Kunststoffrecycling: Die radikale Lösung für die Plastikkrise

Plastik ist gekommen, um zu bleiben. Und so war es auch gedacht: Stabil und langlebig, resistent gegen Schimmel und Verfall, waren Kunststoffe das Wundermaterial des 20. Jahrhunderts. Doch was in den 1960er Jahren ein Verkaufsargument war, fällt uns heute auf die Füße. Und zwar gleich doppelt. Denn während sich immer mehr Plastikabfall in Boden, Flüssen, Meer, Luft und Eis sammelt, scheitert eine technische Lösung des Plastikproblems. Kunststoffe sind nicht nur zu stabil, um biologisch abgebaut zu werden, sie sind auch zu stabil zum Recyceln.
Täglich nutzen wir Kunststoffe in unzähligen Formen, denn sie erfüllen fast jeden Wunsch. Sie sind leicht, halten dicht, können verschiedenste Formen annehmen, können mal hart wie Stahl, mal weich wie Seide sein. In den 1930er Jahren entwickelten Chemiker die ersten Polymere, wie Kunststoffe im Fachjargon auch genannt werden. Bereits 20 Jahre später begannen Unternehmen, die auch heute noch wichtigen Massenkunststoffe Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) sowie andere Kunststoffe in riesigen Mengen herzustellen.
In den 1960er Jahren lösten die neuen Werkstoffe schließlich einen regelrechten Boom aus, der bis heute anhält. Von der Kleidung bis zum Möbelstück: Nahezu alles wurde und wird aus Plastik gefertigt. Neben den begehrten Eigenschaften trug zum Erfolg des Plastiks bei, dass Erdöl und Erdgas, die Ausgangsstoffe für ihre Herstellung, konkurrenzlos billig sind. Etwa 400 Millionen Tonnen kommen jährlich weltweit auf den Markt. Das Ergebnis ist eine gigantische, globale Plastikkrise, für die es nur eine tragfähige Lösung gibt: Die klassischen Kunststoffe müssen verschwinden. Ihren Platz sollen ganz neue Arten von Plastik einnehmen.
Neues Plastik braucht die Welt
Damit solche neuen Kunststoffe die Rolle ihrer Vorläufer einnehmen, ohne deren Nachteile zu haben, müssen sie eine ganze Reihe von Anforderungen erfüllen. Sollen die neuen Materialien wirklich nachhaltig sein, muss man ihren gesamten Lebenszyklus mitdenken – einschließlich deren Ende, sprich die Abbauprodukte, die bei ihrem Zerfall entstehen. Das bedeutet, man muss solche Kunststoffe nicht bloß recyceln können, schon ihre Herstellung soll nachhaltig sein. »Neue Kunststoffe müssen auf vier Grundpfeilern stehen«, erklärt der Chemiker Manuel Häußler, Leiter der Arbeitsgruppe Biomolekulare Systeme am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam.
»Sowohl die Ressourcen als auch der Herstellungsprozess müssen umweltverträglich sein. Die Materialien müssen abbaubar sein, ohne dass dabei Schadstoffe entstehen, und sie dürfen den herkömmlichen Kunststoffen in ihrer Performance in nichts nachstehen.« Häußler ist auch Gruppenleiter am Center for the Transformation of Chemistry (CTC), einem Forschungsverbund, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, nachhaltige Prozesse und Produkte für die chemische Industrie zu entwickeln. Er hat mit seinem Team den Prototyp eines solchen neuen Kunststoffes konzipiert – ein Material mit der Bezeichnung PE-18,18. Dieses unscheinbare Material und andere Stoffe nach dem gleichen Muster sollen das Ende von PE, PP und Co einläuten.
Diese radikale Lösung ist nötig, weil die weltweite Plastikproduktion immer weiter ansteigt, während es keine Möglichkeit gibt, die entstehenden Abfälle vernünftig zu verwerten. Für Deponien ist die Menge schlicht zu groß; enorme Mengen Kunststoffe gelangen in die Umwelt, wo sie nach und nach zu Mikroplastik zerfallen. Niemand weiß, wie gefährlich die feinen Partikel wirklich sind, doch schon jetzt sind sie überall.
Mikro- und Nanoplastik finden Forschende heute an allen Orten der Erde. Zwischen 10 und 40 Millionen Tonnen kleinste Plastikpartikel gelangen jedes Jahr in die Ökosysteme. Auch wir Menschen nehmen Mikroplastik über Luft und Nahrung auf, die Teilchen gelangen in unser Blut und in die Muttermilch. Während die gesundheitlichen Auswirkungen von Mikro- und Nanoplastik weiter erforscht werden, wächst die Menge, die stetig neu entsteht.
Warum Kunststoff-Recycling scheitert
Um das zu vermeiden, könnte man das Plastik einfach verbrennen. Das tut man schon heute, denn Plastik ist ein guter Energieträger. Das Problem: Dabei wird viel CO2 frei, denn im Grunde ist Plastik auch nur ein fossiler Brennstoff mit interessanter Vorgeschichte.
