimmt man per Biopsie Zellen lebender Tiere und züchtet auf dieser Basis Muskelzellen, ohne Tiere schlachten zu müssen. In einigen wenigen Ländern, darunter die USA, besitzen vereinzelte Unternehmen eine Lizenz, um Kunstfleisch zu verkaufen. Im Jahr 2024 ließ das Vereinigte Königreich als erstes europäisches Land den Verkauf von gezüchtetem Fleisch für Tiernahrung zu.

Kleine Stücke zusammenkleben

Bei den meisten dieser Unterfangen werden jedoch nur winzige Fleischstücke hergestellt und anschließend zu einem größeren Produkt zusammengefügt. Das gelingt, indem man Zellen auf ein essbares Gerüst druckt oder im Labor gezüchtete Fleischstücke mit einem zum Verzehr geeigneten Bindemittel zusammenklebt. Das kalifornische Unternehmen Good Meat etwa darf sein im Labor hergestelltes Hühnerfleisch in Singapur und den Vereinigten Staaten verkaufen. Es stellt »Shredded Chicken« her und verwendet dazu nur drei Prozent kultiviertes Fleisch und ansonsten pflanzliche Zutaten. Die Firma Aleph Farms im israelischen Rehovot wiederum kombiniert mittels 3-D-Druck Muskel- und Fettzellen von Rindern und stellt so Produkte her, die wie marmorierte Steaks aussehen und die in Israel verkauft werden dürfen.

Indem man ein großes, zusammenhängendes Stück Fleisch züchtet, statt kleine Häppchen aneinanderzukleben, lässt sich die natürliche Struktur und Textur von herkömmlichem Fleisch besser nachbilden. Doch dieses Kunststück bleibe »eine der größten Herausforderungen auf diesem Gebiet«, sagt Amy Rowat. Die Biophysikerin forscht an der University of California in Los Angeles zu Laborfleisch. Um gesund zu bleiben und zu wachsen, müssen die Zellen ständig mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden. Bei Tieren übernehmen die Blutgefäße diese Aufgabe und transportieren die Nährstoffe durch das Gewebe.

Um das natürliche Kreislaufsystem zu imitieren, züchteten Takeuchi und seine Kollegen ihre Zellen um ein Netz aus halb durchlässigen Hohlfasern herum, die auch in haushaltsüblichen Wasserfiltern oder Dialysegeräten verwendet werden. Das Ergebnis ist laut Mark Post das erste funktionierende Modell, bei dem künstliche Gefäße verwendet werden, um ein dickes Stück Muskelgewebe wachsen zu lassen.

Ungenießbare Röhren

Die Hohlfasern sind allerdings nicht essbar und müssen nach dem Prozess von Hand aus dem Fleisch gezogen werden. Das Team arbeitet daran, die Entnahme zu automatisieren oder sie aus essbarem Material herzustellen, etwa aus Zellulose. Bis ein kommerzielles Produkt in Sicht ist, müssen allerdings noch weitere Hürden genommen werden – es gelte, größere Mengen zu produzieren, die Kosten zu senken und Geschmack sowie Textur zu verbessern, »um die Erwartungen der Verbraucher zu erfüllen«, wie das Team sagt.

Befürworter von Kunstfleisch argumentieren, dass für dieses im Labor kultivierte Fleisch nur ein Bruchteil der Fläche benötigt wird, die für die Aufzucht von konventionellem Vieh erforderlich ist. Außerdem setze das Verfahren weniger Kohlenstoffdioxid frei, besonders bei Rindfleisch sei der Unterschied groß. Andere wiederum führen an, das Verfahren sei unhaltbar teuer, verbrauche viel Energie und schade dem Planeten sowie der menschlichen Gesundheit deshalb mehr, als wenn sich der Mensch stattdessen eine vegetarische Ernährung angewöhne.

Laut Takeuchi könnte die Technologie, die sein Team entwickelt hat, eines Tages sogar für die regenerative Medizin nützlich sein: indem sie helfe, große Gewebetransplantate oder Modellorgane zu züchten. »Dickes Gewebe mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen, ist in beiden Bereichen eine grundlegende Herausforderung«, sagt der Forscher.

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  • Quellen

Nie, M. et al.: Trends Biotechnol. https://doi.org (2025)

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