Und selbst die meist als Lösung gefeierte Strategie des stofflichen Recyclings scheitert an der Wirklichkeit. Nur etwa ein Fünftel der 2023 in Deutschland produzierten Kunststoffe kamen aus dem Recyclingprozess. Und damit steht Deutschland gut da, in Belgien waren es beispielsweise lediglich drei Prozent. Warum das so ist, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Plastik sehr billig ist. Weniger als zwei Euro kostet ein Kilo herkömmliches Plastikgranulat. Doch das ist der kleinere Teil des Problems. Tatsächlich sind Kunststoffe in den meisten Fällen gar nicht wiederverwertbar.
Das, was wir Plastik nennen, ist nämlich in vielen Fällen gar kein einheitlicher Stoff. Oft sind es sogenannte Verbundmaterialien, die aus verschiedenen Materialien bestehen. Eine Blister Verpackung für Tabletten besteht zum Beispiel nicht nur aus Plastik, sondern auch aus einer Folie, durch die man die Tablette herausdrückt. Oft ist diese aus Aluminium und fest mit der Plastikverpackung verklebt – was ein Recycling unmöglich macht.
Doch selbst wenn eine Verpackung sortenrein ist, wie etwa eine Plastikschale für Tomaten oder Pilze, sind oft Zusatzstoffe, sogenannte Additive, enthalten, die eine echte Wiederaufarbeitung des Materials nicht zulassen. Kurzum: Heutige Kunststoffe sind schlicht nicht dafür konzipiert, wiederverwendet zu werden.
Wie man Kreislauf-Plastik baut
Der Vergleich mit der angestrebten Kreislaufwirtschaft verdeutlicht die Herausforderungen. Die »alten« verpackungstypischen Kunststoffe wie PE oder PP sind lineare Produkte. Selbst wenn man sie recycelt, verschlechtern sich Qualität und Eigenschaften, sodass sie unvermeidbar als Abfall, Mikroplastik oder Kohlendioxid enden. Neue Kunststoffe sollen dagegen so aufgebaut sein, dass beim Recycling wieder die Grundstoffe des Polymers entstehen. So bliebe der Kohlenstoff erhalten und würde nicht als Treibhausgas entweichen.
Wer derartige Materialien entwickeln will, muss ganz von vorne anfangen. Manuel Häußler forschte schon als Doktorand an der Universität Konstanz an solchen neuen Kunststoffen. Er konzentrierte sich dabei auf Polymere für Allzweckkunststoffe, die für die wichtigsten Anwendungen in Frage kommen. Dazu gehören auch Plastikverpackungen. Denn diese machen den Großteil des Plastikbedarfs aus. Seine Forschung führt er am Potsdamer Max-Planck-Institut mit einer eigenen Forschungsgruppe fort. Zudem ist er Mitgründer und CSO des Startups aevoloop, das die großtechnische Herstellung und das Recycling der neuen Kunststoffe angehen will.
Themenwoche: Werkstoffe und Materialforschung
Metalle, Textilien, Kunststoffe, Keramik – fast unsere gesamte Umwelt besteht aus verarbeiteten Materialien. Und das seit Tausenden von Jahren. Die Werkstoffe und ihre Eigenschaften prägen unseren Alltag und unsere Kultur. Doch die nächste Revolution steht schon bevor: nachhaltige Materialien ohne Müll und Treibhausgase. Und dabei sollen sie immer noch mehr leisten. Kann das gelingen?
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Heute verwendet man für Verpackungen vor allem Polyolefine, die aus langen Kohlenwasserstoffketten bestehen. Sie entstehen, indem man kurze Kohlenwasserstoffe chemisch miteinander zu riesigen Molekülen verkettet. Doch diese Verknüpfung lässt sich nicht rückgängig machen. Ausgehend von dieser Struktur entwickelten Häußler und das Konstanzer Team Polymere, die ganz ähnlich aufgebaut sind wie PE, jedoch aus Bausteinen bestehen, die sich wieder voneinander trennen lassen. Sie bestehen aus Dicarbonsäuren (DCAs), die an sich schon recht lang sind und an den Enden Carboxylgruppen tragen. Diese Gruppen sind die Verbindungsstelle zwischen den Einzelbausteinen, sie binden an Bausteine mit zwei Alkoholgruppen. Die Polymere, die dabei entstehen, bezeichnet man als Polyester. Der Clou bei diesen ist, dass man die Einzelbausteine ohne Qualitätsverlust zurückgewinnen und zu neuem Kunststoff machen kann.
Alte Stoffklasse mit neuem Dreh
Polyester sind an sich schon sehr lange bekannt. Sie werden beispielsweise für PET-Flaschen verwendet. Diese sind billig, haben gute Eigenschaften und lassen sich gar nicht schlecht recyceln. Häußler und sein Team wollen mit ihren neuen Materialien deshalb nicht die herkömmlichen Polyester ersetzen, sondern eine ganz andere Sorte Plastik: die Polyolefine, die keine Estergruppen tragen. Das schaffen sie, indem sie Kunststoffe erzeugen, die strukturell zwar Polyester sind, jedoch die Eigenschaften von Polyolefinen besitzen. Ihre Idee ist: die Kohlenstoffkette so lang zu machen, dass die funktionelle Gruppe, die in Polyolefinen nicht vorkommt, gar nicht so sehr ins Gewicht fällt. So sind die neuen Polyester also hinsichtlich ihrer Eigenschaften tatsächlich den Polyolefinen ähnlicher.
Entscheidend ist aber, dass die neuen, kreislauffähigen Kunststoffe ebenso leistungsfähig sind wie ihre klassischen Vorbilder. Deswegen haben Häußler und sein Team untersucht, inwiefern ihr PE-18,18 genannter Prototyp mit den Eigenschaften von herkömmlichen Polyolefinen zu vergleichen ist. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie 2021 im Fachjournal »Nature«.
Dabei stand jedoch insbesondere die Frage im Fokus, ob man PE-18,18 durch chemisches Recycling zersetzen und dabei die Ausgangsstoffe zurückgewinnen kann. Das nämlich ist die entscheidende Idee: Die Verbindungsstellen der Polymere dienen gleichzeitig als Sollbruchstellen für den Recyclingprozess. Über solche Sollbruchstellen verfügen die herkömmlichen Kunststoffe nicht.
Und in der Tat: Die sogenannte Solvolyse, eine Methode, Kunststoffe durch chemische Reaktion in seine Bestandteile zu zerlegen, funktioniert für PE-18,18 sehr gut. Unter Einsatz von Ethanol im basischen Milieu und Temperaturen zwischen 120 und 180 Grad Celsius konnten die Bausteine nahezu vollständig zurückgewonnen werden. Aus den so wiedergewonnenen Molekülen konnte die Forschungsgruppe dann erfolgreich neues Polymer herstellen, das die gleichen Eigenschaften hatte wie das ursprüngliche Material.
Ein »echtes« Recycling also, das eine Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen ermöglichen kann. Inzwischen sind die Fachleute sogar schon einen großen Schritt weiter und spalten die Kunststoffe mit Hilfe von Enzymen. Der Vorteil: Man braucht noch weniger Energie, denn die Biomoleküle arbeiten schon bei 50 bis 60 Grad Celsius wunderbar.
Haben die neuen Stoffe eine Chance?
Neben der Recycling-Frage gingen Häußler und seine Kollegen den Eigenschaften der neuen Polymere auf den Grund. Sie sollten möglichst ähnlich sein wie die von HDPE, einem Kunststoff, aus dem beispielsweise Shampooflaschen oder Rohrleitungen bestehen. Wichtige Eigenschaften hängen von der genauen Kettenlänge ab. So ist die Fähigkeit, eine kristalline Struktur auszubilden, nur für Dicarbonsäure-Bausteine mit bestimmter Kettenlänge möglich. Auch der Schmelzpunkt des Polymers hängt von der Anzahl der C-Atome ab. »Man kann nicht irgendwelche DCAs nehmen, es ist ein maßgeschneiderter Ansatz«, sagt Häußler.
Und der erweist sich bisher als erfolgreich: Die Materialien sind für den Spritzguss ebenso geeignet wie für den 3-D-Druck, und sogar Folien kann man damit herstellen. Neben Polyestern kann das Team um Manuel Häußler heute auch andere Polymere wie Polyamide herstellen. Diese haben dann andere Verbindungsstellen als die Polyester, und über diese sogenannte Funktionalität kann man die Eigenschaften des Kunststoffs steuern. So kann man bestimmte Eigenschaften wie zum Beispiel den Schmelzpunkt oder die Abbaubarkeit mit Enzymen tunen.
Herausfordernd ist nach wie vor die Herstellung der Monomere, denn lange DCAs kommen in der Natur nicht vor. Vor einigen Jahren noch nutzte das Konstanzer Team einen biotechnologischen Ansatz, um mit Algen und Hefen Fett-Abfälle zu DCAs umzusetzen. Die Aufreinigung zum reinen Produkt ist jedoch schwierig, und so verfolgt Häußler mit seiner Potsdamer Forschungsgruppe heute einen anderen Ansatz. »Biogene Ausgangsstoffe nutzen wir heute noch. Die Synthese der langkettigen Moleküle läuft aber jetzt auf chemischem Weg mit einem Katalysator«, erzählt er. Die Aufreinigung sei so einfacher und der Syntheseweg insgesamt kostengünstiger. Schließlich geht es auch darum, dass die neuen Kunststoffe bezahlbar sein müssen. »Nur wenn die Materialien etwas können, was ihre Vorgänger nicht leisten können, oder wenn sie vergleichbar billig sind, sind sie auch wettbewerbsfähig«, erklärt der Chemiker.
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